Im Loch der Geschichte

von Sophie Diesselhorst

Berlin, 22. Februar 2015. Sind wir im Kasperletheater? "Liebe Kinder!" sind die ersten Worte von Johannes Hendrik Langer. Ein roter Samtvorhang ist auch da. Zwei rote Samtvorhänge! Auf geht allerdings nur einer von ihnen, und zwar der, den Langer kraft seiner Phantasie und eines Beamers vom Theater auf eine Pappscheibe zaubert. Langer steht an einem Tisch, vor sich diese Pappscheibe und Pappboxen, die er als Projektionsflächen anordnet für die gezeichneten Abbilder der Wesen, die er erzählend beschwört. Außerdem ist da seine Kollegin Caroline Erdmann. Er führt sie als Assistentin ein, die für die Erzeugung "möglichst seltsamer Geräusche" zuständig sei. Auf dem kleineren Tisch, an dem sie an der Seite sitzt, stehen ihr dafür ein Keyboard, Gläser, Papierblätter und weitere Instrumente zur Verfügung.

Auf geht es mit derart modernisierten Kasperletheatermitteln in das "unmöglich mögliche Haus", in dem man endlose Korridore entlanglaufen kann. Man kann Bücher finden, in denen Zeichnungen zu einem sprechen. Man kann sich von der Zeichnung eines kleinen Mädchens den Auftrag erteilen lassen, nach der von ihr vermissten Zeichnung einer Spinne zu suchen. Man kann auf der Suche auf eine Soldatenkompanie stoßen, die gerade einen Tanz probt und einen wegen Kunst-Spionage in einen dunklen Kellerraum sperrt. In diesem dunklen Kellerraum kann man das Buch mit dem gezeichneten Mädchen verlieren, und zwar ganz kurz bevor man die gezeichnete Spinne findet. Mithilfe eines Hundes, der netter ist als sein Begrüßungs-Knurren, kann man das Buch aber wieder finden; und es kann sein, dass die Soldaten einen dann auch wieder aus der Gefangenschaft entlassen, weil sie ihren Tanz fertig geprobt haben und ein Publikum brauchen.

Unser aller Erzählraum

Zwischendurch kann es passieren, dass man auf ein Loch stößt. Ein "dunkles, schwarzes, depressives Loch". "Jede gute Geschichte hat irgendwann irgendwo ein Loch", versucht Johannes Hendrik Langer zunächst das Beste draus zu machen. Er schnauzt es in Richtung seiner Kollegin, die ihn schon die ganze Zeit immer wieder unterbrochen hat mit Anmerkungen zu der Geschichte, die doch er erzählt!

das-unmoeglich-moegliche-haus 560 christianbrachwitz uErzähler vor Pappboxen: Johannes Hendrik Langer © Christian BrachwitzNein. Nicht nur jetzt, als das Loch ihn dann doch zur Verzweiflung bringt und sie für ihn übernimmt und mit seinen Mitteln erzählt, wie man es überwinden kann (er muss die Geräuschemacherrolle einnehmen); auch vorher schon war sie, die als Stellvertreterin des Publikums auf der Bühne zugehört und nachgefragt hat, natürlich Mitarbeiterin an dieser Geschichte von irgendwelchen Abenteuern im "unmöglich möglichen Haus" – das, so macht es die "Loch-Episode" explizit, der Erzählraum ist, der uns allen zur Verfügung steht. Jederzeit und überall lassen sich dort nunmehr bekannte Mäuse und Hunde wieder aufsuchen und weitere Wesen entdecken, mit denen man sprechen und leben oder Aufregenderes probieren kann: Vorausgesetzt, man hat mindestens einen Co-Erzähler.

