Jetzt wird nicht mehr gebrabbelt!

von Dirk Pilz

27. Januar 2015. Kürzlich hat Ulrich Matthes mit der "FAS" gesprochen, das ist eine Wochenzeitung. Er hat gesagt, das RTL-Dschungelcamp gehöre "zu den absolut gelungenen Formen von Unterhaltung". Interessant. Kurz davor hat Matthes mit dem Spiegel geredet, ein Nachrichtenmagazin. Ähnlich wie in der Kunst, meinte Matthes, solle es im Journalismus um die Förderung von "Empathie" gehen, darum, "den Menschen und die Dinge in ihrer Widersprüchlichkeit zu zeigen, in der Reichheit dessen, was möglich ist". Genau. Das sollten sich alle Dschungelcampberichterstatter dringend zu Herzen nehmen, Theaterkritiker sowieso.

kolumne dirkFür solchen empathieförderlichen und widerspruchsbejahenden Journalismus braucht's allerdings "Schreibkompetenz" und "Expertentum", meint Matthes. Das werde aktuell jedoch leider in Frage gestellt: "Die Meinungsäußerung ist doch nicht dadurch demokratisiert, dass Leute, von denen man früher einen dämlichen Leserbrief bekam, sich jetzt an ihre Computer setzen und in der Öffentlichkeit vor sich hin brabbeln!" Stimmt. Wo kommen wir hin, wenn alle über alles überall reden? Eine Meinungsäußerung ist ja nicht deshalb relevant, weil man eine Meinung vor sich hin brabbelt. Es braucht schon Expertise, weshalb bitte auch nur Experten reden dürfen, so wie Ulrich Matthes sich ausschließlich zu Angelegenheiten äußert, in denen er Experte ist, zu Dschungelcamp- und Schreibkompetenzfragen zum Beispiel. Weg mit den Brabblern, her mit den Experten, Ulrich Matthes hat völlig recht.

Für die Anonymisierung des Theaters

Bleibt noch die Frage, ob an der allgemeinen Verbrabbelung der Öffentlichkeit die Anonymitätskultur im berühmten Internet schuld ist. Wird das Brabbeln besser, wenn es unter echtem Namen geschieht? Ulrich Matthes findet, ja. Ich finde, nein. Ich denke, ganz altmodisch, dass ein Argument auch dann ein Argument ist, wenn man nicht seinen Namen drunter schreibt, genauso wie umgekehrt Unsinn Unsinn bleibt, selbst wenn er namentlich gekennzeichnet wird. Ich glaube, wie Matthes, "an die Intelligenz von einzelnen Menschen", an Namen glaube ich nicht. Dieses Starren auf Namen hat in der Geschichte bislang jedenfalls nichts Gutes gebracht, das Anhimmeln von Autoritäten und Großindividuen auch nicht, so weit ich sehe.

Mir ist es egal, wo und von wem etwas Gescheites gesagt wird, Hauptsache, es ist gescheit, oder wenigstens mit Humor. Ich glaube, das Theater leidet weder unter zu viel Regiehörigkeit, zu schlechten Gegenwartsautoren, zu vielen Premieren in zu kurzer Zeit, zu wenig Geld oder zu wenigen Experten. Es leidet an Autoritätsgläubigkeit. Im Theater geht es viel zu selten um Theater, sondern um Ämter, Namen, Posten, Jurys, Karrieren und Possen. Das langweilt mich. Ich plädiere deshalb für die vollständige Anonymisierung des Theaters. Keine Besetzungszettel mehr, keine Namensschilder an Intendantenbüros, keine Kritikernamen über Kritiken, nichts davon. Ich wünsche mir, dass Ulrich Matthes auf der Bühne steht, ohne dass ich immerfort denken muss: Das ist Matthes! Der Dschungelcampversteher, der Schreibkompetenzexperte! Ich will mich mit Figuren befassen, mit Rollen, von mir aus mit Ulrich Matthes in der Rolle des Ulrich Matthes, seine Spezialität, aber nicht mit Schauspielern, die ihren Schauspielernamen herumschleppen. Ich will Menschen in ihrer Widersprüchlichkeit sehen, Namen stören da nur.

Kritiker gehören kritisiert

Vor ein paar Jahren habe ich übrigens einmal unter echtem Namen über eine Inszenierung geschrieben, bei der Ulrich Matthes als Schauspieler und Regisseur mittat. Sie kam mir nicht wie die beste und theatergeschichtsverdächtigste Inszenierung aller Zeiten vor, sondern fad. Ein paar Tage später saß ich still auf meinem Theaterplatz und wartete, dass das Theater beginnt. Dann kam Ulrich Matthes, er stand und schimpfte, weil ich seine Inszenierung nicht begriffen hatte. Ich verstehe das, Kritiker schreiben als selbsternannte Experten ständig irgendwas und kriegen selber nichts ab. Das ist ungerecht, Kritiker gehören auch kritisiert, nicht nur Schauspieler und Regisseure. Aber vor allen Leuten? Hinterher musste ich fremden Menschen erklären, was denn da los war. Ich habe gesagt, es sei um eine Inszenierung gegangen, die ich so und Ulrich Matthes so fand. Aber die Inszenierung hat die Leute natürlich nicht interessiert. Viel unterhaltsamer als alles Theater ist das Ringsum, versteht sich. Und dafür braucht's dann natürlich auch Namen.

