Kolumne: Queer Royal - Georg Kasch öffnet das Schwarzbuch der Geschlechterungerechtigkeit auf deutschsprachigen Bühnen
Kantersiege eines Männersystems
von Georg Kasch
Berlin, 28. März 2017. Ich bin Feminist. Das war nicht immer so. Früher hatte ich den Eindruck, ich kenne so viele Frauen, die was können und wollen, die brauchen meine Unterstützung nicht, die schaffen das auch alleine. Aber das ist ein ebenso dummer Gedanke wie der, das queer nur was für Homos ist. Man muss nur mal auf die Zahlen gucken. Statistisch gesehen bekommen Frauen in Deutschland für jeden Euro, den Männer verdienen, 79 Cent. Oder: Nur fünf Prozent aller Künstler*innen in den Abteilungen für zeitgenössische Kunst in Museen sind Frauen, aber über 85 Prozent der Akte sind weiblich.
Die nackten Zahlen
Am Theater, das ja immer wieder gut darin ist, in "Nora"-Inszenierungen mahnend den Finger zu heben und in Niedriglohnjobs wie dem der Soufflage vor allem Frauen einzustellen, sieht es auch nicht so viel anders aus. Die Premieren, die im März in Deutschland, Österreich und der Schweiz über die Bühne gehen, verantworten zu 31 Prozent Regisseurinnen. Dass sich dieses Drittel nicht beim Berliner Theatertreffen abbildet, obwohl zum ersten Mal mehr Frauen als Männer in der Jury sitzen, begründet eine Jurorin damit, das viele Regisseurinnen oft an kleineren Häusern und in den Nebenspielstätten arbeiten.
Dazu ein kleiner Zahlencheck: Das Geschlechter-Regie-Verhältnis liegt in dieser Spielzeit bei den Premieren am Deutschen Theater Berlin bei 23:6, an der Wiener Burg bei 16:6, an der Berliner Schaubühne bei 7:2. Eine Intendantin macht noch keine Quote, das zeigt der Blick an Karin Beiers Deutsches Schauspielhaus in Hamburg (12:7), an Barbara Freys Zürcher Schauspielhaus (14:6) und Anna Badoras Volkstheater Wien (17:10). Bei den Stichproben kamen nur Shermin Langhoffs Berliner Gorki mit 9:9 und Juliane Vottelers Theater Augsburg mit 5:5 in der Schauspielsparte auf den Gleichstand. Wenn man übrigens das Verhältnis Haupt- und Nebenbühne berücksichtigt, werden die Zahlen tatsächlich oft noch mieser (selbst im Gorki gibt's auf der Hauptbühne "nur" ein 8:4). Auch ein Blick auf die Themen lohnt: Am Gorki zum Beispiel wird in Abenden wie Und dann kam Mirna und "Stören“ öffentlich verhandelt, was es heißt, Frau zu sein, in Augsburg bleibt das der Repertoire-"Geierwally" vorbehalten. Zur Ästhetik des weiblichen Bühnenauftritts hat mein Kollege Leopold Lippert vor zwei Jahren schon Wesentliches gesagt.
Nun wäre es wirklich merkwürdig, von den leitenden Frauen zu verlangen, was leitende Männer auch nicht hinkriegen: so viele Regisseurinnen wie Regisseure zu engagieren. Aber ein bisschen mehr Quote wäre vielleicht doch eine Möglichkeit – die Wirtschaft hat es ohne sie ja auch nicht hingekriegt mit den Spitzenposten für Frauen. Das Gorki wiederum zeigte in den letzten Jahren, was passiert, wenn man explizit Künstler*innen einer zuvor marginalisierten Gruppe fördert – und damit eine eigene Ästhetik prägt und ein neues Publikum. Man muss es ja nicht mal Quote nennen. Gerechtigkeit ginge auch.
