"Gott ist tot. Sex lebt"

von Steffen Becker

Stuttgart, 18. April 2015. Achtung: Parental Advisory! Sie wissen schon, dieser Aufkleber auf Tonträgern, wenn in einem Lied das Wort "fucking" vorkommt. Für diesen Text über Sebastian Hartmanns Stuttgarter Inszenierung des Clemens Meyer-Romans "Im Stein" gilt der Hinweis "ungeeignet für Minderjährige" in verschärftem Maße.

"Ich blas ihn dir gut. Ich krieg ihn nämlich ganz tief rein. Ja, ja, du kannst mir deinen Schwanz richtig tief in den Mund schieben, ja, bis zum Anschlag, keine Angst (...) Ich sorg dafür, dass du mich ordentlich anspritzt", sagt eine Prostituierte (Birgit Unterweger) im tonlosen Singsang und darum geht es vier Stunden: um die Industrie der Geilheit, deren Machenschaften, Tod und Körperflüssigkeiten.

Von Huren und Moorleichen

Das Vorspiel beginnt (ästhetisch) noch vergleichsweise zärtlich. Ein Polizist oder, um in der angemessenen Tonlage zu bleiben, ein Bulle (Manuel Harder) gönnt sich eine Auszeit. Sein Gang ins Bordell wird durch Überblendungen von Bildern der Renaissance begleitet. Die Hure (Abak Safaei-Rad) zitiert das Hohelied aus der Bibel – eine Ode an die Schönheit einer Frau. Im Hintergrund beobachtet ein Engel mit dunklen Flügeln die Szenerie. Break. Ein Anruf. Eine Moorleiche. Auf einmal spricht die vorher so lyrische Hure sächsisch und will es richtig besorgt haben. Keine Zeit. Der Bulle wankt durch einen weißen, drehenden Kubus, der für die Zuschauer die meiste Zeit nicht einsehbar ist. Ein vielköpfiges Videoteam projiziert die Szenen auf die Außenhaut.

34118 im stein foto 560 ju ostkreuz u Mit dicker Wumme: Manuel Harder taucht ins Nachtleben ein
© JU Ostkreuz

Der hohe Aufwand, den Regisseur Hartmann damit betreibt, führt einerseits zu einer Distanzierung vom Publikum. Man sieht keine Schauspieler, man schaut einem Livedreh zu. Andererseits ist diese Verfremdung nur konsequent. Wer auf dem Weg zum Schauspiel durchs nahe Rotlichtviertel Stuttgarts schlendert, weiß nicht, welche Schicksale sich wirklich hinter den Türen der Bars verbergen. Man hat nur Projektionen. Die sind bei Hartmann von technisch hoher Qualität. Was man im Fernsehen zu sehen bekommt, wenn im Krimi ein Rausch dargestellt wird, dem steht die Live-Performance im Schauspiel nicht nach – Wischeffekte, Loops, Überbelichtungen, wilde Kameraführung. Dank der starken Besetzung der Videotechnik sind dabei auch Schnitte und rasche Perspektivenwechsel möglich, die Theater sonst nicht leisten kann.

Wie in Gotham City

Man bekommt das Gefühl, Hartmanns "Im Stein" spiele nicht auf den Sachsensumpf in Leipzig an, sondern stelle Gotham City dar. Die High-Speed-Ästhetik und die teils psychedelische Anmutung spiegelt den Aufbau des Werkes. Das Buch und viel mehr noch dessen Inszenierung haben nur in Ansätzen eine Geschichte und festgelegte Rollen. Es gibt Zuhälter, Freier, einen Vater, der seine verschollene Tochter sucht, Polizisten, viele Frauenschicksale. Die Zeitebenen verschränken sich.

Es gibt Tote, die auch als Lebende zu sehen sind, zwischendurch sterben auf der Leinwand alle mal, aber dann irgendwie doch nicht. Die Handlungsfäden des Buches zu entwirren, ist auch nicht entscheidend. Es geht Meyer vielmehr um das Sittengemälde einer Großstadt. Dafür führt er viele Protagonisten ein, die Hartmann auf eine geringere Zahl von Schauspielern verteilt.

Zärtlichkeit im Meer des Getöses

Für diese ist die Mehrfachbelastung eine Herausforderung. Die löst vor allem Manja Kuhl bravourös. Verängstigt sagt sie als "Balaton-Girl" ihre Anpreisung auf und muss sich verprügeln lassen. In einer Bar philosophiert sie abgebrüht und müde über die Zukunft nach dem Sexbusiness, um gleich darauf in einen lesbischen Würgekampf auf der Tanzfläche einzutreten. Später wird sie im glänzenden Kleid und in Umarmung von Abak Safaei-Rad einen Fixpunkt der Zärtlichkeit in einem Meer von Getöse bilden.

Eine ähnliche Wandlungsfähigkeit darf auch Holger Stockhaus zeigen. Als Slapstick-Ermittler im Trenchcoat fahndet er nach Moorleichen (und seinem Schnurrbart). Als Radiomoderator Ecki betreibt er ein zynisches Programm mit Hurentests und den neuesten Trends ("Zungenanal passiv lese ich jetzt öfters in den Anzeigen"). Diese brillant-schmierige Figur bringt die These vom industrialisierten Sex und seiner kriminell-kapitalistischen Grundstruktur am treffendsten auf den Punkt.

