Hauptstadt der Frustration

von Esther Slevogt

21. Juli 2016. Nein, er bereue nicht, im Herbst 2014 "Ja" gesagt zu haben, als Tim Renner ihn angerufen habe, um ihm die Intendanz der Berliner Volksbühne anzutragen. Wie zur Untermauerung zieht Chris Dercon aus dem Revers eine Streichholzschachtel mit dem Aufdruck "Still Alive" hervor – sie stammt aus der letzten Volkbühnen-Streichholzschachtel-Kollektion des verstorbenen Chefbühnenbildners Bert Neumann. Doch so recht mag man das an diesem Abend im Berliner Roten Rathaus nicht glauben. Der Mann sieht angeschlagen aus.

streichholzer 280 uZusammen mit HAU-Intendantin Annemie Vanackere, dem neuen Direktor der Stiftung Stadtmuseum und Humboldtforumskurator Paul Spies und Matthias Schulz, der ab 2018 Intendant der Staatsoper wird, saß Dercon auf einem Podium, um über die "Zukunft der Kulturmetropole Berlin" zu diskutieren. Die Veranstaltung fand im Rahmen des "Berliner Rathaus-Dialog" statt – einer Veranstaltungsreihe, die im vergangenen Jahr vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller ins Leben gerufen wurde, um seinen Amtssitz auch zum Ort für gelegentliche Gespräche mit der Stadtgesellschaft zu machen, wie er in seiner Begrüßung unterstrich.

Im Prinzip ist das ja sehr löblich. Im konkreten Fall mutete es dann aber doch merkwürdig an, dass Chris Dercon, diese aktuell umkämpfteste Personalie der Berliner Kulturpolitik, sich nirgends öffentlich in der Sache zu Wort meldet, keine Interviews vor dem nächstem Frühjahr geben will und nun aber bei einer Veranstaltung unter dem Dach der Berliner Stadtregierung auftritt, die ihn berufen hat; einer Veranstaltung auch, die aber "by appointment only" also nicht wirklich öffentlich angekündigt und zugänglich ist.

Nichts als Sprechtheater in Berlin

Der Andrang war entsprechend. Vertreter vieler Berliner Kultureinrichtungen durchschritten den Wappensaal des Rathauses Richtung Festsaal, wo das Podium aufgebaut war. Aber dann kam eigentlich nichts von Dercon. Das muss man leider so sagen. Außer der verbitterte Joke, in Berlin gebe es überall nur Sprechtheater: in den Büros der Parteien, in den Verwaltungen, auf den Bühnen, eben überall, auch hier im Berliner Rathaus auf dem Podium jetzt. Berlin sei überhaupt die Hauptstadt des Sprechtheaters. Damit zielte er wohl auf die Skepsis, die seine Pläne hervorgerufen haben, die Volksbühne auch für Tanz und Performance zu öffnen.

dercon1 280 uChris Dercon im Berliner RathausKurz zuvor hatte Chris Dercon noch befunden, dass Berlin die Hauptstadt der Selbstbeobachtung sei, und damit manchmal übertreibe. Das sei auch nicht sehr gesund. Auch von der Hauptstadt der Selbstüberschätzung sprach er warnend. Er habe hier lauter deutsche Wörter gelernt, die er vorher noch nicht kannte: neoliberaler Repräsentationswahnsinn, Eventschuppen und zuletzt Ausräuchern. Einen neuen Namen hätte er auch gelernt "Reiner Schleef". Ein paar Lacher im Saal. Aber Dercon sieht nicht sehr fröhlich aus, als er das sagt. Denn damit bezog er sich auf das negative bis katastrophale Echo, das aus der Volksbühne nach einer Mitarbeiterversammlung in die Berliner Presse drang: nachdem einige Mitarbeiter der Volksbühne (darunter einige ihrer prominentesten Künstler*innen) in einem Offenen Brief nach dem Auftritt der neuen Leitung ihre Sorge um die Zukunft des Hauses zum Ausdruck gebracht hatten. Dieser Sorge hatte Chris Dercon auch jetzt wenig entgegenzusetzen. Während Matthias Schulz und Paul Spies gut gelaunt und voller Tatendrang über ihre perfekt eingetüteten und durchkonzipierten Neuanfänge parlierten, Annemie Vanackere fröhlich wie kämpferisch die Altberliner Streiterin im Förderdschungel gab und berichtete, wie sie sich einst selber um die HAU-Intendanz beworben hätte, wirkte Dercon grau und müde.

