Theater im Zeichen des Horrorclowns

von Samuel Schwarz

21. Dezember 2016. Immer wieder kann man lesen oder hören, dass der Wahlsieg Donald Trumps ein möglicher Segen für die Kunst sei, weil nun – nach den langweiligen Jahren unter einer zu vernünftigen Obama-Administration – die Kunst wieder ein Feindbild zur Verfügung habe.

Ich stelle mir für diesen Text die Frage: Wie ist das denn für den Regisseur in mir?

Die Rolle des charismatischen Tyrannen ist dem Betrieb eingebrannt

Zwar habe ich mich vor ein paar Jahren emotional von den deutschsprachigen Stadttheatern verabschiedet, sicher nicht für immer, aber sicher so lange, bis diese reformiert werden und ich mit meiner Arbeit wieder mehr in sie reinpassen könnte. Aber dieses Rollenprofil, das mir die Stadttheater anboten, war mit dem Selbstverständnis als Theaterschaffender nicht mehr wirklich vereinbar.

Donald Trump by Gage Skidmore 10Donald Trump, Role Model für Stadttheater-Regisseure?
© Gage Skidmore, CC BY-SA 3.0
Wird dieser kleine, schäbig schmutzige Stadttheater-Regisseur in mir belebt und vitalisiert durch den Wahl-Sieg von Donald Trump?

Das grundsätzliche Berufs-Profil des Stadttheaterregisseurs – so würde ich aus meiner Erfahrung wagen zu behaupten – ist durchaus "irrationalistisch" konzipiert. Damit will ich nicht sagen, dass alle Regisseure tyrannische Arschgeigen wären wie Trump. Natürlich schaffen es einige unserer Zunft sich von diesem allgemeinen "irrationalistischen" Rollenprofil zu befreien und als eine Art vernünftig-humane "Ingenieure" im Sinne Edward Gordon Craigs oder Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold zu wirken (Ich denke an kluge Leute wie Stefan Kägi, Anne Sophie Mahler, Ruedi Häusermann et cetera, die ganz andere Techniken nutzen als die Tyrannei – sind sie die Ausnahme von der Regel? Oder sind sie gar "vernünftige" Streber, wie Annekathrin Kohout sie beschreibt?). Fehlt ihnen dieses Saftwurzelige, Schrapnell-hafte, das viele beispielsweise an Frank Castorf so bewundern – diese Nähe zur der eiskalten Front von Stalingrad und dem schwülwarmen Dschungel von Vietnam?

Toben wie Rumpelstilzchen

Wie auch immer: Die dem Betrieb eingebrannte Rolle der Regie bleibt die Rolle des charismatischen Tyrannen. Die Ausnahmen bestätigen die Regel. Und vielleicht ist – bei pessimistischer Weltsicht – die ingenieurhafte Regie der Streber ja auch nur sublimierte Aggression? Die Regieperson darf sich bei diesen zu oft immergleichen Probezeiten von acht Wochen konsequenzenlos einiges leisten, auch – oder gerade erst recht – an den besten Häusern.

Diese Regieperson darf faul sein, sie darf eine schlechte Auffassungsgabe haben. Sie darf schlechte Witze machen, sie darf vulgär sein. Ja, sie muss das Stück bei Probebeginn nicht zwingend kennen. Sie darf auch immer wieder zu spät kommen. Sie darf sich bei der Hauptprobe im Hotelzimmer einschließen, koksen, Kühlschränke auf der Probebühne ihr eigen nennen, sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinken und von AssistentInnen heimfahren lassen. Ja, sie kann auch, wenn total verladen, den Assistenten den Rest der Arbeit überlassen, aber dann doch für die Regiearbeit zeichnen und sich bei der Premiere würdevoll verschämt verbeugen. Ja, diese Regie-Person kann rumtoben, schreien, kratzen, spucken, sich despektierlich über SchauspielerInnen auslassen. Sind das alles Kavaliersdelikte, die sich nie gegen sie wenden, sondern eher Kult und Marktwert verstärken?