Dabei belässt es ein Sebastian Hartmann aber nicht. Er will sein Publikum so richtig rannehmen. Wildes Maschinengewehr-Gehämmer mischt er mit Arienuntermalung, ruckartigen Kamerabewegungen, sehr viel Kunstblut und Geschrei, das jede Akzentuierung der Schauspieler verunmöglicht. Das zehrt an den Nerven und zieht das Stück enorm in die Länge. Vulgär ausgedrückt: Es ist ein bisschen so, wie wenn man im Porno eine Doppelanal-Szene ansehen muss, ohne vorspulen zu können. Man weiß, dass es das gibt und seine Fans hat, aber man selbst rutscht unangenehm berührt auf dem Sitz herum. Oder macht es wie die Hälfte des Publikums in Stuttgart und geht einfach früher.

 

Im Stein
nach dem Roman von Clemens Meyer
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann, Kostüme: Adriana Braga Peretzki, Licht und Video: Voxi Bärenklau, Schnitt: Merten Lindorf, Dramaturgie: Katrin Spira.
Mit: Manolo Bertling, Sandra Gerling, Manuel Harder, Horst Kotterba, Janine Kreß, Christian Kuchenbuch, Manja Kuhl, Abak Safaei-Rad, Holger Stockhaus, Birgit Unterweger, Live-Kamera: Jochen Gehrung, Julian Marbach, Matthias Maciej Rolbiecki.
Dauer: 4 Stunden, eine Pause

www.schauspiel-stuttgart.de



Mehr über den Regisseur und ehemaligen Intendanten des Centraltheaters Leipzig Sebastian Hartmann lesen Sie im nachtkritik.de-Lexikon.

 
Kritikenrundschau

Hartmann habe in seinem neuen Stuttgarter Abend "Substanz zu bieten", berichtet Roland Müller für die Stuttgarter Zeitung (20.4.2015). "Seine Inszenierung fühlt sich an wie eine Höllenfahrt, deren Treibstoff psychedelische Drogen sind"; sie siedle "zwischen Porno, Puff und Poesie". Der Realismus der Milieuschilderung erfahre bei Hartmann wie schon bei Meyer eine kühne "Steigerung ins Biblisch-Mythische"; viele Szenen entwickelten einen "unwiderstehlichen Sog". Fazit nach vier Stunden Theater, Buhs und Bravos, denen sich der Rezensent anschließt: "Im Nachtprogramm von Arte jedenfalls würde er bei David-Lynch-Fans großes Entzücken auslösen."

"Der Abend lebt von einer Skandalisierungsgeste, doch die ist hohl und so altbacken wie die Idee, Comicfiguren wie Minnie Maus über die Bühne schleichen zu lassen, die für den Mief und die Prüderie der fünfziger Jahre stehen", schreibt Nicole Golombek in den Stuttgarter Nachrichten (20.4.2015). "So technisch anspruchsvoll, so gedanklich konventionell ist dieser Rückfall in längst vergangene Zeiten des Bürgerschrecktheaters."

Hartmann liefere "kein (Un-)Sittengemälde, das sich realistisch geriert", sondern setze mit dem Videoeinsatz und der Uneinsehbarkeit der Bühne "auf Distanz", schreibt Otto Paul Burkhardt für die Südwestpresse (20.4.2015). Aber für den Kritiker trägt das Konzept, auch mit Blick auf die abwandernden Zuschauer, nur teilweise: "Hartmanns Zugriff wirkt zwiespältig. Es gibt ungeheuer intensive Momente. Doch die heillos überladene Film-Ästhetik beginnt irgendwann zu nerven. Phasenweise ist es eine wilde Reise in die Nacht."

"Ein Herkules muss er sein, dieser Regisseur, der einen solchen Roman in Szene setzen will. Als Sisyphos wird er enden, dem der riesige Stein, den er auf den Bühnengipfel heben will, doch immer wieder entgleitet", so berichtet ein ebenso hin und her gerissener Wolfgang Bager für den Südkurier (20.4.2015). "Dabei geht Sebastian Hartmann in Stuttgart mit verstörender Präzision und gedanklicher Schärfe ans schwierige Werk." Allein, trotz "aller Kunstfertigkeit und technischer Präzision, trotz hervorragender Leistungen der Schauspieler, fällt der Stein dem Regie-Sisyphos auf die Füße. Denn Theater gehorcht anderen Gesetzen als ein Roman."

"Leider ist Sebastian Hartmanns Theater-Umsetzung in JEDER Hinsicht kongenial", sagt Elske Brault auf SWR 2 (20.4.2015). Clemens Meyers "sogenanntem Roman fehlt Figurenzeichnung, Handlung, dramatische Entwicklung. Die Aneinanderreihung von Monologen und Schlaglicht-artigen Milieubeschreibungen ist 400 Seiten zu lang. Und dieser Filmabend im Theater hat binnen einer Stunde alles gezeigt und gesagt. Dann folgen aber noch zweieinhalb."

"Schauspieler und Techniker liefern Höchstleistungen", berichtet Rainer Zerbst für "Fazit" auf Deutschlandradio Kultur (18.4.2015). "Es hätte ein faszinierendes Erlebnis für Auge und Ohr werden können, hätte Hartmann jede dieser Szenen auf ein Drittel gekürzt. So wurde eine fast vier Stunden währende Zumutung daraus."