Polleschs Sprech-Denk-Theater

Zur Zukunft der Volksbühne sagte er wenig. Er wolle eine Öffentlichkeit schaffen für unterschiedliche Formen der Darstellenden Kunst und die Möglichkeit, das diese Formen in Austausch miteinander treten können: Sprechtheater, Sprech-Denk-Theater, aber auch Tanz und Film. Er nannte noch einmal die Namen, die bereits bei der Pressekonferenz vor einen Jahr gefallen sind: Alexander Kluge, Susanne Kennedy, Mette Ingvardsen, Anne Teresa de Keersmaeker und Boris Charmatz. Auffällig oft huldigte er seinen tollen Teams: seinem Vorbereitungsteam in Berlin, seinem Team in London (wo er noch bis Ende August in charge bei der Tate Modern ist) und besonders dem tollen Team in der Volksbühne, mit dem er schon so gut zusammenarbeite. Er wand kleine Kränze für René Pollesch und dessen "Sprech-Denk-Theater" und Bert Neumann, der nicht nur ein großer Bühnenbildner, sondern auch ein großer Stadtarchitekt gewesen sei. Er deutete eine geplante Zusammenarbeit mit dem Berliner Kunstmagazin Starship an und stellte sogar in Aussicht, schon im September Erstes zur Bespielung des Hangars am Flughafen Tempelhof bekanntgeben zu können.

Die Zweifel bleiben

spiel schulz280 uMatthias Schulz und Paul Spies Aber wer gehofft hatte, hier irgendeines visionären Funkens, irgendeines gewinnenden Gedankens teilhaftig werden zu können, wurde enttäuscht. Berlin sei eine frustrierte, mürrische Stadt, sagte Dercon frustriert und mürrisch, während Schulz und Spies kaum zu bremsen waren in ihrer Begeisterung darüber, dass alle coolen Leute dieser Welt gerade nach Berlin drängten. Warum tut der Mann sich das an? Die Intendanz, aber auch dieses Podium, wenn er nichts Wirkliches zu sagen hat. Warum schürt er mit einem solchen Auftritt Erwartungen, wenn er sie gar nicht erfüllen kann oder will? Hat die Politik ihm diesen Auftritt verordnet? Doch wie will einer vom Schoß der Politik aus erfolgreich ein Haus wie die Volksbühne leiten?

Am Ende bat Chris Dercon um Zeit und Fairness, seine Intendanz vorbereiten zu können. Die beginne erst im September 2017 und nicht schon im September 2016. Und er bat um Faktencheck, bevor man Dinge über ihn und seine Pläne für die Volksbühne verbreite. Faktencheck. Genau. Deswegen bin ich zu diesem Termin gegangen. Und in der großen Hoffnung, dass ein Funke überspringt.

 

Berliner Rathaus-Dialog
Die Zukunft der Kulturmetropole Berlin
Mit: Chris Dercon, Annemie Vanackere,  Matthias Schulz, Paul Spies. Moderation: Katja Schlesinger.
Grußwort: Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin

www.berlin.de

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Kommentare  
Dercon spricht und schweigt: nicht müde
Mein Eindruck gestern Abend war ganz und gar nicht, dass Chris Dercon grau und müde wirkte, ganz im Gegenteil. Ich fand' nur die grundsätzliche Fragestellung des Abends - wie die kulturelle Zukunft Berlin aussähe - unglücklich gewählt. Auf dem Podium war Annemie Vanackere die einzige mit immerhin vier Jahren Berlin-Erfahrung. Die anderen Drei waren Berlin-Neulinge und entsprechend holperig fand ich zu dem Thema ihre Antworten.
Dercon spricht und schweigt: war doch klar
Und genau deshalb bin ich nicht hingegangen. Es war klar, dass da nichts Konkretes kommen wird. Auch Spies hat übrigens noch nichts Konkretes in der Hand, er präsentiert das nur geschickter. Augenblicklich läuft die große Veralberung der Berliner Kulturszene. Aber da hat der Dercon genaugenommen recht: Hier ist derzeit alles Theater. Schlechtes Theater.
Dercon spricht und schweigt: kein Ponyhof
Also das klingt fast so, als hätte Dercon Berlin und seine Sprache nicht verstanden. Selbstbeobachtung, Selbstüberschätzung, Frustration und mürrisch sein - das alles zeichnet die Berliner Seele und deren Kunst ja erst aus, die Vobü unter diesen Gesichtspunkten bisher als theatralisches Flaggschiff. Was denkt er denn, wo er hier hinkommt? Berlin ist kein Ponyhof und will auch keiner sein. Leider ist das immer noch nicht bei der (insbesondere Kultur-)Politik angekommen. Und das es angeblich überall nur Sprechtheater in dieser Stadt gibt ist ein weiteres, trauriges Indiz dafür, dass er wirklich keine Ahnung von Theater hat. Eine künstlerische Vision und Idee lässt sich eben nicht auf politischen Knopfdruck und mit reingebutterten Millionen herstellen.
Dercon spricht und schweigt: Kulturschickeria
Genau das ist der Punkt: die Leute kennen nicht Berlin. Sie kennen ein Klischee von Berlin, haben in dieser Stadt nichts erlebt, sich nicht in ihr/mit ihr entwickelt und bringen naturgemäß nichts anderes mit als die Festivalstars der Achtziger und ein lehrerhaftes Gehabe. Klar, die haben ihn wohl geprägt, aber nicht uns. Ich behaupte, dass Murks den Europäer mehr mit der Stadt zu tun hatte als je eine Ann Teresa de Kersmaeker. Diese subtilen Prozesse kann man nicht verstehen, wenn man sich nur unter der Kulturschickeria bewegt. Die steht nämlich nicht auf spezifische Prozesse, die ist nämlich überall gleich. Und gerade die behauptete Weltoffenheit der Kulturschickeria ist das nämlich in Wirklichkeit nicht. Weltoffen zu sein würde bedeuten, wirklich zu suchen: abseits des international Kompatiblen, im Spezifischen.
Dercon spricht und schweigt: fehlende Vision
Sie dürfen der Beschreibung der Veranstaltung von Esther Slevogt im vollen Umfang vertrauen. Man könnte noch ein, zwei inhaltliche Punkte hinzufügen, beispielsweise, dass Dercon zurecht darauf hinwies, dass Berlin, mit Blick auf die aktuelle Situation in der Türkei, sich in Zukunft noch mehr mit der türkischen Bevölkerung auseinandersetzen muss. Aber ich denke, dass wird das Gorki schon leisten.

Es fehlt einfach geradezu schmerzhaft eine Vision von einer neuen Volksbühne, wenn man Dercon zuhört. Er kann den selbst geschaffenen Begriff „Sprech- und Denktheater“ nicht mit Inhalten füllen, vermag es nicht eine Phantasie dazu im Zuhörer auszulösen. Man rätselt darüber, was er wohl meinen könnte. Zu sehr klammert er sich an Pollesch. Zu deutlich spürt man, dass dieser Künstler ihm schon jetzt zu sehr am zukünftigen eigenen Haus fehlen wird. Er hat offensichtlich anfänglich auf Leute gebaut, wohl auch auf Castorf und Fritsch, die ihm gar nicht zur Verfügung stehen. Dercon schafft es nicht sich von ihnen abzusetzen, abzugrenzen. Er zeigt eine Streichholzschachtel vom verstorbenen Bert Neumann und sagt, es sei sein Talisman. Er denkt die Volksbühne immer noch in ihren alten Zusammenhängen.

