Immer schon allein

von Theresa Luise Gindlstrasser

Wien, 2. Oktober 2014.Am Ende geht die Bühne über mit Nebel und hoffnungsvoll blauem Licht. Derweil wird ein Epilog gesprochen. Die drei Figuren von vorher schmelzen zu Text. "Die aktuelle Welt endet in einer Sekunde. Andauernd." Selbst die Musik steht still. Und aus. Es stellt sich die Frage, was denn nun genau oder zumindest ansatzweise passiert ist, passiert wäre im Rahmen des so streng scheinenden Rahmens einer Sinfonie. Einer theatralen Sinfonie, die Bezug nimmt auf diese eine musikalische Sinfonie, die uns alle mindestens als Metapher andauernd angeht.

Was wäre wenn, fragt Slavoj Žižek in einem Aufsatz, der 2008 in der "Zeit" erschienen ist, "wenn das in Takt 331 einsetzende Chaos [der sonst so sittsamen 'Ode an die Freude'] eine Art 'Wiederkehr des Verdrängten' wäre", was wäre also wenn an den Rändern des so sittsam freundlichen Projekts Europa der Kampf der Einen gegen die Anderen stünde. Was wäre weiter, fragt Anja Hilling, wenn dies ein Gefecht nicht zwischen Personen, noch nicht einmal zwischen Institutionen und Geflechten wäre, sondern letztendlich in einem Nullkontakt zwischen den Einen und den Anderen bestünde.

An den Rändern

Im Ablauf eines Tages, von vier Sätzen, werden synchron die Geschichten von drei Personen erzählt. Die Bühne ist ein länglich goldenes Unbestimmtes. Mouse on Mars fügte dem Ganzen die Musik bei. Viel Meer, manchmal Getier, und Thomas Mahmoud macht neben Live-Sounds auch den Erzähler. Als solcher sitzt er hoch oben über dem Geschehen, und während die Musik stets anwesend ist in diesem Stück, schmiegt sie sich meist unter den Text. 

sinfonieinessonnigen4 560 alexi pelekanos uNarr, einsame Seherin oder edle Wilde? Charlotte Müller in "Sinfonie des sonnigen Tages"
© Alexi Pelekanos

Die Eine, das ist in der Uraufführung von "Sinfonie des sonnigen Tages" in der Regie von Felicitas Brucker eine einsame Seherin, aus der die Sätze strömen. Charlotte Müller wurde hierzu an Händen und Gesicht weiß bemalt und in die existenziellen Farbtöne rot und schwarz gekleidet. Sie ist die, die am Rande von Europa, von irgendwo, egal, vielleicht auch nicht, jedoch dorthin will, wo sie nicht ist. Dieser Körper ist jedenfalls ein geschundener und während die Worte aus ihr brechen, drängt sich unweigerlich und unangenehm das Bild eines edlen Wilden, zumindest eines Narren auf, der die komplizierte Wahrheit spricht.

Ewige Touristen

Unangenehm und ungleich viel produktiver geht es hingegen bei den Anderen zu. Wie der Flüchtlingsstrom artikuliert sich der Massentourismus in Hillings Stück als Privatangelegenheit. Franziska Hackl und Thiemo Strutzenberger als das Ehepaar auf der anderen Seite des Meeres spielen in ihren Dialogen auf allen Gemeinplätzen einer gescheiterten Ehe, der alles Ungeheure abhanden gekommen ist. Zwischen den beiden gibt es jedoch zumindest zwei auch textlich großartige Szenen. Die eine hat mit Ananas und Hepatitis zu tun, in der zweiten tänzelt Strutzenberger urplötzlich zur Melodie.

sinfonie strutzenberger hackl 560a alexipelekanos uSturzgefährdet: Thiemo Strutzenberger und Franziska Hackl © Alexi Pelekanos

Das wird dann so richtig schön unangenehm, wenn klar wird, dass er sich zu den exotischen Tönen einer für das Publikum nicht anwesenden Band im Urlaubsparadies wiegt. Der ewige Tourist, immer auf der Suche nach dem Authentischen, das ihm durch sein eigenes Begehren erst serviert wird. Hier können wir einsteigen in das Stück. Hier wird der Text deutlich und dadurch endlich problematisch.

