Von einem, der auszog, sich an die 80er zu erinnern

von Gerhard Preußer

Düsseldorf, 7. Januar 2017. Wolfgang Herrndorfs "Tschick" ist ein Bestseller, als Buch und auf der Bühne. Bov Bjergs "Auerhaus", 2015 erschienen, ist ebenfalls ein Bestseller, als Buch – und auf der Bühne?

"Auerhaus" hat ein ähnliches Muster wie "Tschick", zwei Außenseiter machen sich selbständig. Nur das Alter ist unterschiedlich: die Jugendlichen sind hier 17 oder 18, Oberschüler vor dem Abitur. Und ihr Fluchtobjekt ist immobil, ein Haus. Weil dort ständig der 80er-Jahre-Song "Our House" von der Gruppe Madness läuft, nennen es die des Englischen unkundigen Bewohner des schwäbischen Dorfes, in dem es steht, das "Auerhaus" (wie Auerhahn, Auerochse, Auahaus).

So schlicht wie effektiv: Robert Koalls Bearbeitungsmelodie

Zu den beiden Protagonisten, dem Erzähler, genannt "Herr Höppner", und seinem suizidgefährdeten Freund Frieder, kommen Höppners kleptophile Freundin Vera und die strebsame Cäcilia. Später zieht die chaotisch-solidarische Viererbande zwei weitere Mitglieder an: die psychopathische Brandstifterin Pauline und den schwulen Elektrikerlehrling und Drogendealer Harry. Die Handlung zwischen dem ersten, erfolglosen Selbstmordversuch Frieders und dem zweiten, erfolgreichen, wird mit knappen, fast szenischen Situationsskizzen und einer schnoddrigen, aber klaren, äußerst treffend verkürzten Sprache erzählt.Auerhaus3 560 ThomasRabsch uSo fühlten sie sich an, die 80er Jahre: Kilian Land, Hanna Werth, Rebecca Seidel,
Alexej Lochmann und André Kacmarczyk im VW Golf I © Thomas Rabsch

Robert Koall hat erhebliche Routine in Romandramatisierungen, vor allem Jugendromane sind sein Spezialgebiet, neben Herrndorfs Tschick auch Romane von Cornelia Funke, Erich Kästner oder Aldous Huxley. Seine Bearbeitung von "Auerhaus" hat eine schlichte, aber effektive Methode: verkürzen, Erzählertext auf Figuren verteilen und Dialoge herauspräparieren. So bleiben Gestus und Sprache des eher zögerlichen, beobachtenden Erzählers erhalten. Alles Gewicht liegt auf den Schauspielerinnen und Schauspielern.

Fließend und geschmeidig: die Inszenierung

Robert Gerloffs Inszenierung bleibt ebenso bescheiden und wirkungsvoll. Auf der Bühne stehen nur ein originaler VW Golf I, ein Tisch, ein alter Kühlschrank, auf dem Boden liegt so etwas wie Herbstlaub. Ein paar funzelige 80er-Jahre-Lampen erhellen mal diesen, mal jenen Bühnenbereich (Bühne: Maximilian Lindner). Zunächst erzählt Höppner nur. Doch dann nimmt die Vorstellung langsam Fahrt auf. Der Wechsel von Erzählerbericht und gleichzeitiger, mit ihm verwobener Aktion ist fließend und geschmeidig.

Eigentlich ist die Rollenverteilung klar: Kilian Land als Höppner beobachtet, Alexej Lochmann als Frieder ist der tragische Held, der in Zyklen von Depression und Ekstase, schelmischem Witz und unkontrollierter Wut, zwischen stierer Steifheit und korybantischer Tanzlust schwankend die Inszenierung immer wieder antreibt. Dazu eine Vera (Hanna Werth) als die lebenslustig entschlossene erotische Konsumentin und Cäcilia (Adrienne Lejko) als die adrett frisierte, abtrünnige Tochter aus gutem Hause. Aber die beiden problematischen Zusatzfiguren, die eher schüchterne Schönheit Pauline (Rebecca Seidel) und der etwas schmierige Dealer Harry (André Kaczmarczyk), müssen auch die Nebenrollen, Polizisten, Ärzte, Bauern, ironisch chargierend übernehmen.Auerhaus1 560 ThomasRabsch uFunzelbeleuchtung im Auerhaus: Kilian Land, Alexej Lochmann,
Adrienne Lejko und Hanna Werth © Thomas Rabsch

Von der planen Bebilderung rutscht die Inszenierung manchmal gekonnt in Surrealistisches ab, in eine schnell vorüberhuschende Karikatur der anderen, "normalen" Oberschüler. Auch die Musik hebt manchmal leicht ab: neben dem anfangs wacker a cappella intonierten "Our House"-Song, gibt es ein wunderbar schief arrangiertes "Stille Nacht" am Abend der familienfreien Weihnachtsfeier und eine Sirtaki-Version von "Our House", die aus den Flaschen mit billigem griechischen Imiglykos-Wein quillt, mitten im ernstesten Dialog zwischen Höppner und Frieder über Motive und Methoden des Selbstmords.