"Der Abend ist nicht wirklich schlimm, aber trotzdem, ohne dass ich hätte flüchten wollen, habe ich mich lange nicht so unangebracht gefühlt", berichtet Michael Laages im Gespräch für mdr Figaro (20.4.2015). Haupteinwand: Man befinde sich eher im Film als im Theater, und es sei "tödlich langweilig", wenn man die Leute nicht mehr zur Kenntnis nehmen könne.

"Großes Kinotheater" bejubelt Adrienne Braun in der Süddeutschen Zeitung (22.4.2015). Hartmann mache aus Meyers Roman "ein mitreißendes Wechselbad der Emotionen", eine "surreale Reise, die vom Hades zum Olymp führt, vom Safer Sex zur Seelenschau". Fazit: "Nach so vielen gescheiterten Anläufen im Schauspiel Stuttgart endlich ein Aufatmen: Romanadaptionen beweisen häufig nur die Begrenztheit des Theaters, Sebastian Hartmann aber reißt einen fort mit einem furiosen Höllenritt, brutal, direkt und schmerzhaft."

 

Kommentare  
Im Stein, Stuttgart: wie bei Bosch, Goya, Bruegel
Hieronimus Bosch, Francisco Goya, Pieter Breugel haben ihre Zeitgenossen mit erschreckenden Sittengemälden konfrontiert, verstörenden Bildern, wenig hoffnungsvoll mit düsteren Phantasien gespickt – monumental und niederschmetternd. Nichts anderes repräsentierte die Uraufführung von Clemens Meyers Roman „Im Stein“ unter der Regie von Sebastian Hartmann im Schauspielhaus Stuttgart.

Auf der Drehbühne ein riesiger Würfel, auf dessen Wände übertragen wurde, was sich in Echtzeit im Inneren des Würfels abgespielt hat, mal optisch verfremdet oder mit klassischen Bildern überlagert, mal in der Totale, dann wieder ganz nahe an den Gesichtern der Menschen; mal witzig, mal komisch, mal bedrückend, mal eindringlich, mal brutal und gewalttätig, oft kaum auszuhalten. Der drehende Würfel hatte auch eine offene Seite, die Einblicke in das Innere zugelassen hat – Original und verfremdete Darstellung gleichzeitig.

Die Romanvorlage besteht aus einer Abfolge von inneren Dialogen. Zigtausend Gedanken produziert jeder Mensch an jedem Tag. Die Abfolge dieser Gedankenketten ist meist unstrukturiert, allen Ablenkungen hilflos ausgeliefert, die aus der Gegenwart, der Vergangenheit oder aus Zukunftsängsten resultieren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es möglich sein sollte, diese Komplexität glaubhaft auf die Bühne zu bringen. Durch die gekonnte Vermischung der Realitätsebenen ist es jedoch auf einzigartige Weise gelungen eine Form des Dramas zu schaffen, das in seiner Komplexität der inneren menschlichen Wahrnehmung sehr nahe kommt.

Viele Zuschauer konnten diesem vierstündigen gewaltigen Ausbruch nicht standhalten und sind vorzeitig gegangen. Möglicherweise sind auch Einige nach der Pause nicht mehr gekommen, weil sie davon ausgegangen waren, dass das Stück bereits zu Ende sei. Leider wird im Programmheft weder auf die Pause noch auf die Länge des Schauspiels hingewiesen, was man als Ärgernis bezeichnen muss. Die vierstündige Aufführungsdauer war aus meiner Sicht auch zu lange. Vieles wurde mehrfach wiederholt und brachte im Kern nichts Neues. Ich hatte manchmal den Eindruck, die Stückemacher wollen bewußt das Publikum quälen, um so die Qualen der handelnden Figuren deutlich zu machen.

