Flüchtlinge fressen - Not und Spiele
In Niemandsland
von Sophie Diesselhorst
Berlin, 16. Juni 2016. Als die Europa-Hymne losdonnert, erstarren sie. Und sehen einen Moment lang aus wie ausgestopft, die vier libyschen Tiger, die das Zentrum für politische Schönheit in ein Gehege vor das Maxim Gorki Theater eingesperrt hat. Ein Schild warnt vor ihrer Gefährlichkeit, völlig überflüssig; schon wenn der Schmächtigste von ihnen bei der Fütterung müde eine dicke Tatze in Richtung Fleischhappen schüttelt, läuft es einem kalt den Rücken runter. Und fast gleichzeitig möchte man alles riskieren, um sie zu knuddeln, diese wunderschönen Riesenkatzen. Dieses gemischte Gefühl, das sich auf die Käfigmauer als feste Grenze verlässt, muss man sich in diesem Kontext wohl als späteuropäische Dekadenz diagnostizieren. Exotismus made by Zivilisation made in the EU.
Die äußere Sicherheit des Publikums vor dem Käfig steht in der neuen Aktion des Zentrums für politische Schönheit (ZPS) "Flüchtlinge fressen – Not und Spiele" natürlich für die innere Sicherheit, um die es dem Europa geht, das vier Gaukler*innen zur Eröffnung der auf knapp zwei Wochen angelegten skandalösen Feierlichkeiten parallel zur Fütterung der Tiger gutgelaunt durch den Kakao ziehen; für die dieses Europa bereit ist seine humanistischen Grundwerte zu opfern. Das ZPS ist bekannt dafür dick aufzutragen und enttäuscht in dieser Hinsicht auch diesmal nicht: Europa ist Rom, deutsche Politiker werden als Imperatoren dargestellt, die willkürlich über Leben und Tod von Abermillionen Menschen entscheiden.
Kaltes Europa
Während die Tiger tigern, läuft an der Außenwand ihres Käfigs ein dystopisches Video, in dem das deutsche Bundesinnenministerium exemplarische Flüchtlings-Hinrichtungen ankündigt, um die Menschen davon abzuhalten, sich auf den Weg zu machen. Einer der Gaukler (Taner Sahintürk) verliest einen (mehr schlecht als recht ausgedachten) offenen Brief der AfD an die Syrer, doch in ihrem u.a. für seine "warmherzige Mentalität" bekannten Land zu bleiben und sich und die seinen "wie ein Tiger" zu verteidigen, statt ins menschlich und klimatisch kalte Europa zu flüchten.
Auch schon bei der "Bundeserpresserkonferenz" am Vormittag waren die Zeichen überdeutlich, aber sie wurden vorsichtshalber auch noch erklärt. Fehlte eigentlich nur noch der Gebärdensprachdolmetscher im Saal des Maxim Gorki Theaters, wo André Leipold, Dramaturg des ZPS, zusammen mit zwei fürs ZPS untypisch politisch korrekt besetzten Performer*innen (Theresia Braun – Frau! – und Yasser Alaamoun – Migrationshintergrund?!?) vor reichstagsblue kolorierter Hinterwand Regierungssprecher Seibert mimte und versuchte die "Hintergründe dieser ziemlich komplexen Aktion" zu erklären.
Kunst für Dummies
Kein Blendspiel, keine Realitätsbehauptung, nein, wir sind hier ganz klar im Theater, so sagte Leipold klar und deutlich; und das Spezielle an diesem Theater sei – ein bisschen weniger klar und deutlich: "Wir besiedeln das Niemandsland zwischen Realität und Fiktion." Wem noch etwas Emotion zum ersten überzeugenden Deutungs-Ansatz fehlte, dem sprang Co-Performerin Theresia Braun hurtig an die Seite: "Natürlich ist das, was wir machen, geschmacklos." Kunst für Dummies, oder: Das Theater will auch den "Bild"-Reporter abholen, indem es ihm ein paar Floskeln vorkaut. Das ist zunächst mal durchaus ungewöhnlich. Und bedeutet aber, anders als man kurz mal hoffen konnte, alles andere als eine Öffnung in eine größere Öffentlichkeit – doch dazu später mehr.
