Der dicke Brocken in der Mitte

von Frauke Adrians

6. November 2015.Es geht immer noch größer. Bisher hatte Benjamin-Immanuel Hoff (Die Linke), Chef der Staatskanzlei von Bodo Ramelow und Kulturminister in Thüringen, ein Staatstheater Weimar und eine Staatsoper Erfurt in Aussicht gestellt: Das eine Haus schließt seine Opernsparte, behält aber sein Orchester und produziert Schauspiel; das andere ist fürs Musiktheater zuständig; beide tauschen ihre Produktionen untereinander aus. In seinem Strukturpapier "Perspektive 2025", das er ausgerechnet am explosiven Guy-Fawkes-Tag in Erfurt vorstellte, geht Hoff noch einen Schritt weiter – oder, so kann man es auch sehen, er spricht deutlich aus, was er ohnehin immer schon vorhatte: ein "Thüringer Staatstheater Weimar-Erfurt".

Fünf-Sparten-Haus

Beide Häuser sollen demnach unter das Dach einer Holding kommen. Ergänzt um das Erfurter Puppentheater Waidspeicher und ein noch zu schaffendes Ballettensemble entstünde so ein 5-Sparten-Doppelhaus in der Mitte des Landes. Aus zwei bislang getrennt agierenden Opernsparten würde eine – und die Staatskapelle Weimar, Thüringens einziges A-Orchester, würde langfristig mit dem Philharmonischen (B-)Orchester Erfurt fusioniert. Ein Sakrileg aus Sicht derer, die die Einzigartigkeit des Weimarer Staatskapellenklangs beschwören.

Ob es so kommt, steht offenbar noch nicht fest. Der Minister und seine Staatssekretärin Babette Winter betonten bei der Präsentation ihrer Perspektive 2025 mehrfach, dass über alles noch diskutiert werden könne und solle. "Das Papier ist das Ergebnis von intensivem Zuhören", so Winter. Nun beginne die Phase der "strukturierten öffentlichen Diskussion". Die wird allerdings kurz sein. Mit den kommunalen Trägern der Theater und Orchester sei verabredet, dass noch im ersten Quartal 2016 "konkrete Entwürfe" feststehen sollten, erklärte Winter. Spätestens im Herbst 2016 müssen die neuen Finanzierungsverträge abgeschlossen sein, denn die jetzigen laufen zum Jahreswechsel 2016/17 aus.

Videoaufzeichnung der Pressekonferenz zur Theaterstrukturreform vom 5. November 2015
Quelle: Freistaat Thüringen / Youtube

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Applaus aus Erfurt, Widerstand in Weimar

Für jedes Theater und Orchester in Thüringen listet das Papier zwei bis vier Zukunftsvarianten auf. Deutschlandradio Kultur merkte dazu an, Minister Hoff habe keinen Plan, sondern deren viele. Das stimmt nicht ganz. Hoff hat deutliche Präferenzen und macht daraus auch keinen Hehl. Für Erfurt und Weimar favorisiert er klar die Staatstheater-Variante und erhält dafür jede Menge Beifall aus Erfurt, sowohl von der Stadtspitze als auch vom Intendanten des Theaters Erfurt, Guy Montavon.

In Weimar klingen die Reaktionen anders. Laut Thüringischer Landeszeitung sieht Oberbürgermeister Stefan Wolf (SPD) keinen Grund, von seiner Position abzurücken, wonach die Eigenständigkeit des DNT und dessen Opernsparte "nicht disponibel" seien. DNT-Intendant Hasko Weber hat seinen unbedingten Willen zur Erhaltung der Weimarer Opernsparte mehrfach öffentlich bekundet, obwohl er, der Schauspielmann, mit dem Musiktheater erkennbar fremdelt. Man darf ihm eine Sympathie für das Staatstheatermodell Weimar-Erfurt unterstellen, nur darf er sie nicht öffentlich zeigen. Also erklärte er der Zeitung, nun gelte es erst einmal das Papier des Ministers genau zu studieren und die Hausaufgaben zu erledgen.

