Müller Attacks From Outer Space

von Wolfgang Behrens

Berlin, 10. Dezember 2016. Am Anfang von Heiner Müllers "Auftrag" steht ein schockierender Satz: "Ich teile Ihnen mit, dass wir den Auftrag zurückgeben müssen." Schockierend ist dieser Satz, weil der Auftrag im Grunde nichts Geringeres als das linke Projekt ist: die Ideen der Aufklärung und die Gleichberechtigung in die Welt zu tragen.

Das Aufrüsten am rechten Rand

Als Heiner Müller sein Stück 1979 schrieb, arbeitete er sich noch an der Dialektik von Herr und Knecht ab, der zu entrinnen unmöglich schien. Indem seine drei (Anti-)Helden, die die Französische Revolution auf die Antillen exportieren sollen, zum Schein die Rollen von Herr und Knecht annehmen, um vor Ort gewissermaßen undercover zu arbeiten, tragen sie letztlich nur zur Verfestigung des Stereotyps bei. Zumal sie ihre Rollen vom vorrevolutionären Sein bestimmen lassen: Der Bauer Galloudec und der Schwarze Sasportas "spielen" die Knechte, der Grundbesitzer Debuisson "spielt" den Herren. Die Drei scheitern, weil ihnen der Ausstieg aus den Rollen nicht gelingt. Der revolutionäre Auftrag als solcher immerhin wird noch nicht in Zweifel gezogen.

DerAuftrag2 560 Ute Langkafel MAIFOTO u Postrevolutionärer Kehraus: Till Wonka als Debuisson (vorn) im frostigen Raum von Christian Beck
© Ute Langkafel / MAIFOTO

Es steht zu vermuten, dass das heute anders ist. Trotz der echten und vermeintlichen Krisen dieser Welt scheint der linken Bewegung der einstmalige Auftrag regelrecht abhanden gekommen zu sein. Während sich weltweit die rechten Ränder zum Kampf rüsten, versucht die linke Seite eher in einem Rückzugsgefecht bereits Erreichtes zu verteidigen. Der kommende Aufstand steht von dort nicht zu erwarten – wir leben in postrevolutionären, womöglich gar konterrevolutionären Zeiten.

Wenn sich Mirko Borscht am Gorki Theater des "Auftrags" von Heiner Müller annimmt, dann scheint er dem Rechnung zu tragen. Der Raum, den Christian Beck für die Inszenierung entworfen hat, ist ein futuristischer, kalt und aseptisch. Über Bildschirme in hohen weißen Stelen flimmern nicht zu entziffernde Zeichenfolgen, in einer vergitterten Säule in der Mitte der Bühne sieht man die Projektion des künstlichen Menschen aus Fritz Langs "Metropolis"-Film. Dieses sterile Ambiente stellt eine Art postrevolutionärer Zukunftslounge vor: Hier, wo die Menschen in uniformartigen Einheitsanzügen herumlaufen (Kostüme: Elke von Sivers) und die von Romy Camerun vorgetragenen Jazz-Songs das frostige Setting nur zu betonen scheinen, ist Empörung längst zu einem Fremdwort geworden.

Die Hoffnung erfroren

Es ist schon bemerkenswert, dass in diesem Raum ausgerechnet die mit dem Meißel geschriebenen Sätze von Heiner Müller ein Echo von Wärme erzeugen. Wenn Falilou Seck (Sasportas) und Aram Tafreshian (Galloudec) eingangs nackt auf die Bühne gezerrt werden, dann wirkt ihre Blöße wie eine Erinnerung daran, dass der Austritt des Menschen aus dem Naturzustand einst Hoffnung auf eine bessere Zukunft verhieß. Bei Mirko Borscht indes ist die Zukunft längst da und die Hoffnung erfroren. Entsprechend verhandeln Müllers Figuren ihre Sache hier so, als sei sie nur noch Zitat – Till Wonka als Debuisson spricht seinen Text sogar mitunter so beiläufig nuschelnd, dass man geneigt ist, zum Verständnis die englischen Übertitel zu Hilfe zu ziehen. Am ehesten ist es noch Falilou Seck, der dem Heiner Müller'schen Pathos ein wenig Hitze und Dringlichkeit verleiht.

DerAuftrag3 560 Ute Langkafel MAIFOTO uHeiner Müller mit Gips-Auftrag: "Der Tod ist die Maske der Revolution" © Ute Langkafel / MAIFOTO

Doch weil sich Borscht und seine Darsteller zumindest nicht über Müllers Text lustig machen, hört man den Botschaften aus der revolutionären Vergangenheit über weite Strecken interessiert zu. Und wenn sich im letzten Dialog das genervte Nebenbei-Sprechen Till Wonkas als dasjenige des desillusionierten Zynikers erweist, der sich nun – Verrat! – der ästhetischen Existenzform zuwenden will, dann haben sich die Drei die Haltung der Müller'schen Figuren aller äußeren Sterilität zum Trotz doch noch halbwegs glaubhaft erobert. Das Black nach dem letzten Satz Debuissons "Ich fürchte mich vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein" (Müllers schwül-erotisch aufgeladener Schlussabsatz über den Verrat ist gestrichen) kommt plötzlich und hart. Nach der Revolution kommt der Hedonismus. Und nach dem Hedonismus kommt die Leere. Ende der Kritik.

