Auf psychedelischer Fahrradtour

von Christoph Fellmann

Basel, 31. Oktober 2015. Der wichtigste Beitrag der Schweiz zur Popkultur kam nicht aus einem Proberaum, sondern aus einem Chemielabor. Nämlich von Albert Hofmann, einem solide bürgerlichen Angestellten der Sandoz AG. Der hatte 1938 mit einem Kollegen erstmals das Lysergsäurediethylamid (LSD) hergestellt und es am 16. April 1943 irrtümlich eingenommen. Drei Tage später wiederholte er den seltsamen Zustand, in den er dabei geraten war, in einem Selbstversuch und fuhr, als ihn der Schwindel erneut traf, mit dem Fahrrad und begleitet von seiner Assistentin Susi Ramstein nach Hause. Zehn Kilometer von Basel nach Bottmingen. Der erste Acid Trip der Geschichte führte auf leicht ansteigender Strecke in ein biederes Dorf hinaus.

In seinen Memoiren beschrieb Albert Hofmann später diese Fahrradfahrt: "Besonders merkwürdig war, wie alle akustischen Wahrnehmungen in optische Empfindungen transportiert wurden", heißt es etwa in "LSD – mein Sorgenkind" (1979). Von diesem Buch übernimmt Thom Luz nun in Basel, wo er seit dieser Saison als Hausregisseur amtet, nicht nur den Titel. Sein siebzigminütiger Abend stützt sich vorab auf diese berauschte Fahrt nach Bottmingen, aber auch auf eine zweite Erzählung des 2008 verstorbenen Chemikers aus dessen Kindheit: Da hatte er im frisch ergrünten Frühlingswald ein "Glücksgefühl der Zugehörigkeit und der seligen Geborgenheit" erlebt, das auf der Bühne nun also auf die späteren Erfahrungen mit LSD vorausweist.

Make Handwerk, not Love

Viel mehr Text gibt es nicht an diesem Abend, dafür wie immer bei Thom Luz umso mehr Musik. Wenn nun aber Albert Hofmann (im weitesten Sinne verkörpert durch fünf Figuren in weißen Laborkleidern) mit Susi Ramstein (mit geblümeltem Unterrock unter dem Laborkittel: Carina Braunschmidt) durch die Straßen und Alleen rauscht, dann spielt dazu nicht die frei verdudelte Rockmusik, die man mit dem Gebrauch von LSD assoziiert und folglich vielleicht auch hier erwartet. Das ist der großartige Kunstgriff dieses Abends: Luz erzählt die Erfindung und erste Anwendung der späteren Hippiedroge aus der Perspektive des Milieus, das sie hervorgebracht hat.

Der von Mathias Weibel eingerichtete Soundtrack ist eine biedermeierliche Psychedelia aus Störgeräuschen aus dem Radioempfänger, aus dem Gezwitscher in der Volière oder aus einem Glockenspiel, das aus zersägten Fahrradrahmen gebaut ist. Make Handwerk, not Love. Das Ensemble tüftelt also an Fahrradspeichen und Werkbänken an der Verzauberung der Welt genauso wie Albert Hofmann seinerzeit an seinen Reagenzgläsern. Und da leuchtet es unmittelbar ein, dass der Missing Link in den offenen Bewusstseinsraum manchmal nur ein fehlendes Verlängerungskabel ist. Diese präzisest gesetzte Musique concrete ist der wunderbare, gewissermaßen noch unschuldige Teil dieses Abends, und dazu sieht man auf Schwarzweiß-Fernsehern, die mit Sichtfolien ins Farbzeitalter gepimpt werden, die mit Gopro-Kamera gefilmte Fahrt durch die Straßen von Basel.

Eine Überdosis Klavier

Allerdings kommen nun die Klaviere auf die Bühne, eins ums andere. Und darauf wird nicht nur das erweiterte Hausmusikrepertoire von Haydn über Mozart bis Lennon gespielt; nein, die Hämmer der Instrumente sind bemalt und schicken lange, weiße, bald fein mit farbigen Mustern gesprenkelte Papierbahnen in den Bühnenhimmel. Klar, das sind die "akustischen Wahrnehmungen", die Hofmann beschrieben hat und aus denen "optische Empfindungen werden". Doch so groß wie die Metapher ist auch die Arbeit, die das Ensemble mit diesen Farbklavieren hat, und aus den Schauspielern, die eben noch wie neugierige Tüftler schienen, werden nun fleißige Bühnentechniker, die mit Instrumenten und Klemmzangen hantieren. Die auffahrenden Papierbahnen verstellen nicht nur das Bild, sondern auch die Imagination. Sie setzen einen heiligen Ton, wo es doch, dachte man, gerade nicht um die Spiritualität gehen sollte, diese hippieske Verbrämung der Drogenkultur.