Castorf Frank 280 c Thomas Aurin xDie charismatische Regieperson unserer Tage: Frank Castorf   © Thomas Aurin

Hauptsache ist, dass diese Regieperson eine charismatische Wirkung auf den trägen und zähen Beamten-(Theater?-)Apparat hat. Ja, diese Regie-Person hat immer auch genügend fanatisch fleißige Bienchen neben sich, die jeden irrational rausgesabberten Satz in ihre Büchlein notieren. Falls eine Schauspielerin die Regieperson als "Labertasche" – als Idiotin – wahrnehmen würde, was wohl sehr oft der Fall ist, dann ist diese SchauspielerInnen-Person sehr gut beraten, diese unfreundliche Einschätzung die Regieperson nicht spüren zu lassen. Die Regieperson würde sofort anfangen zu stampfen und zu toben wie Rumpelstilzchen und bei wiederholter Renitenz der SchauspielerIn Hilfe suchen bei der Intendanz. Bei der nächsten Probe oder Besetzungsrunde gibt es dann Abstrafung für die widerständlerische SchauspielerInnen-Person.

(Diese geheimen, aber sehr verbindlichen Regeln sind an all diesen Staatstheatern gleich – und sie garantieren sogar dafür, dass die Regieperson oft gar nicht wie Rumpelstilzchen zu "stämpfeln" braucht. Das Wissen, dass sie das Recht dazu hätte, reicht für die Disziplinierung der SchauspielerInnen meistens schon aus. Das ist Foucault’sche Biomacht in reinster Form: normierte, Körper und Geist konditionierende Regeln wie in McDonalds Filialen von Peking bis Milwaukee.)

Das kultische Re-Inszenieren des gesetzlosen Ausnahmezustands

Der tyrannische Regiewille wird an deutschen Theatern zusätzlich immer auch sekundiert von einer vernünftig argumentierenden, akademisch geschulten Dramaturgie, die den – oft bösartig willkürlichen – Zorn des Tyrannos mit sachlichen Argumentationen ummäntelt und diesen Zorn und unterdrückerisch gestaltenden Willen mit akademischem Rüstzeugs legitimiert – und das durchaus widerspruchsreich.

Die gleiche Dramaturgieperson, die gestern noch die wölfische und eher "rechte" irrationalismus-Tyrannei der Regie gegenüber einer unartigen SchauspielerInnen-Person zu legitimieren hatte, kann durchaus wenig Tage später mit dem gleichem sonoren Ton einen ideologisch ganz anders ausgerichteten "Links-Irrationalismus" der Regie rechtfertigen. Der Regie-Tyrannos hat immer recht - sogar wenn die ideologische Geschmacksrichtung der Tyrannei von einem Tag zum anderen wechselt.

Fazit: Die Regieperson muss "trump’sch" sein, wenn sie den Theaterbetrieb glücklich machen will. Dieser Zustand des Außer-Sich-Seins, dieses Brüllen auf Proben, dieses Zusammenscheißen des erstbesten Regieassistenten, dieses dauernde manische Zwischen-die-Beine-Greifen in den Inszenierungen, dieses kultische Re-Inszenieren des gesetzlosen Ausnahmezustands, diese begeisterte Zelebrierung des Irrationalismus, diese zum tausendsten Mal beschworene Bewunderung für David Lynch, Rammstein, Richard Wagner, Heart of Darkness..., diese Existenzform als Tyrannos, der/die assoziativ und sprunghaft, "bildhaft" inszeniert, ohne Teleprompter tyrannische Reden halten kann, kriegte 11/9 durch durch die gewählte gelbe Frisur eine kraftvolle Bestätigung ihrer ewig währenden faschistoiden Wirksamkeit.