Am Schluss gab es von den Verbliebenen langen Applaus. Mehr Bravos als Buhs, wobei mir die Buhrufe für das Kamerateam vollkommen rätselhaft geblieben sind. Großen Respekt vor allem Mitwirkenden die sich mit vollem (Körper)Einsatz bis an ihre Grenzen bringen mussten.
Im Stein, Stuttgart: Epigone?
Klingt (mal wieder) wie Castorf für Arme... Erklärung für den Rezensenten: Das ist so ein Regisseur, der in Berlin so'n Theater hat. Ruhig mal angucken. Dann klappt's auch mit dem Einordnen.
Im Stein, Stuttgart: Nutzungsblabla
#2 ich würde mal anraten in dieser liste die es bei euch gibt wegen zustimmung zu den nutzungsblabla die eh keiner liest da würd ich mal vorschlagen beleidigungen eher zuzulassen also, wenn sie witzig sind, vorausgesetzt sie SIND witzig und geistreich und dafür würd ich DÄMLICHKEIT und dummdreistigkeit arroganz auch also keine ahnung haben und dumm daherlabern das würd ich dann mit der höchststrafe belegen also heißt entweder nicht veröffentlichen oder besser noch richtig groß veröffentlichen setzen printen einsprechen lassen. der con. mann. halt die xxxxx
Im Stein, Stuttgart: wie bei FC
Ja klar, das liest sich wie Castorf. Drehende Bühne, nicht einsehbar für den Zuschauer, simultane Videoprojektion. Ganz toll!
Im Stein, Stuttgart: könnte in Dresden aufräumen
Der SWR empfiehlt Hartmann für Dresden: "Vielleicht könnte er sein Talent auf Pegida-Demonstrationen nutzen. Denn wo Hartmann inszeniert, sind bald alle weg."
Im Stein, Stuttgart: intensive Oper
die castorf vergleiche hinken etwas. hier ist die ästhetische entscheidung die figuren "im stein" spielen zu lassen, doch plausibel. die permanenten überblendungen mit den goya, breugel bildern, waren auch nichts castorf-typisches, zumindest habe ich das in den letzten stücken von castorf nicht gesehen. nur weil hier mit video gearbeitet wird, gleich castorf epigone zu rufen, ist doch billig.
es war eher eine oper, eine gewaltige bühneninstallation, und ja: eine zumutung, aber eine, die ich gerne an mich ran ließ, auch wenn es weh tat. das war ein ungeheuer intensiver abend, aber anscheinend ist soetwas heute kaum noch möglich, ohne dass sich die säle leeren. das war theater, das immer die grenzen auslotete, ästhetisch ungeheuer viel riskierte und wagte und gewann. die schauspieler spielten sich in einen rausch, die sprache und die musik verdichteten sich immer mehr.
für mich und auch für viele der verbliebenen zuschauer war das ganz großes, teilweise ergreifendes theater, so etwas habe ich lange nicht mehr gesehen. danke sebastian hartmann, danke an das ganze team.
Im Stein, Stuttgart: bitte keine Wiederholung der Wiederholung
Warum schreiben eigentlich immer diese Menschen, die die Aufführung nicht gesehen haben? (Ich habe sie auch nicht gesehen, werde aber hinfahren.) Bei den "Dämonen" am Schauspiel Frankfurt waren hier fast wortwörtlich die gleichen Kommentare zu lesen. Als ich hingefahren bin, habe ich einen der besten Abende seit langem gesehen. Es liegt doch immer im Auge des Betrachters, und Kritik kann versuchen, das subjektive Sehen zu begründen. Aber die "Castorf", "Leipzig", "Pegida" etc. -Erwähnungen sind die Wiederholung der Wiederholung und genauso interessant und informativ.
Im Stein, Stuttgart: genial und mutig
Welch Herausforderung, solch einen schwierigen Stoff,der,noch dazu, kein wirkliches Theaterstück ist, auf die Bühne zu bringen! Beim Inhalt des Buches war zu erwarten gewesen, dass man sich in Tiefdunkle unserer Gesellschaft begibt. Und wie wurde das gelöst? Meiner Meinung nach, genial. Genial, diese Idee mit dem Kubus, als Bild des Eingesperrt seins...trotzdem durchlässig und für den Zuschauer durch Glaswand, live-Kamera und kurzzeitiges Heraustreten der Schauspieler sichtbar. Genial, die Verschmelzung der Akteure in den eingeblendeten Sittengemälden der Renaissance-Kritik an der Gesellschaft damals, durch Gemälde, Kritik heute an der Gesellschaft durch Theater!
Durch die Live-Kamera und deren großflächigen Einblendungen auf dem Kubus, ein sich nicht entziehen können, vor den Emotionen der Protagonisten und damit sehr schmerzliches,gnadenloses Ergriffen sein.Perfekte Herausarbeitung der Charaktere, sie waren so glaubhaft und überzeugend, keine entfernten Theaterfiguren , sondern menschlich...nahe.. in ihren Rollen.Dazu die Musik, die die emotionale Wirkung unterstütze.
Ästhetik, Gewalt, Sensibilität, Komplexität,Kritik, dass alles erlebte ich an diesem Abend in einer meisterhaften Verflechtung.
Vielen Dank Herr Hartmann und dem Ensemble für Ihren Mut und Ihre Kunst!
Lassen Sie sich nicht beiirren und uns weiter an Ihren kritischen und kunstvollen Theaterinszenierungen teilhaben!
Anmerkung für die Redakteure: Es gab genau drei Buhrufe neben mir und der Rest waren Applaus und Bravorufe.
Es gibt eine Verantwortung in der Berichterstattung!
Im Stein, Stuttgart: Verdienste und Probleme
// "Diese Musiker", erwiderte Kapitän Nemo, "gehören wie Orpheus
zu einer entschwundenen Zeit, und ich bin tot, ebenso wie die, welche 6
Fuß tief unter der Erde ruhen!" //

(Schon am Premierenwochenende hat dpa eine Ladung "Buh-Rufe und leere Sitze" ins Internet gekippt, ohne dass damit irgend etwas gesagt wäre.Über den bemerkenswert "fertigen" Premierenabend eigentlich rein gar nichts, ebensowenig wie inzwischen mit irgendwelchen beachtlich
widersprüchlichen Zuschauerflüchtlingsquoten.)

Was aber ist toll an der Sache, der Premiere nach zu urteilen ?

"Zärtlichkeit im Meer des Getöses" in Steffen Beckers nachtkritik trifft
einen Aspekt sehr gut, ohne ihn weiter auszuführen. Es geht um eine
entscheidende Qualität der Inszenierung.

Vorhersagbar (oder zu erwarten, als quasi deformiert humanistisches
Fazit) kommt es zum großen Epilog aller Bühnenkünstler (inklusive
Live-Videoteams) an der Rampe: am Ende eines infernalisch
dauer(be)triebhaften Abends. Der Strom der Bilder und Soundkonserven ist dann abgeschaltet und Unterwegers langer, oben von Steffen Becker
zitierter Service-Monolog wirkt wie ein (auch strukturell) letzter
Versuch zur Tiefe. (Der Rezensent der Esslinger Zeitung sieht hier
kollektiven Götzendienst am Sexus und an Macht und Geld - aber wirken die herabgelassenen Seitenleinwände des Bildes dafür nicht zu resigniert?)

