Gewöhnliche Menschen, ungewöhnlicher Beruf

von Michael Bartsch

Dresden, 28. März 2015. Soldaten – bei diesem lakonischen Titel ziehen unwillkürlich der "Universal Soldier" oder Hannes Waders "Es ist an der Zeit" durchs Ohr, tauchen packende Bilder der gleichnamigen Oper von Bernd Alois Zimmermann auf, die einst an der Semperoper lief. Die Dresdner Bürgerbühne grenzt die Beschäftigung mit dieser militant-maskulinen Konstante des Menschengeschlechts mit einem langen Untertitel ein: "Ein Dokumentartheater über Helden, Heimkehrer und die Zukunft des Krieges".

Aha, statt Kants "ewigem Frieden" also der ewige Krieg. Regisseur Clemens Bechtel und die acht Akteure entgehen mit dieser Beschränkung auf das personale Erleben zugleich der Gefahr der Überforderung durch das Weltthema Krieg.

Begeisterung für Drill und Disziplin

Denn die sieben Männer verschiedensten Alters und eine Frau müssen nur sich selber spielen, ihre Erinnerungen schildern, Spuren der weltkriegserfahrenen Eltern- und Großelterngeneration verfolgen. Bechtel, in Dresden bekannt durch das Stasi-Stück "Meine Akte und ich", hat zu Beginn der gemeinsamen Arbeit ausführlich mit jedem von ihnen gesprochen und aus diesen Interviews den Aufführungstext gebaut. Das Verfahren erinnert an Rimini Protokoll, und entstanden ist tatsächlich ein Theater von größter Authentizität. Dieser maßgebliche Vorzug einer Bürgerbühne trägt den Abend auf der Probenbühne des Dresdner Kleinen Hauses.

soldaten1 560 davidbaltzer uStaatsbürger in Uniform?   © David Baltzer

Es war nicht einfach, geeignete Akteure von der Nachkriegszeit bis zur heutigen Bundeswehr zu finden, verrät Bürgerbühnen-Chefin Miriam Tscholl. Die Recherchen haben sich gelohnt, denn dem Zuschauer begegnen durchweg militäraffine Typen, ja Originale. Der athletische ehemalige Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR, letztlich an seiner Begeisterung für Drill und Disziplin gescheitert, der technikbegeisterte Flugzeugnarr, ähnlich ein Marinefan, ein junger Mann, der seine Spielsucht bei der Bundeswehr kompensiert, die Frau, die einem hochrangigen US-Offizier folgte und 30 Jahre in den USA lebte. Alle hat einmal irgendein Aspekt der Armee fasziniert, und sei es der Selbstversuch der Selbstaufgabe. "Ich gehorche bedingungslos, setzte Entscheidungen anderer um", heißt es gleich im Eingangsmonolog per Lautsprecher. Sie lieben oder liebten einen Beruf, den sie aus anderer Perspektive gesehen "eigentlich für unmenschlich halten".

Heldische Postulate

Dieser Abend leistet keinen Beitrag zu einem pazifistisch angehauchten Diskurs oder zieht verallgemeinerbare politische Schlüsse. Das kann man ihm ankreiden, aber seine Erkenntnisse mag der Zuschauer aus der plastischen Darstellung des gewöhnlichen und kaum noch heroisch durchwirkten Soldatenhandwerks selber ziehen. Es gibt da einen Berufsstand, der ist kein gewöhnlicher, weil er sich mit dem organisierten Töten befasst, aber die ihm angehören, sind sehr gewöhnliche Menschen. Sie sind aus unterschiedlichen Motiven hineingeraten, sie erleben in diesem Berufsalltag ähnliche Absurditäten wie überall. Musterung, der Drill in der Ausbildung, die Schikanen, das lächerliche Bettenbauen etwa werden süffisant zelebriert. Die Gewöhnlichkeit konterkariert die auf Schildern verkündeten heldischen Postulate von Kameradschaft, Heldenmut, Tapferkeit, Opferbereitschaft, Todesverachtung, Fahnentreue.

Das alles findet nicht mehr unter Stahlgewittern statt, sondern in einer – gottlob – lang anhaltenden Phase der Simulation des Krieges. Im Programmheft wie auch im Text finden sich Hinweise auf die Verwandtschaft des Manöver-Militärs mit dem Theater. Alles nur geprobt und gespielt. Erst spät im Stück bricht der Ernstfall ein. Minenopfer des Balkankrieges, Tote in Afghanistan, eine gescheiterte Geiselbefreiung offenbar in der Auseinandersetzung mit somalischen Piraten. Reflektiert wird das alles kaum. Die Sprache und der Gestus der Akteure erscheinen vielmehr einfach und rau, aber originell und überzeugend. Die Inszenierung wirkt durch glaubwürdige Betroffenheit. Unfreiwillige Komik eingeschlossen, etwa die Erlebnisse bei der Übernahme von Teilen der NVA durch die Bundeswehr betreffend.

Symbolhafte Abriegelung der Bühne

Die Atmosphäre latenter Bedrohlichkeit ist dennoch ständig zu spüren. Spinde und der Wachcontainer, die Till Kuhnert auf die Bühne gestellt hat, tragen dazu ebenso bei wie Kampfanzüge und die akustischen Schocks von Salven, Megaphondurchsagen und Militärmusik. Vor allem eingangs bereitet es Mühe, die Rückblenden und Berichtsfragmente zu einem Puzzle zu montierten, aber Längen entstehen in diesen reichlich eineinhalb Stunden nie. Erst ganz zum Schluss wird ein Untertitel-Versprechen eingelöst, als über die persönlichen Geschichten hinaus über heutige asymmetrische Kriege und das anonymisierte Töten mittels Drohnen sinniert wird. Das dankbar applaudierende Publikum wird entlassen mit einer symbolhaften Abriegelung der Bühne durch eine Stacheldrahtbarriere. Doch eine Parallelgesellschaft, diese Armee, ist es doch nicht so weit her mit dem "Staatsbürger in Uniform"?

 

Soldaten
Ein Dokumentartheater über Helden, Heimkehrer und die Zukunft des Krieges der Dresdner Bürgerbühne
Text und Regie: Clemens Bechtel, Bühne und Kostüme: Till Kuhnert, Musik: Sven Kaiser Dramaturgie: Silke zum Eschenhoff.
Mit: Olaf Barthier, Stephan Benada, Steve Caspar, Peter Dobrowald, Barbara Gardner, Mario Herzig, Christoph Jung, Eckhard Kempin
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.staatsschauspiel-dresden.de
www.mhmbw.de

 

Parallel ist zur Zeit in Dresden auch die thematisch verwandte Installation Situation Rooms von Rimini Protokoll zu sehen.

 

Kritikenrundschau

"Ist von der Bundeswehr die Rede", beginnt Rafael Barth in der Sächsischen Zeitung (31.3.2015) seine Kritik, "gerät vor lauter Begriffen und Zahlen der Mensch leicht aus dem Blick." Schon deshalb sei Clemens Bechtels Inszenierung "besonders bemerkenswert". Darin erscheine die Armee mehr als einmal "als System, das nicht zuletzt um seiner selbst willen betrieben wird." "Vielfältige Blicke auf Anpassung, Abenteuer, Abschiede führen zu einem spannungsreichen Abend, bei dem hölzerne Monologe die Ausnahme bleiben." Er schaffe "Verständnis für Armeeangehörige" und kombiniere "moderate Kritik mit persönlichen Einsichten."

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