Diese Wildheit, dieses Rumbrüllen, wird nun eben – mit der Wahl des Brüllers Trump – zum Problem. Da sich nun das deutsche Theater aus Legitimationsgründen ganz sicher in Stellung gegen den neuen amerikanischen Feind begeben wird kann es das – aus Credibilty-Gründen – aber eigentlich nicht mehr mit diesem Tyrannei-Rüstzeug aus dem 20. Jahrhundert machen. Die große Lüge des deutschen Stadtthaters-Betriebs wurde mit 11/9 entlarvt.

Bertolt Brecht Bundesarchiv 560 Bild 183 H0611 0500 001 Berlin Intellektuelle bei FriedenskundgebungDer freundliche Herr Bertolt Brecht auf der Friedenskundgebung des Kulturbundes 1948, links neben ihm der Dramatiker Julius Hay, rechts Staatsopern-Intendant Ernst Legal und DDR-Kulturminister Alexander Abusch  © Bundesarchiv Bild 183 H0611 0500 001, CC BY-SA 3.0 de

Was nun?

Wie wäre es mit dem Annehmen des linken Role-Models "Frank Castorf", der, wie ein berüchtiges Youtube-Video zeigt, die SchauspielerInnen ja gerne rumturnen lässt wie Trump die Escort-Girls im Trump-Tower? Funktionierte das als Akt des Widerstands gegen Trump? Linker "Irrationalismus" vs. rechtsgerichtetem "Irrationalismus" von Trump und "Satan&Darth Vader ist geil"-Bannon? Nun, ja, vielleicht möglich. Aber: nicht jeder und und jede ist Castorf.

Geht also nicht. Nein, nein, nein. Der Regietyrann kann also keine Lösung sein für aufklärerisches Sprechtheater im Zeichen von Trump.

"Performen" gegen "Trump"

Natürlich könnte die Regieperson von morgen es auch mit Brecht’scher Freundlichkeit probieren –
mit Analyse, Klarheit, Weisheit. Wie Milo Rau das – soweit ich das beurteilen kann – als einer der wenigen verfolgt (Widerrede willkommen, falls ich das falsch wahrnehmen würde), in Einbindung von Erfahrungen von Menschen aus Krisengebieten, ohne Zelebrierung des schlechten Gewissens des verschonten Kulturmenschen, der sich grämt in einer Friedenszeit zu leben.

Ja. Die Brecht’sche Freundlichkeit. Das wäre durchaus eine potente Möglichkeit. Nur: Man muss sich nur eine der zahlreichen deutschen Inszenierungen von "Das Leben des Galileo Galilei" (dem Stück der Stunde!) der letzten Jahrzehnte mal auf Youtube anschauen / anhören. In allen deutschen Inszenierungs-Versuchen, die man da finden kann, schreien die deutschen "Galileos" rum, weil anscheinend die deutschen Regisseure der letzten Jahrzehnte Galileo Galilei immer "entlarven" wollten als "fanatischen dogmatischen Rechthaber" – auch wenn das Stück von BB ganz anders konzipiert war. Eigentlich war es gedacht als ein Stück der leisen Vernunft gegen das postfaktische Nazi-Gebrüll.

Ja und es graut einem dann doch ein bißchen, dass das Brechttheater am Schiffsbauerdamm bald von einem wirtschaftsfreundlichen Intendanten geleitet wird, der sich erwiesenermaßen mehr in das wirtschaftliche Denken und Wünschen von Hochfinanz-Turm-Bewohnern eindenken kann als in wissenschaftlich-weise Brecht-Texte? Brecht wird also – zumindest für die Staatstheater – auch nicht wirklich als Waffe dienen können.

