Presseschau vom 29. September 2016 – Performer und Regisseur Jürgen Kuttner spricht in der Berliner Zeitung über den anstehenden Intendanzwechsel an der Volkbühne Berlin
Zwei-Minuten-Snippets sind kein ganzer Pollesch
Zwei-Minuten-Snippets sind kein ganzer Pollesch
29. September 2016. "Wunschlos unglücklich" sei die Stimmung an der Volksbühne derzeit, erzählt der Volksbühnen-Videoschnispel-Vortragsveteran und Regisseur Jürgen Kuttner im Interview mit Ulrich Seidler von der Berliner Zeitung (online 28.9.2016). Die anstehende Verabschiedung von Frank Castorf aus dem Amt des Intendanten kommt für ihn zur Unzeit. In den "letzten drei, vier Jahren" habe das Haus "wieder richtig Fahrt aufgenommen. Lauter frische, tolle Arbeiten von Castorf; Fritsch macht das Haus voll, Pollesch wuppt die große Bühne."
Kuttner wird anlässlich der Initiative "Neue Volksbühnenbewegung" befragt, die Guillaume Paoli initiiert hat (hier sein Aufruf als Debattenbeitrag) und die Kuttner unterstützt. Die darin angedachte Option, dass Volksbühnentheatermacher unabhängig von der Spielstätte an diversen Orten der Stadt weiterarbeiten könnten, sei ehrlicherweise "keine befriedigende Alternative zu dem, wofür die Volksbühne jetzt steht". Konkrete Pläne gebe es auch noch nicht.
Ein Armutszeugnis
Kuttner kommt im Interview auch auf die Präsentation des neuen Teams um den designierten Intendanten Chris Dercon vor Volksbühnen-Mitarbeiter*innen zu sprechen – eine Veranstaltung, die Kuttner durch eigene Redebeiträge gestört hat, wie er zugibt. Aus Kuttners Sicht habe Dercon dort "eine erschütternde Inkompetenz unter Beweis" gestellt, "als er erzählte, dass er jede Menge Pollesch-Inszenierungen auf Youtube gesehen habe. Was ohnehin schwierig wäre für einen Theaterleiter. Aber es gibt solche Videos nicht. Was es gibt, sind so Zwei-Minuten-Snippets. Ein Armutszeugnis."
Wie auch Paoli setzt Kuttner auf eine öffentliche Diskussion, wie die Nachfolge von Castorf in der von der Arbeiterbewegung geprägten und auf Formenxperimente setzenden Tradition der Volksbühne von Erwin Piscator bis Benno Besson und Frank Castorf zu regeln sei. Und ganz leise schwingt bei ihm auch die Hoffnung mit, ein Intendant Dercon ließe sich im Zuge einer neuen politischen Konstellation in Berlin vielleicht doch noch verhindern.
(Berliner Zeitung / chr)
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