Tanz um die heiße Puppe

von Martin Krumbholz

Köln, 14. März 2015. Was für eine versunkene Welt! Im schlesischen Riesengebirge, im Dunstkreis der alten Glashütte, sitzt man abends zum Umtrunk in der Spelunke zusammen, der Glashüttendirektor, auch wenn er sich langweilt, solange Pippa nicht tanzt, mittenmang dabei. Der Wirt: ein zynisches buckliges Monstrum. Die Gastarbeiter, die hier vor Jahrhunderten nach Gold und Erz geschürft haben, nennt man "die Venediger". Einer von ihnen ist der Glastechniker Taglazioni, der beim Falschspiel erwischt und erstochen wird. Pippa ist seine minderjährige Tochter. Es ist bitter kalt. Wenn der grobschlächtig-zottelige Huhn, ein entlassener Glasbläser, stampfend in die Kneipe eintritt, schüttelt er mächtig viel Schnee von seinem Pelz. Huhn steht in Hauptmanns Glashüttenmärchen aus dem Jahr 1905 für die rohe animalische Kraft. Die tanzende Pippa für Grazie und Schönheit.

Vier Varianten des Männlichen

Pippa ist in Moritz Sostmanns Kölner Inszenierung eine Puppe, geführt von Magda Lena Schlott, die in ihrem Harlekinskostüm zugleich als Spielleiterin fungiert. Prächtig die Ausstattung von Klemens Kühn: Die sonst so öde Halle Kalk ist in ein großes Restaurant verwandelt, man sitzt bei einem Glas an Tischen. Ein Theaterportal mit Vorhang, die Kulissen dahinter gemalt, auf beiden Seiten Logen, ein breiter Steg zieht sich von der Vorbühne aus in den Saal. Es ist eine magische Welt voller dunkler Symbole, die die Handlung des eigenartigen Stücks zur Nebensache werden lässt. Wenn der stumme Diener Jonathan (Johannes Benecke) mit weinenden und lachenden Gläsern in aller Ausführlichkeit Zauberkunststückchen vorführt, ist das so essenziell wie nur irgendeine in kostbarstes Deutsch gebrachte Spruchweisheit aus der Feder des (mittelalten) Dichters. Das eine jedenfalls so sehens- wie das andere hörenswert.

pippatanzt1 560 davidbaltzer uIm Bannkreis der Puppe: Johannes Benecke, Magda Lena Schrott und Martin Reinke
© David Baltzer

Ein nicht nur persönliches, sondern geradezu "privates Mysterium", heißt es, habe Hauptmann in "Pippa" gestaltet. Denn die tanzende (und schließlich sterbende) junge Italienerin soll von einer ebenfalls minderjährigen Schauspielerin inspiriert sein, in die der eben erst frisch verheiratete Stückschreiber sich verliebt hatte. Und die vier Männer des Stücks, erfahren wir von der Programmheftautorin, stünden für vier typische Varianten des Männlichen – das mag wohl so sein.  Da wäre also der alte Glashüttendirektor, dessen Sottisen Martin Reinke wunderbar hinnäselt und -nuschelt. Dann der schon erwähnte grobe Huhn (Jakob Leo Stark ist aus dialektalen und akustischen Ursachen leider schwer verständlich, aber man ahnt, was ihn umtreibt). Ferner der wandernde Handwerksbursche Michel Hellriegel, ein sonderbarer Kauz, aus "dem großen Wurstkessel des Herrn" entsprungen, wie er Pippa erklärt: Yuri Englert formt ihn zu einer interessant-spinösen Figur; sehr schön die Flirtszene zwischen Pippa und ihm, genau genommen ein Dreieck, das aus dem Burschen, der rotblonden Puppe und Schlotts Pippa-Puppenführerin besteht.

Randvoll mit Effekten

Die perfekte Symbiose zwischen Puppen und Puppenführern ist ja der handwerkliche Schlüssel für Sostmanns Inszenierungen. Das gilt auch für den vierten Mann im Bunde, die vierte Hauptmann-Transfiguration, wenn man so will: eine "mythische Persönlichkeit" nennt der Autor diesen Gebirgs-Greis Wann, der konsequent in einem Hauptmann-Outfit – schwarzer Talar, weißes Haar – steckt und, als zweite Puppe des Abends, von Philipp Plessmann an die Hand genommen wird. Wenn dieser spirituelle Quacksalber raunend seine Sentenzen abspult, beginnt das Stück sich gefährlich zu dehnen.

pippatanzt2 560 davidbaltzer uIm Riesengebirge: Johannes Benecke, Philipp Plessmann, Yuri Englert, Jakob Leo Stark
© David Baltzer

Aber die Inszenierung beugt vor, indem sie den Glashüttenmärchenabend bis zum Glasrand mit allen möglichen Gimmicks, Requisitenerfindungen, optischen und akustischen Effekten, Diaprojektionen, Beiseite-Gesprochenem, aus dem Off angereichten Erfrischungstränken und anderem Wundertütenzeug anfüllt, so dass dem rundum versorgten Zuschauer kaum einen Moment langweilig wird. "Und Pippa tanzt!" bleibt eine exotische, eher bizarre Ausgrabung. Aber sehenswert ist der Abend denn doch – nicht zuletzt wegen seiner lustvoll agierenden Darsteller. 
 

Und Pippa tanzt!
Ein Glashüttenmärchen von Gerhart Hauptmann
Regie: Moritz Sostmann, Bühne und Kostüme: Klemens Kühn, Puppen: Atif Hussein, Musik: Philipp Plessmann, Licht: Hartmut Litzinger, Dramaturgie: Sibylle Dudek.
Mit: Magda Lena Schlott, Johannes Benecke, Martin Reinke, Philipp Plessmann, Jakob Leo Stark, Yuri Englert.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.schauspielkoeln.de

 

Kritikenrundschau

Moritz Sostmann habe hier einmal mehr ein Stück gefunden, das vom Zusammentreffen von Menschen und Puppen nur gewinnen könne, schreibt Christian Bos im Kölner Stadtanzeiger (16.3.2015). "Die arme Kunst" halte die 75 Minuten der Inszenierung aber nicht unversehrt durch: "Der Abend zerfällt – vielleicht absichtlich – in viele kleine Kabinettstückchen, die nie so recht zusammenfinden", schreibt Bos. Für sich genommen seien sie dafür um so gelungener.

"Es ist nicht leicht, den Schlüssel zu diesem seltsamen Werk zu finden, bei dem das Zarte im Derben wohnt, der Schwank ganz nah an der Tragödie siedelt und die wiederum dicht am tröstlichen Märchen", schreibt Hartmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau und im Bonner General-Anzeiger (16.3.2015). Moritz Sostmann finde diesen Schlüssel und vertraue Hauptmanns Traumlogik. "Die Regie lässt alle Irrlichter der Vorlage glitzern und füllt dieses abgründige Wunderreich mit poetischen Einfällen."

 

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