Presseschau vom 24. März 2015 - Der Übersetzer Rainer Kohlmayer im FAZ-Leserbrief über die Autonomie des Regietheaters

Schmerzensgeld für Übersetzer?

Schmerzensgeld für Übersetzer?

24. März 2015. Der FAZ-Rezensent Andreas Rossmann schrieb über die Münsteraner Corneille-Inszenierung Der extravagante Liebhaber, dass eine "hemdsärmelige Übersetzung hergestellt" wurde. Nun meldet sich der gemeinte Übersetzer, Rainer Kohlmayer, zu Wort. In einem Leserbrief an die FAZ widerspricht er der "Hemdsärmeligkeit", denn das Theater habe seinen Text um zwei Drittel gestrichen.

"Jahrzehntelang hat man die Klassiker nur unterschiedlich interpretiert; jetzt ist es an der Zeit, sie zu verändern", habe er vor Jahrzehnten über das deutsche Regietheater gewitzelt, holt der Übersetzer Rainer Kohlmayer aus im Leserbrief in der FAZ (24. März 2015). Grund sich wirklich zu ärgern, hatte er dann anlässlich der deutschsprachigen Erstaufführung von Corneilles spritziger Jugendkomödie "Der extravagante Liebhaber" (La place royale) am Theater Münster. Andreas Rossmann nahm in seiner Rezension "Die Liebe ist eine Leibesübung" (F.A.Z. vom 3. März) an, ich hätte eine "hemdsärmelige" Übersetzung hergestellt. "Der sprachbewusste Kritiker konnte nicht ahnen, dass die aktualitätserpichten Münsteraner ruck, zuck zwei Drittel meines Textes strichen, vergröberten und banalisierten, so dass nur ein kleiner Teil meiner schönen (!) und modernen (!) Alexandriner unbeschadet erhalten blieb."

Der Übersetzer weiter: "Hierzulande scheint die Aufgabe von Dramaturgie und Regie oft darin zu bestehen, in vorausschauender Anpassung an die umworbene Jugend das Sprachniveau so abzusenken, dass Sätze wie 'Soll ich Kartoffelsalat mitbringen oder so was ...' ohne weiteres in die stilistische Umgebung passen." Selbstverständlich sei er für die totale ästhetische Autonomie der Theater, verstehe aber nicht, weshalb die Bühne schöne Texte 'hemdsärmelig' machen muss. "Manchmal sind die Übersetzer-Tantiemen allerdings eine Art Schmerzensgeld. Es stellt sich die Frage: Verzichtet das Theater nicht auf seine Autonomie, wenn es dem Aktualisierungstrend so krampfhaft hinterherhechelt?"

(sik)

 

