Mit der Pumpgun

von Esther Slevogt

Berlin, 18. Januar 2016. Eigentlich bin ich mit den Tatortkritikern nie einer Meinung. Finden sie eine Folge gut, bin ich garantiert beim Gucken eingeschlafen. Wird kübelweise Häme ausgegossen, war ich bis zum letzten Moment gespannt und habe mich gut unterhalten gefühlt. Der spät-ibsenianische Polizeiruf am vergangenen Sonntag zum Beispiel, der auch in die Tatort-Family gehört. Die Kritik ist ergriffen. Ich schlief schon nach einer Viertelstunde ein. Weil mich der ganze verquälte Psychokram vom Mörder, der endlich als Mörder bestraft werden will, die Willy-Brandt-Frisur von Matthias Brandt und das Christoph-Waltz-Getue von Karl Markovics nicht die Bohne interessierten. Und ich das Menschenbild dahinter eher ätzend fand. Immer diese wilden jungen Frauen, die dann vergewaltigt und ermordet werden. Rape Culture auf öffentlich-rechtlich.

kolumne estherBesonders schlimm wird's, wenn einstige oder aktuelle Theaterstars wie Ulrich Matthes oder Ulrich Tukur in den Tatort-Ring steigen und dort dann allerknattermimigstes Theater spielen. Ja, Theater! Alles wird so mimisch ausformuliert, als gäb's noch irgendwo eine letzte Reihe, wo das Gespielte ankommen muss. Aber hallo! Das hier ist Fernsehen! Besonders gern wird dann vor der Ausstrahlung auch noch über das moderne Theater gelästert, neulich von Herrn Tukur zum Beispiel. Da dachte ich schon beim Lesen seiner Ausführungen: Hat der im 21. Jahrhundert überhaupt schon mal ein Theater von innen gesehen? Tukur hat anschließend dem eitelsten und schlechtesten Tatort aller Zeiten mit seiner Eitelkeit noch die Krone aufgesetzt. Abgesehen von der Bild-Zeitung war die versammelte Tatortkritik hin und weg. Und ich staunte.

Wo der Krimi noch ein Krimi ist

Kaum taucht dann aber Till Schweiger mit der Pumpgun auf, wie er blutverschmiert, ballernd und nuschelnd Hamburg aufmischt, da heulen die Granden der Tatortkritik auf (Grandinnen gibt's keine. Tatortfach ist Männerfach). Kübelweise gießen sie Häme über die Nick-Tschiller-Tatorte. Aber ich bin bei jedem einzelnen hellwach und denke: Endlich mal einer, der sich was traut, der sich zum Krimi-Format bekennt und nicht in der deutschen Fernseheinheitssoße untergeht. Endlich mal einer, der mit saftigster Pulp-Fiction deutsche Wohnzimmerfernsehheimeligkeit bombardiert und irgendwie doch das angeknackste Role-Model Mann mit flapsiger Ironie zu rehabilitieren versucht. Und dabei weiß, dass das nichts werden wird mit dieser Rehabilitierung. Der diese ganzen postmodernen Ebenen anspielt (um die sich zum Beispiel Tukur-Tatorte so verkrampft bemühen), wo aber der Krimi immer noch ein Krimi ist und keine postmodernisierte Fernsehleiche. Aber mit solchen Sichten stehe ich allein. Allein mit meinem schlechten Geschmack?

Szenenwechsel: Neulich im Theater. Ich nahm einen Freund mit, der Theater eigentlich doof findet. Ich dachte, Stefan Pucher mit seinen Videos und Breitbandbühnenbildern, das wird er mögen, dieser Freund. Pucher, der ja in gewisser Weise ein Til Schweiger des deutschen Regietheaters ist. Der das Format Theater bis an die Schmerzgrenze mit Video, Technik und Effekten pimpt. Ich sah dann einen Abend, der mich nicht durch Tiefe und wirkliche Stoffdurchdringung bestach. Dessen schlichter Blick auf den (sehr berühmten) Stoff mich sogar ziemlich entsetzte. Der aber wirklich tolle Videos und Spezialeffekte hatte. Und so war der Freund erwartungsgemäß begeistert. Er fiel beim Applaus vor Begeisterung sogar fast vom Stuhl. Während ich mich vor dem Gespräch danach zu fürchten begann. "Ach – Kritiker!", sagte er dann später auch. "Ihr seid doch alle verklemmt." Und ließ mich stehen.