Und dann, es ist schrecklich, er kann dies riesige Kapital an Aufmerksamkeit, dass er durch den Streit und die Debatte erhalten hat, nicht umsetzen. Er ist eingebettet in eine Kulisse von Argumenten und Streitbarem, greift aber nur, obwohl Müller in seiner Rede zurecht bemerkte, die geäußerten Bedenken der Volksbühne müsse man ernst nehmen, ein paar Begriffe heraus, die er jedoch nicht in neue Zusammenhänge setzen kann.

Er ist angeschlagen, angeschossen. Wäre es eine Wildwasserfahrt, müsste er nun ganz gezielt das Steuer herumreißen, einen neue Kurs einschlagen und kraftvoll inhaltlich steuern. Er aber verkennt die Situation. Er wirkt frustriert, und jeder, der so wie ich zurecht, mit hohen Erwartungen zu dieser Veranstaltung ging, wurde von ihm ebenso frustriert.

Man kann sagen, dass öffentliche Mobbing in den Medien hat bei ihm funktioniert. Er wird zu einem Beratungsfall. Man möchte ihn gerne ansprechen, mit ihm reden, helfen, aber man unterlässt es, weil man nicht recht weiß, wo man ansetzen sollte. Zu wenig Substantielles über das man mit ihm streiten könnte, kommt von ihm.

Das ist hart seinen Sinneswandel in dieser Form öffentlich zu machen, aber meine ganze Intuition war nach der Veranstaltung wachgerufen und ich konnte nicht anders, als festzustellen, dass ich einem Menschen im Scheitern beobachtet habe, der sich aus eigener Kraft nicht mehr retten wird können. Deshalb betonte er so sehr seine „guten Teams“. Die wird er jetzt dringend benötigen. Es ist eine ernst zunehmende Krise seiner Vorbereitungsphase. Und in der Tat, Dercon spricht eine andere Sprache als Berlin. Ich war so froh, unter normale Menschen zu geraten, als ich das Rathaus verließ, und sie werden es nicht glauben, der erste Satz, den ich hörte, kam von einem Rikscha-Fahrer, der zwei Touristen ermahnte: „Immer schön Vorsichtig, dass ist immer noch mein Berlin!“ rief er. Dann fächelte ich einer Kindergärtnerin aus Bangladesch, die sich mit acht Kindern in der U-Bahn plagte, etwas Wind zu und ihre Kolleginnen mussten lachen. Ich auch. Ich stieg am Rosenthaler Platz aus. Genehmigte mir am „Rosenback“ ein polnisches Bier. Ich liebe es die Leute dort nachts zu beobachten und ich sagte zu meinem Gegenüber: „Man, du siehst echt aus wie ein Knacki.“ „Bin ich ja auch.“ antworte er lachend und wir stießen mit unseren Bierflaschen an. Das „echte“ Berlin gab es im „Roten Rathaus“ leider nicht. Nur ein paar Leute, die sich gemeinsam mit Dercon ins Bild der Kamera vom RBB drängelten.
Dercon spricht und schweigt: Links
http://www.deutschlandradiokultur.de/designierter-volksbuehnen-intendant-chris-dercon-wir-sind.2165.de.html?dram:article_id=360834

http://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/201607/42756.html
Dercon spricht und schweigt: ungeeignet
Ich hab jetzt mal alles gesichtet und gehört, was es bis jetzt zum gestrigen Stelldichein im Rathaus gibt. Und das sind ja durchaus unterschiedliche Einschätzungen.
Mir drängen sich verschiedene Fragen auf:

1. Jemand, der sich in der Jugend durchaus durch das Studium verschiedenster kulturell/künstlerischer akademischer Fachrichtungen durchaus breit aufgestellt hat, verbringt sein Berufsleben zuallererst im Bereich Kunstgeschichte/Museum. Das, darf ich mal annehmen, vor allem aus Neigung, natürlich auch aus Gelegenheit, aber vor allem aus Neigung.