Kommentare  
Presseschau Übersetzerbeschwerde: Münster nicht überall
Münster ist ja (GottseiDank) nicht überall...
Presseschau Übersetzerbeschwerde: die Sprache leuchtet
Großes Verwundern! Schon beim Lesen der Kritik in der Franfurter Allgemeinen Zeitung beschlich mich der Gedanke, daß der Rezwnsent gar nicht das Stück gesehen hat sondern einen anderen Abend als ich. Mag man sich über manch drastische Party-Darstellung ärgern - und das tut ja der Rezensent - aber gerade die Sprache leuchtete an diesem Abend enorm. Also, wer immer an dieser Übersetzung beteiligt war: Die Intelligenz mit der die Schauspieler aus ihr Funken schlagen (zur großen Freude des Publikums) , hat mich sehr beeindruckt. Hat der Übersetzer den Abend denn gar nicht gesehen?
Presseschau Übersetzerbeschwerde: Erstaufführung steht noch aus
Der Übersetzer hat seinen Text gesehen, für dessen "geschliffenen Verse" die Münsteraner letztes Jahr Werbung machten - und er hat den Text gesehen, den die Münsteraner übrig ließen. Einen abgeschliffenen Text, weil der Regisseur halt diese schlaue Idee mit der Firma hatte, die dann weitere 'Ideen' nach sich zog, denn in einer Firma spricht man ja keine geschliffenen Verse usw. Ich fand das Stück großartig, wollte es ursprünglich mit meinen Studenten spielen, durfte nicht, weil der Bühnenverlag die Erstaufführung nach Münster gab.
Die deutsche Erstaufführung der Übersetzung hat eigentlich noch nicht stattgefunden, auch wenn man sich in Münster zu recht an den schönen Überresten amüsiert. (Alles eine Frage des Anspruchs.)
Presseschau Übersetzerbeschwerde: Die Künstler antworten
Obwohl eigentlich der Theaterabend selbst für unsere Arbeit spricht, können wir in diesem Fall die Behauptungen nicht unkommentiert stehen lassen. Über die Prädikate „schön“, „modern“ und „banal“ lässt sich hier kaum streiten. Das ist auch nicht in unser Anliegen. Aber: Ja, wir haben in die Übersetzung von Rainer Kohlmayer in ungewöhnlich starkem Maße eingegriffen, denn wir hatten in einigen Punkten eine andere Lesart des Stückes und sprachlich stellenweise eine andere Auffassung von „schön(!)“ und „modern(!)“. Wir haben auch gestrichen, aber nicht im dargestellten Ausmaß. Ein Drittel trifft es besser – und das ist auch kein unüblicher Vorgang. Der Übersetzer selbst hat etwa ein Viertel des französischen Originals gestrichen : Teile davon wurden von uns in die Spielfassung wieder hinein genommen. Das nur zum ambivalenten Verhältnis von Interpretieren und Verändern, das der Übersetzer mit dem Zitat zu Beginn seines Leserbriefes anspricht. Es geht also nicht um Original und Fälschung, geschliffen oder ungeschliffen (der Alexandriner wurde von uns vollständig bewahrt), sondern schlicht um einen unterschiedlichen Blick auf das Original, das wir ebenso schätzen wie Herr Kohlmayer. Das nachträgliche, prominente Wüten des Übersetzers überrascht uns : Wir haben ihm alle Äderungen vorgelegt und unsere konzeptionellen Beweggründe erläutert. Und er hat unsere Spielfassung autorisiert. A. Rossmann, dem Rezensent der FAZ, lag die unbearbeitete und ungekürzte Originalfassung der Übersetzung von Rainer Kohlmayer für seine Meinungsbildung vor. Es bleibt also fraglich ob das Prädikat „hemdsärmelig“ tatsächlich nur eine Beschreibung dafür ist, was wir aus der Übersetzung gemacht haben. Der Abend begeistert unser Publikum und das nicht auf inhaltsleerem, aktualitätshungrigem Unterhaltungsniveau zulasten der Literatur. Kommen Sie und überzeugen Sie sich davon! Auch Herr Kohlmayer ist herzlich willkommen!

Friederike Engel (Dramaturgin) und Stefan Otteni (Regisseur)
Presseschau Übersetzerbeschwerde: hemdsärmelige Alexandriner
Die Dramaturgie hat meine kritischen mails gelesen; dass die Änderungen im Ruck-zuck-Tempo gemacht wurden, wurde mir sogar zugestanden. Die Zählung der Änderungen (laut Bühnenverlag) bestätigte die zwei Drittel.Ich selbst habe die mir knapp vor Probenbeginn zugemailten 5 Akte kopfschüttelnd angeschaut, weil mir schon wenige Zeilen bewiesen, dass hier recht forsch zu Werk gegangen wurde. Über die ZWEI (!) Stellen in je einer Zeile, wo angeblich das französische Original die Änderung entschuldigte, konnte ich nur schmunzeln. Zwei Tage vor der Premiere lobte der Regisseur meine Verse als "modern" (WN, 25.2.), lange vor der Überarbeitung lobte die Dramaturgie meine Verse als "geschliffen". Ich ging nicht zur Premiere, weil mich die Änderungen nicht interessierten (z.B. eine hinzugefügte "Jeannette", damit der Reim auf "Bett" ermöglicht wird, haha). Ich lieferte einen Text für das Programm, in dem Beispiele meiner schönen und modernen Alexandriner stehen, damit ich als guter Übersetzer erkennbar werden konnte. Alexandriner haben eine bestimmte Form, und die neuen Münsteraner Alexandriner sind nun mal, soweit ich gelesen habe, hemdsärmelig. Übrigens ist meine Übersetzung nur "leicht gekürzt", was höchstens zehn Prozent Auslassungen bedeutet. Und selbst wenn Rossmann meinen Text vorher eingesehen hat, hätte er den wohl kaum gründlich zuhause studiert, da er doch annehmen durfte, dass man bei einer deutschen Erstaufführung eines nie zuvor übersetzten Textes den übersetzten Text ziemlich genau in 90 Minuten mitkriegen kann. Dass ihm da vieles 'hemdsärmelig' vorkommen musste, kann ich verstehen.
Ich glaube, dass das Stück in Münster tatsächlich amüsant und sehenswert ist. Ich hoffe aber auch, dass es Inszenierungen geben wird, die dem Stück (z. B. auch dem wunderbaren "Epilog", den ja niemand kennt) seine Schwerkraft zurückgeben. Übrigens: Theaterübersetzer sind doch auch Künstler, oder etwa nicht?
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