Es ist nicht der berührendste, dafür ist es zu spät, aber der
erschöpfteste: große Monologtexte hat es an mehreren Stellen zuvor
gegeben - auch Meyers Buch überhaupt entwickelt sich aus einem Strom von Einzelstimmen -, so in den erbarmungslos schön vorgetragenen Hohelied-Versen, den apokalyptischen Traumerzählungen, den Todesverkündigungen und Götterbeschwörungen und in (Sandra Gerlings) The
Long and Winding Road eingangs des 2.Teils.
Schon das Hohelied und seine Fallhöhe in den sächselnd-sexischen
Rotlichtjargon bilden den ersten großen Theatermoment des Abends, fast zu früh - und schon dieser gelingt auch dank (nicht trotz) der
Kombination von Videotechnik und intimem Spiel.

Im Nachhinein brauchen die zärtlichen (s.o.) Episoden ihre Einbettung
ins digitale Inferno und den Dauerhorror der Kameraperspektiven (mit
ihren toten Winkeln, die niemals Sicherheit vor Verschwinden oder
Morphose ganzer Personen in den Tiefen des Off bieten können, wenn Bild und Projektion sie aus den Augen verlieren).
Übrigens leistet - neben dem wieder urkomischem Slapstick auf
aller(ob)erstem Stockhaus-Niveau - auch die Bildregie selbst subtile
Groteske, etwa beim kompletten Verstecken einer Dauerwellen-Unterweltvisage hinter einem Mikrofon-Popschutz beim
Studiointerview...

Inmitten eines solch vielschichtigen Stroms von Motiven erweist sich
(wie bei Lektüre des Romans) die Kunst und der Wert motivischer Arbeit: jene "Silberfäden", die bei Meyer die eigentlich aussichtslosen
Ermittlungsarbeiten im Unterweltmorast zusammenhalten, bietet auch
Hartmann dem Publikum - falls (sic) es sich vier Stunden lang darauf
einlassen kann und will. Konfus aber ist der Abend nie.

Musikalisch (oder sagen wir: soundmäßig) gibt es allerdings einiges auf
die Ohren, und das ist nicht hilfreich. (Nur vorweg: mit "Oper" hat das
so viel zu tun wie die Stalinorgel mit der Kirche - es sei denn ganz
grob im Sinne irgendeines multimedialen Gesamtkunstwerks.)

Der referentielle Fundus wird geplündert, das vorzügliche Soundsystem
des Schauspielhauses orgelt sich * durchs Arsenal der Stimmungsmusiken und die Playlists der Überwältigungsästhetik, dass es eine Freude sein könnte - hielte man zufällig Theatermusik für eine Komponente der Bühnenkunst mit Lizenz zur ungestraften Kannibalisierung und Dekontextualisierung von Meisterwerken, deren Pathos und Aura geplündert werden. Leider ein Trugschluss, bei Strafe der Abstumpfung.

Tatsächlich entwertet dieses polystilistische Zappen kollateral die an
sich starken authentische Momente, in denen musikalische Erinnerung
zitierend reflektiert wird - Sandra Gerlings Song oder Mahlers Nietzsche
von Holger Stockhaus.
(Schon Hartmanns STAUB-Inszenierung, wo Steve Binettis ganz starke
selbstleuchtende Gitarren-Eröffnung durch den Messias vom Band und
Konserven-Fiddleschleifen &cet. schnell wieder aus dem Gehirn gepustet wurde, litt unter der unterscheidungslosen Funktionalisierung von Musik und reproduzierter Musik.)

[ * Das Programmheft verschweigt ja gleich ganz, welche Trümmer aus der Brockensammlung der Hochkultur einem Im Stein um die Ohren fliegen, und aus welcher Hand. ]

Grundsätzliche Erinnerung: Video auf einer Opernbühne entwertet
Livemusik zur Filmmusik; Musikkonserven im Schauspiel verringern jede
Bühnenpräsenz (wessen auch immer) - außer, wenn thematisiert. Nun fällt aber das Regieproblem oder die Regiefrage nach der Musik aus dem Off auch deswegen vergleichsweise ins Ohr, weil viele der in Stuttgart tätigen Regisseure den Zusammenhang längst kapiert haben und die Chancen der lebender Musik genutzt (Laberenz, Nunes, Solberg, Borgmann, manchmal Petras), sogar wunderbar thematisiert (Christiane Pohle im Zauberberg) oder genial gelöst haben (wie Chétouane durch Verzicht auf Einspieler von außen bzw. Beschränkung auf interne Szenenmusik, dadurch ihre Integration als Sprache).

Über die in der Produktion gezeigte technisch wie ästhetisch
meisterhafte Verwendung des Echtzeit-Filmens und des Live-Schneidens mit ihrer leicht distanzierten Hyperpräsenz bestehen wenige Zweifel; die (ganz o.g.) Buhs drückten wohl allenfalls prinzipielle Vorbehalte oder Authentizitätsenttäuschungen aus.