Die nostalgische Arroganz der Mittelalten

Schon vor der Düsseldorfer Uraufführung haben sechs weitere Theater das Stück auf den Spielplan gesetzt. So schnörkellos und konzentriert gespielt wird es erfolgreich sein. Fragt sich nur, ob bei den von nostalgischer Rührung gepackten 50-Jährigen oder bei den heutigen Altersgenossen der Figuren. Das Zeitkolorit der frühen 80er-Jahre bleibt, wenn auch dezent, in der Bearbeitung erhalten. Fahndungsplakate der Baader-Meinhof-Gruppe, Wehrpflichtflüchtlinge in Berlin – das kennen nur noch die Mittelalten.

"Unnostalgische Erinnerung" wurde dem Roman bescheinigt. Weder Roman noch Bearbeitung verfallen in eine Haltung von "Schön war die Jugendzeit". Diese jungen Leute sind orientierungslos, gefährdet – und einige kommen unter die Räder. Es bleibt aber der Zauber des Zum-ersten-Mal-die-Welt-Verstehens, die einmalige Frische des Blicks, das ziellose Aufbegehren, die emphatische Trennung von allem Bisherigen. Und es bleibt auch ein Rest von nostalgischer Arroganz: Die Alten prahlen mal wieder damit, wie aufregend ihre Jugend war.

 

Auerhaus
von Bov Bjerg
Theaterfassung von Robert Koall
Uraufführung
Regie: Robert Gerloff, Bühne: Maximilian Lindner, Kostüme: Johanna Hlawica, Musik: Cornelius Borgolte, Dramaturgie: Janine Ortiz.
Mit: Kilian Land, Alexej Lochmann, André Kaczmarczyk, Hanna Werth, Rebecca Seidel, Adrienne Lejko.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

http://www.dhaus.de

 

Kritikenrundschau

"Zunächst stellt sich auf der offenen Bühne der Eindruck ein, ein reines Hörspiel geliefert zu bekommen. Doch im Verlauf der mehr als zwei Stunden gibt es mehr und mehr szenische Auflösungen, und immer dann ist es packend, berührend, stark", so Peter Claus von Deutschlandradio Kultur (7.1.2017). Die kluge Inszenierung entspreche dem lakonischen, von bitterem Witz gezeichneten Ton der literarischen Vorlage. "Erfreulicherweise wird das nicht triefend kitschig. Davor bewahrt auch die zunehmende Schnelligkeit der Szenen-, Episoden- und Erzählwechsel."

Klas Libuda von der Rheinischen Post (9.1.2017) verlässt das Theater "mit geröteten Wangen, beseelt und glücklich". Robert Gerloffs inszeniere "mit großem Herz". Die Geschichte sei für die Bühnenfassung sacht zusammengestrichen, "manches fehlt, aber nichts haben sie weggelassen". Ohne Furcht könne also auch derjenige ins Schauspielhaus kommen, dem das Buch wirklich etwas bedeute.

Witz und Party seien immer durchsetzt von Melancholie und Verzweiflung, schreibt Regine Müller in der taz (10.1.2016). Robert Gerloff inszeniere schnörkellos am Text entlang. "Die Regie setzt nicht auf laute Effekte, sondern eher auf die leise Verzweiflung des Stoffs."

"Stark wird es immer dann, wenn die sechs Frauen und Männer unter der Regie von Robert Gerloff ins Spiel kommen", schreibt Marion Troja von der Westdeutschen Zeitung (8.1.2017) "Strickpullover mit floralen Mustern, Buntfaltenhosen, ein Golf 1 auf der Bühne und ein Terroristenfahndungsplakat an der Wand – so führen sie einem nicht nur eigene modische Verfehlungen vor Augen, sondern liefern mit Szenen wie der Bundeswehrmusterung samt Befragungsritualen passendes und unterhaltsames Zeitkolorit." Kilian Land und Alexej Lochmann gelinge es, die Freundschaft dieser ungleichen Männer Höppner und Frieder tragikomisch auf den Punkt zu bringen.

Eigentlich sei diese von Robert Koall eingerichtete Bestseller-Adaption auf "Spielplan-Coup" abonniert gewesen, schreibt Cornelia Fiedler in der Süddeutschen Zeitung (10.1.2016), aber er wird für die Kritikerin zur Enttäuschung. "Erzählt und gespielt wird 1:1 das Naheliegendste, bis der Geschichte sowohl Leichtigkeit als auch Tiefgang flöten gehen." Ein "Lichtblick" sei "André Kaczmarczyk, der in diverse Nebenrollen schlüpft und Mitbewohner Harry eine irisierende Faszination verleiht".

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