Was sie machen, befindet sich erstens – wie eigentlich immer beim ZPS – im Bereich der Ankündigung, von der ganz bestimmt stark abgewichen werden wird. Zweitens ist selbst diese Ankündigung, also die Pressemitteilung, die Donnerstag morgen in alle Kanäle geschickt wurde, schwierig zu verstehen. Wenn man sie drei- bis viermal konzentriert studiert hat, ergibt sich in etwa diese Aussicht auf die nächsten zwei Wochen: Ein Charterflugzeug (Kostenpunkt: 80.000 Euro) wird von der Crowd gefunded. Aus einem Angebot an in der Türkei gestrandeten Flüchtlingen, die auf eine Familienzusammenführung in Deutschland warten, können die edlen Spender 100 Stück in die "Joachim 1" reinvoten (Kontrollierte Einwanderung nach Volksentscheid: voll AfD!).
Der, nach dem das Flugzeug benannt ist, soll am 24. Juni als einzig möglicher "Retter des europäischen Reiches" in seiner Funktion als Noch-Bundespräsident im Bundestag intervenieren, auf dass der nach der EU-Richtlinie 2001/15/EG geschaffene Absatz 3 des Paragraphen 63 im Ausländerrecht ausgesetzt wird, der besagt, dass Fluggesellschaften, die Menschen ohne Visum in den europäischen Raum befördern, mit hohen Geldstrafen belegt werden – so dass wiederum die in die Reisegesellschaft gevoteten Flüchtenden legal bzw. ohne Mehrkosten nach Deutschland einreisen können.
Naivität und Größenwahn
Wenn das mit Gauck nicht klappt, soll noch der Vatikan um Asyl angerufen werden. Sollte auch Papst Franziskus sich weigern, die 100 Menschen aufzunehmen, will das ZPS den vier "libyschen Tigern", die bereits vorm Gorki in einem Käfig auf und ablaufen, am 28. Juni einen Flüchtling zum Fraß vorwerfen. Ein*e Freiwillige*r für den Fall der Fälle wird gesucht und soll bereits am kommenden Montag in einer weiteren Bundeserpresserkonferenz den Medienvertreter*innen präsentiert werden. So weit, so krass.
"Mama, warum fliegen die Flüchtlinge nicht mit dem Flugzeug hierher?" Diese Kinderfrage bezeichnet Leipold als Ausgangsfrage der Aktion, während hinter ihm groß das berühmte Bild des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi flimmert. In Leipolds Gesicht selbstverständlich Rußspuren (Markenzeichen des ZPS) – das extra-unbeholfene Blackfacing des schuldbewussten Postkolonialisten. "Wir dürfen uns nicht von Kinderaugen rühren lassen", hat Alexander Gauland (AfD) gesagt, und das ZPS steigert sich in die Übertreibung des "Doch!" hinein, in ein "Wir müssen uns von kindlicher Arglosigkeit leiten lassen!" Doch was dann folgt, ist eine krude Mischung aus Naivität und Größenwahn – in der sich die Frage, was hier eigentlich ernst gemeint ist, auflöst wie in einer ätzenden Säure.
