Gedanken sind Nebensache

von Gerhard Preußer

Essen, 25. Juni 2016. Maria gibt dem Stück den Namen, doch Elisabeth ist die bessere Rolle, immer schon. Die Böse ist interessanter als die Geopferte. Also stellt Anna Bergmanns Inszenierung von Schillers "Maria Stuart" die englische Königin an den Anfang, nicht die schottische. Rücklings liegt sie (Stephanie Schönfeld) da und lässt ihr rotes Haar frei baumeln, ihr Alter Ego geht als Kind vorbei, und mit höhnischem Gelächter plant sie den Tod ihrer Rivalin.

So mit diffuser Zeichenvielfalt überinstrumentiert geht es weiter: Im großen Marmorrahmen (Bühne: Florian Etti) liegt Maria (Janina Sachau) mit weitem, weißem Tüllgewand (Kostüme: Claudia González Espíndola). Vier ehrwürdig ausstaffierte Lords kommen zu ihr. Sie sprechen nicht. Wir sind im Stummfilm. Nur kurze Übertitel werden projiziert. Umso deutlicher die Gesten.

War es also gemeint?

Auf den Stummfilm des ersten Akts folgt das Historiengemälde, im fünften Akt dann Gegenwartsfiktion mit Anzug und Krawatte. Kalkulierter stilistischer Eklektizismus, ein Sammelsurium der Inszenierungsstile, das könnte spannend und erhellend sein, wenn dadurch verschiedene Seiten der alten Scharteke aufgeblättert würden. Doch der Stummfilm war die beste, die einzige Idee: nonverbale Expression. Das hält die Inszenierung zusammen, eint die Splitter unterschiedlicher Bildbereiche. Skurrile Übertreibungen sind dabei gern gesehen: Elisabeth besteht bei ihren Ratgebern auf Begrüßung durch solistisches A-Cappella-Singen der Nationalhymne. Großschatzmeister Burleigh (Axel Holst) krächzt nur stotternd schief. So zeigt man Machtbewusstsein, so denunziert man es.Maria Stuart3 560 Birgit Hupfeld uKunstblutspuckender Todeskampf: Janina Sachau als Maria, beobachtet von Stephanie Schönfeld
als Elisabeth © Birgit Hupfeld

Und vor allem: Aktion, Aktion! Tanz und Gesang: Maria darf singen, wirbelnd Lebenshunger demonstrieren unterm Glitzerschnee. Eine Vergewaltigung: Maria wird von Mortimer (Philipp Noack) herumgeschleift und im Moment des gewaltsamen Koitus tritt auf – Elisabeth. Eine schöne Perversion: Leicester (Thomas Meczele) schlägt Elisabeth nicht nur mit dem Handschuh ins Gesicht, sondern auch mit verachtendem Genuss auf den nackten Po, nachdem sie hündisch auf allen Vieren zu ihm gekrochen kam. Politische Macht führt zu privatem Masochismus oder Triebunterdrückung zur Perversion. Liebe Regisseurin, war es also gemeint?

Schnell gesprochen ist halb gewonnen

Ein Attentat: Aus dem Zuschauerraum wird auf die Königin geschossen. Das gibt Chaos, die Bühnenmaschinerie wirbelt, aus den Lautsprechern dröhnt Klanggeschnitzel, das Personal brüllt improvisierten Text. Ein Fechtkampf: Leicester ersticht Mortimer, ausführlich. Eine Hinrichtung: Maria wird festgeschnallt, die Kabel werden eingesteckt, schon blinkt der Monitor gefährlich rot, dann wird der Hebel umgelegt: der elektrische Stuhl wird symbolisch umgebaut zum elektrischen Kruzifix. So hängt Maria christusgleich an der Wand. In Großaufnahme sehen wir minutenlang ihren Kunstblut spuckenden Todeskampf.

Die böse Königin in Rot erledigt nun noch ihre Hofmännlein und wenn alles dann getan ist, wirft die tote Maria-Jesus-Figur vom Kreuz herab doch noch einen strafenden Blick auf das Miststück Elisabeth: ach, du Schreck. Ein letztes Augenzwinkern, nichts war ernst gemeint. Von den vielen Möglichkeiten der Kunst, die Schauspieler vor der gedanken- und bilderreichen Sprache Schillers zu retten, wählt die Inszenierung die gängigste: Schnellsprechen. Man suche eine Emotion, die aus der Kommunikation entsteht, finde eine entsprechende Haltung, schon rollt der Satz heraus. Welchen Gedanken der Satz formuliert, ist gleichgültig. Nur die Satzmelodie wird gehört. Schillerschnellsprechoper.

