Sensationen des Alltags

von Sascha Westphal

Mülheim 16.6.2016. Das kleine, altmodische Kassenhäuschen mit seinen leuchtenden Glühbirnen oberhalb der Glasscheibe weckt Erwartungen und Erinnerungen. Genauso wie das rot-gelbe Zirkuszelt, das sich ein paar Schritte dahinter auf der Wiese im Park der Feldmannstiftung in Mülheim-Styrum erhebt. Man denkt sofort an lange zurückliegende Zirkusbesuche und an Abende auf kleineren wie größeren Rummelplätzen. Selbst der moderne Laptop, der den früher einmal für eine klassische Kasse reservierten Platz ziert, beeinträchtigt die nostalgische Stimmung nicht weiter. Wie einst in der Kindheit ist da wieder dieses magische Kribbeln, diese begierige Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, wenn es schließlich ins Zelt hinein geht.

Eine einzigartige Show

Diese kindliche Vorfreude gehört unbedingt zu "Big Town", der skurrilen und liebenswerten Show, die die das englische Performance-Duo Lone Twin in einer Koproduktion mit dem Theater Oberhausen und dem Ringlokschuppen Ruhr entwickelt hat. So beginnt die Performance lange bevor die "Gastgeberin" Anja Schweitzer schließlich das Publikum im Zelt begrüßt. Gregg Whelan und Gary Winters, die Lone Twin 1997 während ihrer gemeinsamen Studienzeit am Dartington College of Arts in Devon gegründet haben und seither im öffentlichen Raum ebenso wie an Theatern arbeiten, spielen gezielt mit den Erwartungen des Zuschauers. Das Versprechen einer einzigartigen Show ist dabei natürlich trügerisch und wird doch auf eine ganze andere Weise erfüllt.

bigtown2 560 sebastian hoppePantomimen des Gewöhnlichen © Sebastian Hoppe

Hommage an einen Stadtteil

Sensationen, wie sie klassische und moderne Zirkusse verheißen, gibt es in diesem Zelt mit dem schönen blauen Sternenhimmel nicht zu erleben. Hier treten keine Dompteure und auch keine Hochseilartisten auf. Nur die drei weißgeschminkten Pierrots Beate, Michael und Angelika präsentieren eine typische Zirkusnummer. Aber selbst ihre Pantomime, die durch und durch alltägliche Straßenszenen nur ganz leicht überhöht, ist vor allem eine Hommage an das Leben in Styrum, das die zwischen Oberhausen und Mülheim an der Ruhr verlaufende Stadtgrenze in zwei Teile geschnitten hat. Von diesem Leben, das sich trotz allem nicht sonderlich von dem in anderen Städten unterscheidet, erzählen Whelan und Winters auf die denkbar unspektakulärste Weise. Ihre Performer sind Styrumer Bürger, die im Zirkusrund einfach das machen, was sie sonst auch tun.

Das Glück der Routine

Also setzt sich Claudia Groh gleich zu Beginn an eine Nähmaschine und beginnt damit, eine Tasche zu nähen. Eine Stunde hat sie dafür Zeit. Dann wird dieses handgearbeitete Einzelstück versteigert, natürlich für einen guten Zweck. Zwischendurch erzählt sie noch, wie sie ans Nähen gekommen ist. Eben darum geht es in "Big Town", alltägliche Arbeiten und gewöhnliche Lebensgeschichten, die aber doch einzigartig sind. 44 Jahre lang hat Erika Langer einen Imbiss in Styrum betrieben. Nun bereitet sie auch im Zirkuszelt ein Schnitzel zu und erinnert sich dabei an die Jahre in "Erikas Braterei". Immer wieder verheddert sie sich in ihren Worten und Sätzen. Ihre Nervosität ist fast greifbar und verleiht ihrer Geschichte eine eindrucksvolle Authentizität. Aber das ist nur die eine Seite ihres Auftritts. Die andere offenbart sich in der Professionalität, mit der sie das Schnitzel zubereitet. Sie erzählt viel von der Routine eines langen Arbeitslebens, aber auch von dem gar nicht mal so kleinen Glück, das in der Tätigkeit liegen kann, die man mit Leidenschaft ausführt.

bigtown1 560 sebastian hoppeMit dem Schnitzel kommt Leben auf die Bühne © Sebastian Hoppe

Wahre Experten des Alltags

Claudia Groh und Erika Langer, David Prince Dattey (der in Ghana als Telekommunikationstechniker gearbeitet hat) und Ira Peters, die sich zufällig nach dem Fund alter Briefe und Fotos im Haus ihrer Großmutter die Sütterlinschrift angeeignet hat, sind wahre Experten des Alltags. Ihre Geschichten und ihre Fähigkeiten sind ganz und gar individuell. Aber zugleich erinnern sie und die anderen Performer, Helga Terwint, die live eine Nachtcreme herstellt, der Schornsteinfeger Paul Gehrmann, der in einem kleinen Videofilm über seine Bilder von alten Dampflokomotiven spricht, und Inge Fleischer, die einige ihrer Gedichte vorliest, einen daran, dass letzten Endes jeder Mensch Teil des "Big Town"-Zirkus’ ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob er nun in dieser Manege auftritt oder nicht. So lösen Whelan und Winters eben doch das Versprechen ein, das von dem Kassenhäuschen und dem Zelt heraufbeschworen wird. Ihre Show erinnert einen daran, dass der Alltag unendlich viele Wunder und Sensationen bereithält, wenn man nur offen für die Menschen bleibt, denen man Tag für Tag begegnet.

 

Big Town
von Lone Twin
Regie & Konzept: Lone Twin (Gregg Whelan & Gary Winters); Produktionsleitung & künstlerische Mitarbeit: Kathrin Ebmeier; Dramaturgie: Tamina Theiß.
Gastgeberin: Anja Schweitzer.
Mit: Angelika Husemann, Beate Smorra, Claudia Groh, David Prince Dattey, Erika Langer, Helga Terwint, Inge Fleischer, Ira Peters, Lothar Kuntze, Michael Wenzel und Paul Gehrmann. 
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, eine Pause. 

www.ringlokschuppen.de
www.theater-oberhausen.de

 

Kritikenrundschau

"Eine Schau, die sicher noch an Fahrt aufnehmen wird, denn fast alle standen erstmalig im Rampenlicht", hat Gudrun Mattern für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (18.6.2016) gesehen und beschreibt alle Szenen einzeln wie zum Beispiel: "Niemand klopft Schnitzel so resolut wie Erika Langer und erzählt dabei so locker von alten Zeiten."

Niemand klopft Schnitzel so resolut wie Erika Langer und erzählt dabei so locker von alten Zeiten.

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eine Schau, die sicher noch an Fahrt aufnehmen wird, denn fast alle standen erstmalig im Rampenlicht

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eine Schau, die sicher noch an Fahrt aufnehmen wird, denn fast alle standen erstmalig im Rampenlicht

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