Wählen Sie die wichtigsten Inszenierungen des Jahres!

25. Januar 2017. Hier veröffentlichen wir eine Vorschlagsliste mit 50 Inszenierungen (samt kurzer Begründung), die von den nachtkritik.de-Korrespondent*innen und -Redakteur*innen als die wichtigsten der letzten zwölf Monate nominiert worden sind. Jede/r Korrespondent*in und jede/r Redakteur*in hatte genau eine Stimme. Nominiert werden konnten Produktionen, deren Premiere im Zeitraum vom 16. Januar 2016 bis 18. Januar 2017 lag. Die Produktionen sind nach Regionen unterteilt und alphabetisch nach Titel gereiht. 

Vom 25. Januar bis zum 1. Februar 2017 um 20 Uhr haben die Leserinnen und Leser von nachtkritik.de nun ihrerseits die Möglichkeit, ihre Stimme für 1 bis 10 Inszenierungen dieser Liste abzugeben (dazu einfach zur Abstimmung gehen und 1 bis 10 Inszenierungen anklicken; Achtung: Jede IP-Nummer kann nur einmal abstimmen). Die zehn am häufigsten gewählten Produktionen werden gelobt und gepriesen und bilden die Auswahl des virtuellen nachtkritik-Theatertreffens 2017.

Für die Inszenierung mit den meisten Stimmen winkt auch wieder ein konkreter Preis: Sofern realisierbar, wird nachtkritik.de gemeinsam mit dem Gewinner-Theater eine Veranstaltung zum Thema der Produktion mit den meisten Stimmen organisieren.

Das Ergebnis veröffentlichen wir am 2. Februar 2017.

Hier die regional geordneten Vorschläge der Korrespondent*innen für das nachtkritik-Theatertreffen 2017 (zur Abstimmung bitte nach unten scrollen oder springen). Durch einen Klick auf die einzelnen Kandidaten öffnet sich die jeweilige Begründung der/s Nominierenden sowie, wenn vorhanden, ein Link zur Nachtkritik:

Baden-Württemberg

{slider=1. Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller
Regie: Robert Borgmann
Schauspiel Stuttgart, Premiere am 7. Mai 2016|closed}
Weil: Mit einem grandiosen Peter Kurth als Willy Loman besetzt, der selbst sein schwarzes Tüllrock-Outfit mit Würde trägt und darin am Ende – trotz kräftigem, schwerem Körper – einen tatsächlich grazilen Toten-Tanz ballerinert. Wie der Schwan im berühmten Ballett: sterbend in Anmut und opferbereit. Ein Bild so traurig, so erschütternd, so schön.

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{slider=2. Tote Seelen nach Nikolai Gogol
Regie: Sebastian Baumgarten
Schauspiel Stuttgart , Premiere am 11. Juni 2016}
Eine irre Geschichte über makabre Finanz-Deals mit verstorbenen Leibeigenen im zaristischen Russland: Sebastian Baumgarten verdichtet Gogols Roman zur wilden Gesellschafts-Satire. Klug, bezugs- und bilderreich erzählt, stark gespielt – rund um einen riesigen rotierenden Totenschädel.

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Bayern

{slider=3. 50 Grades of Shame von She She Pop
Regie: She She Pop
Münchner Kammerspiele, Premiere am 3. März 2016|closed}
Dieses Theater füllt mühelos das schwarze Loch von einer Leerstelle, die die unendliche Weite der Onlinepornowelt hinterlässt – und zwar mit echten Menschen, die trotz eines bewundernswert mutigen Ganzkörpereinsatzes und der Preisgabe möglicherweise persönlicher Erfahrungen gerade keine authentischen Kühe sind. Penetrante Standardklischees und literarische Vorlagen werden so lange mit der Brechstange traktiert, bis es wieder weh tut. Neu zusammengesetzt ergibt das ein temporeiches, witziges, verspieltes Bilder- und Geschichtenkarussell.

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{slider=4. Der Fall Meursault nach Kamel Daoud
Regie: Amir Reza Koohestani
Münchner Kammerspiele, Premiere: 29. September 2016|closed}
Koohestani wagt eine leichte, klare, bilderstarke Dramatisierung des Romans von Kamel Daoud, die dessen postkolonialem Ansatz etwas angenehm Selbstverständliches verleiht. Ein stimmiger, durchdacht multiperspektivischer, vielsprachiger Abend mit treffsicheren Darsteller*innen.