Wie vertragen die Projektionen sich aber mit der Tonspur?
Es ergibt sich aber dasselbe Grundsatzproblem wie bei Videokonserven auf der Opernbühne: wo filmische Bilder sich im Referenzrahmen des großen Films, des Kinos bewegen, verstärkt Musik-"Einspielung" diese
Künstlichkeit und konterkariert die Bemühungen (ja die eigentliche
Funktion) von Live-Video und Echtzeitprojektion.

Plötzlich stellt sich genau die fatale Frage, die sich (selbst bei
hermetischer Bühnenbau-Verpackung und Verschachtelung) im Theater
eigentlich nie stellen könnte (sic): nämlich die danach, was denn live,
lebendig, "echt" wäre am Gezeigten. Warum sollte man nicht
vorproduzierten Bilder unterstellen, wenn die Töne vorproduziert oder
zusammengeklaubt sind? Schade auch deswegen, weil doch anscheinend gerade die Gefühlsechtheit (kein kleiner Scherz) eine Kernfrage der Thematisierung des Milieus sein dürfte; Meyers Monologe als Schriftsprache für den Leser haben es da leichter als ihre
Bühnendarstellung oder Projektion, z.B. die überlebensnotwendige
Trennung von Dienstleistungsverhalten und Ego im Inneren der Figuren
auszudrücken.
Letztlich verschenkt Hartmann diesen Aspekt auf musikalischer Ebene -
obwohl sich sein Verständnis des Problems etwa dort zeigt, wo Manolo
Bertling einmal "live" mit der Gitarre die Ebenen überbrücken und die
Konserve integrieren soll. Die Bemühungen erliegen aber, gewonnene
großen Momente ausgenommen, schlicht dem overkill.

Aber egal: Zuschauers Privatproblem !?
"Wer's mog..." würde ein befreundeter, mitunter grimmiger Sachse hier
schulterzuckend kommentieren. Vielleicht geht es eben auf der großen
Bühne und in der selbstgewählten Konkurrenz zum Kino nicht ohne die
Überwältigungsästhetik nemonischen Herumgeorgels, selbst 20.000 Meilen tief im Stein. -

Nach zwei zweistündigen Halbzeiten möchte man zwar, im
Rasenballsportjargon, geringe Chancenverwertung bemäkeln und Hartmann wieder sein Zeitproblem attestieren, das Gesamtniveau (die Spielnote) dieser Theaterarbeit steht aber völlig außer Frage. Fan braucht man gar nicht zu sein, um das zuzugeben, und es liegt keineswegs nur am immer neu begeisternden Ensemble.

Die Kolportage vom "Theaterleerer" Hartmann spräche ja frühestens gegen ihn, wenn hier ein jugendfreier Text inszeniert worden wäre. Oder ein Stück seinen Autor verloren hätte. Die angeblich "etlichen verkrachten Produktionen ... am Stuttgarter Schauspiel" aus der Esslinger Zeitung aber sind versteinertes Feuilleton.

Vom Besuch der Folgeaufführungen sollte man sich keinesfalls abhalten
lassen; (Romanlektüre ist nicht vonnöten, empfohlen sei aber die Lektüre der grauenhaften Doppelseite "Die Geschichte des Jasmin" zum
Sachsensumpf im Programmheft.)
Im Stein, Stuttgart: Link
http://www.mdr.de/mdr-figaro/audio1146680_zc-12e3e9b7_zs-d94c1f38.html
Im Stein, Stuttgart: Kritikenrundschau
heute übrigens eine euphorische kritik in der süddeutschen. LINK HAB ICH NICHT
armes leipzig....

