Presseschau vom 31. Dezember 2015 – Claus Peymann im Interview mit der Zeit zur Lage des Theaters

Mehr als nur vier Dixi-Klos

Mehr als nur vier Dixi-Klos

31. Dezember 2015. "Das Theater ist verstummt. Es steht nicht mehr in der Mitte der Zeit", sagt Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles im Gespräch mit Peter Kümmel von der Wochenzeitung Die Zeit. "Mit brülllenden Nazis und authentischen Flüchtlingen auf der Bühne zeigen wir nur die Hilflosigkeit unserer Kunst".

Das Theater versuche sich an "rührenden Dekorationsarbeiten", so Peymann weiter, "an der Verhüllung seiner Ratlosigkeit": es lasse ein paar Flüchtlinge auf der Bühne herumspringen und glaube, damit dem Thema gerecht zu werden. "Mir kräuselt's bei solchen Versuchen die Rückenhaut; ich finde das fast unmoralisch, es hat etwas geradezu Touristisches".

Auch in Richtung Berliner Kulturpolitik teilt Peymann noch einmal aus: "Die Berliner Theaterpolitik ist eine Lachnummer. Eine einzige Geldverschwendungsanlage, um die kolossale Fehlentscheidung zu verschleiern, die die Kulturpolitik sich mit der Nachfolge Frank Castorfs an der Volksbühne geleistet hat. Da zeigt sich ein ungeheurer Zynismus: Einerseits ist diese Stadt unfähig, den Flüchtlingen am "Lageso" mehr als vier Dixi-Klos hinzustellen, die Zustände dort sind unmenschlich. Andererseits stellen sie 125 000 Euro für die Vorbereitungspressekonferenz des künftigen Volksbühnen-Intendanten Chris Dercon bereit. Ein zynischer Witz. Und das geht in dieser zu Tode subventionierten Stadt einfach so durch, ohne dass es einen Aufstand gäbe. Die Volksbühne wird zu einer erstklassigen Versorgungsanstalt für Nicht- theaterleute aufgeschickt."

Aber auch die Theaterleute selbst geben Peymann wenig Anlass zum Optimismus, weil sie aus seiner Sicht "so verdammt geschichtslos" sind. "Dies ist die bestinformierte Generation, die es je gab, mit ihrem Smartphone haben sie Zugriff auf alles, jeder hat in seinem Handy die British Library, und doch: Sie wissen nichts mehr. Es herrscht eine hochinformierte Blindheit und Unwissenheit."

Es enttäuscht Peymann auch, "mit wie wenig sich etwa im Theater die Hochbegabten zufrieden geben. Auch ein Herausragender wie Michael Thalheimer scheint mir in der Zuspitzung seines Stils nur am eigenen Zeug interessiert zu sein, an der Wiedererkennbarkeit seiner Arbeit, an der Schärfung der eigenen Marke – als ginge es um eine Automarke. Übermenschen im guten Sinn gibt's nicht mehr – alles wird aufs Taschenformat reduziert, und dann ist politisch plötzlich wieder alles, jeder Rückschritt, möglich."

(sle)

 