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{slider=5. Die Räuber von Friedrich Schiller
Regie: Ulrich Rasche
Residenztheater München, Premiere am 23. September 2016}
Herausragend in jeder Beziehung und ein Monstrum von einem Theaterabend: Wuchtig, pathetisch, kitschig. Plus: Franz Pätzold als sensationell wilder, zarter und unbedingter Karl Moor.

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{slider=6. Die Schutzbefohlenen  Elfriede Jelinek
Regie: Bettina Bruinier
Staatstheater Nürnberg, Premiere am 20. Februar 2016|closed}
Der Gegenentwurf zu Nicolas Stemanns Uraufführung (mit drei nachgeschobenen Kapiteln der Autorin) war das Extrakt giftig glitzernder Attacken-Kunst, auf den Punkt gebrachtes 100-Minuten-Konzentrat einer um Fassung ringenden Wut. Regisseurin Bettina Bruinier lenkte das selten so fabelhaft gesehene Ensemble trittsicher durch Gedankentumulte. Viele Worte, viel dahinter!

{slider=7. Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare
Regie: Christoph Mehler
Theater Augsburg, Premiere am 6. Februar 2016}
Der Augsburger "Sommernachtstraum”  ist einerseits emotional und intentional nah dran am Shakespeare und zerschmettert andrerseits den romantisch-kitschigen Ballast, den das Stück mit sich herumzuschleppen hat, so elegant.

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{slider=8. I am afraid of what you do in the name of your god eine Stückentwicklung zu Lessings Ringparabel
Regie: Maria-Elena Hackbarth
Junges Theater Regensburg, Premiere 15. April 2016}
Lessings Ringparabel habe ich noch nie so packend und explosiv erzählt bekommen in meinem langen Theaterleben. Sie funktioniert auch als Einstiegsdroge in literarische Sprache, Lessings Sprache. Um daraus dann einen atemberaubend heutigen Abend zu entwickeln.

{slider=9. Point of no Return von Yael Ronen und Ensemble
Regie: Yael Ronen
Münchner Kammerspiele, Premiere am 27. Oktober 2016}
"Point of no Return" holt mit dem Münchner Amoklauf ein aktuelles Thema auf die Bühne, um es sich dort in all seiner Brisanz und von allen Seiten anzuschauen – und bricht es zugleich derart auf unsere (banale) Alltags(wahrnehmungs)ebene herunter, dass jeder Zuschauer unmittelbar andocken kann. Wie Yael Ronen dabei mit dem heterogenen Ensemble der Münchner Kammerspiele umgeht, diese Heterogenität als Werkzeug einsetzt und sie zugleich thematisiert, ist beispielhaft und macht – ja, fast erstmals – Lust auf mehr: Performatives Schauspielertheater satt!

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{slider=10. Wut von Elfriede Jelinek
Regie: Nicolas Stemann
Münchner Kammerspiele, Premiere am 16. April 2016}
Elfriede Jelinek dreht den Terror und all die Wut, die in dem Terror, rund um ihn und in Jelinek selbst steckt, durch ihren wortverspielten Diskursschreibwolf. Nicolas Stemann, der Jelinek-Regisseur, besorgt die vogelwilde Uraufführung in den Kammerspielen, mit einem Ensemble, das gemeinsam mit Stemann von Idee zu Idee wütet. Das macht Spaß und ist – mei, Jesus! – eine richtig gute "Performance".

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Berlin

{slider=11. Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter von Christoph Marthaler
Regie: Christoph Marthaler
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, Premiere am 21. September 2016|closed}
Der gültige Abschluss der Ära Marthaler an der Volksbühne. Vielleicht der Ära Marthaler überhaupt.

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{slider=12. Berlin Alexanderplatz nach Alfred Döblin
Regie: Sebastian Hartmann
Deutsches Theater Berlin, Premiere am 12. Mai 2016}
Die Ensemble-Schnauzen sind groß und rüde, sentimental und laut, lustig und schwerstverzweifelt, und doch ist alle Berliner Milieu-Folklore ganz weit weg. Hartmann wagt die existenzielle Himmel- und Höllenfahrt vor blendendweißer Bühnenwand und kehrt die großen Lebens- und Sterbensfragen aus Döblins Roman nach außen. Nie ist dieser Abend Nacherzählung, stattdessen ein viereinhalb Stunden dauernder, wild bewegter Ausnahmefall: Monumentales, gedankenscharfes, lebenspralles Literaturtheater, das weder menschlich noch intellektuell vor seinem Stoff kapituliert.

