Stück für Stück gegen den Kapitalismus

von Willibald Spatz

München, 27. Februar 2010. Die Münchner "Halle 7" ist in zweifacher Weise besonders: Zum einen spielen hier Schauspieler zur Überbrückung zwischen zwei Engagements. Das bedeutet für die Aufführungen, dass sich hier zwei Mal im Jahr neue Ensembles zusammenfinden, die immer wieder spannend und energiegeladen dieses Aufeinandertreffen zu feiern wissen (manchmal allerdings führt dieses ständige Neubeginnen auch dazu, dass man hier Mannschaften spielen sieht, denen man anmerkt, dass sie das alles hier gern möglichst schnell hinter sich hätten: das gerade aufzuführende Stück wie auch den unsicheren Lebenszustand).


Die andere Besonderheit ist der programmatische Fokus auf neue Stücke. Man kann hier gelegentlich Werke kennen lernen, die sich eine Spielzeit später auf den Spielplänen größerer Stadttheater wiederfinden werden. Die Halle 7 testet das Material und wenn es was taugt und von den richtigen Dramaturgen gesehen wird, macht es Karriere. Das Risiko, dadurch auch Flops im Programm zu haben, übernehmen großzügig die experimentierfreudigen Betreiber der Halle 7. Sie gewinnen ja in jedem Fall durch den Ruf, etwas zu wagen in der Großstadt.

Motto Markt total

Das "Festival für neue Dramatik" stellt in gewisser Weise den Höhepunkt jeder Halle 7-Runde dar. Das diesjährige war bereits das neunte und sehr gut besucht angesichts der Tatsache, dass die aktuellen Bühnen der Halle 7 mitten in einem ziemlich schäbigen Amüsiereck der Stadt namens Kultfabrik liegen, wo sich ein Billigclub an den anderen reiht.

An diesem Festival-Abend dürfen noch einmal alle Beteiligten der laufenden Staffel bei insgesamt sechs Stücken mitwirken. Da vieles gleichzeitig läuft, ist man als Zuschauer gezwungen, entweder auszuwählen oder an einem der beiden Wiederholungsabende noch einmal ins Partyviertel zu reisen.

Alles umkreist diesmal das Motto "Markt total". Was ist der Mensch noch wert, wenn alles, auch er selbst, sich nur noch ums Geld dreht? Und sind die anderen Sinnstifter wie Liebe und Freundschaft am Ende weniger wertvoll als das Geld, weil sie weniger wirkungsvoll sind in dieser Zeit?

Marcel Luxinger hat ein James Bond-Abenteuer mit dem Titel "Bondage" für das Theater geschrieben. Im Theater geht es reflektierter zu als im Kino, wo der Effekt im Vordergrund steht. Der Kinobesucher soll eingelullt, der Theatergänger aufgerüttelt werden. Deswegen darf das Bond-Girl (Natalie Schott) auch Sätze sagen wie "Es gibt keine soziale Privatisierung. Überhaupt beschönigst du mit deiner neoliberalen Haltung alle möglichen hässlichen Dinge: Steuererleichterungen für Wohlhabende, Reduzierung der Maßnahmen zum Umweltschutz, Zerschlagung staatlicher Bildungs- und Wohlfahrtsprogramme."

Minimalistischer Bond

Die Regisseure Nicholas Reinke und Georgia Stahl treiben die Entzauberung sogar noch einen Schritt weiter: Sie lassen ihre Schauspieler sich zuerst dem Publikum vorstellen, scheinbar ohne Rollen, ihre Vorzüge preisen und mit politischem Theater drohen. Eine zückt die Tageszeitung, liest daraus vor und stößt dabei auf eine Annonce, in der es heißt, ein neuer Bond-Darsteller werde gesucht. Auf die stürzen sich alle Akteure wie wild - so wie sie sich im echten Leben vielleicht auch darauf stürzen würden. Und das Schöne, respektive Amüsante daran ist, dass sich von da ab tatsächlich so etwas wie ein Agentenfilm da vorne abspielt, obwohl die einzelnen Szenen durch meta-markt- und rollenananlytische Reflexionsrunden voneinander abgegrenzt werden.

