"Entführung" mit blutigen Köpfen

6. Juli 2015. Martin Kušej beklagt sich über Eingriffe in seine Inszenierung von Mozarts "Die Entführung aus dem Serail", die am 3. Juli beim Opernfestival in Aix-en-Provence zur Premiere kam. In einer Pressemitteilung des Regisseurs und derzeitigen Intendanten des Residenztheaters München heißt es, dass es sich nach Änderungen, die auf die Festspieldirektion um Bernard Foccroulle zurückgehen, nur noch eingeschränkt um seine Inszenierung handele.

Kušej hätte "in zwei drastischen Bildern die terroristische Praktik, Geiseln vor islamistischen Parolen zu filmen, zitiert und hätte am Ende des Stücks einen Akt der Insubordination des Hardliners Osmin gezeigt, der sich dem Befehl seines Herrn Selim Bassa widersetzt, diese Geiseln freizulassen. Während des jubelnden Schlusschores hätte er ihm die in blutige Fetzen gewickelten Köpfe der Gefangenen vor die Füße geworfen." Die Rücknahme dieser Szenen durch die Festivalleitung erfolgte im Hinblick auf die jüngsten terroristischen Anschläge mit islamistischem Hintergrund in Lyon.

Die Aufklärung am gewaltsamen Ende

Anders als Bernard Foccroulle sieht Kušej indes "keine konkrete Gefährdung", sondern "vielmehr Angst vor Reaktionen im Publikum. Nur macht man sich so selbst zur Geisel der Ikonographie des Terrorismus, der bestimmt welche Bilder es von ihm geben darf und welche nicht." Weiter heißt es bei Kušej: "Ich kann schon verstehen, dass man meinen Schluss nach dem letzten Anschlag problematisch finden kann. Allerdings ging es mir gerade darum, Mozarts oft als harmlos missverstandene 'Entführung' ernst zu nehmen und ihre politische Relevanz herauszuarbeiten. Oper muss sich mit unserer Gegenwart auseinandersetzen und dabei Fragen aufwerfen und zu Diskussionen anregen.

Ich wollte mit meiner Inszenierung zeigen, wie Terrorismus jegliche positive Utopien zerstört; dass wir mit unserem idealistischen Weltbild, unserer Kultur und Zivilisation, mit der 'Aufklärung' an ein gewaltsames Ende geraten sind, dem wir nur mit Paralyse und Bestürzung begegnen können. Was man auf der Bühne in Aix-en-Provence zu sehen bekommt, ist nur noch sehr bedingt meine Inszenierung. Ich wurde auch angehalten, Flaggen mit arabischem Text und Symbolen in einer Szene nicht mehr zu zeigen. Das sind schon deutliche Eingriffe, die meine Inszenierung entschärfen und sie insgesamt auf ein gut konsumierbares Niveau herunterpegeln – 'Opera as usual'! Dem möchte ich entschieden entgegentreten."

(wb / Residenztheater München)

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Kommentare  
Kušejs Opern-Inszenierung zensiert: Revolutionsersatz
Was ich mich bei solchen und ähnlichen Nachrichten immer frage: Warum wird z.B. Mozart dazu angehalten, seine Entführungen für aktuelle Interpretationen und polit. Kommentierungen durch Künstler herzugeben??? Teilt der auf dem Gebiet der Oper das Shakespeare-Schicksal, als "Revolutiuionsersatz" herhalten zu müssen? Wenn also der M.K. die positive Utopie hatte, dass er mit von Mozart zu dessen Zeit von ihm hart und mutig erkämpften selbst ausgedrückten Ansichten in Form einer Inszenierung von dessen Werk zeigen kann, dass der Terrorismus jegliche positive Utopien zerstört, ist ihm DAS doch nun gelungen! Was regt er sich also auf? :Inszeniert inszenastorische Eingriffe von Festivalleitungen als Kunstersatz!! - Vor allem dort, wo man nicht gerade als Künstler selbst von Anschlägen betroffen ist! Vielleicht sollte M.K. gerade woanders dem !""Opera as usual" ganz entschieden" entgegenusw.und es in AeP einem Künstler überlassen, der dort hauptsächlich lebt. Oder eine andere Oper wählen zur Interpretation. Oder eine neue, auch ohne Mozart auf die dortigen Verhältnisse passende schreiben!
Kušejs Opern-Inszenierung zensiert: kein Wunder
Das Festival in Aix-en-Provence ist die Schlaftablette unter den Sommerfestivals für Musiktheater. Das Zielsetzung sind harmlose, inhaltlich und thematisch völlig lose herumbaumelnde Operninszenierungen als künstlerischen Happen nach Dinner und Champagner. Kein Wunder also, dass man diesen Rückzieher macht bzw. es nicht mal zur Diskussion stellt.
Kušejs Opern-Inszenierung zensiert: besser Gintersdorfer/Klaßen einladen
Vielleicht hätte Kušej, anstatt dieses ohnehin auf Rassismus und Exotismus basierende Werk noch zusätzlich mit Islamfeindlichkeit (selbstverständlich als Terrorismus-Brandmarkung getarnt) zu überfrachten, den Versuch einer Dekonstruktion des eurozentristischen 'Orient'-Bildes wagen sollen.