2. Renner/Müller haben ihn zum künstlerischen Leiter eines Theaters gemacht. Welche Rolle dabei spielte wohl sein Adressbuch und wieviel davon wirkliche künstlerische Ambitionen. Nun hat er ja in der Vergangenheit schon eingeräumt, dass er kein Künstler sei, er sei (freier) Produzent. Es ist ja auch nicht Voraussetzung, dass ein Intendant selbst inszeniert. Aber künstlerische Ideen für sein Haus muss er doch generieren und umsetzen können. Und zwar gemäß der ihm gesetzten Aufgabe (beinhaltet auch Sprechtheater). Jetzt höre und lese ich bei ihm eine gewisse Verachtung für das Sprechtheater (gibt ja auch zu viel davon in Berlin?!). Wie will er denn ein Theater leiten, das ihm nicht nur Räume bietet, sondern Schauspieler/Musiker/Techniker/Verwaltung, welche gerade deshalb so erfolgreich war, weil es eigenwillige und starke Charaktere vereint hat? Die sind die Fachleute, die kennen sich aus. Die brauchen jemanden als Intendanten, der mit dieser Verschiedenartigkeit umgehen kann und eine Idee von dem vermitteln kann, wohin die Reise geht. Verachtung gegenüber einer Sparte kann man nicht mit Floskeln überspielen. Sie rinnt wie Wasser durch jede Naht.

Facit: Dercon sollte Abschied nehmen von der Idee, bevor es ein Fiasko wird. Lange Urlaub nehmen und für die weitere Karriere noch einmal etwas finden, was seiner Neigung und seinen Talenten entspricht.
Dercon spricht und schweigt: Sprechen und Denken
Sehr sympathisch wirkender Mann. Tut mir dennoch leid. Zwei Fragen: wenn er wirklich inzwischen London, Paris und so inzwischen so langweilig findet, warum kommt er nicht auf die Idee, dass es auch an ihm liegen könnte? Immerhin die tate – das ist ja in London eine Hausnummer!… Hat aber seine vierjährige Kuratorenkreativität auch nicht geschafft, London wenigstens an der Stelle weniger einheitslangweilig zu machen. Nicht mal für ihn selbst! Das ist nun nicht gerade ein Garant oder ein Hoffnungsschimmer dafür, dass ausgerechnet unter seiner Leitung die VB Berlin vor einem Versinken in Kulturlangeweile erretten kann…
Was auffällt: da sitzen also bei den großen Stellen-Vergaben Holländer und Belgier. Bei vier großen Posten also vier, die aus dem frankoflämischen Sprachraum kommen und ein sehr gutes, alltagstaugliches Deutsch sprechen. Nun ist aber Kunst im u.a. deutschen Sprachraum – und zwar besonders im Sprechtheater – nicht Alltag! Weshalb man schon mehr als alltagstauglich wo sprechen sollte, wenn man welche macht. Es spricht für Berlins Zackigkeit, dass Dercon im Aufeinanderprallen der Kulturen hier schon mal drei komplizierte Begriffe gezwungen wurde vom Deutschen in seine Muttersprache, zumindest im Geiste – zu übersetzen, um sie nachzuvollziehen. Nämlich unter anderem „Eventbude“ und Neoliberallialtrallala – Es ist so, dass kompliziert zu denkende und bedenkende Sachen sich oft nicht mit einem – ich liebe das Wort!, das Ostermeier so präzise den Kern treffend einmal in einem Interview mit britischen Medien gebraucht hat! – „Flughafenenglisch“ kommunizieren lassen. Und eben auch nicht mit einem schnell ans Deutsche alltagstauglich zu adaptierenden Niederländisch oder Frankoflämisch. Und schon gar nicht eindeutig.
Es kann zwar erheiternd sein und durchaus anregend zu vergleichen, was ich oder wir hier in Berlin z.B. unter Denk-Sprech-Theater verstehen können oder wollen und was im Unterschied dazu Chris Dercon damit hier für uns geltend meint zu meinen oder eben nicht zu wollen – aber auf einen konstruktiven Nenner in dem was wir für diese Stadt an prominenter Stelle an Kunst wollen oder nicht wollen, kommen wir natürlich fachlich so nicht…
Dafür gibt es zwei Lösungen: Chris Dercon spricht zukünftig nachhaltiger, weniger den weltmännischen Weltmann rauskehrend und ganz altmodisch unkommunikativ in seiner Muttersprache über seine Visionen und lässt sich durch einen erstklassigen Übersetzer übersetzen. Der auch die Nachfragen an Dercon erstklassig in dessen Muttersprache übersetzt. Dann könnte ENDLICH Niveau in die Sache kommen. Oder wir schließen die VB sofort ganz (Beton auf Beton oder, um mit Rammstein zu sprechsingen:"Stein auf Stein, mauer ich dich ein…"), schicken dem Reese den Castorf auf den Hals, bis der – also der Reese, nicht Punky-Franky, nicht mehr kann und lassen Dercon am Hangar irgendwas Neues gründen, das er uns dann im Laufe der nächsten Jahre als was grundsätzlich Neues, interdisziplinär freiwillig aufeinander reagierendes Künstler-Kunstding anbieten kann wie Sauerbier. Der Streit mit Vanakkere ist so natürlich vorprogrammiert, aber soviel Strafe für Unterschätzung der Berliner muss schon sein.
Und im Übrigen kann sich Chris Dercon, quer in seine alten theateraffinen Zeiten rückeinsteigend, darüber Gedanken machen, ob ein Sprechtheater nicht IMMER ein Denktheater ist. Und darüber, wie er ausdrücken möchte, was ihn an einem unleugbaren Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch und Denken am Theater nun konkret stört. Ich persönlich nehme ja an, dass ihn stört, dass es zwischen Sprechen und Denken im Theater unausrottbar IMMER einen Zusammenhang gibt. Das ist einfach auch bei stärkstem Mühen darum nicht zu leugnen!