Trotzdem sei sie hier noch einmal hingestottert: Will das ZPS mit seiner Aktion tatsächlich bewirken, dass der Flugfreiheitsbeschränkungs-Paragraph für ungültig erklärt wird? Denkt das ZPS allen Ernstes, dass es damit die Festung Europa austrickst? Oder handelt es sich hier um eine rein symbolische Aktion, geht es eigentlich gar nicht um diesen Paragraphen und die 100 Leute, die nach Deutschland gebracht werden sollen, sondern dient dieser Lösungsvorschlag samt Tiger-Deko nur dazu, die Ausweglosigkeit der aktuellen Situation mit Kunst zu umspielen? Oder vielmehr: ein neues für diese ausweglose Situation maßgeschneidertes künstlerisches Selbstverständnis über den Laufsteg zu paradieren? "Warum werft Ihr Euch eigentlich nicht selber den Tigern zum Fraß vor, warum muss dafür ein Flüchtling herhalten?" fragt Sasha Marianna Salzmann André Leipold im Nachgespräch zum Aktions-Auftakt, und der sagt erstmal: "Da muss ich erstmal ganz lange nachdenken", um später zu einem günstigeren Moment das Bekenntnis nachzuschieben, dass er nicht in den Käfig will, sondern "Bier trinken, rauchen, hier sitzen und reden". Völlig verständlich, total sympathisch.
Eingesperrt im Echoraum
Trotzdem wären wir, im Nachgespräch angelangt, bei dem, was die ganze Aktion noch viel irritierender macht als ihre Inkongruenz. Viel krasser als die Tatsache, dass sie sich bereits zum Auftakt in ihren eigenen Eventualitäten verliert, ist ihre wohlorganisierte Hermetik. Das ZPS hat sich seinen eigenen Echoraum geschaffen. Das fängt an mit den T-Shirts mit der Aufschrift "Menschheit", die alle Beteiligten branden, geht über das Verlesen von Facebook-Hate-Kommentaren durch die Gaukler*innen, die die Tigerfütterung begleiten, und eine Live-Kolumne von Mely Kiyak, die mit ihrer Funktion als "embedded journalist" kokettiert, bis hin zu den allabendlich angesetzten Nachgesprächen, deren Auftakt Sasha Marianna Salzmann und Carl Hegemann machten – mit durchaus kritischen Perspektiven auf die Aktion, aber eben gleichzeitig als Teil von ihr.
Und wenn also Hegemann die klare Grenze zwischen Kunst ("prinzipiell verantwortungslos") und Politik ("prinzipiell verantwortungsvoll") zieht und sagt: "Um die Eigenständigkeit der Kunst müssen wir genauso kämpfen wie um die Flüchtlinge"; wenn Salzmann sagt, sie habe das Gefühl, hier vermieden die Kunstschaffenden (des ZPS) ein Selbstverständnis als Menschen, die etwas tun könnten – dann verpufft das alles in diesem selbstgemachten Echoraum. Ist das Feinbild "Gutmensch" für die nunmal auch wahlberechtigten mehr werdenden Anhänger*innen des Rechtspopulismus nicht schon überdeutlich gezeichnet? Egal. Die Fugen werden dicht gemacht, alle: Im Gaukel-Spiel hält Cynthia Micas gar eine Rede als Tiger-besorgte Tierschutz-Aktivistin, die gipfelt in dem Fake-Hate-Ausruf: "Diese Möchtegern-Schlingensief-Aktion hier nutzt niemandem!"
Schlingensief, bitte übernehmen Sie!
Womit wir bei Schlingensief wären, und seiner Aktion Ausländer raus!, wozu wir zum frommen, trotz allem kunstgläubigen Schluss am besten Schlingensief selbst sprechen lassen (aus dem Dokumentarfilm "Ausländer raus! – Schlingensiefs Container" von Paul Poet): "Was ist das fürn Kunstverständnis zu glauben, die Kunst kommt raus, verändert die Welt, und dann ist alles gut oder schlecht. Wenn das möglich wäre, dann frage ich mich, warum nicht die Politik schon lange in die Kunst gegangen ist. Warum ist die Politik eigentlich nicht schon lange ersetzt worden durch Kunst? Wenn das möglich wäre. Dann malen die Abgeordneten eben ihre Bilder, hängen die irgendwo an die Litfaßsäule, und danach fahre ich mit dem Fahrrad vorbei, und danach ist das alles gelöst. Es gibt keine Armut mehr, die Umweltverschmutzung ist weg und so weiter. Weil da ein Bild hängt. Ja, was ist das fürn Irrwitz. Ist doch Kappes. Das interessiert mich überhaupt nicht. Mich interessiert an diesem Ding wirklich, verschiedene Systeme aufzufordern gemeinsam zu tanzen. Und das ist dann das Bild. Und das Bild steht da, und es steht auch noch in zehn Jahren und in hundert Jahren da. Aber ob das die Welt verändert hat oder einzelne Menschen, das ist überhaupt nicht relevant, weil nämlich die, die das vorwerfen, letzten Endes garantiert nicht die Welt verändern."