 

esther slevogtEsther Slevogt ist Redakteurin und Mitgründerin von nachtkritik.de. In ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben untersucht sie: Was ist eigentlich mit der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihren Repräsentationspraktiken passiert?

 

Zuletzt schrieb Esther Slevogt in ihrer Kolumne Aus dem bürgerlichen Heldenleben darüber, dass in Zeiten von Terror, Terror, Terror der Zweck auch im Theater nicht die Mittel heiligt.

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Kommentare  
Slevogt über Tatort-Kritiker: klipp und klar
sehr gut!
Slevogt über Tatort-Kritiker: könnte stimmen
Hallo Frau Slevogt,
gibt es "spät-ibsenianisch", oder haben Sie sich das ausgedacht?
Ich weiss zwar nicht, was das ist, aber das könnte es am Sonntag gewesen sein.
Slevogt über Tatort-Kritiker: Theater, Kino, Public Viewing
Frau Slevogt, hatte ihr Freund überhaupt begriffen, ob er sich im Theater, im Kino oder beim Public viewing befindet? Mir ist das oft nicht mehr so klar.
Slevogt über Tatort-Kritiker: Warum tut sie sich das an?
Wenn Frau Slevogt am Sonntagabend schon kritikerfrei hat, warum tut sie sich dann Fernsehen an? Wenn Leute über ihre Freizeitgestaltung reden, habe ich oft den Eindruck, dass Tatort und Dschungelcamp inzwischen Pflichtveranstaltungen für die Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen Konsens sind. (...)- Trotzdem lese ich gerne die Berichte aus dem bürgerlichen Heldenleben!
Slevogt über Tatort-Kritiker: Ich bin nicht mehr alleine!
herrlich frau slevogt! applaus und vielen dank für diese einschätzung. genauso geht es mir auch immer, gerade vor kurzen auch, was tukurs blöde bzw. frustrierte einschätzung des modernen theaters betrifft... und nun bin ich nicht mehr alleine... danke!
Slevogt über Tatort-Kritiker: Till Schweiger statt Ulrich Matthes?
Esther Slevogt erklärt uns über den Tatort das "richtige" Theater

Was für eine dogmatische Entgleisung! Esther Slevogts Tiraden gegen Schauspieler wie Ulrich Matthes oder Ulrich Tukur sind maßlos und von keiner Sachkenntnis getrübt.
Das ist keine Kolumne, sondern der Versuch, deutlich zu machen, welches moderne Theater und welche Schauspieler unter dem Portal nachtkritik noch eine Existenzberechtigung haben: Till Schweiger gehört dazu, Ulrich Matthes leider nicht!?
Ich warte sehnsüchtig auf eine Gast-Kolumne aus dem Hause Schweiger!
Slevogt über Tatortkritiker: ohne Humor
Was hat der denn ? Humor schon mal nicht. #6
Slevogt über Tatortkritiker: Schweiger-Gastkolumne?
Sehr geehrte Frau/Herr DNS,
Ihre Meinung teile ich nicht, es sind keine Triaden, sondern eher der Ausdruck einer Sehnsucht. So habe ich das gelesen. Es wäre doch super, wenn Herr Matthes einen coolen Tatort abliefern würde. Im letzten, den ich mit ihm gesehen habe, war das leider überhaupt nicht der Fall. Endete mit einer wilden Schießerei am Bahnhof und war sehr anstrengend. Für ihn bestimmt auch. Wann kommt die Gast-Kolumne von Schweiger?
Slevogt über Tatortkritiker: pauschale Kritik
Etwas spät und dann auch noch Betroffener (dasnd.de/tatort). Ich finde die Kritik etwas pauschal. Dass Tukurs Begleit-PR-Theaterdiss lächerlich ist, geschenkt (da müsste man sich eher als Medium fragen, warum man solch inkompetente Urteile publiziert). Dass seine Filme eitel sind, ebenso. Aber im Vergleich der fünf Folgen, die es mit ihm gibt, kanalisieren sich die Tukurismen doch durchaus verschieden. Sieht man schon daran, dass die schwachsinnige Idee des Tumors, mit dem er spricht, bald fallengelassen wurde. Was das Kunstwollen, die Prätention angeht, sind die frühen Fälle schlimm, die letzten beiden, "Im Schmerz geboren" und "Wer bin ich?", dagegen gekonnt. Die Filme gehen auf, die Idee, die sie haben, lässt sich argumentieren. Das ist lobenswert, auch wenn man den Style vielleicht nicht mag. Natürlich kann man sagen/gibt es auch die Schule, die sagt, ich will meinen "Tatort" aber schön dröge, vier Kandidatinnen für den Mord, die nacheinander abgeklappert werden und Dialoge von der Resterampe, so dass man beim Klogang zwischendurch nichts verpasst.