Notlösung Tragödienschluss

"Maria Stuart" ist auch ein Kolportageroman, eine Königinnenschmonzette. Das führt die Inszenierung uns genüsslich vor. Aber Schiller ist nicht nur ein Effektehascher, sondern auch ein Gedankenkonstrukteur. In seiner ziemlich unchristlichen Kunstreligion manifestiert das Erhabene die autonome Würde des Menschen. Sein Tragödienschluss läutert die sündige Maria durch ihre erhabene Todesbereitschaft – ausgerechnet indem sie als katholische Märtyrerin stirbt. Das war schon zu Schillers Zeiten eine unbefriedigende Notlösung. In Essen wird aus der peinlich ausgebreiteten Beicht- und Abendmahlsszene ein Monolog Marias ohne Priester. Aber nicht einmal religiösen Fanatismus zeigt uns die Großaufnahme, nur ein leicht verstörtes Selbstgespräch.

Kein Gedanke wird wirklich verfolgt: nicht die Kritik der Geschlechterrollen, nicht die Kritik der Staatsräson, nicht der Widerspruch von Triebnatur und Geistesfreiheit. Alles nur schnell abgetan zugunsten you-tube-würdiger Schauerspaßeffekte.

 

Maria Stuart
von Friedrich Schiller
Regie: Anna Bergmann, Bühne: Florian Etti, Kostüme: Claudia González Espíndola, Sounddesign: Heiko Schnurpel, Dramaturgie: Jana Zipse.
Mit: Stephanie Schönfeld, Janina Sachau, Thomas Meczele, Jens Winterstein, Axel Holst, Philipp Noack.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.schauspiel-essen.de

 

Kritikenrundschau

"Die üblichen Performance-Krümel, die diesen Abend nicht würzen (Pop-Songs etc.) sind so wenig nachhaltig wie Bergmanns Bemühungen, den Stoff mit Kampfsport oder Sex aufzuladen", findet Lars von der Gönna in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (27.6.2016). "Wozu Janina Sachau (Maria) und Stephanie Schönfeld (Elisabeth) es unter anderer Deutungshoheit gebracht hätten, bleibt Spekulation."

Bergmanns Inszenierung hänge dem Klassiker ein modern geschneidertes Mäntelchen um, das mal mehr und mal weniger gut passe, so Kai-Uwe Brinkmann in den Ruhrnachrichten (27.6.2016). Nach einer Auflistung der Argumente kommt die Kritik zum Schluss: "Eines ist die Inszenierung sicher: kurzweilig, unterhaltsam, ein Fest fürs Auge."

Gerrit Stratmann hat einen "spannenden zweistündigen Abend" erlebt, der aus Elisabeths Perspektive erzählt werde, wie er auf  WDR 3 (27.6.2016) berichtet. Am Anfang der Inszenierung stünden Elisabeths Ängste. Die inszenatirsche Wende finde statt, wenn Elisabeths Leben durch ein Attentat gefärdet werde. "Anna Bergmann hat sich schon ein paar Freiheiten herausgenommen, setzt dadurch aber auch eigene Akzente."

"An ungewöhnlichen Ideen herscht an diesem Abend kein Mangel", so Stefan Keim auf WDR 5 (27.6.2016). Teifgreifende Seelenstudien böten die Essener Schauspieler nicht. "Hoffnung gibt es nirgendwo, nur Perversion und Wahnsinn" – diese Botschaft verpacke Bergmann sehr unterhaltsam mit einigen platten und vielen originellen Einfällen.

"Die Figuren kommen buchstäblich nicht zum Atmen", schreibt Martin Krumbholz in der Süddeutschen Zeitung (29.6.2016). Dass ihr nichts einfalle, könne man der Regisseurin nicht vorwerfen. "Allerdings ist sie bei der Auswahl ihrer Einfälle nicht sehr wählerisch. Und auch nicht in der Verbesserung der Schiller'schen Dramaturgie." Erst am Ende hätte die Regisseurin ihre Mittel erschöpft. "Vom Stummfilm-Melodram zum Rollendiskurs, vom Wams zum Nadelstreifen, vom schulmäßigen Fechten zum Horrorvideo: Das ist denn doch ein bisschen viel auf einmal."

 

Wozu Janina Sachau (Maria) und Stephanie Schönfeld (Elisabeth) es unter anderer Deutungshoheit gebracht hätten, bleibt Spekulation.

Schillers „Maria Stuart“ in Essen an Mode-Mätzchen verraten | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
http://www.derwesten.de/kultur/schillers-maria-stuart-in-essen-an-mode-maetzchen-verraten-id11952049.html#plx1497403855

Die üblichen Performance-Krümel, die diesen Abend nicht würzen (Pop-Songs etc.) sind so wenig nachhaltig wie Bergmanns Bemühungen, den Stoff mit Kampfsport oder Sex aufzuladen.

Schillers „Maria Stuart“ in Essen an Mode-Mätzchen verraten | WAZ.de - Lesen Sie mehr auf:
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