Paradise Lost

von Martin Pesl

Wien, 16. März 2017. Lange bevor der Vorhang hochgeht, hört man das Meer rauschen. Man erwartet ein Südseeparadies. "Galápagos" heißt das Stück, und schon der Titel will so gar nicht passen zum verdienten Tiroler Volksdramatiker Felix Mitterer, dessen Geschichten gefühlt in dörfliche Enge und alpine Tristesse gehören. Überraschend gibt der Vorhang dann die nackte Bühnenwand des Theaters in der Josefstadt frei, der Boden ist voll mit zerknüllten Papieren, Beweisen fürs Scheitern.

Gefundenes Fressen für Medien und Literaten

Ein Paradies mit zwei nackten Menschen à la Adam und Eva reißen Raphael von Bargen und Eva Mayer nur am Anfang kurz an, indem sie, um die glorreiche Ankunft von Dr. Friedrich Ritter und Frau Dore Strauch auf der Insel Floreana anzudeuten, schnell mal die Hosen runterlassen vor einem temporär ausgerollten Sonnenuntergangsplakat. Dann tauchen weitere Menschen auf, und das war's mit frei und nackt. Sind schließlich Deutsche.

Die Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten im Jahre 1934: Insgesamt sieben Menschen siedelten aus einem Europa der Zwischenkriegszeit voller Pioniergeist auf besagte Insel fern der Zivilisation. Ein paar Monate später waren die meisten tot oder verschwunden, und trotz eines Bestsellers der Überlebenden Margret Wittmer weiß bis heute niemand, wieso.

Galapagos1 560 Moritz Schell uVor der Fotowand-Exotik: Matthias Franz Stein, Raphael von Bargen, Ruth Brauer-Kvam, Roman Schmelzer, Eva Mayer, Ljubiša Lupo Grujčić, Peter Scholz, Pauline Knof © Moritz Schell

Die seinerzeit sensationslüstern ausgeschlachtete True-Crime-Story ist als Galápagos-Affäre bekannt. Sie war ein gefundenes Fressen für die Medien und Literaten wie Georges Simenon. Jetzt interessiert sich Felix Mitterer dafür. Von ihm wurden in der Josefstadt schon 2013 mit Jägerstätter und 2015 mit Der Boxer biografische Dramen uraufgeführt, beide durch Stephanie Mohr. Beide kreisten um von den Nazis verfolgte historische Idole, deren dramatisierte Biografien auch etwas über die Gesellschaft damals und heute aussagen.

Hass, Neid, Ärger, Tuberkulose

Auch im neuesten Mohr-Mitterer vermutet man daher zunächst das Lehrstück. Die Moral könnte lauten: Menschen sind dazu verdammt, ihr eigenes Werk zu zerstören. Der verschrobene Dr. Ritter will eigentlich sein philosophisches Hauptwerk schreiben, sabotiert sich aber ständig selbst – unter anderem durch einen verbissenen Kleinkrieg mit einem Eber. Oder: Wir können die Rückkehr zur Unschuld nicht erzwingen. Oder: Der Mensch ist des Menschen Wolf. Friedrich und Dore kommen schon mit dem braven Ehepaar Wittmer nur widerwillig zurecht, die exzentrische Baronin Eloise und ihre beiden Liebhaber Bubi und Rudi erwecken dann in allen die schlimmsten Instinkte.

Hass, Neid, Ärger, Tuberkulose. Eine hineinerfundene Figur, der Ermittler Pasmino vom Festland, lässt sich die Ereignisse in Rückblenden aufrollen. Anfangs haben wir eben noch das Gefühl, irgendetwas daraus lernen zu sollen – vielleicht weil der Sound der unbarmherzig summenden Mücken so etwas Mahnendes an sich hat. Je weiter Mitterer uns aber diese verhinderte Robinsonade erzählt, desto doofer scheint sie ihm selbst vorzukommen. So wie Ljubiša Lupo Grujčić als Pasmino alles fabelhaft amüsant findet, so sieht auch Mitterer von oben herab höhnisch diesen Menschen zu, die statt einem Garten Eden ihr Unglück anpflanzen.