Kommentare  
Presseschau Claus Peymann: Scherben der Egomanie
Wenn einer dazu beigetragen hat, dass BE in die politische Bedeutungslosigkeit zu führen: Peymann; wenn einer Gelder der Lottostiftung für Zuckerwatte ausgegeben hat: Peymann. Nie hat die Generation Stein, Bondy, Peymann oder auch Castorf auch nur eine künstlerische Position der nachfolgenden Generation gestützt. Jetzt sitzt sie vor den Scherben ihrer eigenen Egomanie und mault wie blöde!
Presseschau Claus Peymann: zuhören
Manchmal sollte man den Alten zuhören, die begründet haben, anstelle aufzuschreien, weil man nur nachahmt.
Presseschau Claus Peymann: was Luc Bondy sagte
Luc Bondy hat schon vor Jahren programmatisch junge, noch wenig bekannte Regisseure zu den Wiener Festwochen eingeladen, mit bestens qualifizierten Künstlern zu inszenieren. Peymann und Castorf haben kontinuierlich junge Regisseurinnen und Regisseure an ihre Theater geholt und gefördert. Es war Luc Bondy, der einmal, verärgert über Angriffe gegen Zadek, schrieb: "Man kann nicht sagen, dass Oistrach irgendwann zu alt war für seine Geige oder dass ein Dirigent zu alt ist, um zu dirigieren. Das ist Rassismus. Dieser Jugendkult und dieser Altershass haben etwas Nazihaftes." Gerne wüsste man, was die Person, die sich hinter dem sinnigen Pseudonym Altersheim verbirgt, für die nachfolgende Generation getan hat. Die gibt es ja nicht nur auf dem Theater.
Presseschau Claus Peymann: wahre Worte
Gut gesagt: Jugendkult und Altershass ist gleich Rassismus.
So ähnlich wollte ich es schon immer in nachtkritik schreiben.
Da sind sie nun die richtigen wahren Worte.
Danke Luc Bondy! - du bleibst uns unvergessen . . .
Presseschau Claus Peymann: in der Tat
Peymann hat recht: Die Versuche, politisches Theater zu machen, indem man Flüchtlinge auf die Bühne stellt, wirken in der Tat fast immer hilflos, hinterlassen ein Unbehagen und sind voyeuristisch. Solche Aufführungen können doch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik nicht ersetzen. Zudem werden Flüchtlinge ausgebeutet, wenn sie dafür keine Gage bekommen - was offenbar oft der Fall - und dann auch heuchlerisch und unmoralisch ist.
Presseschau Claus Peymann: auf Namen gespannt
@ Lieber Thomas Rothschild - da wäre ich aber jetzt wirklich auf eine paar Namen gespannt, die Peymann oder Castorf kontinuierlich an ihren Häusern gestützt haben.
Presseschau Claus Peymann: zum Beispiel
Zum Beispiel Tiedemann, Karin Henkel, Gob Squad, Marthaler, Pollesch, Fritsch (nicht an Jahren, aber als Regisseur jung), nicht zuletzt der junge alte George Tabori, den Peymann an die Burg und ans BE holte, und unzählige Nachwuchsschauspielerinnen und -schauspieler. Jedenfalls mehr als nur eine künstlerische Position, die von jener der genannten Herren abweicht. Im Übrigen haben beide in Städten gearbeitet, in denen es zahlreiche Alternativen gibt. Da muss nicht jedes Theater das gesamte Spektrum der künstlerischen Positionen abdecken. Die größere Aufgeschlossenheit der nachfolgenden Generationen wäre erst zu beweisen.
Presseschau Claus Peymann: der Hintern der Spätaufklärung
"Sie (die Kanzlerin) hat einen geradezu spektakulären Sprung hin zum Friedensnobelpreis gemacht", läßt Claus Peymann uns wissen. Kurz darauf spricht er von dem uns "von Angela Merkel vorgeträumte(n) Traum". Nicht für möglich gehalten habe er, sagt er weiter, "dass in dieses sonnige Deutschland die Fackel des Krieges geworfen werden würde! " Für eine "Ironie der Geschichte" hält er es, "dass die Deutschen nun gehasst werden, weil sie etwas Gutes tun, während sie früher gehasst wurden, weil sie Fürchterliches taten." Und: "Dass plötzlich so eine Kälte durch die Welt geht, ist schwer zu ertragen. Umso rührender das offene Herz Angela Merkels."

Genug. Auch die überzeugtesten Verfechter der These, daß es sich bei Merkels Mantra "Wir schaffen das!" um einen Publicity-Trick der Spindoktoren des Kanzleramts gehandelt habe, erdacht, um das mancherorts beschädigte Ansehen Deutschlands und seiner neoliberalen Direktorin zu kitten - wofür einiges spricht -, konnten nicht für möglich halten, daß dieser Winkelzug selbst da seinen Zweck erfüllen würde, wo der Hintern der Spätaufklärung einen ihrer am schwersten zu usurpierenden Throne drückt: im Kopf des BE-Intendanten Claus Peymann.