Flüchtlinge Fressen – Not und Spiele. Die Show
vom Zentrum für politische Schönheit
Mit: Zentrum für polische Schönheit, Aylin Esener, Cynthia Micas, Taner Sahintürk, Falilou Seck, wechselnden Gesprächspartnern im "Zentrums-Salon zur letzten Schönheit", Mely Kiyak et al.
Dauer: 16. Juni 2016 bis 28. Juni 2016
www.gorki.de
www.politicalbeauty.de
"Ein Touch von Weltuntergang liegt über allem. Am Tigerkäfig läuft der Countdown", schreibt Mounia Meiborg für die Süddeutsche Zeitung (17.6.2016). "So entsteht ein Szenario der Dringlichkeit, das kein Argument, kein Zögern, keinen Widerspruch zulässt. (...) Eine rhetorische Taktik, die übrigens auch der 'Islamische Staat' gerne benutzt", so Meiborg. "Der aggressive Humanismus der Aktionskünstler zeigt hier seine totalitäre Seite." Darüber hinaus sah Meiborg "keine historische Anknüpfung, die funktioniert", und eine allgemein "unentschiedene" Inszenierung.
"Eine unter dem entsprechenden Realitätsdruck verschärfte Fortsetzung von Christoph Schlingensiefs Projekt 'Ausländer raus – Bitte liebt Österreich'", sah Christine Wahl für den Tagesspiegel (17.6.2016). "Man kann das natürlich platt finden. Aber Fakt ist, dass die Plattheit der Reaktionen diejenige der künstlerischen Konzepte bis dato leider noch immer um ein paar sehr erhellende Grade überstiegen hat. Auch angesichts des Tigerkäfigs dauerte es keinen Tag, bis besorgte Bürger, Institutionen und Medien sich – quasi hundertprozentig nach impliziter ZPS-Storyline – eher nach dem Tierschutz erkundigten als nach dem Schutz derer, die sich von den Tieren fressen lassen sollen." In Sachen Schlingensief kommt Wahl schließlich zur Feststellung eines entscheidenden Unterschieds: Während Schlingensief "die Ambivalenzen, mit denen er spielte, bewusst forcierte, neigt das 'Zentrum' zur Selbsterklärung: Man habe keine Lust, zynisch zu sein, klärte ZPS-Mitglied Theresia Braus bei der 'Bundeserpressungskonferenz' ausdrücklich die Inszenierungsintention. Aber man habe keine andere Wahl, wenn man den Zynismus der Politik mit seinen eigenen Waffen schlagen und so gewissermaßen gegen sich selbst wenden wolle."
"Es erhellt die Lage, in der wir uns befinden" urteilt Arno Widmann für die Frankfurter Rundschau (16.6.2016) im Angesicht der ZPS-Aktion. "Und wenn wir erst ein paar tausend Gesichter und Kurzbiografien vorliegen haben und dann bei den einen Daumen hoch sagen und bei den anderen Daumen runter, dann werden wir begreifen, dass wir das Spiel der römischen Imperatoren spielen. Dann begreifen wir auch, dass die europäischen Regierungen dieses Spiel schon seit Jahren stündlich aufführen", so Widmann. Die Tiger erinnern ihn daran, dass, "was uns heute im Fernsehen gezeigt wird als ein Geschehen zum Beispiel vor der libyschen Küste, der verzweifelte Kampf um ein nahezu aussichtsloses Überleben, eine große europäische Wohlfahrtsstaats-Tradition hat: Brot und Spiele. Das war schon immer ein Spiel mit der Not der anderen." Die neueste ZPS-Aktion sei wieder, so Widmann, eine, "die uns einen Spiegel vorhält. Einen, in dem wir uns nicht wiedererkennen mögen."