Die freie Frauen-Szene
Und die freie Szene? So gut lässt sich da nicht durchzählen, aber auf den ersten Blick scheint es mir doch so, dass es unter den bedeutenden Kollektiven besonders viele gibt, die zu einem wesentlichen Teil aus Frauen bestehen, von She She Pop und Gob Squad über Monster Truck bis hin zu Henrike Iglesias. Vielleicht, weil sie da nicht vom einem immer noch von Männern dominierten Apparat abhängig sind? Weil man sich im Teamwork den leidigen Umweg über die Ellenbogen spart? Oder weil man so Intendant*innen umgeht, die junge Regisseurinnen auf die Experimentierbühnen verbannen? Oder weil sich in freieren Strukturen Beruf und Privatleben besser vereinen lassen? Mit Annemie Vanackere (HAU Berlin), Amelie Deuflhard (Kampnagel Hamburg), Katrin Tiedemann (fft Düsseldorf), Franziska Werner (Sophiensaele Berlin), Carena Schlewitt (Kaserne Basel) oder Kira Kirsch (brut Wien) hat die freie Szene auch überproportional viele prägende Theater-Leiterinnen.
Dass man das gängige Verhältnis umdrehen kann, zeigt in diesem Jahr übrigens das Festival Radikal jung – da kommen auf sechs Regisseurinnen nur drei Regisseure (bei einem Jury-Verhältnis 2:1). Das war auch schon mal ganz anders und der Akzentwechsel dem Vernehmen nach ein bewusster. Was zum einen Hoffnung auf die Zukunft macht. Und zum anderen zeigt: Man muss Feminismus wollen, dann klappt's auch mit der Quote.
Georg Kasch, Jahrgang 1979, ist Redakteur von nachtkritik.de. Er studierte Neuere deutsche Literatur, Theaterwissenschaft und Kulturjournalismus in Berlin und München. In seiner Kolumne "Queer Royal" blickt er jenseits heteronormativer Grenzen auf Theater und Welt.
Zuletzt schrieb Georg Kasch in seiner Kolumne über postfaktischen Wahlkampf.
Wir bieten profunden Theaterjournalismus
Wir sprechen in Interviews und Podcasts mit wichtigen Akteur:innen. Wir begleiten viele Themen meinungsstark, langfristig und ausführlich. Das ist aufwändig und kostenintensiv, aber für uns unverzichtbar. Tragen Sie mit Ihrem Beitrag zur Qualität und Vielseitigkeit von nachtkritik.de bei.
Ihre Aussage: "Statistisch gesehen bekommen Frauen in Deutschland für jeden Euro, den Männer verdienen, 79 Cent" stimmt so leider nicht, weil er die verstärkte Teilzeitquote bei Frauen unberücksichtigt lässt. Und wer weniger arbeitet, bekommt natürlich auch weniger Geld, das ist ja klar.
Der Lohn-Abstand bei gleicher Arbeitszeit (Vollzeit versus Halbtags) beträgt 5,5 Prozent. Das ist immer noch viel zuviel, ohne Frage, aber ist eben auch bei weitem nicht soviel, wie Sie suggerieren - und hat eben auch etwas mit der Berufswahl zu tun.
Quelle: Zum Beispiel: http://www.zeit.de/karriere/2016-03/gender-pay-gap-frauen-maenner-gehalt-unterschiede-studie
Das heißt nicht, dass sie nicht zu führen wäre. Ich möchte sie aber dialektisch führen, nicht eindimensional und unter Ausblendung der Ökonomie, wenn es um ästhetische Wertung geht. Das kann natürlich bedeuten, dass man dann gar kein Publikum findet und auf Applaus und seine öffentliche Darstellung verzichten muss. Muss man eben wissen, was man will. Gender in dialektisch globalökonomisch oder Gender in positivistisch selbstberuhigend ichbineinegroßekünstlerinundkannebenambestenmitfrauenarbeiten... Ich stelle es mir grauenhaft vor, wenn man als Frau nur über die Lage der Frau extemporieren sollte, WEIL man eine Frau ist und deshalb nur etwas von der Lage der Frau verstehen können darf - oder anderenfalls gar nicht wahrgenommen würde -
Was mich echt interessiert, wenn sich jemand diese statistische Arbeit macht: Die 85 % der weiblichen Akte unter den veröffentlichten Akten - von wievielen Modellen sind die erstellt worden? - Und ich denke, dass Frauen Feministen, die sich auch einmal in ihre Lage versetzen genauso gut gebrauchen können wie Männer zuweilen Chauvinistinnen...