Dubiose Erlösung

Die Uneindeutigkeit und der große Bilderreichtum der von Müller gesprochenen Monologe, die sich, ja doch, mit den Dialogen des Ehepaares und den Erzählstücken von Thomas Mahmoud durchschneiden, werden dem Abend zum Problem. Denn so legen sich ganz nebenbei recht unangenehme Lesarten nahe. Hier Tourismus, dort Flüchtlinge. Hier Spracharmut aufgrund von Übersättigung, dort absolutes Wissen aufgrund der realen Bedrohung von Körper, Leben, Existenz. Hier Stillstand einer unbedeutenden Beziehung, dort Realität.

Niemand trifft sich nirgendwo und am Ende steht irgendeine Art von dubioser Erlösung im Textfluss. Die Synchronisierung von Problemen der sogenannten dritten Welt mit Problemen der sogenannten ersten Welt läuft auf ein großes Achselzucken hinaus. Warum sollte ein Mensch besonders sein? Naja, also, sind wir das nicht eigentlich immer. Also zumindest für uns selbst. Und könnte die Frage nicht vielleicht anders gestellt werden: Was sind die besonderen Umstände, in denen wir und aus denen wir miteinander umgehen?

Sinfonie des sonnigen Tages
von Anja Hilling und Mouse on Mars (Komposition)
Uraufführung
Regie: Felicitas Brucker, Bühne: Viva Schudt, Kostüme: Henriette Müller, Dramaturgie: Constanze Kargl.
Mit: Charlotte Müller, Franziska Hackl, Thiemo Strutzenberger, Thomas Mahmoud, David Wilhelm.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.schauspielhaus.at

 

Kritikenrundschau

Mit Pathos und Poesie habe sich die mehrfach ausgezeichnete Dramatikerin Hilling des Themas Migration angenommen, voll Empathie, mit tiefem Verständnis für Form, so Norbert Mayer in der Presse (4.10.2014). Ein hervorragender Text, dessen Dichte die Darsteller mit großer Sensibilität und Sicherheit umsetzen würden. Der Abend lasse uns teilhaben an der Irrfahrt, "an extremer Angst und Aggression auf dem Weg nach Europa, die an Dramatik schwer zu überbieten sind".

"Hillings Stück ist der Versuch eines Flüchtlingsdramas, doch es bleibt vor allem ein Ehe- und Beziehungsstück", findet dagegen Hartmut Krug auf DLF Fazit Kultur vom Tage (3.10.2014). "Zwar versucht sich der kraftmeierische Text in enorme Bedeutungshöhen zu heben, doch bleibt er dabei oft im Kitsch hängen." Die Figuren erklären sich nicht, noch erspielen sie sich ihr Leben und ihre eigene Wahrheit. Es überwiege ein referierender Sprechstil, "realistisches Spiel ist in Hilling/Bruckners Denkspiel-Anordnung nicht vorgesehen".

In der Wiener Zeitung (3.10.2014) schreibt Petra Paterno: "Auch wenn die knapp 80-minütige Inszenierung von Regisseurin Felicitas Brucker nicht rundweg geglückt sein mag, verhandelt der Theaterabend mit dem Zusammenprall von Erster und Dritter Welt ein hochpolitisches Thema und berührt ein unbequemes Gefühl: Wie lässt sich ein erfülltes Leben führen, angesichts weltweiter Katastrophen und globalen Elends?" Dass die Schauspieler die Textpassagen runterratterten tue der beklemmenden Aktualität des Stücks keinen Abbruch.

Margarete Affenzeller schreibt im Standard (6.10.2014): "Der Text hält in schönen Sprechbewegungen die zwei Welten voneinander getrennt, was die Uraufführungsinszenierung Felicitas Bruckers aber nicht wirklich einzulösen vermag. Die Darstellungen wirken spröde, die Figur der Lou allzu bemüht künstlich." Zur sprachlichen Höhe ("verkürzte, zynische Sätze", "komplexe, poetische 'Zwiegespräche'") dringe die Inszenierung am Schauspielhaus nicht vor.

"In den Stücken von Anja Hilling treffen Bobos auf Naturgewalten, und der pointierte Dialog steht gleich neben dem poetischen Pathos", so Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (23.10.2014). In "Sinfonie des sonnigen Tages" komme die Hilling-Dramaturgie geradezu lehrbeispielhaft zum Einsatz. Das Stück sei wie eine Sinfonie geschrieben, "man muss aber schon sehr gute Ohren haben, um diese formale Finesse zu rezipieren". Das Konzept sei gut gedacht, die Ausführung aber zu kompliziert geraten. "Obwohl die Inszenierung von Felicitas Brucker sich um Übersichtlichkeit bemüht, kriegt man nicht immer mit, worum es überhaupt geht."

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