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Aus für die kleinen Experimentierstätten?

Weimar/Leipzig/Berlin, 22. November 2011. Hiobsbotschaften aus Leipzig, Berlin und Weimar: An Theatern in allen drei Städten droht zurzeit die zumindest vorübergehende Schließung der Nebenspielstätten.

So war etwa in den vergangenen Tagen in der Thüringischen Landeszeitung darüber zu lesen, dass das E-Werk, die alternative Spielstätte des Deutschen Nationaltheaters in Weimar, ab Januar 2012 aufgrund eines Beschlusses des Theater-Aufsichtsrates wahrscheinlich temporär geschlossen werde. Das hatte Intendant Stephan Märki gegenüber der Zeitung am 10. November bestätigt. Märki wird ab Juli 2012 schrittweise ans Theater in Bern wechseln. Vor einem Jahr hatte er die nun bedrohte Nebenspielstättet noch als "Weimars letzten Ort für Überraschendes" bezeichnet. Am 18. November, nach einer Versammlung von Ensemble, Leitung und Geschäftsführung, wurde zumindest kurzfristig Entwarnung gegeben: Die Entscheidung über die Schließung sei nun zunächst für zwei Wochen, bis zur Aufsichtsratssitzung am 19. Dezember, aufgeschoben.

Hintergrund des Ganzen sind rückläufige Zuschauerzahlen und entsprechend geringere Einnahmen für 2011, die Geschäftsführer Thomas A. Schmidt im Aufsichtsrat angekündigt hatte. Daraufhin forderte dieser die Theaterleitung auf, einen Maßnahmeplan für einen ausgeglichenen Haushalt 2012 vorzulegen. Dieser Plan sah nun vor, 2012 keine neuen Produktionen im E-Werk mehr herauszubringen und die Spielstätte, um u.a. Heizkosten in Höhe von 30.000 Euro zu sparen, von Januar bis Anfang April sowie im November und Dezember komplett zu schließen und im Zeitraum dazwischen dort lediglich Vorstellungen aus dem laufenden Repertoire zu spielen sowie die Weimarer Schultheatertage und das Festival für zeitgenössischen Tanz stattfinden zu lassen.

Dabei gab es aus Thüringen zuletzt denkbar gute Nachrichten. Nachdem im Februar 2011 noch gemeldet worden war, es fehle mehreren Theatern an Geld, um dringend notwendige Sanierungsarbeiten durchzuführen oder Gagen für Gastkünstler aufzubringen, kam im Juli die erlösende Meldung, dass das Land Thüringen die Zuschüsse für Theater und Orchester ab 2013 erhöhen wolle: von 58,7 Millionen auf 64,8 Millionen bis 2016.

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Demnächst geschlossen? Das E-Werk in Weimar. © Thomas Müller

Aktuell fehlen dem Theater für einen ausgeglichenen Haushalt 250.000 Euro, für die man Stadt und Land – nicht zuletzt angesichts der geplanten Subventionserhöhungen – um eine Ausfallbürgschaft gebeten hatte, die diese aber nicht erteilen wollten. Dabei hatte man in Weimar in der letzten Zeit bereits anteilig Tariferhöhungen zu finanzieren und auch schon Sparbemühungen unternommen. Nun muss die Viertelmillion durch andere Maßnahmen eingespart werden, eben z.B. durch die temporäre Schließung des E-Werks.

Der neue Mietvertrag für die Nebenspielstätte (mit den Stadtwerken) liegt erst einmal auf Eis, auch wenn Stadtwerke-Chef Helmut Büttner signalisiert hat, dem Theater nach Abschluss des Vertrages bei Investitionen in Schallschutz, Dachsanierung und/oder in die (energetisch unsanierte) Heizungsanlage durchaus unter die Arme zu greifen.