Und:
nk-Redaktion: 6:4
nk-Autorenliste: 41:24
nk-Theatertreffen-2017-Longlist: 35:16
nk-Theatertreffen-2017-Shortlist: 8:2
@gabi dan droste: nachtkritik.de ist ein partizipatives Medium. Zählen Sie mit?
(Sehr geehrter Kommentar, die gestrichene Stelle enthielt eine Tatsachenbehauptung, die für uns unüberprüfbar war. Zu den Regeln des Kommentarbereichs: http://www.nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=12&Itemid=102#kommentarkodex Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow / Redaktion)
Zähle ich die Menschen die bei uns am Haus inszenieren, dann komme ich auf 6 Frauen und 6 Männer. ( Inkl. Übernahmen wären es 6 Frauen und 8 Männer.)
Zähle ich die Inszenierungen, dann komme ich auf 8 Produktionen mit weiblicher Regie und 7 mit männlicher Regie. (Inkl. Übernahmen wären es 8 weibliche und 9 männliche.)
Zahlen sind dann interessant, wenn Grundregeln für die Gewinnung der Zahlen bekannt sind. Wenn alle Spielpläne, der Theater der öffentlichen Trägerschaft, für die kommende Spielzeit feststehen könnte das große Zählen beginnen.
Ich bin gegen Quoten, aber für Offenlegung der Fakten.
#werzähltmit?
"Ich möchte künstlerische Verantwortung aufgrund von Qualität übertragen bekommen. Nicht aufgrund biologistischer Kriterien."
Aber ich bitte Sie - es gibt keine relevanten biologischen Kriterien, die Mann und Frau unterscheiden. Es handelt sich bei diesen Benennungen, Stereotypisierungen und Geschlechterklischees um rein gesellschaftliche Konstrukte. Lehrt uns die Genderforschung.
Man sollte im Theater im Grunde die Gender-Quote einführen, die bei Wirtschaftsvorständen gilt: Kann dort eine Quotenposition nicht mit einer Frau besetzt werden, hat deren Stuhl leer zu bleiben. Das ist gelebte Gereschtischkeit. Wenn ein Theater zehn Schauspielproduktionen im Jahr macht, muß es fünf davon an Regisseurinnen vergeben; finden sich keine fünf, gibt es bei den betreffenden Produktionen eben einfach keine Regie. Gereschtischkeit könnte so einfach sein.
Und diese Qualitätskriterien müsste man nach Regie und Intendanz auch unterscheiden.
1. Was ist eine gute Inszenierung, was eine weniger gute?
2. Was ist ein guter Regisseur/eine gute Regisseurin ?
3. Was ist ein guter Intendant/eine gute Intendantin?
aber nach der gleichen Logik müssten von zehn Kostümbildern (für diese zehn Produktionen) fünf von einem männlichen Kostümbildner gemacht werden. Findet sich keiner, gibts keine Kostüme.
Wer definiert Qualität? zumeist: Männlich, weiß, hetereosexuell - meistens auch noch aus wohlhabender Familie.
Wie werden alternative Qualitätskriterien zu den bestehenden etabliert? Durch langsamen Wandel? Nein. Durch beispielhafte Disruption des same old, same old? Ja. Siehe Gorki.
Wer ermöglicht derartigen Wandel? Die Privilegierten, die "einsehen", dass auch andere als Ihre kins Privilegien genießen sollten zum Besten der künstlerischen Innovation und demokratischen Teilhabe? Nein.
Durch systemexterne Agenten wie eine aktive Kulturpolitik? Ja. Definitiv eher.
