Über meine Leiche - Nicolas Charaux' verspielte Inszenierung von Stefan Hornbachs preisgekröntem Stück am Wiener Burgtheater
Tumor ist, wenn man trotzdem lacht
von Martin Thomas Pesl
Wien, 5. November 2016. Wo erst Leere herrscht, ist am Ende viel seltsamer Müll. Die Bühne von Pia Greven dient als bunte Metapher für die bereits pampelmusengroßen Krebsgeschwüre der Erzählerfigur Friedrich. Über den Abend verteilt plumpst eine irritierende Vielfalt an Objekten von links und rechts in den Spielraum: Tennisbälle, Schaumstoffkügelchen, kleine Frösche und Riesenkröten, Haarbüschel, einen Hasenkopf, schwarze Tetraeder aus Stoff, Weintrauben, weiße Blumen, Gedärmwürste, Heliumballons, etwas, das an Brokkoli erinnert und noch mancherlei anderes. Das requisitäre Fallobst lenkt teils stark ab und ergibt nicht wirklich Sinn. Wie der Krebs eben.
Vom Himmel gefallen
Der 30-jährige Autor und Schauspieler Stefan Hornbach lässt ausgehend von der Krebsdiagnose eines jungen Mannes dessen Fantasie freien Lauf: Was macht sie mit ihm und seinem Umfeld? Für sein poetisches, unsentimentales Stück "Über meine Leiche" gewann Hornbach mehrere Preise, unter anderem eine Uraufführung durch das Burgtheater im Rahmen der Autorentheatertage 2016 am Deutschen Theater Berlin. Da Uraufführung aber bereits ans Theater Osnabrück vergeben war (siehe nachtkritik vom 29. Oktober 2016), fand in Berlin nur eine "Vorpremiere" statt, und die Burg liefert in der Spielstätte Kasino jetzt eine Woche nach Osnabrück nur die österreichische Erstaufführung.
Dem Regisseur Nicolas Charaux nimmt das die Last, den Text in seiner vollen Ausführlichkeit abzuwickeln und dabei ach so große Relevanz behaupten zu müssen. Sein Abend ist 70 Minuten lang, verspielt und freundlich. Auch dass das Burgtheater die Inszenierung mit dem Etikett „für Menschen ab 14 Jahren“ in eine (nicht vorhandene) Jugendtheaterschiene rückt, tut diesem letztlich gut, er wird dem Publikum durch die Coming-of-Age-Brille extra unprätentiös, unpädagogisch und kitscharm erscheinen.
Charaux hat viel gestrichen und wiederholt dafür manche Szenen in mehreren Variationen, etwa die, in der Friedrich seiner Mutter von der ersten Untersuchung erzählt. Von Mal zu Mal panischer werdend, winkt sie ab, es sei bestimmt nichts. Das bindet vor allem auf emotionaler Ebene. Auf handlungstreibende Spielszenen, ja eigentlich auf Handlung verzichtet Charaux. Einige Passagen ersetzt er durch lebensfrohe spanische Songs oder Tonspuren von Filmen, zu denen die Schauspieler enthusiastisch die Lippen bewegen und tanzen.
Gutes Leben, schlechtes Leben
Dass die drei Darsteller abwechselnd Nebenrollen übernehmen, ohne ganz den Friedrich abzulegen, als den die Trainingsanzüge und Adidas-Schuhe sie alle drei ausweisen, schafft vollkommene Identifikation mit dem krebskranken jungen Mann. Und die ist das Einzige, was zählt: Dass etwa die Nachbarin Jana, die ihm ungebeten Lektionen im Sterben erteilt, wahrscheinlich nicht real ist, stört uns nicht. Wir sind ganz bei Friedrich, wenn er aus lauter Angst vor der Konfrontation das Wort "Tumor" durch "Humor" ersetzt oder sich vorstellt, Jana mache Witze über seine Krankheit. Als die Mutter moniert, er müsse gefälligst überleben, "wenigstens das muss der doch irgendwie mal hinkriegen", dann vermuten wir: So etwas Gemeines würde kaum eine Mutter sagen, auch das stellt sich Friedrich nur vor.