Im Weimarer Schauspielensemble befürchtet man nun, eine vorübergehende E-Werk-Schließung würde langfristig eine Abwicklung der Spielstätte bedeuten. Geplant sind laut TLZ u.a. kulturpolitische Aktionen gegenüber dem Aufsichtsrat, ein Benefizkonzert sowie Unterschriften- und Spendensammlung. 1250 Unterschriften kamen dem Medium zufolge schon zusammen. Wenn eine dieser Aktionen "das E-Werk nur einen Monat länger offen hält, werden wir alles dafür tun", sagte einer der Schauspieler.

In Leipzig kündigte sich zuletzt ein ähnliches Schließungs-Szenario an. So wird nach Informationen des Centraltheaters der Produktions- und Spielbetrieb in der kleinen Spielstätte Skala von März bis Juli 2012 ruhen. Nachdem es im Sommer 2010 erste Meldungen über ein mögliches Aus für die Skala gegeben hatte, war – mit fraktionsübergreifendem politischen Rückhalt – geplant, ehemalige Discothekenräume in der Nähe des Hauptgebäudes auszubauen. Nach der erklärten Nicht-Verlängerung von Intendant Sebastian Hartmann hat das Theater laut eigenen Angaben jedoch "keine Signale oder konkreten Handlungsanweisungen aus der Stadt erhalten – die Sache ruht".

Auch das Berliner Maxim Gorki Theater wird seinen kleinen Saal, das Studio, demnächst für ein halbes Jahr schließen, weil zur weiteren Bespielung eine Summe von jährlich ca. 250.000 Euro fehlt. Wie das Theater gegenüber nachtkritik.de mitteilte, ist der Repertoirebetrieb dort bereits seit Beginn der Spielzeit ausgedünnt. Und ab Januar würden nur noch lange verabredete Produktionen und durch Drittmittel finanzierte Projekte realisiert. Ab Mitte Mai 2012 soll das Studio-Repertoire aus rund 16 Produktionen dann bis voraussichtlich Ende des Jahres komplett auf Eis gelegt werden.

Alternativ zu dieser Spielstätten-Schließung könnten laut Theaterchef Armin Petras nur Stellen gestrichen werden – wogegen er sich entschieden verwahrte. Die Finanzmittellage am Gorki hate Petras außerdem als einen der Hauptgründe für seinen geplanten Wechsel ans Stuttgarter Staatsschauspiel genannt.

 

(TLZ / TA / DNT Weimar / Centraltheater Leipzig / Maxim Gorki Theater / ape)

Kommentare  
Schließung kleiner Spielstätten: Neue Männer braucht ...?
man Wowi, was für ein jämmerlicher Akt! Als Kulturseantor nun fast endgültig gescheitert. (...)Schade, eine gewollte, ersehnte Ära geht zu Ende und das hoffentlich recht schnell. (...) Petras bringt viel mehr Innovation als dieser Möchtegernliebling allen Mütter.
Wir behalten dich noch immer in guter Erinnerung, aber was jetzt folgt ist der Untergang. Man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist. Der Zeitpunkt ist überschritten.
Neue Männer (vor allem Frauen) braucht das Land!
Schließung kleiner Spielstätten: es trifft keine Schnarchbuden
Als "alter" Mann kommt man da auch kaum noch mit/hinterher.
Da gehen zB. Schauspielstudenten von Sachsen (Chemnitz) nach Berlin (mit Gorki-Option !), und jetzt scheinen beim Gorki fast die Lichter auszugehen. Die "Scala" und auch das "Centraltheater" in Leipzig werden immer mehr mit den beckmesserischen bzw. verheerend massengesellschaftlich-neoliberalen Instrumenten taxiert, für welche der Begriff "Auslastung" zentral ist: der Widerstand dagegen ebbt ab; dabei sah ich kaum je irgendwo junges Publikum, das so angenehm war wie in der "Scala"-Spielstätte: irgendwie verdiente diese einen Kampf für sie !!
Von Weimar ist immer wieder frischer Wind ausgegangen, der jetzt zum Teil in Düsseldorf weht ...; es trifft nicht irgendwelche Schnarchbuden, möchte ich zu bedenken geben.
Komm da nicht hinterher.. Ihr Alter Mann (fast schon vor allem Frau ??)
Schließung kleiner Spielstätten: überraschend andere Meldung
Wie liest sich dagegen doch diese Meldung aus der heutigen Berliner Morgenpost unter dem Thema Bühne:

Überraschend: Finanzkrise stärkt Theaterszene den Rücken

Die Theaterszene in Deutschland profitiert von der aktuellen Banken- und Finanzkrise. Sowohl das Sprech- als auch das Musiktheater würden als "Orte des Abarbeitens gesellschaftlicher Fragen" aktuell mehr denn je in das Interesse der Öffentlichkeit rücken. Denn Kulturinstitutionen gäben vor dem Hintergrund einer breiten Verunsicherung verlässliche Antworten auf gesellschaftliche Fragen, befanden mehrere deutsche Intendanten in Frankfurt. Steigende Besucher- und Auslastungszahlen an den meisten deutschen Häusern belegten dies.

Dürfte man erfahren, wer diese tollen Intendanten sind und wo man ihre Stücke sehen kann? In Berlin merkt man davon zumindest herzlich wenig. Wer klopft sich denn da so lautstark auf die eigene Schulter oder besser lügt sich wieder in die eigene Tasche?

Nachtkritik, Recherche bitte!
Schließung kleiner Spielstätten: Intendanten-Diskussion in Frankfurt?
Vielleicht war es ja die Diskussion "(Ver)zweifelt der Wirtschaftsbürger am Kapitalismus?" die in der dollen Diskussionsreihe des Bühnenvereins am 20.11. in Frankfurt stattfand. Ich finde allerdings nur die Ankündigungen, keine Besprechungen. Und laut Ankündigung war nur der Intendant der Oper Frankfurt auf dem Podium. Und Roland Koch... Hat das jemand gehört?
Schließung kleiner Spielstätten: Theater als Krankenhaus
OK, die „Übeltäter“ sind erkannt. Der Deutsche Bühnenverein hat mal wieder zugeschlagen. Witzig ist ja tatsächlich die Aussage von Frankfurts Opernintendanten Bernd Loebe. Zitat dpa: Gerade vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Verunsicherung suchten die Menschen "eine gewisse Nestwärme". "Das Publikum stellt Fragen an das Theater - um festzustellen, man ist nicht alleine damit", sagte er. Das Theater von heute sei wie ein Krankenhaus mit einer sehr großen Ambulanz: "Wir behandeln die Leute ein paar Stunden und entlassen sie dann wieder."
Aha, Theater ist also ambulante Behandlung auf Krankenschein. Also wenn ich mal Nestwärme suche sollte, gehe ich bestimmt nicht ins Theater. Dafür ist die Kirche zuständig oder der Häkelverein. Das Ganze klingt wie eine Predigt zur Weihnachtszeit. Die Taschen sind zwar leer, aber wir haben euch wieder für die schlimme Welt da draußen aufgebaut. Da werden dann Trostpflästerchen geklebt und Pfefferkuchen verteilt. Und DT-Pfarrer Khuon predigt vom Deutschen Theater als „Zentrum einer Stadt, wo diskutiert wird". Wer diskutiert denn gerade so am DT? Heiner Müller mit Studio Braun, oder etwa die Trauerklöße Kimmig, Thalheimer und Kriegenburg, die sich vor der Krise in Kunstanstrengungen verkriechen?
Das DT muss sicher nicht befürchten, dass ihm die Box oder die Kammerspiele geschlossen werden, aber an der angeblich gestiegenen gesellschaftlichen Relevanz liegt das bestimmt nicht.
Die Bedeutung des Kulturbetriebs als Wirtschaftsfaktor haben viele Städte erkannt, steht da geschrieben. Das hat uns auch schon André Schmitz vorgerechnet. Dem Gorki-Studio hat es wenig genützt.
Schließung kleiner Spielstätten: Kanon aggressiver Betulichkeit
@ Stefan

