Die Suppe wird ausgelöffelt!

von Michael Laages

Bielefeld, 7. März 2009. Heinrich Himmler fehlt. Heiner Müller auch. Deutschem Charakter allerdings ist auch der junge Regisseur Robert Borgmann auf der Spur – aber der Absolvent der Berliner Schauspiel- und Regie-Schule "Ernst Busch", erprobt und bewährt nach ersten eigenen Projekten u.a. an der Schaubühne und dem Deutschem Theater in Berlin, legt diese deutschen Spuren in Bielefeld ganz anders aus.

Um Christian Dietrich Grabbes "Hermannsschlacht" herum hatte kürzlich Kay Metzger in Detmold, also quasi zu Füßen des Denkmals vom urdeutschen Schlachtenlenker, historische Stationen deutscher Geschichte abgefragt – und so Nutzanwendung und Missbrauch des Mythos eindrucksvoll kenntlich werden lassen (übrigens hat die nordrhein-westfälische Landesvertretung diese Detmolder Recherche für den 16. März nach Berlin eingeladen). Borgmann in Bielefeld verlegt nun, mit Kleists Arminius-Drama, das historische Schlachten nach innen: ins Wohnzimmer und an den deutschen Mittagstisch.

Teutonen-Eintopf mit Römer-Stückchen

Dort quengelt schon das Töchterchen, weil sie keinen Appetit mehr hat auf den immer gleichen Teutonen-Eintopf mit Römer-Stückchen drin; sie möchte endlich raus zum Spielen. Aber Papa füllt die Teller, bis der letzte Rest der Suppe ausgelöffelt ist. Daneben hat sich vor den Bildern mit dem deutschen Ahnen an der Wand im heimeligen Wohnzimmer ein Chor formiert, und in historischem Kostüm schwingt er sich animiert von Volkslied zu Volkslied.

Der gestrenge Herr Papa mit dem nie versiegenden Suppenlöffel bevorzugt allerdings Goethe und "Wanderers Nachtlied"; nicht ohne mehrfach darauf hin zu weisen, dass dieses Werk unter der Goethe-Eiche hoch droben auf dem Ettersberg entstand, auf der Anhöhe gleich bei Weimar, wo die Nazis eineinhalb Jahrhunderte später das Konzentrationslager Buchenwald errichteten. Und Goethes Baum mit Absicht stehen ließen, mitten im Jahrhundert-Massaker – das ist noch so ein Mythos der Deutschen.

Kleines Glück von Weltmachts Gnaden

Knapp zwanzig Minuten dauert Borgmanns szenisch-musikalisches Vorspiel zur Schlacht des deutschen Hermann, inklusive Alt-Berliner Gassenhauern und Lied-Gut von Claire Waldoff bis Hans Albers vom Band zum Entree: Deutschland, ein Stimmengewirr. Dann ist Pause.

Und dann kommt Hermann, tatsächlich. Auch der echte Kleist erscheint, effizient gekürzt – und zu ehedem Neuer Deutscher Welle: "Keine Atempause! Geschichte wird gemacht – es geht voran!" Alle Achtung: Die formale Behauptung dieser deutschen Kleist-Betrachtung ist prinzipiell stark. Und Stück wie Inszenierung beglaubigen sie; Frank Raschkes musikalisches Arrangement wird abendfüllend zum Neben-Hauptdarsteller.

Mit diesem Sound bleibt Borgmanns Kleist in der Wohnstube zu Hause; hier entwickelt sich das vertrackte Intrigenspiel um den deutschen Provinzfürsten, der zunächst wie ein Kollaborateur der römischen Besatzungsmacht und ihres Statthalters Quintilius Varus erscheint, und zufrieden mit dem kleinen Glück von Weltmachts Gnaden, mit der Gattin Thusnelda zur Seite. Der sieht er sogar die kleine Seitenspringerei mit dem netten Herrn Ventidius aus Rom nach – beginnt sich mit der Zeit dann aber in den Strategen zu verwandeln, der Allianzen schmiedet für den Endkampf, der den Stämmen rund um den Wald von Teutoburg als Befreiung erscheint.

Mit Thusnelda in die Schlacht

Beispielhaft für noch den letzten Provinz-Häuptling bringt Hermann auch die liebliche Thusnelda dazu, zur blutsäuferischen Furie gegen die Römer zu werden – weil sie sich durch den Lover vom Tiber betrogen sieht, lässt sie ihn einer hungrigen Bärin zum Fraß vor werfen. Und wird nun selbst zur Feldherrin – in einer hinreißend erotischen Szene umschleichen Hermann und Thusnelda (Sandra Gerling und Ingo Tomi) einander wie brünstige Tiere: um dann tatsächlich die Rollen zu tauschen. Schlussendlich führt Thusnelda die Teutschen in die Schlacht. Und siegt – über Varus, den Borgmann passenderweise ebenfalls weiblich besetzt.