Gefräßiges Schweigen

Wie die Soldaten für ihren Tanz braucht der Erzähler ein Publikum, und zwar mehr, als er denkt. Das Theater als Wir-Raum dient Forced Entertainment einmal mehr als logisches Super-Medium für die Verbreitung dieser ihrer hochpolitischen Message, die man, so ernst wie das Erzählen hier genommen wird, als Rezept für das klein- und großgesellschaftliche Zusammenleben ganz allgemein lesen muss. Und auch ohne Tim Etchells & Co. als Performer und ohne die englische Sprache, aus der sie ihre Erzähl-Experimente entwickeln, strahlt diese Neu-Formulierung der Message auf das Theater zurück und macht eineinviertel Stunden in einem dunklen Raum zwischen einer Menge unbekannter Menschen zu einem beglückenden Erlebnis. Dass von diesen unbekannten Menschen die meisten Kinder sind, macht sich übrigens kaum bemerkbar, es herrscht gefräßiges Schweigen. Und überhaupt, nach Forced Entertainment-Logik, die nachwirkt: sind alle Menschen Kinder, wenn alle Kinder Menschen sind.

 

Das unmöglich mögliche Haus
von Forced Entertainment
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Tim Etchells, Robin Arthur, Dramaturgie: Lina Zehelein, Ausstattung: Clemens Leander, Künstlerische Mitarbeit & Grafik: Vlatka Horvath.
Mit: Caroline Erdmann, Johannes Hendrik Langer/Elisabeth Heckel, Thomas Pasieka.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause

www.parkaue.de

 

"The Possible Impossible House" wurde im Dezember 2014 in London uraufgeführt.

 

Kritikenrundschau

Johannes Hendrik Langer trage die Story mit "einfachen, aber wirkungsvollen Mitteln" sehr "einnehmend und witzig vor, wobei er mit schöner Regelmäßigkeit von der Kollegin Caroline Erdmann unterbrochen" werde, berichtet Patrick Wildermann im Tagesspiegel (24.2.2015). Der Abend sei "komisch, einfallsreich und charmant inszeniert, visuell toll gemacht (…) und auch kindgerecht (…). Bloß die eigentliche Geschichte bleibt ein bisschen auf der Strecke. Wirklich spannend nicht in diesem unmöglichen möglichen Haus."

"Aus dem Wechselspiel zwischen Magie und Fantastik sowie Alltags- und Situationskomik entsteht eine schöne Spannung, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen erreicht", so Elisabeth Nehring auf Deutschlandradio Kultur (22.2.2015), und aus diesem Theater der einfachen Mittel eine phantasieanregende und lustige Performance mache. Allerdings werde die Geschichte – ohne Hintersinn, ohne Botschaft – nur erzählt wird um des Erzählens willens.

 

 

Kommentare  
Das unmöglich mögliche Haus, Berlin: großartig
Großartiger Abend, den man vor allen diesen beiden fantastischen Spielern verdanken kann!
Das unmöglich mögliche Haus, Berlin: enttäuschend
Der Abend ist doch leider eher enttäuschend. Die Geschichte ist für Kinder langweilig, weil die rudimentäre Handlung nur erzählt statt gespielt wird und auf Biegen und Brechen auf 75 min gestreckt wurde, so dass noch jedem möglichen Spannungsaufbau der Garaus gemacht wurde. Die ewigen Unterbrechungen des Erzählflusses durch die Musikerin sind selbst für Kinder nach dem 11 Mal nicht mehr lustig. Visuell bietet der Abend nicht mehr als einige Beamerprojektionen auf Pappschildern und könnte so problemlos in jedem Hinterhoftheater gezeigt werden. (Mensch, da waren wir im Scherenschnitt ja schon weiter!)
Das es bei der Premiere die Kinder so ruhig waren, lag zum einen daran, dass nur verhältnimäßig wenige da waren. Und daran, dass die Metawitze zwar bei uns Erwachsenen ein gewisses infantilen Lachen auszulösen vermochten - die Pointe aber an den Kindern meist voll vorbei ging. Kein Wunder, dass die britischen Rezensionen meist negativ waren. Fazit: Kindertheater für Erwachsene.
Das unmöglich mögliche Haus, Berlin: Teilhabe
@2.
Da empfehle ich einen Besuch in einer regulären Vorstellung in der begeisterte Kinder mitdenken und -fantasieren, anstelle alles konsumerabel vorgespielt zu bekommen. So über-trägt sich auch die Handlung auf die Kleinsten und deren Fähigkeit, gemeinsam mit anderen per fantastischer Teilhabe auf Reise zu gehen. Ansonsten bietet der Friedrichstadtpalast übrigens großartige visuelle Welten und spannende Unterhaltung!
Das unmöglich mögliche Haus, Berlin: Hinweis
betrifft KRTIKENRUNDSCHAU: hat nicht herr seidler für die berliner Zeitung und herr kasch für die Morgenpost auch ne Kritik geschrieben?
Das unmöglich mögliche Haus, Berlin: recht öde
Ich fand's leider auch nicht so gut, wie die wunderbar geschriebene Rezension von Sophie Diesselhorst vermuten lässt. Habe heute die Nicht-Premierenbesetzung (Elisabeth Heckl, Thomas Pasieka) gesehen und kann dazu nur sagen: Herrn Pasieka stehen entweder nicht die handwerklichen Mittel zur Verfügung, die Herr Langer offenkundig besitzt ODER aber da wurde seitens der Regie ganz viel verschenkt.