Originell ist der von Markus Brandl dargestellte, an sich selbst zweifelnde Bond und sein gar nicht so unsympathischer Gegenspieler Markwert (Timo Vogel). In der neuen Welt gibt es kein Gut und kein Böse mehr, nur noch Angebot und Nachfrage und eine Menge Gelegenheiten, durch hai-verseuchte Gewässer zu schwimmen, dubios-lächerliche Spiele in exotischen Casinos zu zocken oder mit Lasern Löcher in U-Boote zu schneiden.

Inszeniert ist das mit Minimalaufwand: Lichtwechsel bedeuten Ortswechsel, Universal-Requisisten sind unter anderem Plastikhüllen, Regenschirme und Kartoffelchips.

Ohne Gefühle leben

Richtig aufwendig dagegen ist Frank Campois Teil-Inszenierung von "Sich Gesellschaft leisten. Ein Experiment. Level 4: Mangelwirtschaft". Das etwas sperrige Stück stammt von Ulf Schmidt, der eigentlich Werbetexter ist. Hier läuft, wie in der Wirklichkeit da draußen, eine Menge gleichzeitig ab und bewusst gemacht wird das, indem es auf der Bühne parallel gezeigt wird.

Es gibt Fernseher mit Gesichtern drauf und zwei Beamer beamen Augen und rotierende Champagner-Flaschen an die Wände. Furchtbar rosige Worte gebrauchen ein Callboy und seine Bestellerin vor dem Akt, danach wird über Minutenlohn und Trinkgeld geredet, als ob Gefühle ein vor langer Zeit abgelegtes Hindernis im zwischenmenschlichen Miteinander seien, ohne die es sich schlicht besser leben lässt.

In einem anderen Szenen-Splitter buhlen zwei Berater um einen Arbeits- und Hoffnungslosen. Schließlich streiten sich zwei Prostituierte darüber, ob sie in ihre WG einen Mann, also einen "Schwanz", aufnehmen sollen, damit der bestimmte Tätigkeiten vollziehe, und wie sie ihn dann entlohnen sollen - mit Geld oder durch "Ranlassen". Dieses Hin und Her könnte noch eine Weile so weitergehen, ohne dass es einen nervt oder auch sonderlich erhellt, aber es endet abrupt, ohne dass alle Schauspieler viel mehr von sich hätten zeigen können als ein paar Kniebeugen in Damenstrumpfhosen.

Das "Festival für neue Dramatik" stellt Stücke zusammen, die bereitwillig den Anspruch erheben, uns die Welt erklären zu können. Die Erklärung lautet: Die Welt ist so schlecht, weil die Menschen sich nicht mehr von ihren Gefühlen, sondern nur noch vom Kapital leiten lassen. Diese Erklärung klingt gerade jetzt, wo man gelegentlich von einer Finanzkrise liest, plausibel. Jedenfalls wurde viel Aufwand betrieben für eine Handvoll Aussage.

Aber wenigstens amüsiert hat man sich hin und wieder. Was will man mehr in einer Krise, in der sogar das Theater ein Markt ist für Stücke und Personen?

 

Bondage
von Marcel Luxinger
Regie: Nicholas Reinke & Georgia Stahl, Souffleur: Jonny.
Mit: Markus Brandl, Natalie Schott, Simone Stahlecker, Timo Vogel.

Sich Gesellschaft leisten. Ein Experiment. Level 4: Mangelwirtschaft
von Ulf Schmidt
Regie. Raum: Frank Campoi, Musik: Tom Leonhardt, Regieassistenz: Anna Schweiger, Annekathrin Ebert, Maske: Christiane Stechow.
Mit: Cristina Andrione, Jörg Hartmann, Stefan Hornbach, Natascha Heimes, Matthias Horbelt, Adam Markiewicz, Daniel Wandinger, Petra Wintersteller.

www.inkunst.de

 

 

Kommentare  
Halle 7-Festival: der Leiter darf stolz sein
Die Halle 7 hat inszwischen mehr Besucher als manch ein Theaterhaus in München. Es ist immer voll. Wegen der Filmarbeit werden viele Schauspieler kein Theaterengagenment annehmen können und spielen daher auch unbefristet und unabhängug in der Halle. Ein gewisses Risiko erfordert Mut, so kann der Leiter der Halle stolz auf seine Arbeit sein.
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