Sam Schwarz 280 Henner FehrDer White-Trash-Horroclown-Performer Samuel Schwarz  © Henner FehrNeue Idee! Ich bin ja auch Performer! Ich könnte also auch "performen" gegen "Trump", an einem dieser Performance-orientieren Stadt- oder Freie Szene Häusern wie HAU oder Kammerspiele München. Ich könnte mich beispielsweise als "White Trash"-Ausgesteuerter ausgeben. Mit gelben "Crocks" an das Bewerbungsgespräch gehen. Einen kleinen Wortschatz imitieren und dauernd Hassreden spucken (Nächstes Jahr wird das sicher voll "in" sein.)

Dann könnte es durchaus sein, dass mich eine dieser authenzitätssüchtigen Intendanz- und Kurationsmenschen als eine Art White-Trash "Horror-Clown" bucht. Ich wäre dann eines dieser vernachlässigten "Opfer der Globalisierung", Teil dieser "Mehrheit", deren Sorgen wir in den letzten Jahren anscheinend so sträflich vernachlässigt haben, wie Sebastian Baumgarten gerade behauptete. Ich dürfte also mit Plastikpistolen, als Clown Donald NachRonald verkleidet performen, vielleicht das Batman-Aurora- und/oder/auch Norwegen-Massaker nachspielen als eine Art Cosplay des Grauens.

Nein, geht auch nicht!

Da nun grad der "geilste" Ich-Performer seine Durchschlagskraft auf dem politischen Feld bewiesen hat, ist die Zurschaustellung meines "authentischen" Performanz-Wesens in der Manifestation einer handwerklos performernden Saftwurzel-WhiteTrash Horrorfigur in bestürzendem Maße sinnentleert. Was soll meine -potentiell lustvollen Schrecken erzeugende Schreck-Performance euch ZuschauerInnen noch beweisen?

Ich müsste kotzen

Da dieser Horrorclown mit seinem US-Wahlsieg gerade bewiesen hat, dass eine powervolle Ich-Performance dann am "geilsten" und wirkungsvollsten ist, wenn man ihr keine moralischen, spießigen, öffentlich-rechtlichen Zügel anlegt – müsste mir da mir da bei meiner krassen Power-Performance nicht übel werden von soviel Sinnlosigkeit?

Doch, ich müsste kotzen.

Nein. Öffentlich-rechtliches-Performance Theater-im-neoliberal-konzipierten- Performance- Kulturmarkt geht auch nicht als Werkzeug des Widerstands gegen Trump. Ist selber noch "trumpscher" als die fade Tyrannei-Simulation auf dem Regiestuhl.

Nachdenken.

Letzte Lösung.
Hurrah.
Was ich natürlich machen könnte, ist:

Die Zeichen der Zeit erkennen! Und mich zu Trump bekennen!

Ich könnte ein transmediales Tendenz-Stück für einen der Staats-Sender entwickeln. Ich könnte ein Stück schreiben, das als Ziel hat, das Wesen des soldatischen Mannes lobzupreisen. Das soldatische, heldische Wesen soll mit diesem Tendenzstück, das sich gegen "die gleichmacherische demokratische Gesetzgebung" richtet, hochgehalten werden! Ich könnte in rechtsextremer Euphorie kurz entflammen für diese neue Mission.

Was für ein Horror, was für ein "Terror"!

 

Samuel Schwarz 200Samuel Schwarz gründete 1998 die freie Gruppe 400asa, die auch mit Staatstheatern koproduziert. Seit 2006 produziert 400asa vor allem Filme, Alternate Reality Spiele und transmediale Theaterstücke. 2018 initiert und ko-kuratiert Samuel Schwarz - zusammen mit Gessnerallee Zürich, Theater Chur und anderen Institutionen 2018 mit der Digitalbuehne Zürich das Format "BB18" - eine Auseinandersetzung mit Brecht, dem Silicon Valley, Androiden, Robotik und der Zukunft der darstellenden Künste. Im Moment läuft in deutschen Kinos der Kino-Film POLDER unter dem Titel: Polder: Tokyo Heidi, Teil eines transmedialen Projekts zur Digitalisierung.

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