 

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Kommentare  
Kolumne Ulrich Matthes: Like
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Kolumne Ulrich Matthes: köstlich
"Mir ist es egal, wo und von wem etwas Gescheites gesagt wird, Hauptsache, es ist gescheit, oder wenigstens mit Humor."

Vielen Dank, was ein köstlicher Text!
Kolumne Ulrich Matthes: Anonymität in der Kunst? Das ist naiv
Lieber Dirk Pilz,

ich stimme Ihnen nicht in allen Punkten zu. Schauspieler mit Namen ziehen Zuschauer in die Theater. Das Problem liegt wohl eher daran, was sie mit ihrem Namen anstellen und wie wichtig sie sich nehmen. Und das ist dann die Krankheit die an einem Namen hängt: wenn er zur Marke wird und sich von der Geltungssucht einnehmen lässt. Es gibt aber auch Schauspieler mit einem Namen der für Qualität steht und wo der Mensch in der Rolle und im Inhalt verschwindet. Das aber auch noch in der Kunst die Anonymität vorherrschen soll, halte ich für äußerst naiv. Ein schöner Gedanke zwar, das es all dieses Namedropoing nicht gibt und man sich ganz dem Inhalt überlässt. Seit Menschengedenken ist eine Tat mit einem Namen verbunden - positiv wie negativ. Und eine Geschichte lebt von ihrer Umgebung und deren Geschichten. Alles zusammen ergibt unseren Eindruck. Sich davon zu befreien und etwas eigenes daraus zu machen liegt ganz allein an uns. Und das ist durchaus anstrengend!
Kolumne Ulrich Matthes: das Projekt zum Text
Da gibt es doch tatsächlich das Projekt zum Namen: AnonymoUS
http://www.neues-deutschland.de/artikel/959738.niemals-das-gesicht-verlieren.html
Kolumne Ulrich Matthes: Ulrich Matthes antwortet
Herr Pilz irrt. Da ich auch an das Gute in Herrn Pilz glaube,unterstelle ich keine Absicht. Auch das Gedächtnis eines Kritikers schwächelt mal.
Ich stand nicht,ich sass in einer Premiere in den Kammerspielen des DT zufällig neben Herrn Pilz und sagte ihm, dass ich die Schärfe seiner kurz zuvor erschienenen Kritik, Nuran David Calis' Regie seines Stücks "Schattenkinder" betreffend, für überzogen hielte, auch angesichts der Jugend des Regisseurs. Und fügte lächelnd hinzu, mich könne er ruhig zusammendonnern. Daran erinnere ich mich auch deshalb gut, weil Herr Pilz rot wurde. Das Erröten eines Kritikers merkt man sich.
Wenn ich mich mich recht erinnere -auch mein Gedächtnis verlässt mich zuweilen- habe ich noch nie einen Kritiker wegen eines Verrisses, der mich betraf, "beschimpft". Das schien und scheint mir vergebliche Liebesmüh. Dieser kleine Akt der Solidarität für meinen Regisseur war keine Beschimpfung, und schon gar nicht in eigener Sache.
Vielleicht befragt Herr Pilz noch einmal sein Gedächtnis.
Mit freundlichen Grüssen,
Ulrich Matthes
Kolumne Ulrich Matthes: herrlich!
Eine herrliche Kolumne, ich gratuliere. Schön, dass es noch Leute gibt, die unabhängig sind und nicht vor Stars und dergleichen auf die Knie fallen. Das ist im Kulturbetrieb selten, weil ja die meisten mit ihm verfilzt sind und um die Karriere fürchten... Sehr bezeichnend was Matthes antwortet, vor allem worauf!
Kolumne Ulrich Matthes: Lob
Ernst gemeintes Lob

Lieber Herr Pilz, verehrter Herr Matthes, ich finde es schön, Sie beide hier diskutierend und erzählend zu treffen. Da ich - und vielleicht auch andere - erst durch Herrn Matthes und genannte Interviews auf die Nachtkritik aufmerksam wurde, sollte Herr Pilz mE nicht zu verärgert sein.
Kolumne Ulrich Matthes: zu jung?
Wenn Herr Calis zu jung für Wagners "Kindermörderin" war, hätte man ihn eben nicht inszenieren lassen dürfen.