"Es stellt sich die Frage, was die Gruppe konkret bezwecken will. Geht es um eine Kritik an den Kriterien, die im Rahmen des Abkommens zwischen der EU und der Türkei für eine Einreise nach Europa gelten? Oder wird daran Anstoß genommen, dass überhaupt eine Auswahl getroffen wird und nicht alle Menschen nach Europa gelassen werden? Geantwortet hat das 'Zentrum für politische Schönheit' bisher nicht auf unsere Fragen", berichtet Ursula Kissel im Deutschlandfunk (18.6.2016).
Schön, dass Sie diesen Text gelesen haben
Unsere Kritiken sind für alle kostenlos. Aber Theaterkritik kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit Ihrem Beitrag, damit wir weiter für Sie schreiben können.
mehr nachtkritiken
meldungen >
- 17. April 2024 Autor und Regisseur René Pollesch in Berlin beigesetzt
- 17. April 2024 London: Die Sieger der Olivier Awards 2024
- 17. April 2024 Dresden: Mäzen Bernhard von Loeffelholz verstorben
- 15. April 2024 Würzburg: Intendant Markus Trabusch geht
- 15. April 2024 Französischer Kulturorden für Elfriede Jelinek
- 13. April 2024 Braunschweig: LOT-Theater stellt Betrieb ein
- 13. April 2024 Theater Hagen: Neuer Intendant ernannt
- 12. April 2024 Landesbühnentage 2024 erstmals dezentral
neueste kommentare >
-
Zentralfriedhof, Wien Hach!
-
Auswahl Radikal Jung "Fugue Four Response" aus Wien
-
Doktormutter Faust, Essen Erstaunlich gute Überschreibung
-
Medienschau Giesche Marginalisierte Positionen
-
Leser*innenkritik Ellbogen, Maxim Gorki Theater Berlin
-
Orden für Jelinek Ode an El Friede
-
Wasserschäden durch Brandschutz Rechnung
-
Medienschau Dt-Defizit Mitarbeiterrücken
-
ja nichts ist ok, Berlin Danke, Fabian!
-
Medienschau Hallervorden Stereotyp und einseitig
nachtkritikcharts
dertheaterpodcast
nachtkritikvorschau
Ja, schade, denn darum geht's!
nicht mal schlechte Kunst, sondern nur die Selbstinszenierung von Existenzen, die durch solche Effekthascherei ihr ego befriedigen wollen!
Hier geht's jetzt also um "Ausländer rein" und bei Schlingensief ging's aber um "Ausländer raus", oder? "Ausländer rein" klingt ja jetzt erstmal besser, ist dann aber doch genauso propagandistisch und medial ausschlachtbar wie "Ausländer raus". Hauptsache, das Rad bzw. Gespenst des Kapitals (siehe Herr Vogel) dreht sich weiter über die Zeit, leere Zeit, keine historische Zeit. Passend dazu: Der Trailer zur Flugbereitschaft klingt grausam. Schlimmste Charity-Propaganda. Aber Charity ersetzt bekanntlich keine gute Politik, welche eine Gesetzesänderung durchsetzen würde, wäre es ihr Ernst. Alles andere ist Theater/Inszenierung.
