Presseschau vom 15. März 2015 – Autorin Sibylle Berg zum Urheberrechtsstreit um Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung
Picasso übermalt man auch nicht
Picasso übermalt man auch nicht
15. März 2015. In ihrer Kolumne auf Spiegel Online setzt die Schriftstellerin Sibylle Berg ihr PS. zur Urheberschaftsdebatte um Frank Castorfs Inszenierung des "Baal" von Bertolt Brecht.
"Wenn einem Regisseur ein Text nicht gefällt, warum inszeniert er ihn dann?", fragt die Autorin. "Wenn er oder sie einen Text nicht zeitgemäß findet, warum nimmt er/sie dann keinen zeitgenössischen Text?". Auch könne man ja selber Texte schreiben.
Es folgen einige Analogien, die das Unverständliche der Herangehensweise des Regietheatermachers illustrieren sollen: "Mir gefällt Beethovens Fünfte nicht, also schreibe ich sie um. Picassos Bilder sind so unaufgeräumt, also übermale ich sie".
Fazit: "Wenn ein Autor, eine Autorin oder dessen Erben, die mit der Pflege des Nachlasses betraut sind, keine Änderung an der Kunst des Verstorbenen wünschen, dann ist es eben so. (...) Nur weil fast alle lesen können, heißt es nicht, dass sie Stücke oder Bücher schreiben können."
(chr)
Mehr über den Urheberschaftsstreit um Baal: der Nachtkritik-Bericht von der Gerichtsverhandlung gegen das Residenztheater, das Castorfs Brecht-Inszenierung herausgebracht hat. Und die Presseschau, in der Regisseur Leander Haußmann seinen alten Kämpen Frank Castorf verteidigt.
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Was ist denn das für ein Mist? Jetzt sind die Kommentarkästchen wieder zu klein.
Soweit zur gesellschaftlichen Dimension. Das ließe sich sicher noch weiter vertiefen. Zum künstlerischen Aspekt schreibt Frau Berg gar nichts, außer so komische Sachen wie etwa einen Picasso würde man ja auch nicht übermalen. Arnulf Rainer oder Sir Joshua Reynolds (siehe aktuelle Ausstellung zur Rembrandtübermalung in der Berliner Gemäldegalerie) kennt sie anscheinend nicht. Intertextualität ist ein Fremdwort für Frau Berg. Und warum ist ein Regisseur eigentlich in ihren Augen kein Urheber. Wo beginnt geistige Urheberschaft, wo endet sie? Ist alles, worunter ich das kleine © hacke, Meins? Was verstehe ich unter dem Begriff künstlerische Freiheit? Alles so Fragen, die in der Kürze von Sibylle Bergs erneuter Frust-Kolumne keinen Platz finden. Ich kann mich noch gut an ihre „Frustrandale“ zum deutschen Sprechtheater erinnern. (http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/sibylle-berg-ueber-die-krise-des-deutschsprachigen-sprechtheaters-a-894069.html) Ich zitiere: „Sagte ich, dass ich ratlos bin? Dass ich nicht verstehe, wie selbstreferentiell viele Theaterschaffende um sich kreisen und alle anderen Kunstformen ausblenden?“ Was blendet Frau Berg eigentlich in ihren Ausführungen zum Brechtbacken aus?
1. Wolfgang Joop:
https://www.youtube.com/watch?v=Mhs-ym0GPYY
2. Dora Maar:
http://www.google.de/imgres?imgurl=http%3A%2F%2Ftravellermag.de%2Fwp-content%2Fuploads%2F2011%2F11%2FPicasso_620_006.jpg&imgrefurl=http%3A%2F%2Ftravellermag.de%2F2011%2F11%2Fpicasso-im-fotoportrat-ichundichundich%2F&h=835&w=620&tbnid=azlLIIHpgTshyM%3A&zoom=1&docid=uM-GhIU6xi18XM&ei=e0MIVaLsOsLyPPLngMgG&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=2918&page=1&start=0&ndsp=18&ved=0CCsQrQMwAw
3. Arnulf Rainer:
http://www.lutzfriedel.de/LUTZ-FRIEDEL-Endseiten/Figurative/Uebermalungen/Uermalungen08/Einzeluebermalungen/128_Picasso_am_letzte.html
das ventiliert hier noch ein wenig, was soll's!