(Die Kritik der SZ ist bereits in der Kritikenrundschau verarbeitet worden, ebenso die Radiokritik aus dem vorigen Kommentar. Danke für die Mitarbeit der Leser*innen! Mit besten Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
Im Stein, Stuttgart: keine banale Geste
In der Besetzung stehen übrigens drei Live-Kameras, nicht eine wie beim MDR gemutmaßt wird. Und Mickey Mouse war für mich keine banale Geste, sondern inspiriert aus Meyers Kapitel "Kolumbusfalter", das auch in der Inszenierung zitiert wurde und wo das Mädchen Lustige Taschenbücher liest und sich damit in eine andere Welt flüchtet.
Im Stein, Stuttgart: klagenswert
es ist geradezu eine unverschämtheit, wie borniert, süffisant und unwissend sich medien wie der mdr oder der swr geben: eindeutig zu lesen auf der seite des schauspiel stuttgart, dass es 3 teams sind, die filmen. der pegida sachverhalt den die swr redakteurin da aufmacht, ist im wahrsten sinne des wortes klagenswert.
es zeigt uns wiedermal, kontroverse, fordernde kunst, wo man auch mal nachdenken muss, sich einlassen muss, sich von sehgewohnheiten verabschieden muss... wo man stil- und tempi wechsel etragen muss und kann. es tut stellenweise weh, zu sehen, wie eine breite masse darauf reagiert. ich hoffe, sebsatian hartmann und das ensemble und auch intendant armin petras lassen sich davon nicht beirren. es ist wahrscheinlich wie mit dem ulysses. teil der kunstgeschichte, aber wer hats komplett gelesen...?
Im Stein, Stuttgart: alles live
Zur Information:
Es sind 2 Kameraleute ,die durchgehend das Geschehen filmen (der dritte Kameramann ist Ersatz,falls einer der beiden krank werden sollte)
Und es gibt keine Szene die vorproduziert wurde...alles live und somit Theater:)
Im Stein, Stuttgart: Zustimmung
@ 13 Ich kann dem nur zustimmen! Der erste Beitrag nach der Premiere durch den "focus-online" mit seinem reißerischen Titel "Buh-Rufe und leere Plätze"wurde komplett oder mit kleinen Veränderungen von mehreren Medien sofort übernommen und in die Welt herausposaunt!(Meine Meinungsäußerung dazu wurde für die Veröffentlichung abgelehnt!) Das heißt, bei mehreren Medien wurde nicht rezensiert, sondern einfach nur übernommen. Sicherlich spielt die Zeit, die man hat-oder eben nicht hat-, um Rezensionen zu schreiben, auch eine Rolle. Das ist aber keine Entschuldigung. Es wird dadurch EINE Sichtweise/ Kritik vervielfacht und manifestiert. Außerdem habe ich auch den Eindruck, dass selbst Kritiker nicht unbeeinflusst davon bleiben (wollen). Weiterhin, trifft auch bei den Rezensenten scheinbar zu, wie oben richtiger Weise eingeschätzt,dass es einen Mangel an Willen gibt, sich auf "kontroverse, fordernde Kunst, bei der man nachdenken muss, sich einlassen muss, sich von seinen sehgewohnheiten verabschieden muss"! .Brecht hat gesagt: dass es neben einer "Schauspielkunst" auch eine "Zuschaukunst" zu entwickeln gilt. Es ist ein bischen, wie eine neue Sprache zu lernen.
"Als Teil dieser hochkomplexen Gesellschaft muss ich eine geistige Souveränität bekommen, um mit vielen Unbekannten umzugehen. Und ich versuche ein Theater zu machen, wo ich diesen Geist anrege. Ich möchte, dass das Unbekannte als sozialer Vorgang eine gemeinschaftliche Basis wird" (Zitat,Sebastian Hartmann)
Wir sollten dankbar sein, dass es so kluge Menschen, mit kritischem Geist, in unserem Land gibt und dass sie die Möglichkeit durch das Theater haben, dies an uns zu transportieren.
Im Stein, Stuttgart: 80 sind geblieben
Ich habe mir gestern Abend die zweite Vorstellung des Stückes angeschaut. Gespielt wurden zunächst 2 Stunden und nach der Pause ging es dann noch bis kurz nach 23:00 Uhr, also in Summe etwas weniger als 3h45. Bereits bis zur Pause haben viele Zuschauer den Raum verlassen, nach der Pause waren die Reihen nur noch mit einzelnen Zuschauern besetzt, ich hab kurz nach dem dritten Gong mal durchgezählt und kam gerade mal auf 80 (der eine oder andere kam dann aber doch noch wieder rein).

Es ist halt etwas ganz anderes und wenn ich "Life-Film" vor dem Kauf der Karte damals gewusst hätte, wäre ich gestern nicht im Theater gewesen, denn die "Caligula-Erfahrung" ist noch nicht vergessen. Zum Glück habe ich das vorher nicht gewusst, denn sonst hätte diese doch ganz deutlich bessere Form eines "Live-Film"s verpasst. Ich muss zugeben, dass es viele Momente gab, wo auch ich mit dem Gedanken gespielt hatte zu gehen, aber ich habe diese Momente ausgesessen und das war in Summe gut so.

Die Beschreibung von Steffen Becker ist auf jeden Fall sehr gut gelungen. Auch heute, wenn ich das nochmal durchlese, dann finde ich mich in der Beschreibung komplett wieder. Tolles Kamerateam, tolle schauspielerische Leistung, interessante Form der Inszenierung.

Erwähnen möchte ich auch noch die tolle Einführung von Katrin Spira, das war zusätzlich zur Kritik von Steffen Becker und dem was ich an Kommentaren zum Roman gefunden habe absolut hilfreich und für das Verständnis vieler Szenen auch notwendig.

Abschließend noch ein Zitat aus dem Stück (Gedächtnisprotokoll !): "Frage: Wie viel Zeit haben wir denn? Antwort: Da wir hier nicht auf Quoten angewiesen sind, können wir die ganze Nacht spielen".
Genau: Wenn man so etwas nicht auf der Schauspielbühne machen darf, wo denn dann?
Im Stein, Stuttgart: immer das gleiche
Hier geht es doch nicht darum das direkt als Castorf Epigonentum abzutun. Aber man wird ja wohl noch fragen dürfen, warum in Frankfurt die Bühne - welche Hartmann angeblich selbst entworfen hat - so ähnlich, nur besser, von Castorf verwendet wurde und jetzt plötzlich in Stuttgart mit den gleichen Mitteln wie bei Castorf vorwiegend mit Kamera und in geschlossenen Räumen gearbeitet wird. Ist doch komisch oder? Und sich dann dem nicht aussetzen zu wollen, finde ich feige, weil man dann die fremde Idee zur eigenen macht. Das im Theater zitiert und auch geklaut wird ist eine Sache, aber dann so zu tun als wäre das alles aus der eigenen Fantasie entstanden. Meiner Meinung nach sollten Hartmann Inszenierungen gar nicht mehr besprochen werden. Ist es einfach nicht wert. Warum redet man darüber überhaupt noch, ist doch seit 10-15 Jahren immer das gleiche...
Im Stein, Stuttgart: nur Aristophanes-Epigonen
@17 - Noch schlimmer: Alles Aristophanes-Epigonen! Da müsste mal wer recherchieren! Castorf, Hartmann, Stein, Peymann, Grüber, Baumgarten, Petras, Chetouane und wie die alle heissen - da sind auch nur Spieler und sprechen Text! Alles längst bekannt! Wo ist denn da das Neue?
Im Stein, Stuttgart: hervorragende Vielfalt
@1, 8, 9: Super und danke! Solche Kommentare sollte es viel häufiger hier geben, dass ist als Ergänzung zur Kritik eine echte Bereicherung.