Der Kurs weg vom Rätsel- zum offenkundig Fieberhaften erweist sich als kluge Entscheidung, vor allem weil sich Nicolas Charaux dabei auf die Vielseitigkeit seines jungen Ensembles stützen kann. Es tritt durchwegs gewinnend, sportlich und überzeugend auf, auch wenn man anmerken muss, dass die beiden Männer sich deutlich mehr in den Vordergrund spielen dürfen als ihre Kollegin Marie-Luise Stockinger. Oft in ein Mikro hinein, mal mit, mal ohne Hilfe der rumliegenden Gegenstände, aber jedenfalls unverkrampft und lustvoll zeigen sie, was sie und Hornbachs Sprache können.
Surrealer Traum
Merlin Sandmeyer gelingt etwa das Kunststück, selbst mit elektronisch verzerrter Stimme aus einem seit dem Film "Toni Erdmann" besonders beliebten unförmigen Pelztier-Ganzkörperanzug heraus zu berühren. Tino Hillebrand hat wiederum eine sensationell komische Mimik als stummer Mikrofonhalter in einem Dialog zwischen Jana und Friedrich.
Der Tod als Teil des Lebens wird in dieser freundlichen Tumoreske spielerisch ebenso verhandelt wie die absurde Unmöglichkeit, mit der Aussicht auf ein möglicherweise noch zu verpassendes Leben adäquat umzugehen. Das Leben ist ja auch nicht einfach zu Ende, wenn man die Geschwulst entdeckt hat. Es geht vorerst weiter und bewirft einen mit allem möglichen Zeugs. Wie ein surrealer Traum, der sich weigert, vollends zum Albtraum zu werden.
Über meine Leiche
von Stefan Hornbach
Regie: Nicolas Charaux, Bühne und Kostüme: Pia Greven, Licht: Norbert Gottwald, Dramaturgie: Klaus Missbach.
Mit: Tino Hillebrand, Merlin Sandmeyer, Marie-Luise Stockinger.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause
www.burgtheater.at
Mehr zu Stefan Hornbach auf dem nachtkritik-Festivalportal des Heidelberger Stückemarkts 2016, zu dem das Stück eingeladen war. Hornbach spricht im Video auch selbst über seinen Text.
"Über meine Leiche" sei "ein gelungenes Stück", meint Barbara Petsch in der Presse (7.11.2016). Darin sei der Tod "bedrohlich und die Krankheit entsetzlich, die Angehörigen wenden sich oft ab, man ist mit seinem Leiden allein. Friedrich ist sogar mutterseelenallein, weil seine Mutter ihren ewig kränkelnden Sohn schon satthatte, bevor er ausgezogen ist. So ist das Leben." Der Text sei "sprachlich erfinderisch und musikalisch", die Aufführung wirke "lebendig, auf makabere Weise heiter, aber auch etwas fremd". Fazit: "Ein berührender Abend über die letzten Dinge in jugendlich-modernem Stil und ohne den forschen Zweckoptimismus, der Katastrophen sonst häufig begleitet."
"Über meine Leiche" erzähle "von der Relativität des Lebens und davon, wie man unter neuen Voraussetzungen auf dieses blickt", schreibt Margarete Affenzeller im Standard (7.11.2016). Regisseur Charaux bringe "die traumwandlerischen 'Realitäten' des Textes zum Wirken." Daraus werde "ein verspielter und dennoch ernster Abend, der den schlimmsten Ängsten beikommt. Rührend und zum Scherzen aufgelegt."
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Manchmal denke ich, die Redaktion sollte diskutieren (nicht zensurieren?), welche Aspekte mit was für Maßstäben ihre Rezensenten beschreiben und beurteilen. Ich würde über die Schauspieler gern erfahren, wie sie meine Kenntnis von Menschen und ihrem Verhalten im sozialen Umfeld erschüttern.