"Ich wollte mit meiner Inszenierung zeigen, wie Terrorismus jegliche positive Utopien zerstört; dass wir mit unserem idealistischen Weltbild, unserer Kultur und Zivilisation, mit der 'Aufklärung' an ein gewaltsames Ende geraten sind, dem wir nur mit Paralyse und Bestürzung begegnen können."
- Mit "Paralyse und Bestürzung" begegneten hunderte Millionen von Menschen "unserer Kultur und Zivilisation" als ihre Kulturen und Zivilisationen terrorisiert, kolonialisiert, unwiderbringlich zerstört und ausgelöscht, wurden und Europa sich ungeahnten Reichtum garantierte und immer noch garantiert. - Aus Kušej spricht der pure Hochmut. Und aus den Verantwortlichen in Aix die pure Angst. (Vierzehn afrikanische Staaten garantieren Frankreich mit jährlich ca. 440 Milliarden Euro das Überleben!)

Vielleicht hätte Aix ein Zeichen der 'Aufgeklärheit' setzen können und Kušejs Inszenierung komplett von Spielplan gestrichen und anstelle dessen die neue Produktion von Gintersdorfer/Klaßen "Les robots ne connaissent pas le blues oder Die Entführung aus dem Serail" eingeladen ...
Kušejs Operninszenierung zensiert: paranoid-kleinbürgerlich
Das finde ich einen absolut eindeutig-richtigen Kommentar vom Vorschreiber! Man versteht auch wirklich überhaupt nicht mehr, wem dieser Quatsch noch was erzählen soll, alte höchst unzeitgemäße Werke aufzuführen und versuchen zu legitimieren, indem man sie mit völlig billigem, paranoid-kleinbürgerlichem Bilder-Sammelsurium vollballert, nur um sich und der zuschauende Masse an über-60-Jährigen zu beweisen, dass man ja noch Zeitung liest, die Welt da draußen wirklich böse und gefährlich ist und es irgendeine Aktualisierungsberechtigung für den völlig antiquierten Edel-Kulturbetrieb alter Männer gäbe. Ab in die Toscana mit euch! Gintersdorfer/Klaßen/vonPeter und ihre PerformerInnen reiben sich an einer Gegenwart ab - und wenn es auch nur die der Aufführung ist. Da sehen wir Leben in Kunstform und nicht Kunstanspruch an der Lebenserhaltenden-Maßnahme-Maschine der Spitzenförderung!

ps. nein, kein mitarbeiter des theater bremens oder angehöriger...
Kušejs Operninszenierung zensiert: westlicher Gedankengut-Terrorismus
das wäre toll gewesen das miserable, rassistische libretto von johann GOTTLIEB stephanie zu veröffentlichen, um den "spuren" des "terrorismus" nachzugehen. nicht nur islamistischen sondern auch den immer präsenten westlichen gedankengut-terrorismus. das ist auch wahrscheinlich teilweise von staphanie beabsichtigt gewesen.
Kušejs Operninszenierung zensiert: lieber Katie Mitchell
Kušejs "Entführung aus dem Serail" bekam in Aix-en-Provence überwiegend schlechte Kritiken.

Ich habe dort stattdessen die "Alcina"-Inszenierung von Katie Mitchell gesehen: http://kulturblog.e-politik.de/archives/25514-haendels-alcina-in-starbesetzung-beim-opern-festival-in-aix-en-provence-ausgestopfte-tiere-und-drehtuereffekte.html
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