Die Performances von Forced Entertainment leben ja ganz stark vom unaufgeregten Erzählen, von der Repetition, vom Betrachten eines erzählten Ereignisses aus verschiedenen Blickwinkeln. Das funktioniert nur nicht, wenn der Erzähler nicht Tim Etchells ist, der da mit einer ihm ganz eigenen Komik agiert. Ein spannungslos heruntererzählter Monolog, der von projizierten Bildern durchwirkt ist, kann eine einzige Stunde sehr lang werden lassen. Das ist Hörtheater vom Feinsten - warum dann nicht mit der Stimme auch so agieren, dass die Geschichte ansprechend transportiert wird?

Und warum so viele Situationen zum Mitmachen verschenken, die die Kinder von sich aus anbieten, die im Chor "Guten Morgen" rufen und winken wollen, wenn das Mädchen aus dem Buch winkt. Wie wunderbar hätten all diese Konventionen aus dem Kaspertheater hier in dieser modernen Form funktioniert. Ohne dies war es doch über weite Strecken recht öde. Genauso gut hätte ich die Geschichte auch in einem Buch lesen können...
Das unmöglich mögliche Haus, Berlin: absolut begeistert
Waren heute in der vollen Vorstellung mit den großártigen Darstellern Elisabeth Erdmann und Thomas Pasieka. Tochter 8 und meine Wenigkeit sind absolut begeistert. Dem Publikum schien es auch sehr zu gefallen.

Hörte aber beim Hinausgehen eine Lehrerin entschuldigend zu einem ihrer Schützlinge sagen, dass es ihr leid täte, dass es so langweilig gewesen sei. Vielleicht hatte sie andere Erwartungen oder Furcht, dass sei nicht "actionreich" genug für ihre 10-12jährigen.

Nein, alles klasse: Die Idee, der Einsatz der Mittel und vor allemauch die klasse Darsteller (bin selbst etwas theater- und filmerfahren).

Ganz große klasse und jederzeit zu empfehlen. Auch wenn hier und dort das Meinungsbild gemischt sein sollte, und auch wenn ich das nicht so recht verstehen kann (eher gar nicht - finde das alles wirklich klasse, und bin wahrlich nicht leicht zufrieden zu stellen: Es lohnt sich auf jeden Fall ein eignes Bild von der Sache zu machen.

Tochter auch sehr begeistert, die das nicht von mir abhängig macht. Nein, bestimmt nicht.

Werde, was ich nicht oft mache, auch noch ein Lob ins Haus und zu den Machern senden. Aus meiner Sicht außergewöhnlich gut, alles sowie die Darstellenden!

Vielleicht liegt es an den Erwartungen der Enttäuschten, die klasse Kulissen, Kostüme und Action auf der Bühne... Nur eine Vermutung, weil uns das so gar nicht nachvollziehbar war. Haben einen sehr aufregenden Theaterbesuch und ein am Ende sogar ein durchweg mit den Füßen ablaudierendes Publikum erlebt (3. Vorhang - nach einer Kindervorstellung am kalten Sonntagnachmittag nicht wenig).

Danke, wirklich toll, wirklich super!
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