lsd2 560 Simon Hallstroem uWeiß steigt das Papier auf vom Klavier in den Bühnenhimmel. Am Klavier oder andächtig aufschauend: Daniele Pintaudi, Mathias Weibel (musikalische Leitung), Carina Braunschmidt, Mario Fuchs und Wolfgang Menardi © Simon Hallström

In "The Substance", dem Dokumentarfilm von 2011, hat Martin Witz die Geschichte des LSD nachgezeichnet – von den Anfängen in Hofmanns Labor über die Versuche der CIA mit der "Wahrheitsdroge" und die Rockrevolution der Hippies bis hin zu den jüngsten Bemühungen, die Substanz in der Psychiatrie medizinisch zu rehabilitieren. Für den Film hat Albert Hofmann das letzte Interview vor seinem Tod gegeben, und er sagt: "Ich war immer überzeugt, dass die richtige Anwendung noch kommt." Obwohl ihm zuletzt eine Überdosis von Farbklavieren – das "Sorgenkind"! – dazwischen kommt: Eine passende Anwendung von LSD für die Bühne zu finden, dem kommt Thom Luz in Basel schon sehr nahe. Er meidet den naheliegenden Themenabend ebenso wie den nostalgischen Rausch. Lieber führt er das Publikum hinter die Pforten der Wahrnehmung von Albert Hofmann in jenem fernen Jahr 1943, als man noch nichts über diese Droge wusste.

Es ist ein Trip, von dem man reich beduselt zurückkehrt.

 

LSD – mein Sorgenkind
von Thom Luz
Uraufführung
Regie: Thom Luz, Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz, Kostüme und Licht: Tina Bleuler, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Dramaturgie: Ewald Palmetshofer.
Mit: Carina Braunschmidt, Mario Fuchs, Wolfgang Menardi, Daniele Pintaudi, Mathias Weibel, Leonie Merlin Young.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.theater-basel.ch

 


Kritikenrundschau

"Momente von hinreissender Theatermagie" hat Andreas Klaeui vom Schweizer Rundfunk SRF 2 (2.11.2015) in Basel erlebt. "Wie die Klaviere ins Tanzen und Taumeln geraten; wie sich ihre Töne auf der präparierten Tastatur in farbige Punkte und Linien verwandeln, die auf langen Papierfahnen in den Bühnenhimmel schweben – das sind kostbare Theatermomente." Der Abend ziele "mit rauschhafter Energie" auf das Glücksgefühl, "eins zu sein mit der Welt".

Susanna Petrin würdigt in der Aargauer Zeitung (online 2.11.2015) Erfindungen wie das Farbklavier mit dem der Regisseur Thom Luz seinen Stoff wie ein Chemiker analysiere. "Der Abend lebt von solch Luz’schen Stimmungen, von Farb- Klang und Humortupfern – und von Auslassungen." Aber die Rezensentin kritisiert das Unternehmen auch: "Man amüsiert und langweilt sich ein wenig. Das Stück bietet keine tiefsinnige, keine überraschende Annäherung an sein Thema. Vielmehr besteht sein Witz gerade darin, dass die spannenden politischen, sozialen und medizinischen Hintergründe des LSD komplett ausgeblendet werden. Wer diese Geschichte nicht kennt, geht verloren."

Eine "sehr eigensinnige Erweiterung des Theaterbegriffs" erlebte ein begeisterter Alfred Schlienger von der Neuen Zürcher Zeitung (2.11.2015) bei Thom Luz. "Es geht ein eigentümlicher Sog aus von dieser fein austarierten Sinnen-Komposition. Gegen den Trancezustand, in den man dabei geraten kann, hilft kein Arzt und kein Apotheker."

Um sinnliche Erfahrung und um Staunen gehe es in diesem Abend wie im Kunstverständnis von Thom Luz überhaupt, schreibt Stephan Reuter in der Baseler Zeitung (2.11.2015). Mit "einem seiner luftigen, musikdurchwirkten Bühnenexperimente" habe sich Luz am Theater Basel als Hausregisseur vorgestellt. Der Abend balanciere "zwischen Mysterium und Groteske", sei "speziell", nahe an der Kunst Marthalers – und habe kräftigen Beifall eingefahren.