Drei Nachschriften

1. Den berühmten Monolog vom "Mann im Fahrstuhl" spricht Ruth Reinecke wie eine Erinnerung an einen einst unvermeidlichen Heiner-Müller-Duktus: stramm, humorfrei, ausdruckslos. Den Höhepunkt dieser Mode markierte wohl der Dramatiker und Schauspieler Jörg Michael Koerbl, der sich einmal in der Pause von Thomas Heises "Bau"-Inszenierung (1996), allein auf der Bühne des Berliner Ensembles stehend, die gesamte "Hamletmaschine" im monotonsten Müller-Sprech aus dem Hirn prügelte, während das Publikum im Foyer fröhlich ignorant Sekt schlürfte. Eigentlich gut, dass das vorbei ist.

2. Müller verwendet im "Auftrag" mehrfach das N-Wort. In Borschts Produktion hat man das Wort weitgehend ersetzt (ohne dass dies besonders merklich würde), nur an zwei Stellen, an denen es im Dialog eindeutig als Waffe verwendet wird, hat man es belassen. Auf dem Programmzettel wird dieses Vorgehen offengelegt. Wie auch immer man diese Entscheidungen letztlich bewertet – die Transparenz ist vorbildlich.

3. Unter den Darstellern befindet sich auch der syrische Theatermacher Ayham Majid Agha, der im Magazin des Gorki Theaters schreibt: "Für mich ist der Text das zeitgenössische Abbild einer Revolution, die nah an der war, über die ich schrieb. (...) Der 'Auftrag' schien für mich geschrieben zu sein." Die Perspektive dessen, der noch im Jahr 2011 in Syrien eine (gescheiterte) Revolution erlebt hat, ist jedoch in Borschts Inszenierung folgenlos geblieben. Was man bedauern kann.

 

Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution 
von Heiner Müller
Regie: Mirko Borscht, Bühne: Christian Beck, Kostüme: Elke von Sivers, Musik: Romy Camerun, Video: Hannes Hesse, Dramaturgie: Holger Kuhla.
Mit: Romy Camerun, Ayham Majid Agha, Susanne Meyer, Cynthia Micas, Ruth Reinecke, Falilou Seck, Aram Tafreshian, Till Wonka.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause

www.gorki.de

 


Kritikenrundschau

Über eine "sensationell misslungene Inszenierung" schreibt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung und online in der Frankfurter Rundschau (12.12.2016). Am problematischsten findet der Kritiker die Bevormundung des Publikums durch die Macher, die Müllers N-Wortgebrauch nach internen Diskussionen gekürzt haben, wie sie erklären. "Nur finden diese Diskussionen keinen Niederschlag in den Spiel-, Sprech- und Denkweisen der Figuren. Sie bleiben trockene, seelenlose Behauptung. Man sieht so weder die internen Debatten noch das Müller-Stück, man sieht eine Inszenierung, die alles richtig machen will und jedes Spiel verhindert. Man sieht Theater aus Angst vor den Doppeldeutig- und Unwägbarkeiten der Kunst selbst, also auch Theater, das glaubt, seine Zuschauer vor dem Selbstdenken schützen zu müssen und folglich mit Fertigbotschaften versorgt. Die Intention schlägt hier in ihr Gegenteil um: Das Publikum wird zur unmündigen Masse herabgestuft."

Müllers Text "schnurrt" in dem von Mirko Borscht entworfenen futuristischen Ambiente "überraschend old-school-mäßig ab", schreibt Christine Wahl im Tagesspiegel (12.12.2016). Das Gorki-Ensemble arbeite sich "grundsolide" durch das Werk, "nimmt den Text ernst, ohne sich für nennenswerte interpretatorische Akzentuierungen oder heutige Blickwinkelverschärfungen zu interessieren". Letzteres sei durchaus überraschend, weil das Programmheft mit dem Text des syrischen Autors, Schauspielers und Regisseurs Ayham Majid Agha gerade eine große Aktualität mit Blick auf die syrische Revolution nahgelegt hatte.

Auf Susanne Bruha von Inforadio des rbb (12.12.2016) wirkt der Abend "zusammenhangslos - viele Ideen, wenig Ganzes". Zwar berühre "der Text und steuert, über viele leere Aktionen hin, beeindruckend zwangsläufig auf eben jenen zentralen Satz zu: 'Ich habe Angst vor der Schande, auf dieser Welt glücklich zu sein.' Die Inszenierung allerdings hat schon lange vorher resigniert. Sie bleibt Antworten und ein Aufrütteln schuldig."

 

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