Presseschau vom 11. Oktober 2015 – Die Frankfurter Rundschau spricht sehr ausführlich mit Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit

Die moralische Phantasie erweitern

Die moralische Phantasie erweitern

11. Oktober 2015. Für die Frankfurter Rundschau (9.10.2015) hat Arno Widmann ein ausführliches Gespräch mit Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit geführt, in dem "der politische Philosoph und Theatermacher" Ruch die Gelegenheit bekommt, seine Werkgeschichte und seine ästhetischen Positionen darzulegen.

Das Gespräch beginnt gleich mit unserer Lieblingsfrage, die fast schon in die Abteilung "Ephraim der Syrer" fällt. Fast.

Amors Pfeil

"Herr Ruch, wohin zielt Amor?", fragt Arno Widmann und Philipp Ruch antwortet: "Nicht aufs Herz. Vor der Renaissance gibt es keine Bilder, auf denen Amor auf das Herz zielt. Anakreon klagt, dass ihn Eros in die Leber getroffen habe." Widmann fragt: "Sie sind der Fall eines Künstlers, der sich in der Geschichte der Gefühle umgeschaut hat, um herauszubekommen, wie er uns am besten packen kann."

Darauf Ruch: "Günther Anders, ein großartiger Denker" habe geschrieben: "Nach Auschwitz kommt alles darauf an, die moralische Phantasie des Menschen zu erweitern." Und eben darauf komme es ihm, Ruch, und dem Zentrum für politische Schönheit an. "Zur Erweiterung der menschlichen Vorstellungskraft gehört, dass sie in die Realität hineinreicht. Das ist die Uraufgabe der Kunst." Es gebe "erschreckend wenig Theaterschaffende", die sich dieser Aufgabe stellten oder verpflichtet fühlten.

Hierauf lassen Widmann und Ruch noch einmal einzelne Aktionen des Zentrums für politische Schönheit Revue passieren.

Rettung syrischer Kinder

Die Aktion zur "Werbung interessierter Pflegefamilien" um 55.000 syrische Kinder zu retten, müsste kein "Fake" bleiben, wenn die Bundesregierung die fertig ausgearbeitete Aktion übernähme, setzt Widmann ein.

Ruch entgegnet, das Wort "Fake" im Zusammenhang mit Kunst stimme ihn "immer sehr unglücklich". Nach wie vor bekäme das Zentrum für politische Schönheit "Tag für Tag" Angebote von Menschen, die bereit seien, syrische Kinder aufzunehmen. "Die Erweiterung der moralischen Phantasie ist das Territorium der Künste. Diese Frage ist immer auch politisch. Und wie im Falle der 'Kindertransporthilfe des Bundes' ist das Hilfsprogramm ja sogar schlüsselfertig. Die Bundesregierung muss nur die Schlüssel wollen – will sie aber nicht."

Brücke zwischen Afrika und Europa

Auch der Vorschlag zur "Jean-Monnet-Brücke, die Al Huwariya in Tunesien mit Agrigento auf Sizilien – Afrika und Europa – verbinden könnte" oder "die Festverankerung von 1000 Rettungsplattformen im Mittelmeer" könnten "Forderungen in einem Leitartikel" sein. "Nennen Sie mir einen Grund, warum das, was wir in der Kunst vordenken, nicht Wirklichkeit werden sollte." Das Zentrum ziehe "den Sinn für das Schöne und Gute aus der Schublade der Realitätsferne" und lasse ihn "in der Realpolitik wirken". Was mit Aktionskunst angestoßen werde könne, könne mit "einem Essay nicht mehr gelingen". Dabei sei er, Ruch, von Haus aus Ideengeschichtler. Doch die "Reflexionskraft des Theaters" sei "schlicht größer, gewaltiger. Auch in ihrer Dringlichkeit."

Kopfgeld auf Rüstungs-Manager

Oder die Aktion 25.000 Euro Belohnung. Ziel sei gewesen, das "größte Waffengeschäft in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte zu verhindern". Plakate mit Porträts der "wichtigsten Eigentümer des Waffenkonzerns Krauss-Maffei Wegmann" hätten 25.000 Euro Belohnung ausgelobt, "für Hinweise auf Straftaten wie Steuerhinterziehung, Geldwäsche oder Kapitalanlagebetrug seitens der Eigentümer." Die Aktion habe "erheblich" dazu beigetragen, "den Export von 270 Leopard II Panzern nach Saudi-Arabien zu verhindern." Die Aktion habe "die strafrechtliche Institution des Prangers" für das 21. Jahrhundert "aktualisiert".

Was sollen wir tun?

Es geht im Weiteren u.a. auch um die Aktion Die Toten kommen; um die katastrophale "Trennung von Ethik und Ästhetik" ("Ich glaube nicht, dass wir Schönheit erschaffen. Ich glaube, wir heben sie in die kollektive Wahrnehmung."); um Angela Merkel ("Hätte Angela Merkel sich Anfang September in dieser Frage [der Aufnahme der Flüchtlinge] quergestellt, wäre es zur Eskalation zwischen Zivilgesellschaft und Regierung gekommen."); um "Mikropsychia"; um das Versagen des Westens in der Ukraine und um die Frage: "Was sollten wir tun?" Darauf antwortet Philipp Ruch: "Ich weiß es nicht. Ich weiß aber, dass die Art unserer Untätigkeit mörderisch ist."

Wer zahlt?

Und zuletzt, die Gretchenfrage: "Wie finanziert sich das 'Zentrum für Politische Schönheit'?"
"Wir haben 600 Fördermitglieder." Das könne man "100 Euro monatlich" werden. Mit diesen Geldern würden Aktionen direkt finanziert, "die den Beteiligten an Verbrechen gegen die Menschheit das Leben zur Hölle machen." Löhne würden daraus nicht bezahlt. Er selber lebe von "institutionellen Geldern", wie dem Regiehonorar für seine Inszenierung 2099 in Dortmund.

(Frankfurter Rundschau / jnm)

 

Das gesamte ausführliche Gespräch können Sie hier nachlesen.

Die lange Reihe der Texte und Zusammenfassungen von Texten anderer Medien, die bisher auf nachtkritik.de zum Zentrum für politische Schönheit und seinem Leiter Philipp Ruch erschienen sind, finden Sie hier.

 

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