Soll die Quote in Wirtschaftsvorständen gelten? Ja! Schreien wir alle einmal.
In der Kunst? Nein!!! Das geht ja nicht. Das ist ja Kunst. Da gibt es ja Qualitätskriterien, die man nicht einfach mit Quote abdecken kann... (als ob es in der Wirtschaft nicht auch um Qualitäten ginge)
Achso.
Sind wir wieder am Anfang.
Und lieber Martin Baucks: Fuck Hochkultur! wenn es um Innovation und Teilhabe geht, erwarte ich nichts außer Besitzstandsmentalität von den Protagonisten der Hochkultur, weil die meisten in egozentrischer Künstlerlogik nur an sich und ihre Kunst / ihren Erfolg denken. Das ist für die Kunstproduktion auch völlig ok. Aber fürs Janze eine Katastrophe. Q.e.d.
Juror/inn/en: 12:10
Preisträger/innen: 9:13 !
3sat-Preis
Preisträger/innen: 22:9 (mit Mehrfachzählungen bei Mehrfachverleihungen)
Mühlheim
Dramatikerpreis: 33:9 (davon 4x Jelinek)
Publikumspreis: 34:9 (seit 2008: 4:6)
Eine gute Inszenierung bringt alle Beteiligten künstlerisch voran. Eine gute Inszenierung hinterlässt keinen zwischenmenschlichen Flurschaden. Eine gute Inszenierung dient dem Text und fordert das Publikum auf ihm angenehme Weise. Eine gute Inszenierung verleiht den Zuschauern mehr Kraft zum eigenständigen Handeln als sie vor dem Zuschauen hatten. Eine gute Inszenierung beleidigt nicht den – auch nicht den schlummernden - Geist der Zuschauer und verletzt nicht deren Sinnlichkeit, indem sie sich über sie stellt. Eine gute Inszenierung wirkt so nachhaltig, dass sie auch nach längerer Zeit wieder aufgenommen werden kann, Umbesetzungen verträgt und jedes Mal bei der Vorführung den Darstellern Raum lässt anders aufeinander zu reagieren, ohne dabei die Interpretation grundlegend zu verändern. Eine gute Inszenierung hält schlechte Kritiken aus und vermag sie realistisch ins Verhältnis zur eigenen Leistung zu setzen.
Eine weniger gute Inszenierung bringt nur wenige, schlimmstenfalls nur die Regie oder den Protagonisten/die Protagonistin künstlerisch voran. Sie ist also eher karrieristisch angelegt. Dadurch hinterlässt sie sofort oder erst später sichtbaren, nachhaltig wirkenden zwischenmenschlichen Flurschaden. Eine weniger gute Inszenierung gibt vor, dem Text zu dienen, bedient sich aber seiner lediglich, um die Leistung der eigenwilligen Interpretation durch die Regie zu betonen und dadurch Stärke zu demonstrieren. Eine weniger gute Inszenierung nimmt in Kauf, dass Zuschauer dem Theater zukünftig fernbleiben, weil sie des Geistes der Regie und des Theaterbetriebes eigentlich deutlich für nicht würdig befunden werden. Eine weniger gute Inszenierung möchte deutlich den Zuschauer sinnlich bereichern und beleidigt ihn durch dieses Ansinnen. Eine weniger gute Inszenierung will den Zuschauer zum politischen Handeln aktivieren und seine politische Meinung beeinflussen, ihn also vor allem erziehen, nicht unterhalten. Es will seine Selbsterkenntnis erzwingen, nicht sich seiner Möglichkeit in Dienst stellen. Eine weniger gute Inszenierung wirkt nicht nachhaltig. Niemandem fehlt sie, wenn sie nicht irgendwann wieder aufgenommen wird. Niemand ist traurig, wenn nicht auch er nach einer Umbesetzung sich in ihr mit den anderen Darstellern an der gemeinsamen Interpretation ausprobieren darf. Eine weniger gute Inszenierung nimmt gute Kritiken hin wie ein unfehlbares Urteil und vermag sie nicht realistisch ins Verhältnis zur eigenen Leistung zu setzen.
