Wir hier unten – die dort oben

von Falk Schreiber

30. Januar 2017. Bernd Stegemann ist ein zutiefst politisch denkender Mensch, als Dramaturg (der ab kommenden Sommer an Oliver Reeses Berliner Ensemble engagiert ist) ebenso wie als Professor an der Berliner Ernst-Busch-Schule und als Publizist, der ein tradiertes Schauspielverständnis in Stellung zu bringen versucht gegen performative Theaterformen. Wer Stegemann also ein wenig kennt, den überrascht nicht, dass der Aufsatz "Das Gespenst des Populismus" ausschließlich politisch argumentiert und erst kurz vor Schluss eine einzige Anknüpfung ans Theater wagt, zu Milo Raus Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs an der Berliner Schaubühne. Mag mancherorts die Tendenz der deutschen Intellektuellen beklagt werden, sich zurückziehen in die Elfenbeintürme von Dramaturgie und Hochschule: Stegemann zumindest zieht sich nicht zurück, Stegemann mischt sich ein.

Konservative marxistische Argumente

Dass diese Einmischung häufig mit einer Positionierung einher geht, die landläufig als konservativ beschrieben wird, dürfte niemandem so unangenehm sein wie Stegemann selbst. Denn der ist von Haus aus ein Linker, ein Antikonservativer also, der in "Das Gespenst des Populismus", einer Analyse des Aufstiegs von Trump, Front National und AfD, ganz klassisch marxistisch argumentiert: Das Erstarken populistischer Positionen ist zurückzuführen auf einen sich verschärfenden Klassengegensatz. So weit, so links. Das Problem dabei ist, dass der Autor davon auszugehen scheint, dass solch eine Klassen-Argumentation von der Geschichte diskreditiert ist, also aus einer Verteidigungsposition sprechen muss.

Das Gespenst des Populismus 2017 Cover 200 uNebenwidersprüche verstellen den linken Blick

Deutlich wird das, wo Stegemann die Machtverhältnisse in den heutigen westlichen Gesellschaften skizziert: Oben steht ein zum Neoliberalismus pervertierter Liberalismus, dem sich die Linke praktisch vollkommen angeschlossen hat, freilich ohne echte Fragen nach Verteilungsgerechtigkeit zu stellen, sondern sich in Identitätsfragen zu verzetteln, Gendertheorie oder Postmigration etwa – "Nebenwidersprüche" nannte Marx das, "Political Correctness" heißt es bei Stegemann. Währenddessen steht unten eine immer größer werdende Gruppe von Menschen, die aus dem Diskurs ausgeschlossen sind, und für die die liberalen Errungenschaften Internationalismus und Freizügigkeit ganz grundsätzliche Nachteile zur Folge hat: Die für das Kapital offenen Grenzen machen es den Neoliberalen leicht, Produktionsprozesse ins Ausland zu verlegen, während Migration in den Arbeitsmarkt das Lohndumping befördert. Und während die Linke sich mit Homoehe und Transgendertoiletten beschäftigt, bieten sich die Rechten an, die Interessen der Ausgeschlossenen zu vertreten.

Keine linke Oppostition

Stegemanns Gesellschaftsbild ist nicht grundsätzlich falsch – wenn man sich die auch in Teilen der Linken verbreitete Wut auf Kultursubventionen bei parellelem Rückzug der öffentlichen Hand aus dem Sozialbereich anschaut, dann stellt man durchaus fest, dass sich nicht mehr automatisch vermittelt, weswegen ein Bauwerk wie die Hamburger Elbphilharmonie mehr sein könnte als ein Denkmal für eine Elite mit Diskurshoheit. Allerdings ist dieses Bild blind für Gegenbeispiele. Die Behauptung einer neoliberalen Machtkonzentration gerät dort ins Wanken, wo rechte Regierungen und die für sie typische Politik (Protektionismus, Nationalismus) an der Macht waren oder sind – nach "Das Gespenst des Populismus" müssten sich die Abgehängten dort nach links orientiert haben, nachdem deutlich wurde, dass die Rechten ihre Situation nicht spürbar verbesserten. Allein: Weder in Polen noch in Ungarn noch in der Türkei lässt sich eine nennenswerte linke Opposition gegen Neoliberalismus und rechten Populismus konstatieren, und auch die Tatsache, dass in Österreich die FPÖ an der Bundesregierung beteiligt war, dass die Sarkozy-Regierung in Frankreich ebenso rechtspopulistische Züge zeigte wie die Berlusconi-Regierung in Italien, erschüttert die These nicht.

Der Popanz Sprachdiktatur

Im Grunde macht Stegemann damit dasselbe wie die AfD: Er konstruiert eine Situation "Wir hier unten – die dort oben", ohne in den Blick zu nehmen, dass diejenigen, die sich am deutlichsten "hier unten" positionieren, längst oben angekommen sind. Deutlich wird das in seinem Furor gegen die Political Correctness, die er nicht als Analysetool für Machtstrukturen versteht, sondern als Sprachdiktatur, die angeblich in der Lage sei, Verstöße massiv zu sanktionieren. Auch hier wieder Blindheit: Dass Autoren von Thilo Sarrazin bis Harald Martenstein ganz und gar nicht sanktioniert werden, sondern von ihrem Kampf gegen das, was sie für Auswüchse der Political Correctness halten, in der deutschen Medienlandschaft ziemlich gut leben, blendet diese Argumentation völlig aus.

Die Postmoderne ist schuld

Indem er die Linke zum Schoßhündchen des Neoliberalismus macht, wertet Stegemann die Rechte unnötig als einzig echte Opposition auf, zumal er diese dienende Position der Linken nur unzureichend begründet. Die "postmoderne Theorie" mit ihrem Hang zum Relativieren und Differenzieren sei schuld, behauptet er – das allerdings ist keine Begründung und zudem die Diffamierung eines linken Postmodernismus, wie ihn zum Beispiel Michel Foucault oder Deleuze/Guattari vertreten. Zumindest schließt sich damit aber die Lücke zwischen dem politischen Analytiker Stegemann und dem Theaterpraktiker Stegemann: als Gegner der Postmoderne ist dieser auch ein Gegner von Postdramatik und performativem Theater. Das freilich ist eine Gegnerschaft, die nun wirklich nichts mehr mit einer linken Position zu tun hat.

 

Das Gespenst des Populismus
von Bernd Stegemann
Verlag Theater der Zeit, 180 Seiten, 14 Euro

 

Mehr zu Bernd Stegemann: In der Stadttheaterdebatte plädierte Stegemann 2014 für das Künstlertheater; 2015 veröffentlichte Stegemann sein viel diskutiertes Buch Lob des Realismus; kürzlich führte er noch einmal einen scharfen Angriff gegen die performative Wende im Theater.

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