Brett Baileys "Exhibit B" nach heftigen Protesten in London abgesetzt
Rassistisch oder kritisch?
24. September 2014. Nach heftigen Protesten ist gestern Abend die Menschenzoo-Performance Exhibit B von der veranstaltenden Londoner Barbican Gallery abgesetzt worden. Alle weiteren bis Samstag geplanten Vorstellungen wurden abgesagt. Das berichtet heute der Londoner Guardian (24.9.2014).
Die von dem weißen südafrikanischen Regisseur Brett Bailey inszenierte Show ist von den im 19. Jahrhundert verbreiteten Menschenzoos inspiriert, in denen schwarze Menschen in Käfigen oder anders entwürdigend in Europa ausgestellt wurden.
heftige Proteste gegen die "Zurschaustellung" gegeben. Im Guardian löste ein Artikel des Birminghamer Soziologen Kehinde Andrews erbitterte Debatten aus. 20.000 Menschen unterschrieben eine Protestresolution gegen die in London geplanten Aufführungen. Bei der Eröffnung der "Ausstellung" gestern Abend in The Vaults, einem Ausstellungsort in den Gewölben von Waterloo Station, blockierten 200 Demonstranten Straße und Eingänge, warfen "Exhibit B" Rassismus vor und bezichtigten die Barbican Gallery der "rassistischen Komplizenschaft".
Bereits nach den Vorstellungen beim Edinburgh International Festival im August hatte esSimon Wooley, ein Menschenrechts-Aktivist und Koordinator der Protestaktion erklärte: Man habe versucht dem Barbican die unerhörte Kränkung begreiflich zu machen. Die Veranstalter hätten die Verletzung unterschätzt. "Sie verstanden den Zorn nicht, den Menschen empfinden, wenn sie sich derart ausgebeutet sehen."
Auch ein Treffen der Schauspieler mit Demonstranten war im Vorfeld ergebnislos verlaufen. In einer Stellungnahme erklärten die Schauspieler, das Stück sei "ein mächtiges Werkzeug im Kampf gegen Rassismus", sie seien stolz, "schwarze Schauspieler in diesem Stück zu sein". Die Ausstellung erlaube niemandem, einerlei ob weiß, schwarz oder andersfarbig, sich unbetroffen zu erklären von einem System, zu dem Rassismus gehöre.
Das Barbican erklärte, es setze die Veranstaltung ab, weil es die Sicherheit von Schauspielern, Besuchern und Mitarbeitern nicht mehr garantieren könne, zeigte sich aber enttäuscht, dass die Proteste nicht wie vorher versprochen friedlich verlaufen seien.
Dabei war die Schau im Vorfeld begeistert gefeiert worden. Altmeister Peter Brook hatte von einer "außerordentlichen Errungenschaft" ("an extraordinary achievement") gesprochen, Lyn Gardner schrieb im Guardian, die Arbeit des südafrikanischen Künstlers sei "zugleich unerträglich und notwendig".
Auch in Deutschland, wo "Exhibit B" beim Berliner Festival Foreign Affairs im September 2012 gezeigt worden war, hatte die Menschenschau heftige Auseinandersetzungen ausgelöst.
(www.theguardian.com / jnm)
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http://www.bbc.com/news/entertainment-arts-29353239
Eine wenig differenzierte, sensationsheischende Berichterstattung hat diesen ganzen Protest doch erst hochgekocht.
EXHIBIT B : LETTER OF SUPPORT FROM SIR PETER BROOK (Eng/Fr) :
When I saw 'Exhibit B' at the Avignon Festival in 2013, like everyone around me I was deeply moved. We left with admiration for the performers who took on the suffering of their ancestors with courage and determination. This highlighting of the atrocities of the colonial era was made more profound by the silence and dignity of the performers, without any protests or controversy at all.
For many years at Bouffes du Nord, all those who participated in the work of the International Centre for Theatre Creation Research have sought to assert that universal work can awaken mutual respect.
I have not seen 'Exhibit B' since Avignon and I can not testify to how it has evolved after so many performances in different countries and with different participants. But, I find it difficult to understand that the expression of shame of a South African artist for the atrocities of the colonial past and of apartheid would suffer censorship today.
Peter Brook
Paris
25.11.14
Quand j’ai vu ‘Exhibit B’ au Festival d’Avignon en 2013, comme tout le monde autour de moi j’étais profondément ému. On sortait avec admiration pour les interprètes qui assumaient avec courage et détermination la souffrance de leurs ancêtres. La mise en évidence de l’atrocité de l’époque coloniale passait plus fort à travers le silence et la dignité des interprètes et sans aucune déclaration ni polémique.
Pendant tant d’années aux Bouffes du Nord, tous ceux qui participaient au travail du Centre International de Recherche et de Création Théâtrale ont cherché à affirmer qu’un travail d’ensemble peut éveiller un respect partagé.
Je n’ai pas vu ‘Exhibit B’ depuis Avignon et je ne peux pas témoigner de ce qu’il est devenu après tant de changements de pays et de participants. Mais, il est difficile à comprendre que l’expression de honte d’un artiste Sud-Africain devant les atrocités du passé colonial et de l’apartheid puisse subir aujourd’hui la censure.
Peter Brook
Paris
25.11.14
(Anm. der Redaktion: Dieses Statement ist auf der Facebook-Seite von Brett Bailey erschienen: https://www.facebook.com/brett.bailey.543?fref=ts)
Falls du jetzt auf die Ungeheuerlichkeit des Freispruchs des Polizisten in Ferguson abzielen solltest, empfinde ich das als zu hundert Prozent berechtigt. Erstens hat das aber thematisch nichts mit dieser Kunst-Performance zu tun. Und zweitens würde ich diesen Freispruch nicht mit dem Begriff des "Kolonialismus" belegen, sondern mit dem des "Rassismus" bzw. der Wiederkehr der US-Apartheidspolitik entgegen den Bestimmungen des internationalen Rechts.
Diese Alleingänge der US-Politik gegenüber den US-Bürgern hat Brook selbst auch schonmal in seiner Inszenierung US zum Vietnamkrieg thematisiert. Und er schreibt dazu:
"Wir schrieben die sechziger Jahre, eine kritische, intelligente neue Generation im Theater interessierte sich immer stärker für den Zustand der Welt und wollte sich nicht länger damit zufriedengeben, sich unter dem Deckmantel von 'Kunst' im Elfenbeinturm zu verstecken. Doch wenn man Stücke macht, die eine politische Lösung predigen, impliziert man damit immer, daß man im Recht sei, und in der großen Mehrheit der Fälle wird eine reale Situation gesellschaftlichen Unrechts zum bloßen Vorwand dafür, seine privaten Ärgernisse und Frustrationen abzureagieren. Man kann sich dieser Frage auch ganz anders nähern. Wenn Demokratie Respekt vor dem einzelnen bedeutet, dann heißt echtes politisches Theater, daß man jedem einzelnen im Publikum zutraut, seine eigenen Schlüsse zu ziehen, sobald der theatralische Akt seine legitime Funktion, die verborgenen Komplexitäten einer Situation ans Licht zu bringen, erfüllt hat." (aus: "Zeitfäden")
Oder: Der kolonialistische/rassistische Blick ist immer ein doppelter: Einer blickt an, und der andere blickt zurück. Und hier sollte der Denkprozess im Zuschauer einsetzen. Dass und ob das passiert, kann die Kunst nicht garantieren, aber ermöglichen.