Presseschau vom 7. April 2016 – Der Dramatiker und Übersetzer Marius von Mayenburg schreibt über die Gründe, Shakespeare immer wieder neu zu übersetzen
Die Sprache der Gegenwart
Die Sprache der Gegenwart
7. April 2016. In der Berliner Zeitung begründet der Dramatiker, Regisseur, Dramaturg und Übersetzer Marius von Mayenburg, warum es neue Übersetzungen von Shakespeare-Werken brauche. Eigentlich taugten die Übertragungen der Romantiker aus dem 19. Jahrhundert. "Klingt toll, irre, was die da spielen und wie die reden − aber worum geht’s eigentlich grade ganz konkret?"
Mayenburg gehe es "um das Wiederbeleben einer Theatererfahrung, die ein Zuschauer um 1600 im Globe-Theatre in London beim Sehen eines Shakespeare-Stückes hatte: Das unmittelbare Begreifen der manchmal komplizierten Gedanken der Figuren und die daraus resultierende Nähe zu ihnen. Für sein Publikum war Shakespeare ein zeitgenössischer Autor, diese banale Einsicht vergisst man allzu leicht."
Deshalb plädiert Mayenburg dafür, die deutschen Shakespeare-Worte nicht in einen Blankvers zu quetschen, schließlich habe das Englische im Schnitt weit weniger Silben pro Wort. "Gedankliche Klarheit, Bilderreichtum und rhetorische Brillanz sind meistens der Preis, den man zahlt, wenn man den elegant federnden englischen Groove mit sperrigen deutschen Vielsilbern nachbastelt."
Auch eine Erkenntnis: "Übersetzungen altern schneller als das Original." Sein Fazit: "Deshalb glaube ich, nach gut 200 Jahren Rhythmus darf es jetzt auf der Bühne auch mal wieder um Shakespeares Inhalte gehen." Hübsch auch seine Anekdote, dass die englischsprachigen Theatermacher die deutschen "um diese Möglichkeit der Aneignung" beneideten. So habe der Londoner Regisseur Ramin Gray zu Mayenburg gesagt: "Ihr habt es gut, ihr könnt alle paar Jahre eine neue Übersetzung machen. Bei euch spricht Shakespeare immer die Sprache der Gegenwart."
(geka)
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MfG -
Ich bin eher gegen Shakespeare-Inszenierungen im Moment, weil ich gegen Revolutions-Ersatz bin. Wäre ich Regisseur, wäre ich natürlich für Shakespeare-Inszenierungen vor den meisten anderen. Bin ich aber nicht. Als Leserin finde ich einfach jede übersetzte Text-Fassung, die mir da vor Augen kommt, interessant. Wenn auch nicht immer schön. Oder besonders intelligent in den überwiegenden Textteilen. Oder zu wenig überraschend. Oder zu wenig witzig, besonders in den lateinisierten Verballhornungen, die in die Alltagsssprache der Figuren gezogen werden, die sich als besonders gebildet ausgeben möchten usw.
Ich werde nie verstehen, weshalb mit "You" oder "Yours", mit Lady, My Lady, Mylady, Madam, Madame, mit Lord, Mylord, My Lord etc. so indifferent umgegangen wird in Übertragungen, dass ganze Sozialgefälle situativ verloren gehen für Darstellungsmöglichkeiten. Da wird ziemlich viel bleibende Frische dieser englischsprachigen Dramatik in den Übersetzungen verschenkt. Nach meiner bescheidenen Ansicht. Von Mayenburg wird das gewiss anders sehen und begründen. Und er ist da gewiss für Sie der bessere und paktisch erfahrenere Gesprächspartner.
Die Überflüssigkeit weiterer rein "inhaltlicher" Übersetzungen wie der von MvM zeigt sich deutlich beim Blindvergleich seines eigenen, von ihm offenbar als wegweisend zitierten Textes mit der ästhetisch bewußt anspruchslosen Reclam-Sinnwiedergabe, die keinerlei sprachkünstlerische Formung über die Inhaltsvermittlung hinaus anstrebt. Welche der folgenden beiden Prosaübersetzungen stammt von v. Mayenburg, welche ist die wissenschaftlich exakte Reclam-Inhaltswiedergabe?
For who would bear the whips and scorns of time,
The oppressor's wrong, the proud man's contumely,
The pangs of despised love, the law's delay,
The insolence of office and the spurns
That patient merit of the unworthy takes,
When he himself might his quietus make
With a bare bodkin?
" Denn wer ertrüge wohl die Peitschenhiebe und Schmähungen der Mitwelt,des Unterdrückers Unrecht, des Überheblichen Hohn, die Schmerzen geringgeschätzter Liebe, die Zögerlichkeit der Justiz, die Unverschämtheit der Behörden und die Fußtritte , die geduldiger Verdienst von Unwürdigen hinnimmt, wenn man sich selber seine Quittung gegeben könnte mit einem bloßen Dolch?"
„Wer würde denn sonst die Peitschenhiebe und Beleidigungen der Welt hinnehmen, das Unrecht der Unterdrücker, die Unverschämtheit der arroganten Menschen, die stechenden Schmerzen der unerwiderten Liebe, das Zuspätkommen der Justiz, die Überheblichkeit der Bürokratie, und wie mühsam erbrachte Leistung von Leuten, die es nicht wert sind, mit Füßen getreten wird, wenn man einfach ein Messer nehmen und mit sich selbst abrechnen könnte?“
Die große Ähnlichkeit von Reclam und von v. Mayenburg ist offensichtlich; die Texte sind mehr oder weniger austauschbar. Trotzdem ist einem der beiden Texte der Vorzug zu geben, wie sich beim zweiten Blick zeigt: Die knappere, inhaltlich genauere und zudem sprachlich-syntaktisch korrekte Fassung stammt aus dem wissenschaftlichen Reclam-Heft, übersetzt von Prof Dr. Holger Klein; die umständlichere, längere und zudem sprachlich falsche Bezüge stiftende Übertragung, die den Leser stolpern läßt, stammt von v. Mayenburg.