Und der Tiger bin natürlich ich, nicht "der Flüchtling", ist doch klar. Ich schaue in diesen Käfig und sehe mich - Stichwort: Spiegelneuronen. Und ich bin so schön in meiner Wildheit. Ich fresse ja grundsätzlich nur das, was ich nicht kenne, was mir fremd ist, das ist wahrer Kannibalismus. Hoffentlich werde ich nicht genauso von anderen wilden Menschentieren gefressen, das finde ich in echt nämlich gar nicht so toll. Gierig, im Sinne von hungrig (nach Lebensgenuss, Liebe usw.) darf ich sein. Ich bin damit aber noch lange nicht "der Raubtierkapitalismus". Denn ich will nicht immer mehr und mehr und mehr (Geld bzw. Finanzkapital) und führe keine zu diesem Zweck (medial beeinflussten) Kriege usw. Ich will nur leben, genauso wie ein Flüchtling nur leben will. In Frieden leben, nicht im Krieg. Ist schon irgendwie kinderleicht.
Die Zuschauer auf den Bildern der Homepage von "political beauty" sehen übrigens total lustig aus, als würden sie sich zu Tode amüsieren und/oder langweilen, während sie da sitzen, zuhören und Bier trinken. Nur die Tiger, die würden ziemlich sicher lieber frei sein und sich bewegen. Menschen sind wohl die einzigen Tiere, die zur Theater-Langeweile (nur zuschauen und zuhören, nicht mittun) fähig sind. Und genau darüber keine Tiere (mehr) sind/sein müssen, sondern sich als sprach- und zur Selbstreflexion fähige Wesen erweisen können. Menschen können sich als Nicht-Mensch erkennen, und das macht ihr Menschsein aus: Sich entscheiden zu können zum (aggressiven) Humanismus.
Beim Schreiben die Zeit totgeschlagen. Ich kann halt nicht in echt töten. Vertraut meinem Mensch-Sein. Und schließlich: Es gibt Zirkusleute, die schmusen mit Tigern. Tolle Nummer. Vertrauen muss man sich erarbeiten. Liebevolle Führung. Wer weiss, vielleicht ist der zu fressende Flüchtling ein Zirkusmitarbeiter? There's no business like show business. Rom - Roma - umgekehrt gelesen: amoR.
Was soll also dieser Unfug? Raubtierfütterungen schaue ich mir nicht einmal im Zoo an. Und schon gar nicht im Theater. Die Verfütterung von Flüchtlingen anzukündigen ist nicht einmal absurd. Es ist obszön und eventuell sogar dumm. Und um Dummheit zu besichtigen gehe ich nicht ins Theater. Da reicht ein Blick in die Television.
Die Penetranz, mit der ZPS Schlingensief kopiert, muss man aushalten können. Kunst soll alles dürfen, also darf sie auch plagiieren - um den Preis der Peinlichkeit. Von Interesse über den Tellerrand der Kunst hinaus würde das ZPS allerdings erst, wenn die Gesichter nicht mehr schwarz und die Realitätsanleihen nicht mehr von vornherein mit dem dicken Stempel "Das ist Kunst!" versehen sind.
Kurz und gut: Das ZPS macht es nicht unklug (denn unklug sind Ruch & Co. vermeintlich nicht), aber sie machen es sich zu einfach. Und, hey du, Kunst, du, Theater, wo bleibt eigentlich deine Auseinandersetzung mit der AfD, mit Petry, Gauland & Co.? Das wäre ein gefundenes Fressen für den Tiger! So aber merkt man an Hegemann im Speziellen und an der ZPS im Allgemeinen wieder einmal nur, dass Schlingensief leider wirklich tot und die Kunst in ihrer Selbsterhöhung den Niederungen der Realität nicht gewachsen ist.
mehr noch, ich empfinde eine Verunglimpfung der Realität, eine Beschädigung der Wahrheit durch eine solche Art von Kunst.
Aber das war ja im Barock kaum anders. Nennen wir es eine neobarocke Verunglimpfung des Wahrhaftigen.