Was ist ein guter Regisseur/eine gute Regisseurin?
Ein guter Regisseur oder eine gute Regisseurin ist jemand, der oder die deutlich mehrheitlich gute Inszenierungen macht. Das ist etwa möglich ab der zehnten Inszenierung zu beurteilen. Wenn ein Regisseur oder eine Regisseurin von drei Inszenierungen zwei gute Inszenierungen macht, heißt das noch gar nichts, außer, dass da jemand begabt ist. Ein guter Regisseur oder eine gute Regisseurin besteht darauf, Texte zu inszenieren, zu denen es ihn oder sie instinktiv zieht. Er oder sie lehnt es ab, im Wesentlichen Texte zu inszenieren, die Dramaturgien in die Jahresplanung genommen hatten, weil sie zur politisch motivierten Jahresparole passen oder weil sie einen Text-Wettbewerb gewonnen haben. Ein guter Regisseur oder eine gute Regisseurin sorgt für die mentale Einbindung aller Beteiligten in den künstlerischen Prozess. Er oder sie bildet sich ständig fort und findet das vollkommen normal und nicht anstrengend. Er oder sie sieht sich die Premiere im Zuschauerraum an. Er oder sie bleibt im eigenen Land hinter dem Vorhang. Bei Gastspielpremieren geht er oder sie mit auf die Bühne, um sich mit den anderen zu zeigen.
Was ist ein guter Intendant/eine gute Intendantin?
Was ist ein guter Theaterautor/eine gute Theaterautorin? - next
Ein guter Intendant/eine gute Intendantin ist jemand, an dessen oder deren Haus mehrheitlich gute Regisseure und Regisseurinnen arbeiten. Ein guter Intendant/eine gute Intendantin sorgt für eine ausgewogenes Verhältnis in den guten Qualitäten: Er oder sie sorgt dafür, dass das Publikum sehr erfahrene, ältere Regisseure und Regisseurinnen, die es von früher her kennt, auch bei der Entwicklung eines Alterswerkes beobachten kann. Er oder sie sorgt dafür, dass auffällig junge gute Regisseure und Regisseurinnen anspruchsvolle Aufgaben übernehmen und sich kontinuierlich entwickeln können. Er oder sie sorgt dafür, dass Nachwuchs in den Gewerken, im Ensemble, in der Dramaturgie und in Regiebereich eine Chance bekommt, sich zu entwickeln. Er oder sie sorgt dafür, dass ein Talent ein Talent genannt wird, ein guter Regisseur oder eine gute Regisseurin ein guter Regisseur oder eine gute Regisseurin und ein Experiment ein Experiment. Er oder sie sorgt für Besetzungsgerechtigkeit und für ein ausgewogenes Verhältnis der Altersstruktur im Ensemble. Er oder sie sorgt für ein ausgewogenes Verhältnis von Personal-Bestandswahrung und Personal-Fluktuation. Er oder sie kümmert sich um die Sorgen und Nöte der Gewerke. Er oder sie sorgt für eine tadellose, nicht zu beanstandende Buchführung. Er oder sie kümmert sich um die Kontakte zur Kulturpolitik und kontrolliert die Seriosität in der Darstellung seines Hauses durch die Medien. Er oder sie ermutigt andere Intendanten oder Intendantinnen, dies alles ebenso zu tun und ist geduldig, wenn er oder sie erklärt, warum dies notwendig ist für die Gesellschaft im Staat wie in der Welt. Er oder sie trennt sich konsequent von Mitarbeitern, die eher ihre Karriere als die Kunst des Theaters im Sinn haben und sagt ihnen das auch so. Er oder sie bildet sich ständig fort und findet das so normal, dass dies nur in Ausnahmefällen auf Nachfrage der öffentlichen Erwähnung wert ist.
Was ist ein guter Theaterautor/eine gute Theaterautorin?