In der Weimarer Stadtpolitik gibt es eine tiefsitzende Abneigung dagegen, das nahe – und ungeliebte – Erfurt mit Kultur zu versorgen; unterstellt wird, die Landeshauptstadt bereichere sich und ihr Kulturangebot auf Kosten Weimars. Offenbar ist die Stadt Weimar gewillt, am Status quo ihres Theaters festzuhalten. Allerdings lebt das DNT Weimar seit Jahren mit strukturellen Defiziten; das von manchen Kommentatoren gepriesene "Weimarer Modell" von 2003, das im Kern ein Sparmodell mit Haustarif war, hat das nicht verhindern können.

Mit Zuckerbrot und Peitsche

Die Verhandlungen mit Weimar sind der dickste Brocken für Minister Hoff, will er seine bevorzugten Strukturvarianten ganz oder weitgehend durchsetzen. Thüringenweit arbeitet er mit den bewährten Mitteln: Zuckerbrot und Peitsche. Städte, Landkreise und Theater, die sich seinen Struktur-Vorhaben anschließen, werden belohnt, insbesondere mit längeren Vertragslaufzeiten. Bisher mussten die Kommunen, der Bühnenverein, die Deutsche Orchestervereinigung und alle anderen Beteiligten jeweils alle vier bis fünf Jahre mit dem Land über die nächste Finanzierungsperiode verhandeln.

Hoff dagegen strebt eine Vertragslaufzeit von 2017 bis Ende 2024 an, aber nur für diejenigen Häuser, die beim Umstrukturieren mitmachen. Wer am Status quo festhält, bekommt bloß einen Vier-Jahres-Vertrag und darf nicht darauf hoffen, dass das Land ihm bei Kostenaufwüchsen unter die Arme greift.
Die neuen Acht-Jahres-Verträge hingegen sollen die Tariflücke schließen, die insbesondere an den kleineren Häusern klafft. Am Theater Altenburg / Gera wird das künstlerische Personal derzeit 12 Prozent unter Flächentarif bezahlt, am Theater Rudolstadt 23 Prozent, am Theaterhaus Jena 26 und am Theater Eisenach sogar bis zu 30 Prozent. Flächentarif für alle: Das ist das erklärte Ziel der rot-rot-grünen Landesregierung, das ohne betriebsbedingte Kündigungen erreicht werden soll.

Laut Strukturpapier kann sich jedes Haus auch für die Beibehaltung des Status quo entscheiden. "Das ist ein legitimes Modell, aber wir halten es nicht für sinnvoll", betonte Hoff. "Sollte der Status quo fortgeführt werden, ist die Strukturreform nur aufgeschoben. Wir glauben, mit dem Status quo kommt es bald zu betriebsbedingten Kündigungen." Er könnte Recht haben. Schon jetzt erklären mehrere Kommunen, darunter die Landeshauptstadt Erfurt, ab 2017 keine Tarifaufwüchse mehr zahlen zu können oder zu wollen.

thueringen 560 thueringen infoEntfernungen mit dem Auto gemäß der Website www.entfernungen.org: Weimar – Erfurt 24 Kilometer; Eisenach - Nordhausen 86 Kilometer; Eisenach – Meiningen 55 Kilometer; Eisenach – Rudolstadt 94; Jena – Gera 43 Kilometer; Jena – Altenburg 75 Kilometer.  © www.thueringen info

Kooperationsdreieck

Besonders prekär ist die Lage in Eisenach. Die Stadt steht unter Kuratel des Landes und wird laut Haushaltssicherungskonzept ab 2017 nur noch eine Million Euro jährlich für ihr Landestheater samt Landeskapelle zahlen können. Hoff wünscht sich ein Umdenken an dieser Stelle: "Wenn eine Kommune für ihr Theater zahlen will, aber nicht kann, dann können wir ihr als Land nicht via Haushaltssicherungskonzept auftragen, beim Theater zu kürzen." Wie er diese Erkenntnis bei seinen Kabinettskollegen durchsetzen will, ließ er offen.