Stephanie Mohr pflichtet ihm bei und setzt noch eines drauf: Die belämmerten Frisuren von Raphael von Bargen (Lockenschopf) und Matthias Franz Stein (sein Rudi ist ein Britpop-wasserstoffblonder Armleuchter) oder die lüsternen Posen von Roman Schmelzer als Bubi und Ruth Brauer-Kvam als Baronin geben ihre Figuren bestens gelaunt der Lächerlichkeit preis. Bewusst geschmacklos sind illustrative Banner wie jenes mit alpinen Kitschhäusern und Würstchen zur Kennzeichnung von Wittmers' deutsch häuslicher Biederkeit. Absurd, in der Südsee Schweinsbraten zu wollen!

Postmoderne Lustigkeit

Als dann der biografische Anspruch sowieso an seine Grenzen stößt, weil Gefahr droht, ein in Wahrheit ungelöstes Rätsel aufzulösen, versucht sich Mitterer in postmoderner Lustigkeit. Als Dore den Tod ihres Gefährten mit der ihrem Charakter entsprechenden Schwärmerei schildert, beklagt sich weniger Margret Wittmer als die Schauspielerin Pauline Knof, dass das unrealistisch, weil "sentimentaler Schwachsinn" sei.

Die Wahrheit ist sowieso eine ganz andere, zwinkert uns im allerletzten Bild ein bepanzerter Wackeldackel zu: Die Schildkröte war's. Denn wo "Galápagos" draufsteht, darf Lonesome George natürlich nicht fehlen. "Wieso sind Sie denn so versessen auf diese Geschichte?", fragt Heinz Wittmer einmal den Ermittler. Felix Mitterer und Stephanie Mohr könnte man fragen: Warum gerade jetzt, ohne Jubiläum, ohne äußeren Anlass diese kuriose Affäre ausgraben – nur um ihr dann den Boden unter den Füßen wegzuziehen?

 

Galápagos
von Felix Mitterer
Uraufführung
Regie: Stephanie Mohr, Bühnenbild: Miriam Busch, Kostüme: Nini von Selzam, Musik: Stefan Lasko, Dramaturgie: Matthias Asboth, Licht: Manfred Grohs.
Mit: Raphael von Bargen, Ruth Brauer-Kvam, Ljubiša Lupo Grujčić, Pauline Knof, Eva Mayer, Roman Schmelzer, Peter Scholz, Matthias Franz Stein.
Dauer: 2 Stunden 30 Minuten, eine Pause

www.josefstadt.org

Kritikenrundschau

Michael Wurmitzer schreibt auf derStandard.at (17.3.2017: In der "schwarzen Leere des Bühnenkastens" entwickele sich ein "reizvolles Kammerspiel der beiden Paare". Dann aber zögen mit Eloise Wagner de Bousquet und ihren Toyboys "irritierend fade" Figuren in die Geschichte ein. "Toll" seien Regie und Ensemble, sie beherrschten ihr Handwerk. Bloß das Stück sei "kein großer Wurf". Zwar sei die Uraufführung "handwerklich schön gelungen". Bloß: "wozu?"

Barbara Petsch schreibt auf der Website der Wiener Presse (17.3.2017): Mitterer erzähle "von fernen Ländern, von der Insel, für die keiner reif ist" und von noch viel mehr, außerdem blättere er "einen Krimi" auf. Stephanie Mohr mische "munter Melodram, echte Emotionen mit Satire, Slapstick" – und habe ein "halbwegs motiviertes Ensemble" zur Verfügung. Doch die Produktion wirke "teilweise schleißig, manchmal unfreiwillig komisch in ihrem Annäherungsversuch an die Wildnis". Ein Abend für "Geduldige, die Mitterers gründliche Erkundung des Themas zu schätzen wissen".

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beschreibt Martin Lhotzky (18.3.2017) ausführlich die historischen Begebenheiten und ihre medialen Nachwehen. Dann die Inszenierung: Mitterer flechte aus dem Stoff "eine Kriminalerzählung mit mehreren Perspektiven und in Rückblenden". Seine "Stammregisseurin" Stephanie Mohr setze dieses "durch allzu zähes Kleben an den Zeugenberichten wenig überraschende Werk" in den Sand. Der Eindruck dränge sich auf, dass die Regie den Text "nicht ganz ernst genommen" und das Ensemble "zum Herumkaspern angestachelt" habe – ein "Kasperltheater ohne Krokodil".

 

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