Presseschau vom 20. Juni 2016 – Barbara Behrendts Eröffnungsrede der Autorentheatertage am DT Berlin veröffentlicht in der taz

Mehr Zeit, mehr Kunst

Mehr Zeit, mehr Kunst

20. Juni 2016. Die taz dokumentiert die Rede, die Barbara Behrendt als Jury-Vorsitzende zur Eröffnung der Autorentheatertage am Deutschen Theater Berlin gehalten hat. Darin appelliert sie an ein Theater, das den Fernsehbildern nicht zu sehr hinterherhecheln sollte.

Theater sei vorrangig kein Informations-, sondern ein Reflexionsmedium. Es fehle in dieser globalen Kommunikationsgesellschaft nicht an Möglichkeiten, an fundierte politische Berichte von kompetenten Beobachtern heranzukommen. "Dieser öffentliche Auftrag ist also bereits vergeben – und zwar, zu Recht, nicht ans Theater", so Barbara Behrendt in der taz (20.6.2016).

Ein Theater, das in seinen Bildern nur den Fernsehnachrichten hinterherhechele "macht sich kleiner, als es ist." Mehr als in der Schnelligkeit der Reaktion liege die Fähigkeit des Theaters darin, uns in tieferen emotionalen und intellektuellen Schichten zu erreichen, uns mit unseren Ängsten und uneingestandenen Widersprüchen zu konfrontieren. "Das alles ist keine Neuigkeit. Aber es schien mir im vergangenen Jahr tatsächlich so, als hätten viele Bühnen das aus den Augen verloren, weil ihre menschliche Sorge um die Flüchtlinge, ihr bewundernswertes Engagement zu politischem Gesinnungseifer mutierte." So wurde das Flüchtlingsthema im Theater unversehens zum Trend, mit dem man sich seiner eigenen Relevanz versichern konnte.

"Beim zweiten Blick sollte man sich daran erinnern, dass das Theater auch in der Demokratie von Konformismus, von zu viel Konsens bedroht sein kann." "Ich glaube, dass ein Theater, das seine Aktualität mit so großen Worten ins Schaufenster stellt, nur eines sein kann, das den Glauben an sich selbst und seine eigenen Mittel schon verloren hat." Sobald ein Thema medial Konjunktur hat, sobald wir uns darüber ohnehin informiert fühlen, komme es im Theater umso mehr auf die Form an, in der das Thema verhandelt wird. "In diesem Fall gilt die Umkehrung des Shakespeare-Zitats 'Mehr Inhalt, weniger Kunst'."

Es müsse erlaubt sein, auch mitten in einer großen gesellschaftlichen Krise, dass ein Autor sich mit Liebe, Tod, Sehnsucht auseinandersetzt, ohne dafür den Vorwurf zu kassieren, das sei unwichtig oder überflüssig. "Auch ich kann, wenn ich mich ehrlich befrage, nicht von mir behaupten, jede Nacht von Geflüchteten, von IS-Entführern oder der Griechenlandkrise albzuträumen. Auch wenn es natürlich angebracht wäre, das zu tun. Und politisch korrekt, es zu behaupten." Wir sollten uns keine Sorgen machen, dass das Theater für ein politisches Thema zu spät dran wäre.

"Die Krise der europäischen Gesellschaft, allen voran das Flüchtlingsproblem, ist nicht nur tagesaktuell." Dieses Thema werde uns, das wissen wir doch alle, noch Jahre und Jahrzehnte begleiten. "Man darf und muss es Autoren also nicht nur zugestehen, sondern sie vielleicht sogar dazu aufrufen, sich die ein, zwei Jahre Zeit zu nehmen, die es braucht, um ein wirklich kluges, vielschichtiges, bewegendes Stück dazu zu schreiben. Wenn das Thema von den Medien längst durchgekaut und wieder ausgespuckt sein wird, dann ist die Stunde des Theaters gekommen."

(sik)

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