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{slider=13. Diskurs über die Serie und Reflexionsbude (Es beginnt erst bei Drei), die das qualifiziert verarscht werden great again gemacht hat etc. Kurz: Volksbühnen-Diskurs. Teil 1: Ich spreche zu den Wänden von René Pollesch
Regie: René Pollesch
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, Premiere am 18. Oktober 2016}
Teil 1 ist ein großer Abend über Abschied, Vergeblich- und Vergänglichkeit. Seniorentriathleten dürfen auch nicht fehlen.

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{slider=14. Marat / Sade von Peter Weiss
Regie: Stefan Pucher
Deutsches Theater Berlin, Premiere am 27. November 2016}
Als schnelles, ironisches, sarkastisches Grand-Guignol treten die Revolutionäre Marat und Sade gegeneinander an, führen ihre Wortgefechte wie gehabt. Aber vorbei die Zeiten, als Politiker von links und rechts noch für die Masse sprachen. Stefan Puchers Inszenierung lebt von erhöhtem Spaßfaktor und vom bitterbösen Blick auf aktuellen politischen Wandel. Wie nebenbei erzählt er mit, dass sich das Volk längst nicht mehr von der Obrigkeit repräsentiert fühlt und seine eigenen Forderungen herausknallt.

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{slider=15. Pfusch von Herbert Fritsch
Regie: Herbert Fritsch
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz Berlin, Premiere am 24. November 2016}
Eine Hälfte ist guter Fritsch, die andere aber ist ein sensationell gutes Avantgarde-Konzert an zehn Klavieren und einem Toy Piano.

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{slider=16. Professor Bernhardi von Arthur Schnitzler
Regie: Thomas Ostermeier
Schaubühne am Lehnniner Platz Berlin, Premiere am 17. Dezember 2016}
Geradliniges Schauspieltheater, das einen alten Stoff erzählt, als wäre er von heute. Über ein Thema, das uns angeht. Mit einem Ensemble, in dem alle auf Augenhöhe spielen.

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{slider=17. The Making-of von Nora Abdel-Maksoud
Regie: Nora Abdel-Maksoud
Studio Я/Maxim Gorki Theater, Premiere am 13. Januar 2017 }
Batman ist ein Schwachkopf und Geld regiert die Welt – diese wichtigen Tatsachen muss man nicht ignorieren, um sich auch noch was anderes vorstellen zu können. Das zeigt Nora Abdel-Maksouds Stück lustig, schlau und energiegeladen mit einfachen Mitteln und tollen Spieler*innen.

Bremen

{slider=18.  Unterwerfung nach Michel Houellebecq
Regie: Mark Zurmühle
Stadttheater Bremerhaven, Premiere am 12. November 2016|closed}
Aus der satirische Verve und dem amüsierten Ekel, mit denen Michel Houellebecq die Unterwerfung Frankreichs unter den Islam beschreibt, entwickelt das Stadttheater Bremerhaven psychologisch fein ausgearbeitetes, höchst faszinierendes Diskurstheater. Für Regisseur Mark Zurmühle besteht das Ich des Protagonisten François aus drei guten alten Kumpels und einer Kumpeline, so dass der Monolog als ständiger Disput unterschiedlicher Persönlichkeitsaspekte gestaltet und jede im Text erwähnte Figur auch gleich noch mitgespielt wird. Sprühend vor Sinn und Sinnlichkeit, mit welch differenzierter Prägnanz die in die Vorlage gewobenen aktuellen Debatten dargeboten werden.

Hamburg

{slider=19. Hysteria nach Motiven von Luis Buñuel
Regie: Karin Beier
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 17. September 2016|closed}
Die Inszenierung überführt die assoziative Sprunghaftigkeit von Buñuels Film "Das Gespenst der Freiheit" in eine Spirale der immer größeren Abschottung und Verängstigung. Auf diese Weise gelingt Karin Beier ein beeindruckendes Spiegelbild der Hysterie der Gegenwart.

