Presseschau vom 30. April 2015 – Die Zeitschrift Spex spricht mit Annemie Vanackere, der Künstlerischen Leiterin des HAU in Berlin

Konkurrenz belebt das Geschäft

Konkurrenz belebt das Geschäft

29.4.2015. Für die Zeitschrift Spex hat Jennifer Beck mit Annemie Vanackere, der künstlerischen Leiterin des Berliner HAU über die Volksbühne, Frank Castorf, Chris Dercon und die Straight White Men gesprochen.


Die Truppe an der Volksbühne

Vanackere sagt, sie selbst habe keine Erfahrung im Ensembletheater, sie habe nie darin gearbeitet. Doch natürlich könne ein Produktionshaus wie das HAU sehr wohl "langfristige Verbindungen mit Künstlern eingehen". Die von der Rhetorik bestimmter Straight White Men dominierte Debatte zeuge vor allem von einer Menge Unwissenheit von dem, was in Häusern wie dem HAU wirklich vorgehe.
Natürlich sei die Debatte über Event versus Ensemble irreführend. Die Volksbühne sei ein "Ausnahmetheater". Ihr Pollesch-, ihr Schlingensief-, ihr Castorf-Ensemble ließe sich nicht mit anderen Ensembles vergleichen. Es handele sich um eine "Truppe".

Neue Erzählweisen, neue Strukturen

Gegen die Vorstellungen der Straight White Men, die sich und ihre Arbeit als "Center of the World" verstünden, hätten sich in Deutschland "neue Erzählweisen aus einer Unzufriedenheit mit dem Stadttheater" heraus entwickelt – dafür stünden Gruppen wie She She Pop, Gob Squad oder Rimini Protokoll. Diese Gruppen existierten nun schon seit 20 Jahren, abeiteten selbstbestimmt und hätten sich "andere Strukturen geschaffen – ähnlich wie das HAU". Trotzdem nehme der etablierte Betrieb diese "Parallelwelt" - ohne Intendanten, geprägt von "Offenheit", um mit anderen Künstlern gemeinsam Themen zu entwickeln - schlicht nicht zur Kenntnis. Und nicht nur das Angebot dieser anderen Form des Theatermachens sei vorhanden, sondern auch die Nachfrage. Das HAU sei voll.

Geld

Aber es fließe viel zu wenig Geld in die Förderung dieser Strukturen, weil in den "Köpfen der Kulturpolitiker" nach wie vor das sogenannte Ensembletheater das "so called 'bewahrenswerte'" ist.
Am Anfang setze Geldnot zwar "kreatives Potenzial" frei. Aber nach einer gewissen Zeit sei die ständige Antragschreiberei wegen Förderungen für die Entwicklung "geradezu kontraproduktiv".
Auch sei es fraglich, welche Güte die dem Ensemblebetreb angeblich eigene Bindung an Haus und Publikum habe, wenn normale Ensemble-Mitglieder "sich auch nur von einem Zwei-Jahres-Vertrag zum nächsten retten", wirft Jennnifer Beck ein.

Tim Renners Kommunikation in Sachen Chris Dercon als Castorf-Nachfolger sei "sehr unglücklich gelaufen". Wenn Castorf außerdem "tatsächlich weitermachen" wollte, gäbe es "andere Häuser" in Berlin, die eher "erneuerungswürdig" wären. Doch die grundsätzliche Entscheidung, ein Haus in die jetzt eingeschlagene Richtung "zu lenken", findet Vanackere "gar nicht so verkehrt". Wenn es allerdings darum gehe, dass die Volksbühne viel mehr Geld bekomme und das HAU nicht, hätte sie ein Problem.

Konkurrenz

Wenn mit der Volksbühne Konkurrenz im auch vom HAU bespielten Feld erwachse, wäre das gut. Bestimmte Sachen, die das HAU mache, wären viel besser im großen Raum der Volksbühne aufgehoben. Dadurch könnte das HAU die "Produktionsarbeit" mit "mehr Geld und entspannter ausüben". Konkurrenz belebe das Geschäft. Im Übrigen sei das HAU als internationales Produktionshaus die Ankerinstitution für die Freie Szene und auf der anderen Seite die internationale Bühne in der Stadt. "Das Lokale und das Internationale verschmelzen hier miteinander."

(jnm)

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