Solche Vorstellungen unterliegen dann aber denselben Konjunkturen, die oben der Kritik vorgeworfen werden (und die es sicherlich auch gibt): Filme mit Matthias Brandt (ich fand den auch öde, da wären wir uns immerhin einig) haben da von vornherein mehr Credit als Filme mit Til (nur mit einem "l", wenn ich drauf hinweisen darf) Schweiger. Nur solche Wahrnehmungen dürften doch gerade der Theaterkritik nicht fremd sein (welch ein Spaß wäre es, einmal die Konjunkturen der Kritikerzu/abneigung nachzuzeichnen, aktuell böte sich als Beobachtungsgegenstand die noch so zu nennende Dercon-Scheide an).

Insofern wird Schweiger vielleicht etwas übertrieben kritisiert, weil man etwa Alvarts Action-Regie mit dem Budget tatsächlich "abfeiern" könnte. Mein Problem wäre dann nur, wozu, wenn die Geschichte so lame ist, die Männlichkeits/Vatermonstranz so redundant (im Gesamtwerk und der Begleit-PR, zwischen denen ja auch die Tochter als Mitspielende changiert). Wir reden ja nicht über Autos. Und wenn das Genre ist, dann ist es nicht Krimi, sondern Actionthriller. Und bei allen Zuschreibungen für Schweigers Spiel: "ironisch" wäre das Wort, was mir nur dann in den Sinn kommen würde, wenn es das einzige auf der ganzen Welt wäre.
Slevogt über Tatortkritiker: gut finanzierte PR-Kampagne
Wenn man schon über die Güte der einzelnen TV-Kommissare im allgemeinen und Til Schwaiger im Speziellen philosophiert, sollte man nicht außer Acht lassen, dass Schwaiger über einen Zeitraum von fast drei Jahren eine gut finanzierte PR-Kampagne gefahren hat und mit den dabei öffentlich-rechtlich erzeugten Bildern für den letzten Teil seiner Tatort-Eskapaden, die nur im Kino zu sehen sind, wirbt. Wohl gemerkt, er führt sich dabei als Star einer Sendereihe auf, die er im Grunde nur verachtet. Acht Millionen soll der Kino-Tatort kosten, an dem sich auch der NDR beteiligt. Im TV zu sehen ist er dann erst 2018. Wer nicht warten kann, muss an die Kinokasse oder in den Videoverleih.

https://www.youtube.com/watch?v=bt7t6kNiQBI
Slevogt über Tatort-Kritiker: ad absurdum
#10:Möchten Sie das auch einem zwölfjährigen Filmfan weißmachen, wenn der auf einen Film warten soll? - Auf den o.g. würde er freilich nicht im Leben auf die Idee kommen, nicht warten zu wollen - tschuljung til, tschüller
Slevogt über Tatort-Kritiker: bei Schweiger brennen die Sicherungen durch
Also, das ist schon süß, wie sie hier wieder alle auf Til Schweiger fliegen und gereizte Kommentare verfassen. Ja, der tanzt aus der Reihe und den lamen Mittelschichtsintellektuellen auf der Nase.
Den zweiten Teil der Kolumne hat anscheinend eh keiner mehr gelesen. Bei der Erwähnung des Namens Schweiger sind offenbar allseits bereits die Sicherungen durchgebrannt.
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