"Ich bin kein gefühliger Mensch"

9. März 2015. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung hat ein großes Gespräch mit der Schauspielerin des Jahres 2014 Bibiana Beglau geführt. "Die liebevollsten Figuren im Theater sind Verräter: Judas, der Teufel, Richard III.", sagt Beglau. Und: "Ich fühle gar nicht so viel. Ich habe eher Spaß daran, seltsame Gedanken zu entwickeln". Und: "Ich bin aber jemand, der versucht, sich öffentlich zu verbrauchen...". Auszüge aus dem Gespräch:

Ihre drei aktuellen Rollen im Residenztheater München

Weder die Petra von Kant, noch Martha in "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" und auch nicht Mephisto hält Beglau für böse. "Die sind verletzt. Wer Angst hat, schwach ist, merkwürdig, fremd, gilt leicht als bedrohlich. So wie die Hexen im Mittelalter." Wenn der Schwache anfange sich zu wehren, erscheine das "wie die Fratze des Bösen". Die "liebevollsten Figuren im Theater sind Verräter: Judas, der Teufel, Richard III. Alles Ungeliebte." Allenfalls Lady Macbeth sei böse, aber schließlich hätte sich Macbeth auch gegen ihre Pläne entscheiden können.

Gut und böse, Gegensätze

Warum Mephisto in Martin Kušejs Inszenierung weiblich ist, sei doch egal.
Die Gottheiten in Indien änderten dauernd das Geschlecht, "zu ihrem Vorteil". Auch "im wirklichen Leben" gäbe es nicht böse und gut. "Wir funktionieren, um den Alltag zu überleben. Da nehme ich mich nicht aus." Schuldig werden könnten nur diejenigen, die die Welt verändern wollten, "im Guten wie im Schlechten". Hass und Liebe seien gleichwertig. Sie fühlten sich körperlich auch identisch an. "Hass und Liebe machen ein komisches Kribbeln unter der Brust, heben das Zwerchfell, lösen diesen Schmerz aus. Es zieht in der Mitte des Körpers, wenn man dollen Liebeskummer hat."

Sie fühle auch gar nicht so viel in der Rolle. "Ich bin kein gefühliger Mensch. Ich habe eher Spaß daran, seltsame Gedanken zu entwickeln. Die Welt in Frage zu stellen." Deswegen wohl fände sie Castorf so toll, oder Kušej. Schlöndorff. Weil die die Welt nicht aushielten."

Figuren

Ihre Lady Macbeth habe sie Joan Collins aus der amerikanischen Serie "Denver Clan" in Äußerlichkeiten nachempfunden. Das sei wie beim Zeichnen, wo man mit den Konturen beginnt: Kostüme und Körperhaltung. "Bei 'Wer hat Angst vor Virginia Woolf?' wusste ich, Martha muss total breitbeinig dasitzen, einen Arm aufgestützt, den Kopf gesenkt. Wie ein Kriegerdenkmal. Die Hermannsschlacht hatte ich vor Augen. Erst nach einer Weile sieht man ihr Gesicht: das starke Blau auf den Augen, die aufgesprungenen Locken, rudimentär Elizabeth Taylor: eine Verbeugung, weil man's nicht besser machen kann."

Sie spiele keine Figur, sie propagiere "eine Haltung" zu dem, was sie tue. "Wenn ich propagiere, dann sage ich: Das ist so. Ich bin die Wahrheit der Figur, so wie ich sie empfinde." Wie lange es dauere bis sie beginne ein Stück zu verstehen? Sie verstehe gar nicht. Sie lege sich ihre eigene Theorie zurecht.

Normalerweise wünsche sie sich keine Rollen, aber Richard III. hätte sie gern gespielt. "Dieser Krüppel leidet daran, nie geliebt zu werden."

Publikum

Die Leute im Publikum könnten ruhig einschlafen oder rausgehen. "Warum soll man nicht schlafen? Wenn man einen Arbeitstag von acht Stunden hatte und sich einen vier Stunden langen 'Baal' anguckt ... Ich mache es bei Frank Castorf selbst so, dass ich mir einen Teil anschaue und später wiederkomme, um den anderen anzugucken."

Werdegang

Ursprünglich habe Beglau Bildhauerin werden wollen, dann sei die Mappe für die Kunsthochschule Braunschweig nicht rechtzeitig fertig geworden, und die Eltern hätten ihr einen "Ausbildungsvertrag für eine biologisch-ökologische Farm in Ägypten zum Unterschreiben" vorgelegt. Damals habe sie gedacht, einen Text auswendig lernen, das kann jeder und sei Schauspielerin geworden.

Wozu?

Ob Theater alles in Frage stellen müsse? "Theater heißt: Lass uns uns zusammensetzen, auch wenn wir uns die Köpfe einhauen; das Theater ist in dieser Gesellschaft immer noch nicht dekorativ, Gott sei Dank."

(jnm)

Kommentare  
Presseschau Beglau: Lob
Eine kluge, tolle Schauspielerin!
Presseschau Beglau: einfach nur Liebe
Eine großartige Schauspielerin. Für mich die beste ihrer Generation. Mephisto, Martha, Petra, Dascha, Bardamu, Isabelle. - also glanzmomente, denen ich beisitzen durfte. Chapeau, Frau Beglau! Einfach nur Liebe.
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