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{slider=20. The Greatest Show on Earth
kuratiert von Anna Wagner und Eike Wittrock
Kampnagel Hamburg, Premiere am 11. August 2016}
Menschen, Tiere, Sensationen: Meg Stuart, Holtzinger/Riebeek, Eisa Jocson, Jeremy Wade und andere Performancestars machen Zirkus. Als Nummernrevue, im genretypischen Überwältigungsgestus, aber mit konsequent queerer Positionsverschiebung. Und auch mit einzelnen Durchhängern, aber, hey!, das ist Zirkus, da gehören Durchhänger einfach dazu.

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{slider=21. Warten auf Godot von Samuel Beckett
Regie: Stefan Pucher
Thalia Theater Hamburg, Premiere am 27. Februar 2016}
Eine beklemmende, unterhaltsame und abgrundtief existenzielle Inszenierung mit Jörg Pohl und Jens Harzer als unfassbar gutem Beckett-Paar: prollig, lässig, virtuos und verzweifelt.

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Hessen

{slider=22. Mutter Courage und ihre Kinder von Bertolt Brecht
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Staatstheater Wiesbaden, Premiere am 30. Januar 2016|closed}
Weil die Isländerin Sólveig Arnarsdóttir als Mutter Courage genau die gewissenlose Härte zeigt, die der Krieg gebiert. Weil der Regisseur nicht der Versuchung erliegt, das Stück in die Gegenwart zu übertragen, sondern sich mit dem Ensemble eine eigene skurrile Welt baut, in der beständig Blut von den Wänden fließt. Und weil Barbara Dussler als eigentlich stumme Kattrin mit ihrem Schlusslied alles Leid dieses Krieges auf das Zärtlichste in sich vereint.

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Mecklenburg-Vorpommern

{slider= 23. Die Ratten von Gerhart Hauptmann
Regie: Steffi Kühnert
Mecklenburgisches Staatstheater, Premiere am 6. Januar 2017|closed}
Lange nicht mehr war das Debüt einer vertrauten Schauspiel-Kraft im Regie-Fach derart überraschend und reif zugleich – Kühnert befeuert den über hundert Jahre alten, in weit entferntem sozialen Umfeld entstandenen Text in sehr einfachen und immer schlüssigen Annäherungen mit erstaunlich viel zeitgenössischem Feuer; und sie versetzt das nach Intendanz-Wechsel neu sortierte Schweriner Ensemble ins Schub-Stadium von 150 Prozent Energie. Hinreißend!

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Niedersachsen

{slider=24. Macht und Widerstand von Ilja Trojanow
Regie: Dušan David Pařízek.
Schauspiel Hannover, Premiere am 15. Dezember 2016|closed}
Warum? Weil ein sperriges Buch fast leichtfüßig inszeniert worden ist. Und weil's – trotz seiner Länge – ganz gewaltig wummst. Auf viele unterschiedliche Arten.

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Nordrhein-Westfalen

{slider=25. Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!) von Elfriede Jelinek
Regie: Jan Philipp Gloger
Düsseldorfer Schauspielhaus, Premiere am 14. Januar 2017 |closed}
Jelinek über Mode, ihr Herzensthema, ein gelöster, beschwingter Text ohne das übliche Zähneknirschen, mit einem furiosen 6-Frauen-Ensemble, dem man gerne noch länger zusähe, zumal die Ideen für tolle Kostüme (Esther Bialas) nicht ausgehen, in einem ebenso tollen Bühnenbild von Jan Philipp Gloger fulminant inszeniert.

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{slider=26. Die Borderline Prozession von Kay Voges, Dirk Baumann und Alexander Kerlin
Regie: Kay Voges
Theater Dortmund, Premiere am 15. April 2016|closed}
Der Geisteszustand des Gegenwartsmenschen: zerstreut, überinformiert, dem unerreichbaren Ziel der Dauererregtheit verfallen.

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{slider=27. Die Schöne und das Biest von Lucy Kirkwood und Katie Mitchell
Regie: Romy Schmidt
Prinzregenttheater Bochum, Premiere am 26. November 2016}
Romy Schmidt inszeniert nicht nur die romantische Geschichte, sondern auch eine wunderschöne, doppelbödige, witzige und melancholische Reflexion über das Märchenerzählen selbst, mit einem Hasen und drei grandiosen Schauspielern, von denen eine als Multi-Instrumentalistin für einen feinsinnigen Soundtrack sorgt.

