Wenn Verfolger Verfolgern folgen

von Felizitas Ammann

Zürich, 17. Oktober 2007. Wer wen anschaut, das ist im Theater seit dem Fall der unsichtbaren vierten Wand längst nicht mehr klar. Diesen doppelten Blick macht nun die Zürcher Formation mikeska:plus:blendwerk um Regisseur Bernhard Mikeska und Ausstatter Dominic Huber zum Thema.

Ausgangspunkt ist dabei Paul Austers verwirrend unheimliche Beobachtungsgeschichte "Ghosts", in der Blue im Auftrag von White einen gewissen Black observieren soll, eine Sache, die so lange dauert und so wenig Ergebnisse bringt, dass Black sich allmählich fragen muss, ob nicht vielmehr der andere ihn beobachtet.

Daraus haben Mikeska und Huber für das Theaterhaus Gessnerallee eine Verfolgungsjagd kreiert, in welcher der Zuschauer als Detektiv allein durch die Straßen geht, die Stimme des Auftraggebers im Ohr und ab und zu Black vor Augen. Na dann. 

Ich allein, perfekt der Schein
Ich stehe auf einem Fußgängersteg über dem Fluss, es ist ein wunderbarer Herbstabend, letztes Licht, erste Scheinwerfer, viel Verkehr. Dazu eine Stimme über Kopfhörer, die mir von einer Kindheitserinnerung erzählt und davon, dass letztlich alles vom Zufall abhängt. Was danach folgt, hat mit Zufall allerdings nichts zu tun: Es ist eine perfekt arrangierte Scheinwirklichkeit nur für mich allein, in der alles schon bereit liegt und offenbar nichts schief gehen kann. Die Stimme dirigiert mich zur Tram Nummer 14, dann weiter zu einer Blueskneipe, in der ich erst ein Foto und später das Objekt meiner künftigen Beobachtungen zu Gesicht bekomme.

Die Stimme im Ohr lässt mich entspannt spazieren – denn ich weiß, dass immer jemand danach schaut, dass ich dem Geschehen nicht abhanden komme. Gleichzeitig fühle ich mich überwacht und schaue nervös hinter mich. Die Gefühle vermischen sich, die Wahrnehmungsebenen schieben sich übereinander. Ich gehe durch vertraute Straßen und höre eine Beschreibung von Chinatown. Ich sitze in der Tram, vernehme Fragmente von Austers Text, lausche aber lieber den Sitznachbarn, die sich gerade über ihre Ferien unterhalten. Überhaupt gewinnt häufig die Realität über die Fiktion im Kampf um die Gunst meiner Aufmerksamkeit.

Auftrag: Beobachte unauffällig!
Dann bekomme ich die Anweisung, Frau Black unauffällig zu folgen, und die Situation verändert sich schlagartig. Folgen ja, aber unauffällig? Das gebe ich sofort wieder auf, es wäre zu lächerlich, sich in dieser menschenleeren Seitenstraße verbergen zu wollen. Und Folgen hat das Gesehenwerden ja sowieso keine, schließlich ist das hier Theater und keine Realität.

Interessanterweise hat die Künstlichkeit der Situation der Spannung bisher keinen Abbruch getan. Unangenehm wird sie erst jetzt. Dass ich sinnloserweise unauffälliges Beobachten mimen soll, verdirbt mir gründlich den Spaß, missmutig trotte ich der Frau im beigen Trenchcoat hinterher. Und plötzlich ist alles wieder anders, als Frau Black mich überraschend anspricht und dann auf einem Fahrrad flieht, ich mit einem bereitstehenden Taxi hinterher.

Mister X, bitte melden!
Was wird hier gespielt? Nun geht es Schlag auf Schlag. Die Rollen von Auftraggeber, Verfolger und Verfolgtem haben sich längst aufgelöst. Nicht nur Paul Austers Name ist aufgetaucht, natürlich auch meiner. Und in einem Showdown im Theaterhaus wird die Verschachtelung noch auf die Spitze getrieben. Das ist faszinierend zu beobachten, doch noch einmal wird deutlich, dass die fiktionale Ebene aus Paul Austers Roman auf der Strecke geblieben ist. 

Die endlose, existentielle Verstrickung der Figuren, der Zweikampf auf Leben und Tod – er hat in dieser inszenierten Verfolgung nicht stattgefunden. Frau Black ist für mich eher ein Mister X denn ein Alter Ego geworden. Entsprechend aufgesetzt wirken manche bedeutungsschweren Textpassagen. Spannend bleibt das Geschehen trotzdem. Vor allem dann, wenn man die Gedanken schweifen lässt – wie es wohl auch jedem Detektiv ab und an passiert.

Wenn man die umliegende Welt integriert, Passanten verunsichert, indem man zurückstarrt, wenn sie einen verwundert mustern, weil man in ein Fenster hinein guckt, in dem nichts passiert – außer dass eine Frau am Schreibtisch sitzt und schreibt. Jemandem beim Lesen und Schreiben zuschauen, das sei nichts tun, so heißt es bei Paul Auster. Keineswegs.


Ghosts:: who’s watching you?
von mikeska:plus:blendwerk nach Paul Austers "Ghosts"
Regie: Bernhard Mikeska, Raum: Dominic Huber, Kostüme: Esther Krapiwnikow.
Mit: Miriam Fiordeponti, Sascha Gersak, Wowo Habdank, Lara Körte, Dominique Müller.

www.gessnerallee.ch

 

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