Gold auf den Fingernägeln, nichts auf dem Konto

von Matthias Weigel

28. April 2015. Die allermeisten kennen ihn aus der Werbung. 14 Millionen Klicks auf Youtube, weltweite Aufmerksamkeit dank Aggregatoren wie Buzzfeed, für ein deutschsprachiges Video ist das rekordverdächtig. Ebenfalls viele kannten ihn zuvor schon als Interpreten des ursprünglichen Songs Supergeil, auf dem die spätere Werbung basierte (drei Millionen Klicks). Nur wenige kennen ihn wahrscheinlich als freien Schauspieler und Regisseur der Arbeiten Mittagsruhe in Berlin (Sophiensaele, 2000) oder Carmen Miranda Revue Pavillon (Haus der Berliner Festspiele, 2001). Und davor gab es ihn auch noch als Puppenspieler: Mit seinem Stück "Der kleine Mann im Bauch" tourte er in den 80ern durch Kindergärten und Grundschulen.

Als die Quelle versiegte...

Hans-Holger Friedrich hieß er früher – Friedrich Liechtenstein nennt heute er seine Kunstfigur des "Schmuckeremiten" und Flaneurs ohne Handy und Bankkonto, aber mit goldlackierten Fingernägeln und verspiegelter Pilotenbrille. Wer ist der Typ?, fragten sich nicht wenige nach dem "Supergeil"-Viralhit – und der Piper-Verlag antwortet mit dem Buch "Super. Mein Leben", der von Ghostwriter (und Dramatiker) Joachim Bessing aufgeschriebenen Autobiographie.

CoverSupergeilDort ist nachzulesen, wie sich genau ergab, was nur im Nachhinein so schlüssig scheint: Jakob Grunert, der den Quatsch-Hit Richtig geil geschrieben hatte und deshalb die Icke&Er-Oper an der Volksbühne inszenierte, in der Friedrich Liechtenstein seinen ersten großen Auftritt hatte, engagiert Liechtenstein später auch als Interpreten für seinen neuen Track "Supergeil". Doch das alles hat sich nur zufällig ergeben, für Liechtenstein nach mehr als einem Jahrzehnt des völlig erfolglosen Wartens: "Als die Quelle des Hauptstadtkulturfonds versiegt war (...), gab es diese Struktur, die mich jahrelang versorgt hatte, nicht mehr und ich kam einfach nicht drauf, wie ich mir eine neue schaffen sollte." Und später: "Es hilft in solchen Situationen auch nicht, wenn der Partner stetig Erfolge verbuchen kann. Neid ist mir fremd, aber meine Laune wurde nur noch schlechter, weil ich mich von der Theaterwelt, die Gesine [Völm, Bühnen- und Kostümbildnerin, d. Red.] aufgenommen hatte, schmählich behandelt fühlte. Regelrecht verstoßen."

Ein Flaneur in der eigenen Biographie

Recht ungeschönt und ehrlich wird beschrieben, wie die Beziehung in die Brüche geht, Hans-Holger Friedrich aus mehreren Wohnungen fliegt, Bankkonto und Kühlschrankinhalt verliert, irgendwann auf dem Absatz einer Feuertreppe im Loft eines Berliner Brillenherstellers einzieht (dessen Testimonial er damit wurde). Hier beginnt er, seine Rechtfertigung aus der bloßen (angenehmen) Anwesenheit seiner Figur zu ziehen – und flaniert tagsüber, wenn im Loft gearbeitet wird. "Ich stand relativ zeitig auf, um mich nicht von den Mitarbeitern beim Schlafen beobachten zu lassen. (...) Spät am Abend bin ich zurückgekommen, habe mich noch von der Feierabendstimmung anwehen lassen und hatte den Rest des Abends dann für mich."

Liechtensteins Haltung zum Leben spiegelt sich im Ton des Buches wieder: Kein Wort der Klage; eine stoische Hinnahme des Lebens, der Welt. Ein Flaneur in der eigenen Biographie. Das Gute annehmen, das Falsche ablehnen. Ein Augenzwinkern, ein tänzelnder Seitenschritt. Eine Lebensweisheit, ein Ratschlag. Die selbstironische Zurücknahme dessen. Ein Staunen über die Schönheit der einfachen Dinge. Und natürlich die ganz individuelle, unabgeschlossene Reflexion der DDR, in der Liechtenstein aufwuchs.

Was es an Wünschenswertem gab

Hans-Holger Friedrich hatte das Risiko des prekären Hauptstadtkünstlers wissend in Kauf genommen, als er seine erfolgreiche Puppenspielerkarriere aufgab, ebenso wie seine Ehe und das Familienidyll mit drei Kindern im Eigenheim in der sächsischen Schweiz: "Hatte ich in dem grauen Land hinter einer Mauer überhaupt andere Wünsche entwickeln können, wenn ich doch gar nicht wusste, was es in der Welt außerhalb dieser aber an Wünschenswertem gab? War dieser Wille, den ich dort gewissermaßen gehegt hatte, überhaupt noch identisch mit meinem jetzigen Willen?" "Allmählich dämmerte mir, dass es mir jetzt freigestellt wurde, selbst zu entscheiden."

Der lange, sehr lange Atem der Entscheidung hat dann letztendlich zur bekannten "supergeilen" Wendung geführt, weil Liechtenstein bei den Proben zur Icke&Er-Oper an der Volksbühne den Regisseur von seiner neuen, schillernden Figur überzeugen konnte – und in den Aufführungen das Feuilleton. Er hat seitdem seinen angenehm-narzisstischen Antrieb – anderen gefallen zu wollen, Rückmeldung zu brauchen, Positives auszustrahlen – perfektioniert und zum Prinzip gemacht. Wenn man Friedrich Liechtenstein trifft, ist klar, dass die Trennung zwischen Hans-Holger Friedrich und Friedrich Liechtenstein natürlich längst obsolet ist. Denn aus dem Schmuckeremiten strahlt nichts anderes als die Lebenserfahrung und innere Ruhe des eifrigen Puppenspielers, gebeutelten Theatermachers, experimentellen Elektro-Musikers, völlig unerwarteten, aber sehnlich erhofften Stars, der nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hat. Und nun auch mit seiner kleinen, schönen Lebenshilfe-Ratgeber-Mutmach-Biographie auf der Erfolgsspur ist.

 

Super. Mein Leben
von Friedrich Liechtenstein, Mitautor: Joachim Bessing.
Piper Verlag, München 2015, 288 Seiten, 19,99 Euro

 

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