@17: "Meiner Meinung nach sollten Hartmann Inszenierungen gar nicht mehr besprochen werden": Aber ihre Kommentare sollen schon weiterhin hier veröffentlicht werden, oder?

@Redaktion: Dass mein Kommentar von 10:21 die Überschrift "nur 80 sind geblieben" bekommen hat fand ich ... sagen wir mal "interessant". Vielleicht könnte man neben dem Eingabefeld "Name" auch eines für "Überschrift" mit aufnehmen, dann könnten die Kommentatoren selbst wählen, wie ihr Kommentar überschrieben wird.
Mein Wunsch für diesen Kommentar wäre: "Publikum" ?? Was ist das?"

Zu den Buh-Rufen: "Publikum" ?? Was ist das? Sind das die, denen der Abend gefallen hat? Sind das die, denen der Abend nicht gefallen hat. Sind das die, die zwar nicht da waren, denen der Abend aber gefallen hätte??? "Es gab Buh-Rufe" zu lesen ist für den einen ein Zeichen nicht rein zu gehen, für die anderen deutet es eine mögliche Innovation an und sie werden gerade deshalb erst neugierig auf die Inszenierung (und ich nenne es trotzdem Innovation, auch wenn es in ähnlicher Form schon mal da war, denn was ist denn eigentlich "wirklich neu"? Oft ist es doch gerade die Kombination von Bestehendem, wodurch wieder ganz neues entsteht). Ein "Buh"-Ruf sagt eigentlich gar nichts über das Stück aus, er ist lediglich der Hinweis darauf, dass dieser Zuschauer eine Erwartung hatte, die nicht erfüllt wurde. Und "nur 80 sind geblieben" sagt auch nur, dass es den meisten nicht gefallen hat. Na und?

Ich gehe eigentlich immer sehr offen in ein Theaterstück und erwarte nichts konkretes. Trotzdem gibt es Abende, an denen ich das Theater verlasse und nur denke "so ein Scheiß, der schöne Abend dahin". Aber: Die Vielfalt am Schauspiel Stuttgart finde ich einfach hervorragend und das muss unbedingt so bleiben. Natürlich weiß man vorher nie was einen erwartet, das ist aber eben so. Wir reden ja von Kunst und nicht vom Kartoffeln kaufen (weich-/festkochend steht vorher schon drauf).
Im Stein, Stuttgart: ganz neue Eindrücke
Nun gebe ich auch noch meinen Senf dazu: habe gestern die Vorstellung von 18 Uhr bis 21.30 Uhr gesehen (sehr gute Zeit,da mist man ausgeruht!) und fand sie sehr interessant, ganz neue Eindrücke, Szenen, die ich auf der Bühne live gar nicht so sehen möchte, aber auf dem Kubus durchaus, der total Sinn machte! Das Buch habe ich übrigens auch davor gelesen. Vielleicht von Vorteil. Wenn Theater für Vielfalt steht, dann macht Stuttgart vieles richtig!
Im Stein, Stuttgart: Ergänzung zur Kritikenrundschau
Ergänzung zur Kritikenrundschau: Am 25./26.4.15 hat das "neue deutschland" eine Kritik von Hans-Dieter Schütt veröffentlicht. Daraus seien zwei Sätze zitiert: "Meyers Prosa, die Traum, Realität, Handlung, Erkenntnisfetzen und Erfahrungsklumpen, Erinnerung und Vision betörend schrecklich zu einem verwirrenden, expressiven Stimmenchor zusammenpresst - Hartmann hat daraus einen Film entworfen, der schlichtweg überwältigt. In jeder Beziehung: ästhetisch brillant, nervend in der fortwährenden Wiederholungsschleife des Rohen."
Im Stein, Stuttgart: überwältigt und mitgerissen
Habe im Vorfeld einige abschreckende Formulierungen über die Inszenierung gelesen und gehört, dennoch Karten bestellt, mit einer Prise Neugier, aber mit überwiegend negativer Einstellung ins Theater reinmarschiert und siehe da - ÜBERWÄLTIGT und MITGERISSEN. Das SWR2-Fazit wirkt nun verstörend und nicht die theatralische Umsetzung des Stücks. Auch den Vorwurf der Langatmigkeit kann ich nicht wirklich nachvollziehen, aber es scheint wohl eine subjektive Empfindungen zu sein und somit als relativ anzusehen. Es gibt genügend Beispiele für völlig konträre Einschätzungen betrachteter Szenen: der Eine findet es gähnend langweilig, der Andere hat bei demselben Anblick Magenkrämpfe infolge intensiver Anspannung. Ob das die Empathie ist, die dem Einen fehlt und bei dem Anderen (zu seinem eigenen Leidwesen) im Überfluss vorhanden ist?

Zum Schluss mein Dank und Lob für dieses Stück Theater!
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