Ein weiblicher Comedian in Burka, ey, krass!

von Reinhard Kriechbaum

Salzburg, 5. Februar 2016. Für Pedanten: Das Ding, bei dem nur der Augenschlitz offen bleibt, heißt gar nicht Burka, sondern Niqab. Aber wir Arabisch-Analphabeten kennen nur das eine Wort für das Frauengewand, in das sich alle Vorurteile, tendenziösen Unterstellungen und unangenehmen Beobachtungen so wunderpaar einpacken lassen. Ist all das mal sehdicht in schwarzen Stoff gehüllt, vor-verurteilt es sich deutlich unbelasteter.

Genau da hakte der in London lebende Neuseeländer Anthony McCarten 2014 mit seinem rasch auch ins Deutsche übersetzten Erfolgsroman ein. Nicht im Schlaf dächte sein "Funny Girl", die zwanzigjährige Azime, daran, eine Burka zu tragen. Nicht mal ein Kopftuch. Sie ist Londonerin von Geburt und durch und durch. In der eigenen kurdischen Familie erlebt sie Islam und Traditionsdenken im weiteren Sinn. Der kurdische Freund Deniz ist ein Ausgeflippter ohne ernsthafte Bindung zum Kulturkreis, aus dem er kommt.

Onkel Abdullahs Witzpotential

Anthony McCarten lässt seine Romanfigur ausbrechen aus allen Klischees. Azime wird Comedian, natürlich ohne Wissen der Eltern. Sie wirbt für ihre Lebenssituation, indem sie Witze reißt über das Milieu, aus dem sie kommt, und die Vorbehalte, denen sie Tag für Tag begegnet. Comedians führen oft nicht die feine Klinge: "Zwanzig Prozent der Gewaltverbrechen von London, achtzig Prozent des Heroinhandels im ganzen Land" seien in dem Stadtteil zu Hause, wo sie herkommt. "Und ich spreche jetzt nur über die Geschäfte von meinem Onkel Abdullah."

Das kommt nicht gut, zumal es mit der Anonymität der jungen Dame, die im Niqab auftritt, nicht weit her ist. Ihr Name fliegt auf, sie aus der Familie. Auf Facebook hagelt es Beschimpfungen, sogar Morddrohungen. Brenzlige Situationen zuhauf, die aber im Comedian-Milieu mit Mut und Witz gemeistert werden.

funny girl1 560 Anna Maria Loeffelberger uDie Frau am Schopf gepackt, den Islam gemeint in "Funny Girl" © Anna-Maria Löffelberger

Im Roman funktioniert das, auch noch in deutscher Übersetzung. Der Witz kommt dort aus dem nicht unraffinierten Umgang mit Klischeebildern, aus denen die Protagonisten auf unerwartete Weise aussteigen. Im Theater sieht das komplett anders aus: Das Wegstreichen bekommt dem Text gar nicht, nur die Klischees bleiben stehen. Da brauchte es wirklich virtuose Bühnenmenschen, die blitzartig die vielen Brüche im Denken der Figuren und ihr ironisch-kauziges, tendenziell anarchisches Handeln rüber brächten. Solche Schauspieler hat man in Salzburg aber nicht. Also Flucht nach vorne, in einen "Erkan und Stefan"-Turbo-Tonfall. Aber der war vor fünfzehn Jahren komisch. Nach Paris und Köln wirkt das eher wie ein linguistischer Ausflug in die Gastarbeiter-Folklore.

Paris ignoriert

Anthony McCarten hat "Funny Girl“ 2014 geschrieben. Da zeichnete man bei Charlie Hebdo noch recht unbelastet Islam-Karikaturen, Paris war noch nicht von Anschlägen paralysiert und Köln hätte sich auch niemand ausgemalt. McCarthen bezog sich auf die Anschläge in Londons U-Bahn 2005 – der Zeitabstand war, sagen wir: beruhigend.

funny girl2 560 Anna Maria Loeffelberger uFrauen unter sich, "Hey, Du bist wirklich Comedian": Elisa Afie Agbaglah und Julienne Pfeil 
© Anna-Maria Löffelberger

Im Salzburger Landestheater tut man, als ob nichts wäre und spielt "Erkan und Stefan". Und das nicht mit Augenzwinkern und Ironie, sondern vorlaut und überzeichnend. "Ey, krass", hätten die beiden gesagt. Mögliche Hintergedanken überholt man meist in hohem Tempo. Das Zugespitzte wirkt paradoxerweise gerade wegen der Rasanz ermüdend. Es passiert ja rein gar nichts, was man nicht vorhersehen täte.

Authentisches Kiez-Deutsch

Aber eine echt liebe Azime hat man: Elisa Afie Agbaglah kauft man ab, dass sie – nicht unbekümmert – ein Ventil sucht, um aus der latenten Kulturspannung auszusteigen. Für die Rolle des Deniz hat man einen Quereinsteiger gefunden: Rahmi Özgündüz war Profifußballer in Istanbul und ist nach einer Verletzung auf die Schauspielerei umgestiegen. Sein Kiez-Deutsch ist authentisch. Julienne Pfeil als Comedian-Trainerin Kirsten ist ein Ruhepol. In einer Szene reden sie und Elisa übers Allein-Leben als junge Frau und das Aufgehoben-Sein in der (kurdischen) Familie. Da klingt an, wo die Reise eigentlich hingehen sollte.

Funny Girl
von Anthony McCarten, aus dem Englischen übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, Spielfassung Anthony McCarten und Carl Philip von Maldeghem
Regie: Carl Philip von Maldeghem, Bühne und Kostüme: Thomas Pekny, Dramaturgie: Maren Zimmermann.
Mit: Elisa Afie Agbaglah, Julienne Pfeil, Christoph Wieschke, Rahmi Özgündüz, Janina Raspe, Clemens Ansorg, Georg Clementi, Gregor Weisgerber.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.salzburger-landestheater.at

 

Kritikenrundschau

"Was im Beet der Prosa gut gedeiht, geht auf der gleißenden Verdichtung der Bühne nicht immer auf", schreibt Verena Schweiger in den Salzburger Nachrichten (8.2.2016). Die Aufführung springe im Eiltempo von Szene zu Szene, "um möglichst viele in der Romanvorlage abgehandelte Klischees durchzuhecheln". Dadurch gerate das Stück zu einer "rasenden Mischung aus Episodentheater und Lehrstück". Die Figuren verhafteten in ihren Schablonen, auch wenn das "spielfreudige Ensemble" wacker dagegen halte.

Einen "lohnenden Abend" hat Peter Jungblut gesehen und findet auf BR2: "Je mehr die Hysterie um sich greift, desto dringlicher sind solche Komödien zum christlich-islamischen Miteinander geboten." Carl Philip von Maldeghem habe die "sehr gelungene und respektlose Komödie" "routiniert, temporeich und ganz ohne pädagogischen Zeigefinger" inszeniert, und besonders Rahmi Özgündüz als Deniz mache "Funny Girl" zum "Publikumserfolg".

 

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