(summery folgt wegen Kommentar-Überlänge unter Rüffelverdacht)
Dercon spricht und schweigt: Tanz und Denken
Während man beim Tanztheater, bei dem es, wir wissen das spätestens seit Pina Bausch, gern auch schon länger, zwar ebenfalls IMMER einen solchen Zusammenhang zwischen Tanz und Denken gibt, dieser aber sehr erfolgreich geleugnet werden kann.
Und damit eine fachliche Auseinandersetzung mit ihm, dem Tanz UND dem Theater, verzögert bis sogar verhindert werden kann. Das gilt ebenso für den Zusammenhang von Bildender Kunst und Denken.
Nun glaube ich also, dass Chris Dercon dies in seinem tiefsten Inneren weiß. Und als eingefleischter Kurator die Vision hat, dass er, wenn er sich mit Tanz und Bildender Kunst in ein Sprechtheater einkauft, die interdisziplinäre „Sich auf Tanz und Bildende Kunst Beziehen“-Reaktion gern professionell durch Schauspieler, die im Sprechtheater ohnehin kaum mehr was zu tun haben, so wie die Texte heute im Wesentlichen aussehen, performativ eingeübt und vorgetragen hätte. Die dann damit dem Publikum vorspielen dürfen, was es von der angebotenen unaussprechlichen Kunst halten – nun eher muss als darf…
Er möchte also im Grunde die professionelle Kunstkritik, deren Aufgabe das bisher war, hochsubventioniert mit theatralen Mitteln via Schauspieler-Unterforderung ausschließen. – Perfekter Plan! Schätze aber, das funktioniert mit den Berlinern, die hier schon länger und bewusster oder schon länger bewusster leben, nicht.
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