Diese durchweg klug konstruierte Kleist-Variation ist voll von derlei extravaganten Behauptungen, die sich erst mit der Zeit und wie als Überraschung einlösen. Mit Therese Berger ist der römische Feldherr Varus nun eine feine ältere Dame, die von hinterfotzig-hinterwälderischen Germanen schon deshalb in die Irre geführt werden kann, weil sie den lokalen Dialekt nur mangelhaft beherrscht – und so statt nach "Pfiffikon" nach "Iffikon" verladen wird; das ist ja in jeder Aufführung Kleists ulkigste Teutonen-Pointe.

Dezent verblutet

Die gruseligste ist dagegen immer der Auftritt der römerzerfetzenden Bärin – Borgmann verlegt sie ganz in die langsam brechende Stimme des im übrigen dezent im Schritt verblutenden Legaten Ventidius. Und während auch die weitgehende Kollektivierung all der übrigen Germanenfürsten, der Marbods, Aristans und Gueltars, problemlos funktioniert, erschließt sich nur die Bemühung um Karl Valentin nicht, den Borgmann etwas bemüht ins Vorspiel hinein konstruiert – dann aber schnell wieder vergisst. Das war wohl nur so eine Idee.

Unübersehbar sind auch einige epigonale Motive: Raschkes Akkordeon auf der Bühne klingt sehr nach frühem Castorf, eine Pause nach 20 Minuten gab's wohl zuletzt bei Einar Schleef und "Wessies in Weimar". Und ungezählt sind inzwischen die Auftritte geschundener Menschen in Schiesser-Feinripp-Unterwäsche, wenn sie so recht am Ende sind wie hier die Römer am Schluss. Und doch trägt das prächtige Ensemble Borgmanns Gedanken, und "Die Hermannsschlacht" erwacht in Bielefeld zu ziemlich neuem Leben. Nun fehlt noch Osnabrück – vielleicht wird dann in deutscher Provinz ein deutscher Mythos so beispielhaft wie lange keiner mehr zu erforschen sein. Wofür das deutsche Stadtheater doch immer wieder gut ist.

 

Die Hermannsschlacht
von Heinrich von Kleist
Regie Robert Borgmann, Bühne: Jochen Schmitt, Kostüme: Esther Krapiwnikow, Musik: Frank Raschke.
Mit: Therese Berger, Sandra Gerling, Johannes Quester, Sebastian Reck, Alexander Swoboda, Ingo Tomi, Silvia Weiskopf, Thomas Wolff und Nils Zapfe.

www.theater-bielefeld.de


Mehr zur Hermannsschlacht? Im Oktober 2007 wurde in Frankfurt/Oder Oliver Schmaerings Kleist-Bearbeitung Hermanns Schlacht aufgeführt, und im Februar 2009 wagte Kay Metzger in Detmold wilde Assoziationssprünge mit Grabbe.

Kritikenrundschau

In Bielefeld nutze Regisseur Robert Borgmann Kleists "Hermannsschlacht" "zu einer Beschau des deutschen Wesens, das zugleich als Urphänomen der aller metaphysischer Geborgenheit beraubten modernen Befindlichkeit erscheint", so Manfred Strecker von der Neuen Westfälischen (9.3.). Dem Varus gebe Therese Berger "resignierende Größe" und Thomas Wolffs Waffenschmied Teuthold ein "köstliches Beispiel" von "Ulk auf den Kult der wilden Germanen", durch den die Inszenierung eine "parodistische Färbung" gewinne. Unversehens kitzele Borgmann "aus dem Stoff eine irrwitzig romantische Liebesgeschichte hervor": Die Seelenverbindung zwischen Thusnelda und Hermann gerate derart innig, dass beide gar Geschlecht und Rolle tauschten: "Auch das ein Versuch zur Kur der einsamen kränkelnden Seele, die durchs Nichts der Welten taumelt, um irgendwo in Auflösung – sei’s in der Nation, im Exzess, in der Liebesekstase – dauerhaft Erlösung zu finden." Als Zuschauer gehe man "ungetröstet nach Hause", sei dieser "intelligent und anspielungsreich aufgezogene Theaterabend" mit "allesamt bestechend ausgespielten Rollen" doch alles andere als "behaglich".

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