Rheinland-Pfalz

{slider=28. Traurige Zauberer von Thom Luz
Regie: Thom Luz
Staatstheater Mainz, Premiere am 21. Mai 2016|closed}
Ein außergewöhnlicher Abend über die Illusionsmaschine Theater – voller Musik, Magie und Melancholie

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Sachsen

{slider=29. Drei sind wir von Wolfram Höll
Regie: Thirza Bruncken
Schauspiel Leipzig, Premiere am 20. Februar 2016|closed}
"Bämm, nehmt, das": Regisseurin Thirza Bruncken haut dem Zuschauer einen großartigen Abend um die Ohren, der sich von allem Zwang des Verstehens löst. Die Darsteller präsentieren ein wahnwitziges Satzmäandern und werfen sich mit starker Leistung körperlich ins Zeug der Theaterkunst. "Shining" meets "Der Exorzist".

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{slider=30. Jeder stirbt für sich allein nach Hans Fallada
Regie: Till Weinheimer
Theater Plauen-Zwickau, Premiere am 16. April 2016 in Plauen}
Till Weinheimer inszenierte im Frühjahr Fallada mit sparsamsten Mitteln, allein auf die Eindringlichkeit der Dialoge, die Wirkung des Personariums und die unterschiedlichen Tempi der Dramaturgie setzend. Diese Reduktion, dieser Verzicht auf multimediale Anreicherungsversuche erzielte eine maßlos beklemmende und ob der in keiner Weise forcierten subtilen Anklänge an die Gegenwart umso eindringlichere Wirkung.

{slider=31. Kruso nach Lutz Seiler
Regie: Armin Petras
Schauspiel Leipzig, Premiere am 1. Oktober 2016}
Tolles Bilder- und Pointentheater, das den Romanstoff verdichtet und entkernt. Zauberhafte Bühne von Olaf Altmann, großartige Anja Schneider als Kruso.

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Thüringen

{slider=32. Goethe::Vom Verschwinden von Bernhard Mikeska, Lothar Kittstein und Alexandra Althoff
Regie: Bernhard Mikeska
RAUM+ZEIT, Kunstfest Weimar und Deutsches Nationaltheater Weimar, Premiere: 25. August 2016|closed}
Jeweils ein Zuschauer begibt sich geleitet von Stimmen aus einem Kopfhörer auf eine Reise durch das Weimarer Schießhaus und begegnet Schauspieler*innen, die nur für ihn agieren. Ein einzigartiges Erlebnis: Man lässt sich komplett in eine andere Wirklichkeit fallen, wird tatsächlich zu einem anderen und kehrt schließlich mit neuen Fragen und Erkenntnissen zu sich zurück.

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Österreich

{slider=33 Imperium nach Christian Kracht
Regie: Jan-Christoph Gockel
Schauspielhaus Wien, Premiere am 25.Februar 2016|closed}
Jan-Christoph Gockels Adaption des Kracht'schen Kolonialfantasieromans ist komisch, melancholisch, ironisch, fleischlich, peinlich, aufregend, exzessiv, jungshumorig, berauschend und vor allem sehr nackt. Perfektes Timing, überbordende Spielfreude: so einfach kann es sein.

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{slider=34. In weiter Ferne von Caryl Churchill
Regie: Ingrid Lang
Theater Nestroyhof/Hamakom Wien, Premiere am 6. April 2016 |closed}
Ingrid Lang setzt mit großer Ruhe und Präzision rätselhafte Bilder und schafft eine beklemmende Atmosphäre absoluter Kontrolle: Eine Entdeckung.

{slider=35. Jeder gegen Jeden
Regie: Martin Gruber
aktionstheater ensemble, Koproduktion mit Bregenzer Frühling in Kooperation mit Werk X, Premiere am 29. April 2016|closed}
Das Ensemble von Martin Gruber, das ein Standbein in Dornbirn (Vorarlberg), eins in Wien, aber kein eigenes Haus hat und mit wechselnden Besetzungen arbeitet, demonstriert ein politisch waches Theater, das seine "Botschaften" nicht auf dem kürzesten Weg, sondern mit dezidiert szenischen Mitteln weitergibt. "Jeder gegen Jeden" ist neben "Kein Stück für Syrien", für das die freie Gruppe einen Nestroy erhalten hat, und "Immersion. Wir verschwinden" eine der neuen Produktionen des Jahres 2016.

