"Sonst geht es gar nicht"

17. Juli 2016. "Hat Matthias Lilienthal einen Jahrmarkt aus einem der ehrwürdigsten Sprechtheater des Freistaats gemacht?", fragt Annette Walter in der tageszeitung zum Ende von Lilienthals erster Spielzeit an den Münchner Kammerspielen. Die Zahlen sprächen für ihn: "Ihm ist es nicht nur gelungen, die Auslastung der vorherigen Saison bei 75 Prozent zu halten, und das, wie er selbst im Gespräch äußert, 'bei einem starken ästhetischen und inhaltlichen Wechsel'." Er habe das Publikum verjüngt (der Anteil von Studierenden stieg von 15 auf 30 Prozent), dafür Teile der Bürgertums verloren.

Die Saison fasst Walter mit den Worten zusammen: "Neues wagen, Mut beweisen, freie Gruppen auf die große Bühne holen, kurzum: jünger, fragmentarischer, subversiver. Das tut München gut, wo es ja in gediegenen Häusern Residenz- und Volkstheater starke Konkurrenz gibt." Als Akzente nennt sie das Welcome Café mit Flüchtlingen, die neu installierte Bar, die Gesprächsreihe mit Chris Dercon sowie mehrere gute Konzerte.

Dem oft gehörten Vorwurf "Wir wollen mal wieder Theater sehen", der auch im nachtkritik-Podcast zum selben Thema geäußert wurde, setzt Walter entgegen, dass Lilienthal die Unterscheidbarkeit der drei Münchner Sprechtheater in München forciere. "Seine Kritiker wird das nicht besänftigen, sie eint die Sehnsucht nach Vertrautem: konventionelles Sprechtheater und Bühnenprotagonisten, mit denen man mitfühlen kann, am besten möglichst nahe am Originaltext. Dieselben Kritiker verkennen leider, dass München in Sachen Pop mittlerweile den Anschluss an Köln, Berlin und Hamburg verloren hat und ein kontroverses, von jungen Leuten besuchtes Theater deshalb wichtig ist für die Stadt." Außerdem habe es viel Schauspiel gegeben, Walter nennt Rocco und seine Brüder von Simon Stone, Wut von Elfriede Jelinek oder Mittelreich von Anna-Sophie Mahler. Lilienthal nehme die Kritik sportlich: "Ich muss drei Jahre durchhalten. Sonst geht es gar nicht."

(geka)

 

Mehr zu Matthias Lilienthals erster Spielzeit an den Münchner Kammerspielen gibt's im nachtkritik-Podcast.

Kommentare  
Presseschau Lilienthal: enttäuschend
Da hat die Berliner taz wohl einen etwas verschobenen Blick auf die Münchener Verhältnisse. Niemand, der in den letzten Monaten mehr als einmal im Schauspielhaus war, kann ernsthaft eine Auslastung von 75% Prozent glauben. München war auch vor Lilienthal nicht hinter dem Theater-Mond, alle zum Teil uralten freien Gruppen waren bereits zuvor in München, mit deutlich besseren Arbeiten übrigens (Spielart). Und natürlich verwundert ein Anstieg der Studententickets nicht bei einer Flatrate für ebendiese; nur sind es halt auch immer die gleichen Leute, die nur öfter kommen. Alles in allem bleibt die erste Spielzeit enttäuschend, selbst wenn die alten Berlin-Buddies etwas anderes sehen.
Presseschau Lilienthal: Frage
75% Auslastung? - würde gerne mal wissen wie die Auslastung der Kammerspiele aussähe ohne den Polt-Abend auf dem Spielplan.
Presseschau Lilienthal: Verzweiflung
"4 STÜCKE // 66 EURO // VVK AB DEM 1. JULI 2016 - 66 EURO AUF ALLEN PLÄTZEN" von der Homepage der früheren Kammerspielen. Klingt doch eher nach Not und Verzweiflung als hätte man ein neues Publikum gefunden.
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