Presseschau vom 8. Juli 2015 – Die Frankfurter Rundschau schreibt über die Repressionen gegen die unabhängigen Theaterchen in Moskau

Kampf der Werte - mit ungleichen Mitteln

Kampf der Werte - mit ungleichen Mitteln

8. Juli 2015. In der Frankfurter Rundschau (6.7.2015) schreibt Inna Hartwich über die Schwierigkeiten der Freien Theaterszene in Moskau.

Die "verstörende Realität" in Russland, mache es den Theatermachern "nicht einfach". "Denn was Kunst ist, definiert immer stärker der russische Staat." Er wolle Kontrolle, schließlich gebe er auch das Geld. Kritik an der Regierung sei nicht erwünscht. Moskauer Theater wie teatr.doc, Praktika oder das Meyerhold-Zentrum übten sie aber immer wieder.

Unverständnis der Zuschauer

Das Dreigespann der Moskauer Klein-Bühnen könne auf ein "interessiertes Publikum zählen, selbst wenn sie an einer Bushaltestelle spielen würden". In der Provinz allerdings hätten sie es umso schwerer. Weil Russland eine "lange Tradition des Repertoire-Theaters" besitze, stießen "experimentelle Häuser" oft "auf Unverständnis" der Zuschauer. "Off-Theater wie in Kostroma in der Nähe Moskaus oder in Komsomolsk am Amur im Fernen Osten des Landes, die mit durchaus spannenden zeitgenössischen Stücken auffallen, kämpfen immer wieder ums Überleben".

Politische Umschwünge

Zum zweiten Mal innerhalb von sechs Monaten sei jetzt dem teatr.doc der Mietvertrag von jetzt auf gleich gekündigt worden, ohne Angabe von Gründen. Theaterleiterin Jelena Gremina glaubt, der Grund liege in einem Stück über die Proteste gegen die letzte Wahl Putins. "Jetzt entfalten auch Stücke, die weniger kritisch sind als solche, die wir noch vor fünf Jahren spielten, eine größere Sprengkraft, und man versteht nicht wieso. Ein Chaos, das gefährlich ist." Sagt Jelena Gremina.
Dabei habe es unter Präsident Medwedew noch 2011 bessere Aussichten für kleine Theater gegeben. Ein spezielles Programm habe Projekte für "sozial Schwache" finanziert. Auch Theateraufführungen hätten davon profitiert. Nach drei Jahren sei das Programm ausgelaufen. Inzwischen sehe man solche Aufklärungsprogramme "als Schaden für die Bevölkerung" an.

Der Staat vermittelt Stabilität

Iwan Wyrypajew, der künstlerische Leiter im städtisch finanzierten Praktika, führe die Schwierigkeiten der Theater vor allem auf neue Gesetze zurück. So seien etwa "vulgäre Ausdrücke in Büchern oder obszöne Szenen in Theatern" seit Juli 2014 verboten. "Raucher und Trinker sollen ebenfalls eliminiert werden, das verderbe die Jugend." - "Andeutungen von Homosexualität in Filmen, Büchern und Stücken" würden als Propaganda für "nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen" geahndet.
Wyrypajew deute diese Repression als Kampf des "Traditionellen", vermeintlich Stabilen, mit dem "Postmodernen, wo nichts mehr sicher sei". Der russische Staat vermittele dne Eindruck, er könne die Stabilität schaffen, die die Menschen ersehnten.

(jnm)

 

Mehr zu den Entwicklungen im Moskauer Theater hier

 

mehr medienschauen