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{slider=36. Secondhand-Zeit von Swetlana Alexijewitsch
Regie: Alia Luque
Schauspielhaus Graz, Premiere am 1. Dezember 2016|closed}
Da wird das Nachlaufen nach ominösen "westlichen" Werten als eine Art "Sportstück" anschaulich illustriert: Russischer Postkommunismus in Form vieler leerer Kilometer und mancher Fehlstarts, mit bloß nebulosem Ziel. 

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{slider=37. Thomas B or Not von toxic dreams
Regie: Yosi Wanunu
Brut Wien, Premiere am 25. September 2016}
Theater-im-Theater-Stücke gibt es viele, aber Yosi Wanunu hat für seine freie Gruppe toxic dreams nach knapp 20 Jahren der unabhängigen Arbeit in Wien ein befreiend-befriedigendes Off-Theater-im-institutionalisierten-Theater-im-Off-Theater-Stück verfasst, das obendrein gleichzeitig eine Screwball-Comedy, eine Rachegeschichte und natürlich eine süffisante Abrechnung mit dem österreichischen Kunst- und Kulturbetrieb, seinem Publikum und den eigenen Arbeitsbedingungen ist, ohne laut jammernd Anklage zu erheben. Thomas B ist natürlich (oder wäre gerne) ein Thomas Bernhard und wird von seiner Frau wahlweise Arthur S, Elfriede J oder Peter H genannt. Sie ist Performerin in der freien Szene, und über die Idee, ein Stück über das eigene Leben zu schreiben und dieses dann (natürlich) dem Burgtheater anzubieten, entspinnt sich ein Psychospiel auf vielen Ebenen. Ein fieses Meisterstück.

{slider=38. Us Dogs / Wir Hunde von Signa
Regie: Signa und Arthur Köstler
Wiener Festwochen, Volkstheater Wien, Premiere am 13. Mai 2016|closed}
Hundsch, Hundsch, komm heim /
ja, so soll Theater sein.

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Schweiz

{slider=39. Bilder deiner großen Liebe nach Wolfgang Herrndorf
Regie: Tom Schneider
Theater Neumarkt Zürich, Premiere am 28. April 2016|closed}
Eine großartige Sandra Hüller verleiht Wolfgang Herrndorfs posthum erschienenem Romanfragment einen Kanon von Stimmen: zwischen barockem
Rezitativ und Rockkonzert oszilliert diese Isa, ein nicht so sehr verrückter als vielmehr übersinnlich begabter Teenie, der uns die Furchtlosigkeit vor dem Mond, dem Herrn und den Abgründen seiner Schöpfung lehrt.

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{slider=40. Caligula von Albert Camus
Regie: Antonio Latella
Theater Basel, Premiere am 11. November 2016}
Aus dem papiernen Stücke-Konstrukt des jungen Philosophen Albert Camus hat Regisseur Antonio Latella eine Inszenierung geformt, die im Publikum Hass, Angst und Ekel hochkriechen lässt. Dabei hat er sich gar nicht von der Vorlage entfernt, er hat einfach aus den figürlichen Funktionsträgern Menschen geformt. Schockelemente braucht Latella keine: Die Abgründe erweisen sich durch die Gefühle der Akteure. Eine konzentrierte Leistung, die fordert, herausfordert – und in ihren besten Momenten Angst macht.

{slider=41. Die Vernichtung von Olga Bach und Ersan Mondtag
Regie: Ersan Mondtag
Konzert Theater Bern, Premiere am 15. Oktober 2016}
Ein Beispiel, wie Stück und Inszenierung aufs produktivste gegeneinander arbeiten können: In einem sphärischen Biotop, halb Garten-Eden, halb virtuelle Welt à la "Second Life", verwandelt Regisseur Ersan Mondtag einen von ihm und Olga Bach verfassten, tendenziell alltagsrealistisch daher kommenden Hipster-Text: Mit opulentem Bild- und Sounddesign wird aus der eher unterspielten zeitgeistigen Hedonismus-Studie aus der Mitte des Neoliberalismus eine schwebende, mythische Schau menschlichen Mühens. Über weite Bögen rückt sie im Finale wieder nahe an die Konflikte unserer Tage heran, wenn ein Besuch im Techno-Club in düstere populistische Gedankenströme mündet.