Vielen Dank für Ihre wunderbaren Ausführungen. So eine klare und kluge, messerscharfe Analyse bringt alles auf den Punkt. Ich hätte es besser nicht beschreiben können. Exzellent. Mit einem Kommentar quasi eine lang geplante und aufwendig inszenierte Aktion auszuhebeln und in ihren Grundgedanken zu pulverisieren. Das kann nun wirklich nicht jeder. Dafür muss man prädestiniert sein. Warum arbeiten Sie denn nicht an einem Theater? Vielleicht als Dramaturg? Ich würde es mir wünschen. Dann würde solch schmutzige Kunstaktion oder auch sonstig vernebelter Theatermumpitz wie am Gorki üblich schon im Keim erstickt werden. Ich danke Ihnen zutiefst, Herr Baucks.
Sie sind der Beste!
http://www.zeit.de/2006/52/charity-geschaeft/komplettansicht
Das ganze Setting ähnelt vom Geist her, aber auch ästhetisch einer Realityshow von RTL2 mit echten Tigern, welche die „Echtheit“ der Absichten beglaubigen sollen, obwohl alle Beteiligten gecastet sind. Offensichtlich sogar die freiwilligen Selbstmörder. Denn es dürfte kein Zufall sein, dass als erste eine syrische Schauspielerin sich als Freiwillige zur Raubtierfütterung der Öffentlichkeit vorstellt. Auch hier wieder die Oszillation zwischen Realem und realem Fake, beziehungsweise einer Simulation, denn niemand kann tatsächlich unterscheiden, ob die Tränen der Darstellerin echt sind oder nur gespielt. Die Schauspielerin wiederum benutzt, ähnlich einem Realfake in sozialen Netzwerken, ihre eigene Biographie, um die Echtheit ihrer Absichten zu unterstreichen.
Sobald aber diese Absichten in die Wirklichkeit überführt würden, wäre die ganze Aktion eindeutig eine Straftat, eben eine öffentlich organisierte Beihilfe zu einem mehrfachen Selbstmord, und Erpressung eines demokratischen Parlamentes durch die Androhung dieser Selbstmorde. Mit diesem Changieren spielen die Macher. Das mögen einige für Kunst halten, andere für eine Geschmacklosigkeit, was auch immer, denn in jedem Fall ist es eine Täuschung, so oder so. Man kann in dieser Täuschung auch Spiegelungen vermuten. Ob sie aber absichtlich sind, darf man bezweifeln. Denn letztendlich ist es nur die Travestie einer pervertierten Zirkusnummer, ausgetragen auf dem Rücken echter Leiden. In der Methodik und Ausführung gleicht es einer Realityshow und spiegelt diese Struktur nicht, und ist in sofern ebenso schädlich für die Wahrheit, wie "Bauer sucht Frau".
https://text030.wordpress.com/2016/06/23/eine-umstrittene-aktion-des-zentrums-fuer-politische-schoenheit/
Ich find's einfach toll, dass in dieser Aktion beschrieben wird, was Gauck zukünftig tun wird. Mensch, welch ein Vertrauen das ZpS doch in unseren wunderbaren Staatspräsidenten setzt! Herr Gauck, retten Sie wenigstens Joachim, äh nein, Arne. Auch, wenn der blöderweise so ein Palituch oder wie heisst das noch genau auf dem Kopf hat. Lassen Sie ihn nicht sterben. Bitte. Er ist einer von uns. Er hat doch nur ein Tuch auf. Alle gehören der Familie der Namenlosen an, der namenlosen Menschen.
http://tell-review.de/wo-beginnt-der-zynismus/
"Zynismus, also Menschenverachtung, beginnt dort, wo wir anderen nicht zugestehen, was wir für uns selbst in Anspruch nehmen."
Wer sagt denn das? Warum bzw. wer "von uns" (dieses konstruierte "wir" gibt es sowieso nicht) würde Flüchtlingen nicht zugestehen, das Flugzeug zu nehmen? Was ist das für eine Annahme der Autorin über (aggressiven) Humanismus? Es geht hier ausserdem nicht um Gegenseitigkeit, sondern vielmehr um Kant: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Ich würde deswegen auch nicht sagen, dass es dem ZpS um Schuld geht, sondern eher um Aufklärung und daraus folgende Verantwortung.