Ein guter Theaterautor oder eine gute Theaterautorin ist jemand, der oder die die Einhaltung von Qualitätsstandards des Theaters nur durch die Kraft seiner Texte auch in Abwesenheit vom Theater erzwingt.
(Quelle: D. Rust, Ungehaltene Reden über Literatur, Kulturpolitische und Dramaturgische Schriften, unveröffentlicht)
Meine Frage: Wieso also gibt es hier ein Genderproblem, wenn es doch ganz klare Qualitätskriterien gibt?
"aber nach der gleichen Logik müssten von zehn Kostümbildern (für diese zehn Produktionen) fünf von einem männlichen Kostümbildner gemacht werden. Findet sich keiner, gibts keine Kostüme."
Korrekt! Sie haben das Prinzip der Geschleschtergereschtischkeit verstanden. Das läßt sich auf die gesamte Gesellschaft übertragen: Bühnenarbeiterinnen, Posaunistinnen, Straßenbauarbeiterinnen, Bergwerksarbeiterinnen, Maurerinnen, Stahlgießerinnen, Mathematikerinnen, Quantenphysikerinnen.... ,( und umgekehrt natürlich Quote für Friseure, Hebammer, etcetc..)...da sind noch viele Gereschtischkeitslücken zu schließen bei unfair männerdominierten Berufszweigen. 50% Quote, und wenn nicht mit Frauen (bzw. Männern) besetzbar, bleibt der Arbeitsplatz eben frei. Fragen Sie Frau Schwesig.
@Hans Zisch #4: Wenn eine Frau nicht auf der großen Bühne inszenieren darf, kann sie nicht beweisen, dass sie große Bühne "kann". Sie kann eben Qualität nur dort liefern, wo man sie inszenieren läßt. Dieser Kreislauf läßt sich sehr schwer durchbrechen, leider völlig unabhängig von Qualität.
Meine Erfahrung in 24 Jahren Arbeit am Theater ist, dass die Mehrzahl der (männlichen) Intendanten lieber den männlichen Kollegen im Netzwerk einen Platz freihält bzw. andere männliche Intendantenkollegen oder potenzielle Intendanten als Gastregisseure ans Haus holt, als erfahrene weibliche Regisseurinnen. Die objektivsten Gründe, die ich erlebt und erfahren habe sind Konkurrenzangst und mangelnde Synergieeffekte. Wenn Frauen nicht Intendantinnen werden, können sie nämlich dem Mann keine Gegeneinladung zum gastieren geben, ihn im Bühnenverein oder einer anderen, lukrativereren Institution auch nicht unterstützen. Solange Frauen nicht viel mehr in verantwortlichen Positionen sind, haben sie einfach keinen Zugriff auf die Währung, mit der bezahlt werden muß.
Es ist tatsächlich so, wie Regisseurin schreibt.
Qualität entsteht durch Chancen. So lange es diese Chancen aber nicht gibt, können sich Frauen für die besseren Aufgaben nicht qualifizieren. Deshalb wäre es vor allem wichtig, jungen Regisseurinnen die Möglichkeit zu geben vorurteilsfrei und so viel wie möglich an großen Bühnen inszenieren zu dürfen, damit sie später auch die Chance haben, Spartenchefin und Intendantin zu werden.
Ich würde sagen, wir schauen uns die nächsten Berufungen ganz genau an, um festzustellen, dass sich die Nicht-Parität zwischen den Geschlechtern zementiert.
Hierzu muss sich vor allem der Bühnenverein verhalten.
Noch vor zwölf Jahren durfte Holk Freytag behaupten, dass die Diskussion um Theaterfrauen ein absoluter Luxus, die Chancengleichheit gegeben und nichts weiter zu tun sei. Und wenn Barbara Mundel im damaligen Frauen-Hearing im Düsseldorfer Schauspiel 2005 einem Holk Freytag beipflichtet, kann ich nur sagen, dass es auch um eine gewissen Frauen-Solidarität schlecht bestellt ist.