"das ventiliert hier noch ein wenig" stammt im Original von J.W.Goethe und lautet "Zum Ventilieren ist´s zu wenig". Sie haben hier also urheberrechtlich bedenklich in eine klassische Vorgabe eingegriffen und hören sicher in Kürze von Frau Bergs oder Herrn Brechts oder Herrn Goethes Anwälten und/oder Erben.
Gott zum Gruße, mein Hübscher!
G.
um auf einen fahrenden zug aufzuspringen erfordert dann doch etwas mehr anstrengung, bzw. eine andere liga an geschwindigkeit (...)
Jetzt mal offen hier in die Runde der Macher gefragt: Wann ging es auf euren Proben denn zum letzten Mal um Inhalte? Schon länger her? Warum überrascht mich das nicht? - Und trotzdem verteidigt ihr hier die Freiheit und Unabhängigkeit der Interpretation und des Probeprozesses! Das ist doch scheinheilig!
(In dieser Hinsicht mag Castorf ja sogar die falsche Zielscheibe sein, bei ihm gibt es eine inhaltliche Auseinandersetzung doch noch, oder?)
1) Etwas vom ersten, was man auf der Schauspielschule lernt, ist: "Der Text ist die Spitze des Eisbergs". Theater besteht aus noch ganz vielen anderen Dingen als aus Text und drei Regieanweisungen. Warum muss man denn immer behaupten, ein Regisseur würde TEXTE inszenieren? Wäre es nicht passender zu sagen: "Ein Regisseur versucht die vielen Löcher zwischen Zeilen zu füllen"?
2) "Nur weil fast alle lesen können, heißt es nicht, dass sie Stücke oder Bücher schreiben können."
Jawohl. Richtig. Warum denken manche Autoren, mit der Fähigkeit, einen Text mit verschiedenen Rollen zu schreiben, hätten sie bereits ein Theaterereignis geschaffen?
3) Warum muss man in dieser Sache denn ausgerechnet die Erben eines Mannes in Schutz nehmen, von dem es mindestens zwei Hände voller Zitate gibt, die zeigen, dass er von Urheberrecht und musealer Konservierung nichts (in Worten: NÜSCHT) gehalten hat?
4) Vor ca. zwei Jahren schrieben Sie noch "Und habe gerade vier Stunden Theaterelend hinter mir, träume von Geschwindigkeit, Bildern, Tempo, Mut, so wie Generationen vor mir, die alles ändern wollten." Was ist in der Zwischenzeit mit Ihnen passiert?
5) Ist Ihnen bewusst, wie sehr Ihnen jetzt genau die Menschen beipflichten, die sie noch 2013 so angeekelt beschrieben haben ("Es wird gebuht, und ich kann Ihnen sagen, es gibt wenig auf der Welt, was widerwärtiger wäre.") Und dass ganz viele von diesen bunddersteuerzahlersympathisierenden, traditionelleopernliebenden Regietheaterhasser sich zwar vermutlich Ihre neuste Kolumne übers Bett hängen, sich aber niemals ein Stück von Ihnen anschauen würden?
Wann ging es auf unseren Proben zum letzten mal um Inhalte? - Heute morgen auf der Probe, Du Schlaumeier.
ohne viel Zeit zum Schreiben: Ich finde die Erben-Einlassung unsäglich ebenso wie Bergs schiefe Vergleiche. Aber: Pollesch erlaubt erst gar kein Nachspielen seiner Stücke. Ist das dann legitim?? Also mich interessieren die versteckten normativen Setzungen in Ihren Argumentationen, denn irgendwie ist "Pollesch-General-Verbot ist recht und billig" und "Brecht-Erben-Selektiv-Verbot ist kunstwidrig" doch nicht wirklich konsistent rechtfertigbar, oder? (Ich würde am liebsten beide Positionen unterschreiben, aber spüre mein Schisma.)