Vergessen sind deutscher Griechenland-Terror und deutsche NSA-Willfährigkeit, vergessen wachsende Armut und sinkende Bildungschancen, vergessen die grobe wirtschaftliche und militärische Expansionspolitik der BRD, vergessen die neue Kriegführung im Nahen und Mittleren Osten, vergessen die auf Betreiben der Schwarzen Doppelnull Merkel/Schäuble verkommenden baulichen, sozialen und kulturellen Infrastrukturen unseres Landes, vergessen die quasi hinterrücks installierten Verschärfungen des Asylrechts, die mit der unsinnigen Scheidung zwischen Berechtigten (Kriegsflüchtige) und Unberechtigten (Wirtschaftsflüchtige) begründet werden, vergessen die NATO-Appeasementpolitik gegenüber der unverhohlen djihadistischen Türkei.

Daß die die gelittenen wie die nicht gelittenen Flüchtlinge "Mutti, hilf uns!"-Schilder hochhalten, kann man ihnen nicht verdenken - sie wissen genauso wenig, mit wem sie es zu tun haben, wie die "WIRSINDDASVOLK"-Rufer es seinerzeit im Falle Helmut Kohls wußten. Aber Herrn Peymann muß man doch fragen, ob er Rolf Hochhuths "altes Gemäuer an der schwarzen Spree" als derart exterritorial empfindet, daß hinter dessen schweren Holzpaneelen von Angela Merkel als einer Mutter Teresa rediviva phantasiert werden darf. Wobei die alte Ordensschwester (die von sich selbst schrieb, sie habe "eine Seele wie ein Eisblock"), im Gegensatz zu Henry Kissinger, der UNO, der EU oder Barack Obama noch als vertretbare Vorläuferin auf der Liste der Friedensnobelpreisträger(innen) gelten darf, auf welche der BE(!)-Intendant die von ihm adorierte Merkelantistin aufgrund ihres "offenen Herzens" gesetzt wissen möchte.

In der Tat haben Peymanns kritische Anmerkungen den Anschein, als bezögen sie sich auf ein politisches Gebilde, mit dem diese "rührende" Dame und ihr uns "vorgeträumter Traum" nichts, aber auch gar nichts zu tun haben: in ihr, der Kanzlerin, in sein, ihres Intendanten, "sonniges Deutschland", bevölkert von deutschen Gutmenschen, hat einer, haben einige "die Fackel des Krieges geworfen" - wer nur? Und warum nur? Apropos Fackel: was ist es, was da landauf landab so lichterloh brennt? Und paradox, mittels Feuersbrünsten, für Manifestationen "einer plötzlichen(!) Kälte" sorgt? Welche Abfackler fackeln denn da nicht lange?

"Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!" lautet die Schrift über Dantes Höllentor. Es wird Zeit, diese Aufforderung bis zum Ende der Intendanz Peymann über alle Zugangstüren zum Berliner Ensemble am Schiffbauerdamm zu setzen.
Presseschau Claus Peymann: bittere Billanz
@ Rothschild - Marthaler war längst in der Schweiz durchgesetzt als er an die Volksbühne kam, Fritsch wurde beim Theatertreffen entdeckt, obwohl er jahrelang bei Castorf im Ensemble arbeitete. Und, wo soll Henkel von Peymann oder Castorf gefördert worden sein? Pollesch, meinetwegen ... 15 Jahr her! Ne, tut mir Leid, die Bilanz fällt bitter aus.
Presseschau Claus Peymann: Karin Henkel immerhin
@Altersheim
Karin Henkel hat von Claus Peymann immerhin als Mitzwanzigerin das Vertrauen und die Möglichkeit bekommen im Akademietheater Millers "Hexenjagd" mit Julia Wienninger, "Kabale und Liebe" in Starbesetzung am Burgtheater und zu einer Zeit als Elfriede Jelinek noch tatsächlich "ein heißer Kartoffel" war die "Ausgesperrten" zu inszenieren. Ich glaube, dass ist eine Förderung von der so manche(r) junge(r) Regisseur(in) nur träumen kann.
Presseschau Claus Peymann: Kraft als Polemiker
Ja mei er hat scho recht, der claus! Aber leider hat er sich in seinem Haus auf eine künstlerische Museumsposition zurückgezogen. Kraft hat er als Polemiker, das finde ich auch gut! Castorf hat auch vegard vinge , Markus Öhrn oder Schlingensief gefördert...Und tolle Dramaturgen hat er hervorgebracht und SchauspielerInnen!
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