Presseschau vom 10. März 2016 – Volker Hagedorn untersucht in der ZEIT die gesellschaftliche Relevanz der Theater

Keine Reparaturwerkstatt der Gesellschaft

Keine Reparaturwerkstatt der Gesellschaft

10. März 2016. In der ZEIT räumt Musik-Journalist Volker Hagedorn den Luxusverdacht gegen Opern und Theater aus, der sich in den jüngsten Finanzierungskrisen und Kürzungsdebatten in Bielefeld, Hagen, Rostock oder Weimar manifestiere. Tatsächlich stellten die Schauspielhäuser gerade in der gesellschaftlichen Situation rund um die Aufnahme von Geflüchteten ihre Relevanz unter Beweis.

Die Häuser bewiesen mit tagesaktuellen Inszenierungen, Bildungsprogrammen und soziokulturellen Projekten, dass sie "keine Elfenbeintürme" seien, schreibt Hagedorn und macht den Erfolg dieser Ausrichtung auch an Zahlen fest: "35 Millionen Besucher im Jahr entsprechen etwa dem Dreifachen des Publikums der 1. Bundesliga, Tendenz steigend."

Bei aller Projekthaftigkeit aber liege die Kraft der Theater im künstlerischen Programm als solchem. Schauspielhäusern gehe es seit "Urzeiten um Beziehungen zwischen Menschen, um Outsider, Misstrauen, Masse und Individuum, Hoffen und Scheitern. Wenn aber das Theater unentwegt seine Relevanz im Bezug auf politische Gegenwart nachweisen muss, dann verliert es seine Freiheit, dann sind wir in der DDR. Es ist eben keine Reparaturwerkstatt der Gesellschaft, sondern ein Ort ihres unmittelbaren Zu-sich-Kommens und ihrer Identität, der kommunalen wie der kulturhistorischen, und es ist, ja doch, kulturelles Erbe."

Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung mit dem Erbe bezieht Hagedorn auch auf die fremdfeindlichen Strömungen à la Pegida, wenn er den in Deutschland lebenden iranischen Schriftsteller Said zitiert: "Nur der hat vor Überfremdung Angst, der seine eigene Kultur nicht kennt und nicht schätzt."

(zeit.de / chr)

 

Kommentare  
ZEIT zur Theater-Relevanz: alberner Vergleich
Ach der Bundesligavergleich ist doch so albern. Der bringt die Politik doch wieder nur auf die Idee, nach Auslastungszahlen zu fragen. Wann wird endlich aufgehört mit Zählen zu argumentieren. Und dann auch noch mit einer durchkapitalisierten, nur noch medialisiert stattfindenden Unterhaltungsform zu vergleichen - Ziel sowas von meilenweit verfehlt...
ZEIT zur Theater-Relevanz: kluger Satz von Said
Das ist doch ein sehr kluger Satz von Said. Einer, dem man nachspüren kann und fragen: Wenn wir also die fahnenschwenkenden Schreihälse in Dresden vor der Oper als Ängstliche ernstnehmen, dann müssen wir doch fragen: Welche Kultur meint ihr konkret?? Könnt ihr das beschreiben. Sehr genau. Und könnt ihr bitte beschreiben, was genau ihr an dieser eurer Kultur nicht geschätzt und geachtet seht. Und von wem genau??? Nichtachtung der Fremden, die zu uns kommen, kann es ja nicht sein! Sonst würden diese uns doch fernbleiben. Man sucht doch nicht extra und so aufwendig selbstgefährdend auf, was man NICHT schätzt! Nein, nein, ich will das nicht hören "Kultur des Abendlandes" - das ist abstrakt, nicht konkret. Abstraktes kann ich nicht verstehen... Der Vergleich ist nicht albern, sondern gefährlich. Heute. Vor zwanzig Jahren war es schick und kokett, wenn Leute wie Peymann sich unbedingt medial als Fußballfans darstellen wollten. Das signalisierte Volksnähe und war vielleicht auch noch welche? Es wurde damals jedenfalls nie von den Medien hinterfragt. Warum, müssen die sich fragen. Vielleicht.
ZEIT zur Theater-Relevanz: nur so gewinnt Theater seine Berechtigung
Sehr richtig. Vor allem ist der Vergleich elitärer Quatsch. Wieso wird eigentlich nur die 1. Bundesliga herangezogen? Was ist mit der 2. und der 3. Liga? Dann wäre das Bild ein anderes. Von denen, die vor dem Fernseher sitzen, ganz zu schweigen. Und dass die Zahl der Theaterbesucher steigt, stimmt lang- und mittelfristig auch nicht. Fazit: Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht. Interessant, dass ebenfalls auf ZO fast zeitglich ein aus einer der letzten Printausgaben entnommener Artikel erschienen ist, der die Gründe benennt, die das Theater einzigartig macht, ohne sich in eine Legitimationsfalle zu begeben: große Inszenierungen, große Darsteller, große Momente. Nachzulesen in einem Porträt von Stephanie Eidt, die ich am Montag in "Borgen" auf der Bühne sehen konnte.

Hier der Link, weil nicht in Eurer Presseschau zu finden:

http://www.zeit.de/2016/09/stephanie-eidt-schauspielerin-borgen-schauspiel-frankfurt

So, nur so gewinnt und erhält Theater seine Berechtigung. Alle Nützlicheitserwägungen relativieren nur.
ZEIT zur Theater-Relevanz: Besucher oder Tickets?
Vor allem: Sind das dann wirklich 35 Millionen Besucher oder 35 Millionen gelöste Tickets?
ZEIT zur Theater-Relevanz: weitere Vergleiche
@1: Absolut. Zumal die Bundesliga ungefähr einen Spieltag pro Woche hat, während die Theater üblicherweise sieben pro Woche haben. Und warum eigentlich nur die 1. Liga? Und wohin führt der Vergleich eines Stadions (Größenordnung 10000 Personen) mit einem Theatersaal (Größenordnung 1000 Personen)? By the way: Wo bleibt der Vergleich der Gagen und der Ablösesummen?
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