Euer Hans
Bei dieser Baal-Diskussion geht es um Urheberrechtsaspekte. Es geht auch darum, wie wir diese aktuelle Rechtsetzung generieren/rechtfertigen. Mir scheint, dass es viele Diskutanten gibt, die die 70 Jahre und das Zugriffsrecht der Autoren/Erben in die Inszenierungen der Text für überzogen halten. Meine Frage ist, warum das von einigen (nicht wenigen) bei Brecht-Schall kritisiert wird, bei Pollesch aber nicht, jedenfalls nicht in der laufenden Diskussion. Dabei liefern doch aber beide strukturell das gleiche: sie entziehen die Texte dem Inszenierungszugriff (und zwar Brecht-Schall in schwächerer Form als Pollesch!). Mich wundert einfach diese (vermeintliche?, helfen Sie mir) Inkonsistenz in der allgemeinen Gemengelage. Bin gespannt auf Ihre Hinweise. Auf geht's.
1) Mit welchen Häusern haben Sie denn Ihre Erfahrungen gemacht, dass es Ihnen so eine außerordentliche Freude bereitet, wenn "Regisseur" auf der Probe mit Inhalten zu tun hatte?
2) Mit welchen Regisseuren haben Sie gearbeitet, die nicht lesen können?
3) Woran machen Sie den indirekten Vorwurf fest, ich würde mit meinen Fragen das Theaterschiff auf den Ozean der Belanglosigkeit navigieren oder Belanglosigkeit verteidigen?
4) Ist ein Prinzip,z.B. künstlerische Freiheit, was in vielen Einzelfällen zu dürftigen Ergebnissen führt, deswegen grundsätzlich in Frage zu stellen?
5) Sind Sie mit mir einig, dass der Vorschlag der "Augenhöhe" - von dem ich viel halte - schwierig zu realisieren ist, wenn sich ein lebender Regisseur mit der Enkelin eines toten Autors streiten darf, die seine Inszenierung nicht gesehen hat? Wie geht denn da Augenhöhe?
Solange man also ein Stück inhaltlich noch erkennen kann, wird die Frage des Urheberrechts im Sinne einer vereindeutigenden bzw. allein gültigen Lesart hinfällig.
(Auf die Fragen 1) und 2) antworte ich (natürlich) nicht.)
Zu 3): Frau Berg hat in ihrer Kolumne leidenschaftlich Position für die Autoren bezogen, was selten genug geschieht. Sie halten dagegen, und zwar mit immer wieder gern vorgebrachten Argumenten des Theaterbetriebs. Man könnte daraus schließen, dass Autoren irgendwie (mit-)verantwortlich wären, wenn Theater misslingt, was ja oft genug geschieht. Da Autoren aber im Theaterbetrieb so gut wie nie eine Stimme haben, kann das nicht sein. Sollten manche Theater tatsächlich an Bedeutung und Belang verlieren, so wird das eher an den Machern liegen, die oft genug im eigenen Saft schmoren und ihre Positionen selten hinterfragen.
zu 4) Ich verstehe nicht, an welchem Punkt die künstlerische Freiheit beschnitten würde, wenn ein/e Autor/in seine Position zu einer Arbeit äussert, die immerhin unter seinem Namen präsentiert wird. Dass Sie in diesem Zusammenhang mit dem Begriff "Künstlerische Freiheit" wuchern, ist aus Autorensicht grotesk!
zu 5) In diesem Punkt sind wir uns einig. Da sich Castorf aber anscheinend derart darüber freut, dass ihm seit DDR-Zeiten endlich mal wieder eine Aufführung verboten wurde und er unter diesem Eindruck in Hamburg grade zu neuen künstlerischen Höhen findet, kann man auch hier sagen: Es hatte vielleicht für alle Seiten sein Gutes, dass die Erben mal auf den Tisch geklopft haben.
Schön, dass wir uns verstehen. Das hilft doch schonmal weiter. Dann versuche ich das mal mit eigenen Worten wiederzugeben: Lebende Autoren dürfen beliebig über die Bühnenzulassung ihrer Texte verfügen, tote nicht. Mit dem Tod eines Autors erlischt sein Recht, über das was mit dem Text auf der Bühne geschieht zu verfügen. So, richtig, Inga?
Im Fall von Regie und Schauspielensemble ist jedenfalls im Regelfall davon auszugehen, dass diese noch leben und nicht durch Erben vertreten werden. Freilich gibt es auch hiervon Ausnahmen (bspw. "Arturo Ui" von Brecht/Müller/Wuttke, wo sich auch einiges im Laufe der Zeit verschoben hat, wogegen die Müller-Erben keinen Einspruch erhoben haben oder erheben konnten; soweit ich weiß).