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{slider=42. Drei Schwestern von Simon Stone nach Anton Tschechow
Regie: Simon Stone
Theater Basel, Premiere am 10. Dezember 2016|closed}
Nach Berlin, nach San Francisco: Wenn Simon Stone Tschechow überschreibt, wird die "russische Seele" virtuos ins Heute transferiert und dennoch nicht in der Substanz beschädigt. Aber das Stück ist endlich mal als Komödie zu erleben.

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{slider=43. Unusual Weather Phenomena Project von Thom Luz
Regie: Thom Luz
Eine Produktion von Thom Luz und Bernetta Theaterproduktionen, Koproduktion mit Gessnerallee Zürich, Théatre Vidy Lausanne, Kaserne Basel, Südpol Luzern, Theater Chur, Premiere Gessnerallee Zürich 10. März 2016}
Thom Luz, Hausregisseur am Theater Basel, löst die Naturgesetze in dieser atmosphärisch dichten Wettersymphonie auf. Sein musikalisches Theater der Traumbilder sprengt die Kraft der Vernunft und öffnet Räume für Assoziationen. Virtuos stellt sein Musiktheater die Wirklichkeit wie auch die Theaterformen in Frage.

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{slider=44. Viel gut essen von Sibylle Berg
Regie: Sebastian Nübling
Schauspielhaus Zürich, Premiere am 6. Februar 2016}
"1 Mann oder viele" fordert Sibylle Berg für ihr Stück "Viel gut essen" und schreibt außerdem "Der Einsatz und die Verwendung der (chorischen) Zusatzstücke richten sich nach der jeweiligen Inszenierung." Für die Schweizer Erstaufführung im Zürcher Pfauen hat Regisseur Sebastian Nübling die Anweisung ernst genommen – und doch subversiv-genial unterlaufen. Nübling besetzt mit den drei Schauspielerinnen Hilke Altefrohne, Henrike Johanna Jörissen und Lena Schwarz, steckt sie in Männerklamotten und schminkt sie entsprechend. Es ist Nüblings Verdienst, den Bergschen altbekannten Klischees einen völlig neuen Ton zu geben. Die Männer sind männlich perfekt: Lena Schwarz mit windig-fluffiger Tolle, Hilke Altefrohne mit akkuratem Scheitel, Henrike Johanna Jörissen mit licht gewordenem Breitscheitel und alle drei mit dünnem Schnauzbärtchen. Und doch ist jede lüstern-züngelnde Zunge, jeder Griff in den Schritt, jedes Unverständnis dieses Mannes ein Aufruf gegen jedes Schubladen-Denken.

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Internationale Koproduktionen

{slider=45. Empire von Milo Rau
Regie: Milo Rau
Produktion des IIPM – International Institute of Political Murder, in Koproduktion mit dem Zürcher Theater Spektakel, der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin und dem Steirischen Herbst Graz, Premiere in Zürich am 1. September 2016|closed}
Es gibt: Vier Menschen mit Biografie und gleichmäßiger Stimme, Nahaufnahmen ihrer Gesichter beim Erzählen ihrer Geschichten, einen zeitgeschichtlichen Horizont, der bis nach Syrien, Rumänien, Griechenland reicht. Ein ebenso dichtes wie ruhiges Arrangement. Und dann: Wird Aischylos zitiert, wird ein Unbehagen des kleinen und kurzen Menschenlebens am großen Gang der Geschichte zitiert – es wird aber Aischylos herbei zitiert und damit grätschen uralte Worte zwischen das bloße Vergehen.

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{slider=46. Five easy pieces von Milo Rau
Regie: Milo Rau
Produktion von IIPM– International Institute of Political Murder und Campo Gent, Koproduktion mit Kunstenfestivaldesarts Brussels 2016, Münchner Kammerspiele, La Bâtie – Festival de Genève, Kaserne Basel, Gessnerallee Zürich, Singapore International Festival of Arts (SIFA), SICK! Festival UK, Le phénix scène nationale Valenciennes pôle européen de création und Sophiensaele Berlin, Premiere im deutschsprachigen Raum in den Sophiensaelen Berlin am 1. Juli 2016|closed}
Kinder spielen die Geschichte eines Kindermörders, mit größter Genauigkeit, ohne falsche Töne und ohne falsche Gefühligkeit. Sie zeigen die Wirklichkeit wie sie ist: schrecklich, schön, aber nie unbegreiflich.

