Presseschau vom 20.5.2016 – Theatertreffen-Juror Peter Laudenbach über Theater zwischen Kunst und Sozialarbeit

... weil sie keine Kunst machen wollen

... weil sie keine Kunst machen wollen

20. Mai 2016. Peter Laudenbach, scheidender Juror des Berliner Theatertreffens, hat bei diesem einen Vortrag zum Thema "But is this Art? Theater zwischen Kunst und Sozialarbeit" gehalten, den die tageszeitung (18.5.2016) in gekürzter Form dokumentiert.

Laudenbach stellt darin fest, dass die "Frage, wie das Theater im eigenen Medium, also mit Kunst und nicht als Fortsetzung von Talkshows mit anderen Mitteln, auf gesellschaftliche Krisen, Umbruchsituationen reagieren könnte", alles andere als neu sei. Ebenso gehöre die "heute wieder diskutierte Selbstverunsicherung – was soll das Theater angesichts der gesellschaftlichen Krisen – offenbar schon länger zum Standardrepertoire". Doch Laudenbach wendet das ins Positive: "Solange dem Theater die ungelösten Probleme, die gesellschaftlichen Krisen und deren Effekte in Form von Selbstverunsicherung nicht ausgehen, muss man sich um das Theater keine Sorgen machen." Die Frage danach, was das Theater überhaupt sei, führe "in der Regel wieder zu: Theater. Und nicht etwa dazu, den Betrieb wegen Sinnlosigkeit einzustellen."

Es seien derzeit zwei Extremantworten auf die Frage, "was das Theater angesichts der neuen Krisen sei, zu erkennen. Die erste Möglichkeit wäre, im abgedichteten Kunstraum einfach so zu tun, als sei nichts geschehen, und ungestört weiter mehr oder weniger schöne Kunst zu machen. Dass das politisch, moralisch, aber auch künstlerisch etwas ignorant und zynisch wäre, scheint unmittelbar einleuchtend."

Die andere Möglichkeit sei "die Auflösung der Kunst in die soziale Praxis." Diese habe "derzeit Konjunktur". Viele der Diskussionen arbeiteten sich "an der Frage ab, ob Theater ein Reflexionsmedium ist oder zum Interventionsinstrument werden soll. Aber auch politisches Theater als Feier einer Gesinnungsgemeinschaft" ersetze "keine Anti-AfD-Demonstration. Selbst die ausstrahlungsstärksten Aktionen des politischen Theaters der letzten Jahre, 'Die Toten kommen' und die entwendeten Mauerkreuze des Zentrums für Politische Schönheit, waren so wirkungsvoll, weil sie Konflikte symbolisch verdichteten". Frank Castorf habe die Frage, "weshalb jetzt alle Theater Flüchtlingscafés errichten, einigermaßen brutal beantwortet: Weil sie keine Kunst machen wollen. Das Engagement für die Geflüchteten hat nichts mit Kunst zu tun. Theaterleute haben keinen privilegierten Zugang zu Moral. Wenn sie Deutschkurse geben oder Patenschaften für Notunterkünfte übernehmen, sind sie, unabhängig von ihrem Beruf, einfach Teil der Zivilgesellschaft."

(wb)

Kommentare  
Laudenbachs TT-Rede: nicht brutal, sondern sachlich
Theater ist probenbedingt Reflexionsmedium und deshalb auch Interventionsinstrument. Wenn es das nicht ist, wurde nicht probiert. Die Antwort von Castorf war nicht brutal, sondern sachlich. Das ist jedoch eine Erfahrung, die man im Theaterbetrieb schnell machen kann, eventuell schneller als in anderen Betriebs-Systemen: dass Sachlichkeit unreflektiert mit Brutalität verwechselt wird. Oder irgendetwas anderem.
Laudenbachs TT-Rede: Scheindiskussion
Warum wird das Theater eigentlich ständig mit dem Verdacht der Sinnlosigkeit konfrontiert? Nur um es dann mit großen Worten, Gesten und Argumenten von eben diesem Verdacht wieder frei zu sprechen? Mit so fadenscheinigen "Solange"-Argumenten, die nicht nur narzisstisch klingen, sondern narzisstisch sind? Und ärgerlich, weil unnötig.

Mich ödet die Scheindiskussion zur Sinnhaftigkeit des Theaters jedenfalls an, mitsamt aller Hinweise zu Krisen, Umbrüchen und Selbstverunsicherungen. Das Theater braucht weder Krisen noch ungelöste Probleme, um sinnvoll und relevant zu sein.

Und wer im Ernst (außerhalb des deutschen Feuilletons) behauptet denn noch, dass Theater werde politisch, indem es als politischen Akteur auftritt, oder sozial, indem es sich als sozialen Akteur inszeniert? Castorf sagt nichts Brutales, er sagt etwas völlig Selbstverständliches.
Laudenbachs TT-Rede: kein privilegierter Zugang zu Moral
"Theaterleute haben keinen privilegierten Zugang zu Moral." Wie wahr. Angesichts der hierarchischen Strukturen, des Umgangs mit Menschen innerhalb des Theaterbetriebs und deren Ausbeutung hat Castorf sich noch sehr freundlich ausgedrückt.
Ich fand bei der gesamten Diskussion über die Reaktion vor Theater auf die sogenannte Flüchtlingskrise insbesondere Intendanten abstoßend, die sich aus opportunistischen Erwägungen heraus plötzlich laustark als Moralapostel aufspielten (und Fördergelder kassierten), während sie sich intern nach wie vor über jegliche Grenzen von Moral, Anstand oder gutem Geschmack hinwegsetzen. So viel Heuchelei und Scheinheiligkeit war selten.
Laudenbachs TT-Rede: scheinheilig
"So viel Heuchelei und Scheinheiligkeit war selten."

Da muss man dann aber auch Castorf ganz vorneweg nennen.
So viel Selbstgefälligkeit war/ist selten.


Die Kabale des Scheinheiligen
Laudenbachs TT-Rede: Spiegelneuronen
Was ist symbolisch, nach Laudenbach also Kunst, was ist real, nach Laudenbach also Wirklichkeit? Ist Wirklichkeit nicht auch immer schon symbolisch? Ist es vielleicht nicht auch symbolisch, wenn ein akurat gestutzter Repräsentations-Rasen beschädigt wird? Diese ganze Diskussion ist sinnlos, wenn wir uns nicht zuallererst die Frage stellen, wie wirklich eigentlich die Wirklichkeit ist. Und zwar bezüglich der Auflösung von Grenzen, auch in unseren Köpfen. Es geht, meinem Verständnis nach, nicht um geschlossene Räume und Reflexion, auch nicht allein um Intervention, sondern um das Zusammenspiel von Bewegung (im Raum), Sprache und Wahrnehmung. Vor allem Letzteres. Wechselseitige Wahr-Nehmung ist auch schon eine sehr große Kunst. Und dazu gehört vor allem auch das (Mit-)Fühlen. Stichwort: Spiegelneuronen.
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