Die Sache mit dem Fußballterror ("Wir sind Deutschland"-Gefühlsspektakel) gegenüber dem Flüchtlingsthema kann ich gut nachvollziehen. Um Fußball kümmern sich gerade wieder alle, um den (Flüchtlings-)Alltag von Menschen eher kaum. Und dieses Beförderugsgesetz, das kannte ich tatsächlich vorher auch nicht, man kennt ja oft nur das, was einen selbst betrifft - ohne Wertung, sondern einfach fehlendes Wissen. Ich frage mich auch, wer da dann eigentlich soviel spenden kann oder ob das alles Kleinspenden von vielen sind. Zumal, wenn man dann auch noch selbst mitfliegen kann. Warum das? Vielleicht gebraucht das ZpS ja auch nur die (möglicherweise vorhandenen, muss nicht, kann aber) Schuldgefühle der Reichen und Namhaften zu einem guten Zweck?
Übrigens, Arne sieht aus wie eine Frau. Ob Herr de Maizière wohl eher Frauen auswählen würde, weil sie dann ja wenigstens einen deutschen Mann (als pater familias) heiraten könnten? Wäre ja schrecklich, wenn da so Patchworkfamilien entstehen würden, so freie "wilde Ehen", wie es früher mal hieß. Im Ernst, wer braucht heute noch so einen urdeutschen Vater? Diese Form von (materieller) Sicherheit mitsamt Ehegattensplitting und Rentenausgleich für die Kindererziehung (Erziehung hier wohl eher gemeint als Ziehen, Formen und Anpassen) durch die Frauen ist heute bei der Mehrheit wohl eher passé. Ich schreibe zuviel, ich weiss, und ich will hier gar nichts, ausser mich selbst kennenlernen.
http://www.morgenpost.de/berlin/article207741515/Fluechtlinge-fressen-Air-Berlin-sagt-Flug-ab.html
Liebe nachtkritik-Redaktion. Warum wird so ein verleumderischer Unsinn unkommentiert stehengelassen?
(Lieber Sascha Krieger, Sie sind ein Blitzmerker. Der Satz ist gelöscht worden – Sie hatten nämlich völlig Recht mit Ihrer Anmerkung, dass wir ihn von vornherein nicht hätten stehen lassen sollen. Ich danke Ihnen hiermit noch einmal ausdrücklich. Schöne Grüße, Sophie Diesselhorst/Redaktion)
Ich meine nämlich, dass seine Sicht auf das ZpS eben genau und allein seine eigene, von Schuldgefühlen geplagte Sicht ist, was er sogleich aber verallgemeinernd vor allem den Anhängern des ZpS (als wären die eine homogene, immer gleiche, willenlose, amorphe Masse) unterstellt. Es geht meines Erachtens auch nicht darum, einen Tribut zu leisten, so sehe ich das einfach überhaupt nicht. Nein, gerade weil und nur wenn man sich richtig und ohne Schuldgefühle gut und glücklich fühlt, erst dann ist man wirklich offen für andere und anderes. Sonst macht man es immer nur für sich selbst. Das ist schon in der Kindererziehung so, man sollte reflektieren können, was man selbst will und kann, wo die eigenen Grenzen liegen, anstatt Regeln für alle setzen zu wollen. Moralische Schönheit ist ja nichts, was man sich anziehen kann, es ist kein "interesseloses Wohlgefallen" (Kant) an etwas, sondern eher der kategorische Imperativ von Kant, wie ich oben schon versuchte zu beschreiben. Ja, und jetzt geht's blöderweise wieder um den perlentaucher, die Diskussion verzettelt sich mal wieder, jede/r versucht, sie an das eigene Interesse anzupassen, aber mal ganz grundsätzlich: Ist das, was das ZpS macht, denn jetzt Literatur? Warum schreibt der Ullrich denn dann überhaupt eine "Literaturkritik" zum ZpS? Müssen sich halt irgendwie alle dazu äussern. So ist das wohl. Ich auch.