"Luz bastelt und fummelt bei seinem achtzigminütigen Trip im Labor für verrückte Erfinder herum und hofft, dass ihm das Wunderkind Zufall Erleuchtung, romantische Wiederverzauberung oder wenigstens ein auf gleicher Wellenlänge schwingendes Publikum schenkt", schreibt Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (3.11.2015). Der LSD-Abend sei "keine große psychedelische Oper, nur ein Ständchen mit Verkehrsampeln, Farbklavieren und einem Uralt-Synthesizer."

Auf Deutschlandradio (31.10.2015) sagte Christian Gampert, hier zum Nachhören, so "richtig gelungen" sei die Darstellung von LSD auf die Bühne nicht. "Hauptmedium" des Abends sei die Musik, die aber tauge nicht, um Empfindungen eines LSD-Trips auf die Bühne zu bringen. Im Prinzip handele es sich um eine "Stadtrundfahrt auf Monitoren" mit "viel Gesang". Insgesamt sitze man "etwas matt" vor einer "Bühnen-Installation", die ihn, Gampert, an die Fluxus-Experimente der 60er, 70er Jahre erinnere. 

Dominique Spirgi schreibt in der Basler TagesWoche (1.11.2015), Luz versuche gar nicht, das "Phänomen LSD umfassend darzustellen". Das Projekt beschränke sich auf "den Akt der modernen Alchemie", Luz und sein Ensemble hätten hierfür eine "wunderbare audiovisuelle Bildwelt" gefunden, die vom "routinierten Laboralltag in die geheimnisvollen neuen Sphären führt". Eine "Bewusstseinserweiterung" bringe der Abend nicht. Aber man verlasse das Theater in "der Befriedigung", einer "wundersam-skurrilen und höchst vergnüglichen Entdeckungsreise beigewohnt zu haben".

 

 

Kommentare  
LSD. Mein Sorgenkind, Gastspiel Berlin: nur Verpackung
Irrsinnig enttäuschend. Schöne Verpackung, wenig Gehalt. Auch die vielgepriesenen musikalischen Einfälle sind bei der xten Wiederholung leider ermüdend. Von einer dramaturgischen Mitarbeit eines Ewald Palmershofer hätte ich mir mehr erhofft als 80 Minuten Langeweile bei der man aber leider nicht wegpennen kann.
LSD. Mein Sorgenkind, Basel: Leserkritik
Vieles erinnert hier an Christoph Marthaler: die Langsamkeit, die Musik als Motor wie als Kommunikationsmitteln, die Non-Lineraität von Zeit und Entwicklung, der Eindruck des Stehenbleiben, der Stagnation, des Wartens. Und doch ist vieles anders: Luz’ Abend hat eine klare, lineare, fast möchte man sagen: wissenschaftliche Entwicklungslinie, ein Ziel, das er zu erreichen bemüht ist. Hier gibt es eine Richtung und vor allem die Möglichkeit von Veränderung und Erkenntnis. Dieses Theater ist wie bei Marthaler ein Weg, aber einer der ein Ziel hat, ankommen will und sei es, um weitergehen zu können. Wenn Luz also die vereinzelten Sinnenempfindungen und Welterfahrungsmodi nimmt und sie sukzessive zusammenführt, wenn er die Effizient der Versuchsanordung auf der Werkstattbühne tranfomiert in eine andere, nicht mehr kontrollierte, erfahrene statt gedachte Realität, dann ist das klein Selbstzweck, sondern eine Erkundung menschlichen Bewusstseins aus dem Geist der Wissenschaft und mit den Mitteln des Theaters. Warum erfahren wir die Welt, wie wir sie erfahren? Ist die Realität real oder nur ein Konstrukt unseres einengenden Bewusstseins Und wenn das so ist, was liegt jenseits dessen, was wir kennen? Die Erfindung des LSD hat der Welt geholfen, diese Fragen zu stellen, weiterzudenken, das Unmögliche nicht mehr als gegeben anzunehmen, die Welt zu verändern und zuweilen auch zu verzaubern. Das Universum ist ein Schweizer Dorf mit ansteigender Straße. Und doch so viel mehr.

Komplette Rezension: https://stagescreen.wordpress.com/2016/06/16/magier-der-bastelstube/
LSD. Mein Sorgenkind, Basel: Ein Abend, der spaltet
Ein Abend, der spaltet. Einigen waren die nur 80 Minuten zu lang und gingen so selbst kurz vor Schluss noch, viele blieben und spendeten ordentlich Applaus. Die Arbeiten von Thom Luz, soweit ich sie bislang gesehen habe, verweigern sich sicher dem sehr traditionellen Theaterverständnis, es gelingt ihnen aber wunderbar, Athmosphäre zu schaffen. Schön!
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