Gipfelstürmer - Am Freien Werkstatt Theater Köln übt man Widerstand im Vorwege des G7-Gipfels
Irgendwie gegen Dagegen
von Tilman Strasser
Köln, 4. Dezember 2014. "Warum bist DU zu den Protesten gegen den G7-Gipfel nach Elmau gekommen?", fragt das Beiblatt. Zehn Antwortmöglichkeiten typisieren den Revoluzzer: "Weil eine andere Welt möglich ist!" steht zur Auswahl wie "Weil das Freibad gerade renoviert wird", von "Um den Bullenstaat zu bekämpfen" bis zu "Ist das eigentlich Recycling-Papier?". Nicht leicht, diese Motivationen unter einen Hut zu bringen. Deshalb verteilt Felix Höfner – Hüte. Und Palästinensertücher, Rasseln, Pfeifen: Professionelles Protestequipment. Das Publikum, im Provisoriums-Chic auf Klappstühlen oder leeren Obstkisten untergebracht, wird zur Meute, das Freie Werkstatt Theater Köln zum Zentrum des Widerstands.
Ziele im Floskelhagel
Der G7-Gipfel indes findet erst im Juni kommenden Jahres statt, nach Heiligendamm 2007 zum ersten Mal wieder in Deutschland. Ob es erneut massive Gegendemonstrationen geben wird, ist unklar: Zu zersplittert scheint die Szene, die das Label "Globalisierungsgegner" nicht hinreichend erfasst. "Ich respektiere total deine Meinung", sagt Janosch Roloff, "aber ich leg' da ein Veto ein", und Asta Nechajute seufzt entnervt: "So kommen wir hier doch nicht weiter."
"Gipfelstürmer" heißt die Produktion, in der Höfner, Nechajute und Roloff die Proteste rund um den Gipfel vorwegnehmen. Es darf sich aufs Korn genommen fühlen, wer sich Aktivist nennt: In einer simulierten Plenumssitzung zeigen die Performer eine bis ins Schwachsinnige ausdifferenzierte Diskussionskultur. Die Frage, ob gängige Handzeichen noch einmal erklärt oder als bekannt vorausgesetzt werden sollen, führt schnurstracks in einen Prinzipienstreit und verhindert das Vorankommen effektiver als jede Sitzblockade. Hehre Ziele verschwinden im Floskelhagel, Eitelkeiten treten auf den Plan - aber bevor es zur Spaltung der Bewegung kommt, spielen lieber alle zusammen ein Lied, üben Parolen oder verteilen Capri-Sonne.
Gut eingefangen ist er, der Irrsinn des Irgendwie-dagegen-Seins, und in den besten Momenten bewegt sich das Trio irrsinnig nah an der Wirklichkeit. Kaum aber ist der Pop im Protest freigelegt, die Widerstands-Rhetorik als Feel-Good-Gefasel entlarvt, gleiten die Darsteller in Klamauk. Sie karikieren das Entertainment-Programm, das jede Art von Massenveranstaltung zu benötigen scheint – und tatsächlich reichen Schlagworte wie "Tofu-Wurst", Kabarett-Leihgaben wie eine Merkel-Pappmaske, um grelle Lachreflexe auszulösen.
Die Kritik kippt
Höfner und Nechajute überschreiten in ihrer Show-Einlage meterweit die Grenze zur Albernheit. Unfreiwillig kommt es zur Szene des Abends, als Roloff die Stimmung bricht: In der Rolle des humorlosen Weltverbesserers mahnt er mehr Ernsthaftigkeit an, und in der ersten Reihe wischt sich ein Mann verstohlen die Lachtränen aus dem Gesicht. Statt aber dem Publikum seine Verführbarkeit vor Augen zu führen, deklinieren die Schauspieler lieber noch eine Temperatur der Bewegung durch und verfallen in ebenso schwer erträgliches Pathos.
Das gerät zynisch. Wenn die drei durch den Raum streifen und Tipps für Betroffenheitslektüre geben, kippt die Kritik an Party-Protesten in lähmende Gleichgültigkeit. Ahmen sie idealistische Merksätze, utopische Sinnsprüche nach, geht es nicht mehr um die Gestalt, sondern um den Inhalt politischer Kundgebungen. Anmaßend wirkt es, wenn ein Stück, das selbst nur reproduziert, zum Schluss noch rasch Weltanschauungen bloßstellen möchte. So wird das Finale zu dem, was es den Demonstranten vorwirft: leeres Gerede.
Gipfelstürmer - History is a Work in Progress
von und mit: Felix Höfner, Asta Nechajute, Janosch Roloff, Dramaturgie: Inken Kautter, Inhaltliche Mitarbeit: Jessica Hölzl, Bühnenbild: Claus Stump, Kostüm: Dominik Strempel, Licht: Christoph Wedi.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.fwt-koeln.de
Mehr zu Flausen. Young Artists in Residence, in dessen Rahmen "Gipfelstürmer" entstand: Benno Schirrmeister porträtierte das Stipendienprogramm im August 2014.
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