In den Unternehmen der Wirtschaft vernetzen sich die Frauen. In der Wirtschaft gibt es eine Quote, dass 30% der Führungspositionen (Vorstände) mit Frauen zu besetzen seien, ebenso in den Aufsichtsgremien.
Wenn wir endlich Direktorien hätten, könnte man das Patriarchat der Intendanten nicht nur sanft brechen, sondern Frauen die Möglichkeiten geben, früh in Führungsrollen im Theater zu wachsen.
Es geht ja als Intendantin auch nicht zwingend darum, beste Regisseurin der Welt zu sein, sondern soziale Fähigkeiten zu besitzen, ein Team leiten zu können, etc.
Zur Ausbildung:
Im Prinzip wird in den künstlerischen Berufen paritätisch ausgebildet. Die Ungleichheit beginnt erst in den Theatern. Mit den Gehältern. Der Gagenunterschied im NV-Bühne beträgt 150 € zwischen Männern und Frauen.
Und nun noch einmal zu den Fakten:
Vergleich man die Theaterstatistiken 93/94, 03/04 und 13/14 und die Spielzeithefte der Jahrgänge ergibt sich folgendes Bild:
1993/1994: 19% weibliche Intendantinnen,
2003/2004: 21 % weibliche Intendanten,
2013/2014: 20% weibliche Intendantinnen
Tendenz sinkend.
Es ist NICHTS passiert. seit 20 Jahren.
Nun sind wir gespannt, wen der Bühnenverein in Potsdam aufs Podium hievt, und wen bei den Ruhrfestspielen und anderswo.
Ich glaube nicht, dass die Verantwortung beim Bühnenverein liegt. Sie liegt in der Hauptsache bei den Frauen, die den Regieberuf anstreben selbst.
Können Sie mir sagen, woher Sie die Information zu NV-Verträgen haben? Die Aussage von Holk Freytag konnte ich online leider nicht nachlesen.
ich schreibe an meiner Diplomarbeit über die Geschlechtergleichheit am Staats- und Stadttheater. Diese könnte Sie sehr interessieren.
Vorab noch eine Frage/Idee: Wäre es nicht ganz einfach möglich, die "Herren Intendanten" zu einer 50-50-Quote bei Regieaufträgen zu nötigen, wenn das Publikum Häuser einfach nicht besucht, die dieses Kriterium nicht erfüllen? Denn Herr Kasch moniert ja, dass die Intendanten dazu selbst offenbar keine Veranlassung sehen. Und von Ihren Dienstherren scheint auch wenig Druck in jene Richtung zu gehen.
"08. Mai 2017 Radikal jung-Publikumspreis 2017 an Johanna Louise Witt
07. Mai 2017 Preise des Heidelberger Stückemarkts 2017 vergeben
06. Mai 2017 Breitenbachpreis für Dea Loher
05. Mai 2017 Münchner Theaterpreis 2017 an Annette Paulmann"
Vier Meldungen, vier Frauen. Vier Hauptpreise, kein Mann.
Hauptpreis in Heidelberg: Maryam Zaree. Dort Preisverteilung insgesamt: etwa 50:50, wenn ich das richtig sah. Bei "radikal jung" 33(Mann):66(Frau), wenn ich das richtig sah. Regie-Verteilung bei "radikal jung": 2:6.
Und auch Claudia Bauer (einzige Regisseurin der diesjährigen Theatertreffenauswahl) äußert sich klug zum Sujet (ab t=-3'20''): http://www.deutschlandfunk.de/theaterstueck-89-90-der-rechte-bodensatz-war-schon-da.911.de.html?dram:article_id=385596
https://twitter.com/komplexbrigade/status/862782016009502720
Gilt auch hier "Man kann nicht mit Frauen tanzen, die nicht im Saal sind?" Wie weit kann man das Argument diskursiv nach vorn verlagern im Karriereweg? Könnten das auch die Regieschulen sagen in Bezug auf ihre Bewerberinnenlage??