Das Theater Eisenach in Westthüringen sieht Hoff vorzugsweise in einem "Kooperationsdreieck" mit den Häusern im südöstlichen Rudolstadt, im südwestlichen Meiningen und im nordthüringischen Nordhausen. Eisenach soll sein Ballett behalten und damit auch die anderen drei Häuser "betanzen", ansonsten aber überhaupt keine eigenen Produktionen mehr erarbeiten; das kleine Schauspielensemble, das sich als "Junges Schauspiel" bislang in der Wartburgstadt gehalten hat, wird dem Theater Rudolstadt zugeschlagen, das mit seinem Schauspielangebot Eisenach und, wie schon bisher, Nordhausen beliefert. Nordhausen verliert seine Ballettkompanie, produziert aber weiterhin Musiktheater, auch für Rudolstadt. Das große und finanziell vergleichsweise komfortabel ausgestattete Meininger Theater erhält vom Minister den Auftrag, die Bespieltheater im Land – etwa in Arnstadt und Hildburghausen – mit seiner Kunst zu versorgen.

Verluste in Eisenach und Gotha, neues Glück für Rudolstadt

Kann Hoff seine Vorzugsvariante für das "Kooperationsdreieck" durchsetzen, dann verliert Eisenach nicht nur seine kleine Schauspieltruppe, sondern auch seine nur noch 24 Musiker umfassende Landeskapelle: Sie wird mit der mehr als doppelt so großen Thüringen-Philharmonie Gotha zu einem Orchester fusioniert, das "durch altersbedingtes Ausscheiden" langfristig auf 55 bis 60 Planstellen reduziert werden soll. Derzeit kooperiert die Gothaer Philharmonie, von Haus aus ein reines Konzertorchester, bei Bedarf mit dem Opernhaus im nahen Erfurt – und pflegt ein ausgedehntes Gastspiel-Reisewesen. Zu Dumpingpreisen, wie einige Kollegen hinter vorgehaltener Hand murren.

Dem Minister gefallen die Tourneetätigkeiten des Gothaer Orchesters erkennbar wenig.
Das Theater Rudolstadt bleibt nach Wunsch des Ministers mitsamt seinen Symphonikern unangetastet – zumindest vorerst. Das ist insbesondere für das 42 Musiker starke Orchester eine ganz neue Situation. Denn die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt standen auf der Orchesterschließungs-Wunschliste meist ganz oben, wenn die wechselnden Kultus- oder Kulturminister in Thüringen eine neue Finanzierungsdebatte anstrengten. Aber in seiner Kooperation mit dem Theater Nordhausen macht das Theater Rudolstadt vieles richtig – und die rare Rudolstädter Kombination von Schauspiel und Orchester hat schon viele interessante und gute Produktionen hervorgebracht.

Wer kein Geld hat, wird sich fügen (müssen)

Thüringens größter Theaterbetrieb Altenburg / Gera soll künftig mit der Jenaer Philharmonie kooperieren; Geras eigenes Orchester soll bis 2025 durch Verrentung bis auf gut 60 Stellen schrumpfen. Das gefällt in Ostthüringen nicht jedem, schon gar nicht der Geraer Oberbürgermeisterin Viola Hahn. Aber Gera zählt zu den ärmsten Kommunen in Thüringen, ist wie Eisenach einem Haushaltssicherungskonzept unterworfen und wird die Zahlungen für die wichtigste Kultureinrichtung der Stadt ab 2016 nicht weiter erhöhen können.

Hoff beabsichtigt, Guy Fawkes hin oder her, keine Theatersprengung, auch nicht in Weimar. Ob er aber seine Präferenzen für die Thüringer Theater- und Orchesterzukunft durchsetzen kann und ob sich seine Pläne allein mit sozialverträglichem Stellenabbau, ohne betriebsbedingte Kündigungen, finanzieren lassen: Das wird sich frühestens in einem Jahr abzeichnen. Kommt der Minister mit allen seinen Plänen durch, wird zwar in Mittelthüringen ein neues Ballettensemble geschaffen. Aber zugleich verliert das Land eine andere Tanztheater-Kompanie, zwei Orchester, eine Schauspiel- und eine Opernsparte.

 

Mehr dazu: Im September schrieb Frauke Adrians einen ersten Verstehens-Text zur aufbrechenden Thüringer Theater- und Orchester-Struktur-Debatte. 

 

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