Verfranzt im Irrealis

Von Christian Muggenthaler

Regensburg, 28. Mai 2016. Schief, schräg, schlingernd: Wer mit Franz Kafka in Bühnensee sticht, wird geraden Kurs kaum halten. In Regensburg hat man's just zu Beginn der 34. bayerischen Theatertage mit einer von Stephan Teuwissen neu durchdramatisierten Version des Romans "Der Prozess" zu tun. Herausgekommen ist vor einem Premierenpublikum mit ungewöhnlich hoher Intendantendichte ein nahezu opulent zu nennender Versuch, Kafka mit seinen eigenen Mitteln beizukommen. Regisseurin Mélanie Huber zitiert sich durch die Bilderwelt von Expressionismus und Surrealismus, um sich an der absurden Welt des Prager Autors zu laben, in der der Mensch des 20. Jahrhunderts den Schlüssel zu irgendeiner Sinnstiftung an der Eingangstür zur basisverrückten Moderne längst abgegeben hat.

Stille Monster mit exaltierter Stoff-Mitra

Weshalb dort auf der Bühne alles so herrlich bizarr, unentschlüsselbar und durchgedreht ist. Nadia Schrader hat eine mit fahrtüchtigen Bühnenelementen ausgestattete Ebene und darüber eine mit kaleidoskopartigen Rundfenstern gezierte Empore geschaffen; zusammen ergibt dieser Verschiebebahnhof mal ein an Kandinsky oder Klee erinnerndes Gesamtkunstwerk, mal ein hochkomplexes Schafott-Ungetüm. Dazwischen wanken, schlingern und wuseln die Gestalten, die Lena Hiebel mit regelrecht ausgestülpten Gewandungen umhüllt hat. Da hausen stille Monstren wie die Haushälterin Frau Grubach mit exaltierter Stoff-Mitra, fuchteln Gerichtsschergen wie Figuren aus der Theaterhochzeit des Expressionismus', wabern staubige Nosferatus wie der Advokat Huld; und alles zusammen ist gebadet in jenen unwirklichen Pastelltönen, von denen im Text zwischendurch auch die Rede ist.

DerProzess 2 JQuast uNahkampf: : Benno Schulz & Susanne Berckhemer © Jochen Quast 

Derlei Selbstreferenzielles setzt es pausenlos. Mélanie Huber bedient sich der Anklänge ans frühe 20. Jahrhundert, weil's halt Kafkazeit ist, und sie nimmt die permanenten Bezüge im Text auf sich selbst bildhaft, sinnlich und spielerisch wörtlich, weil Kafkas Schriften eben diese kraftvolle innere Logik haben, die nur bei äußerer Draufsicht so absurd erscheinen. Kafka fand es durchaus witzig, Welten völlig realitätsenthobener, in sich selbst funktionierender Denksysteme vorauszuahnen, in denen das Individuum keine Rolle mehr spielt. Die hat die Kunst vor und nach dem Ersten Weltkrieg insgesamt leidenschaftlich intoniert und die Politik danach schrecklich wahr gemacht. Diesen Zusammenhängen sind Regisseurin Huber und Autor Teuwissen eher heimelig auf der Spur und stricken ein plüschiges Bühnen-Kafka-Gewand mit sich ineinander verfranzenden Szenen.

Sinnlicher Kafka

Da drin hat sich auch Josef K. schnell verfranzt. Der Mann, der sich am Morgen eines nicht näher definierten Tags einer nicht näher definierten Anklage gegenüber sieht, tritt ein in die Welt des Irrealis. Benno Schulz hat in Regensburg einen starken Abend des sich wundernden und verstrickenden, fast ein bisschen zu kämpferischen und oppositionellen Helden. Ein überzeugendes Ensemble umgibt ihn mit lebenden, meist sogar recht komischen Gesamttableaus existenzieller Schräglagen schräger Vögel, die Josef allmählich entkräften und einwickeln. Daraus schießen immer wieder grotesk gezeichnete Individuen hervor wie Kaufmann Block, den Jacob Keller mit gnadenlos konsequenter hündischer Unterwürfigkeit ausstattet, oder Patrick O. Beck als schriller Kunstmalergeck Titorelli.

DerProzess 1 JQuast u"Noch ne Aspirin für dich?" Christin Wehner & Benno Schulz © Jochen Quast

So prall und sinnlich ist schließlich die Bildwerdung von Kafkas in schlaffernen Schreibnächten entstandener literarischer Traumata, dass der Verdacht aufkommt, so richtig könne den Regensburger Theaterabend nur der genießen, der seinen Kafka recht gut kennt und schätzt. Und allen anderen verschlösse er sich. Durchaus möglich. Aber das ist dann auch schon wieder: Kafka.

 

Der Prozess
nach dem Roman von Franz Kafka in der Theaterfassung von Stephan Teuwissen
Regie: Mélanie Huber, Bühne: Nadia Schrader, Kostüme: Lena Hiebel, Musik: Martin von Allmen, Licht: Wanja Ostrower, Dramaturgie: Meike Sasse
Mit: Benno Schulz, Patrick O. Beck, Gunnar Blume, Jacob Keller, Christin Wehner, Franziska Sörensen, Susanne Berckhemer
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.theater-regensburg.de

 

Kritikenrundschau

 Die Regensburger Nachrichten (30.5.2016) sahen ein "poetisches und humorvolles Traumspiel voller Slapstick, Gesang, irrwitzigen Grausamkeiten und schrägen Leidenschaften." "Unterirdische Geflechte aus zärtlichen Bezügen, Widersprüchen und befremdenden Ähnlichkeiten" rücken in der Inszenierung in den Vordergrund. "Wie inszeniert sich der Prozess, ohne dass die Regie dabei zum Komplizen Kafkas wird?"

Kommentare  
Der Prozess, Regensburg: kafkrotesk
Wir hatten uns auf einiges gefasst gemacht, doch dass wir froh waren, den Besucherraum zu verlassen, hätten wir nicht gedacht. Der letzte Satz, der nachklang aber auch bald vergessen war. Die Achtung vor den Schauspielern, die eine große Leistung brachten und das Gefühl schuldig zu sein, schuldig, weil wir hingefahren waren und uns nicht freuen konnten, weil wir eben alle schuldig sind ... das Essen, auf das wir uns freuten, es schmeckte uns nicht mehr. Der Wein, den wir tranken, war zu kalt ... das Wasser zu voll ... der Körper zu schwer ... die Schuhe zu eng ... die Nacht zu lang... der Morgen betroffen ... was war das? Kafkrotesk?
Der Prozess, Regensburg: Komplizenschaft
Interessante Frage "Wie inszeniert sich der Prozess, ohne dass die Regie dabei zum Komplizen Kafkas wird?" - Rauh ist alle Theorie, geht natürlich nicht... Das einzige, was geht, ist, dass sie es so macht, dass es der überweigende Teil des Publikums - vor allem die Quotenintendanten - nicht merken. Jeder, der Kafka - oder einem anderen Prosaschreiber - durch Vorführen einen potentiellen Leser beschaffen will, ist natürlich Komplize Kafkas oder des entsprechenden Prosaschreibers. Das findet Publikum jetzt vielleicht nicht immer gut. Komplizenschaft mit Literatur, wenn es eigentlich Theater erleben will...
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