Selbst die sprachkünstlerisch völlig unambitionierte und eher spröde akademische Reclam-Sinnübertragung dürfte daher weiteren Übersetzungen im v. Mayenburgschen Sinn vorzuziehen sein: sie erfüllt v. Mayenburgs Inhalts-Postulat wesentlich besser.
Grundsätzlich ist dabei festzuhalten, dass solchen reinen Sinnvermittlungen immer enge Grenzen gesetzt sind: Sie sind per se unfähig, all jene sinnstiftenden sprachästhetischen Elemente zu vermitteln, die jenseits der semantischen "Info"-Ebene einen komplexen sprachkünstlerischen, also "poetischen" Text erst ausmachen. Es sind reduktionistische Unterfangen, die die Fülle eines Originaltextes kastrierend auf den kleinsten Nenner bringen. Die Reclam-Anglisten wissen das und erheben keinen künstlerischen Anspruch; daß aber kunstproduzierende Theater solcherlei Beschneidungen ernsthaft als Shakespeare-Vermittlung betrachten, befremdet doch sehr.
Shakespeare-Übersetzungen, die sich dem Versuch der poetischen Eroberung von Shakespeares Poesie verweigern, sind überflüssig: Reclam liefert solcherlei bereits, und besser.
Tragen, der Unterdrückung Härte, der Arroganten Hohn,
Den Schmerz gering geschätzter Liebe, der Gesetze Aufschub,
Die Unverschämtheit der Beamten und die Tritte von
Unwürdigen nehmen als Verdienst für die Geduld,
Wenn er sich selbst quittieren könnte
Mit einem bloßen Dolch?
"Denn wer würde die Peitsche und Verhöhnung seiner Mitwelt ertragen, die Rechtsbrüche des Unterdrückers, den Spott des Hochnäsigen, die Qual unerwiderter Liebe, die Trägheit der Gerichte, die Schikanen der Ämter, und die Fußtritte, die der Verdienstvolle vom Unwürdigen still erdulden muß, wenn er sich selbst den Schlußpunkt setzen könnte mit nichts als einem Dolch?"
Prosaische "Inhalts"-Übersetzung á la Mayenburg II
"Denn wer würde die Geißelhiebe und den Spott der Welt erdulden wollen, die Willkür des Tyrannen, die Verachtung des Schnösels, den Herzstich verhöhnter Liebe, die Trägheit der Justiz, die Zumutungen der Staatsbehörden, und die Tritte, die still duldender Verdienst vom Nichtsnutz einstecken muß, wenn er selber sich Ruhe schaffen könnte mit nur einem kleinen Dolch?"
Prosaische "Inhalts"-Übersetzung á la Mayenburg III
"Denn wer würde sich noch krümmen unter der Knute und dem Hohn der Welt, den Schandtaten des Gewaltherrschers, den Schmähungen des Eingebildeten, den Foltern versagter Liebe, der Säumigkeit des Gesetzes, der Dreistigkeit der Amtsstuben, und den Tritten, die der Fähige schweigend vom Unfähigen hinnehmen muß, wenn er allein mit einem Dolch seinen Abschied nehmen könnte?"
Transformativ-prosaische "Inhalts"-Übersetzung I
"Denn wer würd sich die Nackenschläge und den Horror dieser Scheiß-Welt noch länger antun, den Druck des Schweinesystems, die Verarsche durch das Kapitalistenpack, den Streß, wenn die Beziehung hopps geht, die Rechtsverschleppung der Gerichte, die Unverfrorenheit der Amtssesselfurzer und die Arschtritte, die du als Dank für Leistung von den Ausbeutern stumm einstecken mußt, wenn du bloß mit 'nem Messer 'n schnellen Abgang machen könntst?"´
Transformativ-prosaische "Inhalts"-Übersetzung II
"Wer würd denn den ganzen Kack un Abfack im Kotzleben noch durchziehn, die Pressure vonner Scheißgesellschaft, die Verlade von'n Profitwichsern, den Turkey, wenn ne Alte dich abfahrn läßt, die Schlamperei von'n Rechtsverdrehern, das Wiehern von'n Amtsschimmeln, un die Knüppel, die dir die Absahner fürs deine treudoofe Maloche ins Kreuz haun, wennsde dich selber wegmachen könntst mit bloß 'n Pieks vons dein Klappmesser?"
Es wäre doch gar kein Problem, das so zu verändern:
1
2
3
4
Wenn er mit einem Knall auf einen Click sich selbst quittieren
kann mit dreißig andern.
Es käme dem momentanen Super-Illu-Theater (Super!: Illustrierte Nachrichten zum Nachempfinden und Mitmachen!) gewiss entgegen. Dies wäre sozusagen das Ende der schleichenden feindlichen Übernahme des Theaters durch die Macht der Medien(besitzer).
Hoffen wir also, dass sich keine Dramaturgen finden, die sich vom Theater bestallen lassen, wenn sie in Proben schon so ändern können.