Ich erinnere mich noch genau an die Aufführung. Es war unsäglich peinlich. Die jungen Darsteller wurden in eine Gesetztheit und Gespreiztheit gezwungen, weil keinerlei Zugang zu dem Stück gefunden wurde. Es war mausetot.

Und noch etwas: Als Calis "Schattenkinder" inszenierte, war er 34. Peter Stein hat mit 32 "Tasso" inszeniert und Patrice Chéreau im selben Alter den Jahrhundert-"Ring"...
Kolumne Ulrich Matthes: Teilschuld
Als Autor des FAS-Dschungelcamp-Gesprächs mit Ulrich Matthes muss ich eine Teilschuld an dessen Brabbeln auf mich nehmen. Die unterschlägt die Kritik von Dirk Pilz nämlich, also das Wechselspiel zwischen Medien und bekannten Menschen wie Matthes – dass Medien aus Eigeninteresse (oder auch wegen der Idee, Auflage zu machen, Leser für sich interessieren, zu amüsieren, auf Gedanken zu bringen) Platz providen zum Reden. Die Idee zum Gespräch übers Dschungelcamp stammte ja von mir (und nicht von Matthes), und sie verdankte sich genau dem Zusammenhang, der hier problematisiert wird: Ich hatte in besagtem Spiegel-Gespräch einen lobenden Satz über das Dschungelcamp gelesen, und ich habe mich vor der Anfrage zum Gespräch an Matthes durchaus gefragt, wie originell es ist, auf seine Themen durch die Lektüre des Spiegel zu kommen, der ja an die überschaubare Öffentlichkeit einer knapp siebenstelligen Leserzahl adressiert. Es ist tatsächlich nur halboriginell oder gar nicht, war mir aber letztlich egal, weil mich das Theaterhafte am mittlerweile durchgesetzten Format des Dschungelcamps dann doch noch so stark interessierte, zumal wenn es jemand wie Matthes erklärt, von dem man - bekloppte, aber medial funktionierende Annahme - das nicht erwarten müsste.
Bestätigt sah ich mich immerhin durch das Ergebnis (wobei ich da als Beteiligter natürlich befangen bin), was vielleicht versöhnlich stimmt, insofern ich in diesem Punkt mit Dirk Pilz und Marlene S. übereinstimmen würde: "Mir ist es egal, wo und von wem etwas Gescheites gesagt wird, Hauptsache, es ist gescheit, oder wenigstens mit Humor."
Kolumne Ulrich Matthes: Antwort des Kolumnisten
Lieber Ulrich Matthes,
haben Sie vielen Dank für Ihre interssante Antwort; ich habe eingehend mein Gedächtnis befragt und bin umgehend unsicher geworden, so dass ich nicht schwören wollte, ob Sie nun standen oder saßen, ob Sie lächelten oder nicht, auch kann ich mich leider nicht an die Erlaubnis erinnen, Sie "zusammenzudonnern", wie Sie schreiben; aber gewiss erinnern Sie sich besser, es wird wohl so gewesen sein.
Für sehr gut möglich halte ich auch, dass ich rot wurde, sicher war die Situation mir peinlich damals. Ob auch Sie rot wurden, kann ich nicht mehr sagen, aber vermutlich hätte ich es mir gemerkt, wäre es so gewesen.
Wie immer sehr herzlich,
Ihr Dirk Pilz
Kolumne Ulrich Matthes: Posten, Jurys, Possen
Auf nachtkritik.de geht es viel zu selten um Theater, sondern um Ämter, Namen, Posten, Jurys, Karrieren und Possen.(s.o.)
Kolumne Ulrich Matthes: gutes Spiegelbild
@Ulrich Heinse
Ich kann nur Recht geben mit einem Zusatz: Gerade das ist Theater.
nachkritik.de ist daher ein sehr gutes Spiegelbild...
Kolumne Ulrich Matthes: Struktur des Theaters
Gott, da reden Matthes und Pilz miteinander und es klingt wie der gesamte anonyme Rest. Es muss am Theater und der Struktur dieser Seite liegen. Es ist zum...
Kolumne Ulrich Matthes: Spaß
@5;@10 Spass muss sein!
Kolumne: Unterhaltung
Oh nein, Herr Baucks, Sie täuschen sich, schauen Sie genauer hin. Das hier ist Unterhaltung, menschlich, nett und tröstlich!
Kolumne Ulrich Matthes: nichts anderes
Genau, man sollte die "großen Namen" durchstreichen, und zwar in der Weise, dass man sie sich eigenständig aneignet. Nichts anderes macht gutes - ob nun junges oder altes - Theater. Für die Experten des Alltags, ob auf der Bühne oder im Zuschauerraum!
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