Ungerechtigkeit ist wie das Brot

von Gerhard Zahner

Konstanz, 2. Juli 2010. Konstanz glüht an diesem Juliabend. Draußen noch 28 Grad. Und dann betritt man den Saal, der Vorhang öffnet sich und ein kühler Stoß von Regenluft weht ins Publikum. Schwarz ist die Bühne. Der Regen fällt. Und es wird die Aufführung über regnen, regnen und regnen. Ja, davon erzählt dieses Stück, von denen, die im Regen stehen. 

Wulf Twiehaus verabschiedet sich mit Horváths "Glaube, Liebe, Hoffnung" als Oberspielleiter aus Konstanz. Er feierte Regieerfolge mit Brecht und Schiller; jetzt, mit Horváth, dankt ihm das Publikum noch einmal, mit langem anhaltendem Applaus nach dem Schlussvorhang. Ja, es ist immer noch kühl, angenehm, besondern in den vorderen Reihen.

Zumutbares Unglück
Die Inszenierung lebt von bunten, hübschen, kleinen Einfällen; der Regen, das spiegelnde Wasser, das die Oberfläche des Bühnenbodens bedeckt. Odo Jergitsch im weißen Präparatorenmantel gießt mit einer grünen Kanne in diesem Regen einen noch grüneren Kaktus, Melich, in der Langsamkeit, wie man Fett wird, verspeist ein Huhn unter einem Sonnenschirm, Amrod singt und Susi Wirth spielt Elisabeth, in einem blassroten Sommerkleid (Ausstattung, Katrin Hieronimus) und tanzt natürlich barfuss in den Pfützen. Amrod singt Dylan und es wirkt, von der Kanzel oben, als sei die Musik der neue Mond, der die Verrückten und die Traurigen, in gleicher Weise nicht schlafen lässt.

Die Stärke des Inszenierung, nämlich Susi Wirth wird gleichsam zur Schwäche. Horváth zeichnete mit seinen Stücken bekanntlich die Zeit immer voraus. Die braune Pest wird alles Menschliche ans Kreuz nageln. So sagt er es. Bevor das geschieht, wird in den Laboratorien der Amtgerichtsstuben bereits experimentiert, was einem einzelnen Menschen an Unglück zumutbar ist. So zeigt er es. Ungerechtigkeit ist wie das Brot. Die Armen schlagen sich darum. Und das Schlimmste ist die Hoffnung, dann der Glaube, dann die Liebe. Die Gesellschaft hat einen Mechanismus entdeckt, nämlich die Menschen hoffen zu lassen, wo es keine Hoffnung gibt, glauben, wo der Glaube versiegt und Lieben, wo nichts zurückwirkt.

Beim Auftauchen Liebe atmen
Susi Wirth kennt nur die dunkle Elisabeth. Diese in Trauer vom Leben geschlagene und von Anfang an, an das Untergangsschicksal gefesselte. Die andere Elisabeth, die im Glück aufatmet, wenn nur ein Mensch sie umarmt, mit Astern beschenkt, wie eine Königin strahlt, diese Elisabeth spielt sie nicht. Sie spielt nicht diese Frau, die hoffnungslos, trotzdem hoffen will. Wie eine Ertrinkende im Auftauchen, die Liebe atmet.

Aber wie spielt man auch eine Frau, die niemals daran glauben wird, dass alles zu Ende ist und sich deshalb tötet. Wirth beherrscht die um ihr Leben betrogene Elisabeth, die im Fallen sich Aufrichtende, bleibt ihr eine Fremde. Das Stück verliert dadurch diese horváthsche Dimension, nämlich dem Diskurs des Schreckens eine Variante aufgedeckt zu haben, den Menschen mit Hoffnung zu quälen, wenn es weder Glaube noch Liebe gibt. Das ist die kommende Zeit.

Starke Szenen, starker Appplaus
Twiehaus liest dies sehr genau. Die Liebesszene zwischen Elisabeth und dem Polizisten (Ingo Biermann) ist von Twiehaus so bleibend erzählt, in einem gläsernen Treibhaus, blühen zwei Körper, weil sie sich umarmen. Das Glas beschlägt und der Tod, klopft an und bittet zum Tanz. Der Regen fällt. Er klopft auf das Glas. Tack, tack.

Und dennoch, trotz dieser Bilder sinkt man nicht vollends ein, in den Sog des Stückes. Horvaths Wirkungssprache aus Vertrautheit des Dialekts übersetzt in die Hochsprache, verwischt in dieser Inszenierung zu sehr in Undeutlichkeit. Dann wird die Inszenierung flüchtig, und flüchtet in kleine Lacher und verliert an Wirkung. Der starke Applaus am Ende war den starken Szenen geschuldet. Draußen Konstanz, jetzt noch immer 24 Grad.

 

Glaube, Liebe, Hoffnung
von Ödön von Horváth und Lukas Kristl
Regie: Wulf Twiehaus, Ausstattung: Katrin Hieronimus, Dramaturgie: Thomas Spieckermann.
Mit: Kristin Muthwill, Jana Alexia Rödiger, Olga Strub, Susi Wirth, Paul Amrod, Ingo Biermann, Odo Jergitsch, Georg Melich, Heimo Scheurer, Yannick Zürcher.

www.theaterkonstanz.de

 

Kritikenrundschau

"Mit Horváth ist das halt so eine Sache, da darf nichts hineintropfen, was nicht hineingehört und das Dramenkonzentrat verwässern könnte", findet Wolfgang Bagers im Südkurier (5.7.2010). Twiehaus lasse "die Zu-kurz-Gekommenen aus den verschiedenen Ständen der Gesellschaft einfach im Regen stehen. Es gießt in Strömen während der zweistündigen Aufführung, der Niederschlag des Lebens prasselt auf alle gleichmäßig und unaufhörlich herab. Doch es werden nicht alle gleich nass. Die besseren Stände schützen sich mit Schirmen, die Vertreter der Staatsmacht mit Uniformmänteln und Capes und selbst die Kellnerin hat eine Plastiktüte auf dem Kopf. Nur Elisabeth wird nass bis auf die Haut, ist schutzlos dem Regen und ihren Mitmenschen ausgeliefert." Bagers Fazit: "eine bemerkenswert interessante, aber auch bisweilen etwas lückenhafte Inszenierung."

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