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{slider=47. Látszatélet / Imitation of Life von Kornél Mundruczó / Proton Theatre
Regie: Kornél Mundruczó
Eine Produktion des Proton Theatre Budapest, koproduziert von Wiener Festwochen, Theater Oberhausen, La rose des vents – Scène nationale Lille Métropole Villeneuve d’Ascq, Maillon, Théâtre de Strasbourg / Scène européenne, Trafó Kortárs Művészetek Háza, Budapest, HAU Hebbel am Ufer, Berlin, Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste, Dresden, Wiesbaden BiennaleKoproduktion Wiener Festwochen mit Theater Oberhausen, Wiener Premiere am 21. Mai 2016|closed}
Sozialdrama (Roma-Frau will Zwangsräumung verhindern und stirbt) kippt in surreale Horror-Traum-Story um die neuen Mieter. Zwischen den Teilen der tollste Theatermoment des Jahrzehnts: die gesamte vollgeramschte Wohnung dreht sich um ihre Achse – Bühne=Waschmaschinentrommel – alles stürzt übereinander und wird zerstört. Bungee Jumping für die Zuschauerseele: Entsetzen und anarchischer Rausch. Die Aufführung erübrigt alle Diskussionen über Formen – bietet alles auf einmal – Mitgefühl, Tränen, radikalen politischen Protest, puren Blödsinn, Ewiges und Unbegreifliches, Angst, Lust – eine Imitation des Lebens. Großartig!

{slider=48. nicht schlafen von Alain Platel & Les Ballets C de la B
Regie: Alain Platel
Eine Produktion von les ballets C de la B in Koproduktion mit der Ruhrtriennale und La Bâtie-Festival de Genève, TorinoDanza, Biennale de Lyon, L’Opéra de Lille, Kampnagel Hamburg, MC93 – Maison de la Culture de la Seine-Saint-Denis, Holland Festival, Ludwigsburger Schlossfestspiele, NTGent, Premiere auf der Ruhrtriennale am 1. September 2016}
Inspiriert von Philipp Bloms "Der taumelnde Kontinent" und der Musik Gustav Mahlers erhält in der imponierenden Szenenfolge die Versehrtheit der Kreatur Gestalt. Gewalt erschafft Kriegskörper. Platels Choreografie eines kontrollierten Ausnahmezustands ist ein vitales Mahnmal des Schmerzes.

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{slider=49. Real Magic von Forced Entertainment
Regie: Tim Etchells
Produktion von Forced Entertainment, koproduziert von PACT Zollverein (Essen), HAU Hebbel am Ufer (Berlin), Künstlerhaus Mousonturm (Frankfurt), Tanzquartier Wien, ACCA (The Attenborough Centre for the Creative Arts, University of Sussex), Spalding Gray Consortium — On the Boards (Seattle), PS122 (New York City), Walker Art Center (Minneapolis), Warhol Museum (Pittsburgh), Premiere auf PACT Zollverein Essen am 4. Mai 2016}
"Real Magic" ist eine unglaubliche, tolldreiste und mutige Show, in der drei Performer*innen fast zwei Stunden lang versuchen, auf immer neue Weisen eine offensichtlich unlösbare Aufgabe zu lösen, und dabei höchst virtuos mit immer neu erblühender Hoffnung und abgrundtiefem Scheitern spielen. Zugleich kündet die Performance von einer Verschiebung im Werk von "Forced Entertainment", die neugierig macht auf das, was als nächstes kommen wird.

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{slider=50. Fin de Mission von Kainkollektiv und dem Ensemble OTHNI
Regie: Fabian Lettow, Mirjam Schmuck, Martin Ambara
Eine Produktion von kainkollektiv und OTHNI – Laboratoire de Théâtre de Yaoundé, koproduziert von Ringlokschuppen Ruhr, FFT Düsseldorf, Kampnagel Hamburg und Doual'Art Douala. Premiere im Ringlokschuppen Mülheim am 4. November 2016}
Eine Geschichtsforschung über Kolonialismus aus deutsch-afrikanischer Doppelperspektive, die nachhaltige Wirkung erzielt. Jenseits der Rituale, mit denen hier das Böse ausgetrieben wird, entfaltet der Abend Magie, wenn in surrealen Videos die durchnässten Performer zu vergessenen Sklaven-Häfen oder -Folterstätten schippern und sie sich selbst stilisieren als Wandernde durch dunkle, mythische Tore der Erinnerung. Man lernt eine Menge an diesem Abend – und kann am Ende netterweise auch noch darüber kommunizieren.

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