Man, das klingt wirklich arg zynisch, was da wieder ausgeheckt wurde "Theater als Krankenhäuser". Leider, befürchte ich, spricht noch nicht einmal alles dagegen, daß es sich ähnlich zynisch auch wirklich verhält! In unserer "Brigade" kursiert ja schon das Inflationsjahr 2012, und es heißt beinahe schon, man solle sich -je nach Sparguthaben-
eher gestern als heute noch seinen Mercedes kaufen oder zumindestens seine Spielkonsole für den Home-Vettel, da bleibt der Collateral-Beifang für die Theater dann vielleicht tatsächlich nicht ganz aus (für die "mercedesnahen" Bühnen zumindestens ..., auch das Thalia steht kurz vor der Enterung durch eine Stage-Produktion, oder lese ich das falsch ??), und die Fragen des Publikums mögen sich vom Kanon "aggressiver Betulichkeit" (wie ich das nenne) dann auch nicht unbedingt sonderlich abheben: the subsequent hitting of the Problembear; insofern wäre es auch verfehlt, den "Gott des Gemetzels" etwa als gestrig abzutun.
Nestwärme in der Kirche ? Nicht ohne "Einübung ins Christentum" zB. !
Daß Sie nur nicht die falsche Konfession erwischen , bester Stefan !
Von "de profundis ad te clamavi" bis zur abgestellten Heizung bei gleichzeitigem Bilderverbot (etwa bei "den" Reformierten) ist da mancherlei drin, und auch hier wird man sich mit gutem Recht dagegen verwahren, nur für die Nestwärme da zu sein !
Ebenso hat keiner gesagt, daß es das auf Krankenschein gibt; auch Ambulanz gibt es keineswegs so einfach auf Krankenschein -es kann schon passieren, daß eine Krankenhausambulanz nischt zu tun hat, ein Patient aber dennoch abgelehnt wird, weil er als Kassenpatient die Behandlung in einer Praxis-Klinik günstiger bekommt und die Krankenkasse nur diese Kosten übernimmt (siehe "Eingewachsener Zehnagel")-, und der Zynismus kommt halt nicht zuletzt daher, daß auch Krankenhäuser immer mehr marode Strukturen zeitigen: wenn dann auch noch die Theater "übernehmen", na dann wirklich: Gute Nacht, Schwester!.
Schließung kleiner Spielstätten: Schnelleinlauf mit Kunstkatheter
Ja, lieber Arkadij, ich vermutete auch erst eine, wenn auch etwas zynische, Charmeoffensive des Bühnenvereins a la Wowereits „arm aber sexy“. Nur fürchte ich, die meinen es tatsächlich ernst. Wenn das Weihnachtsgeld nicht mehr für den Mercedes oder die Spielkonsole reicht, geht der gebeutelte Bildungsbürger eben ins Theater und bekommt qua Intendantendiagnose und Kassenzugehörigkeit gegen das Absingen eines Bußpsalms entweder einen ambulanten Schnelleinlauf mit oder ohne Kunstkatheter, eine Einweisung ins Abonnement oder bei hoffnungslosen Fällen eine Dauerüberweisung zu Vinge/Müller in den Prater der Volksbühne. Dass die Theater den Kirchen den Rang ablaufen wollen, wäre ja nicht so verkehrt gedacht, irgendwo müssen die vielen Ausgetretenen ja hin. Nur ob sie vom Gloria in excelsis Deo zum De profundis clamavi ad te Domine wechseln, ist rein vom Standpunkt aus gesehen eh Wurscht. Aber wahrscheinlich müssen einige Theater bald ein Kyrie eleison anstimmen und nicht nur wegen der maroden Bausubstanz. Na dann, frohes Fest.
Schließung kleiner Spielstätten: Stefan und A.Z. wunderbar
allein wegen "Stefan" und "Arkadij Zarthäuser" ist NACHTKRITIK ganz wunderbar. Obwohl ich heute sagen muss, dass "Stefan" auf "5." mit "DT-Pfarrer Khuon" auf Platz EINS steht. Einfach herrlich!
Schließung kleiner Spielstätten: ist das alles?
armin petras habe sich zwischen der schließung der spielstätte oder dem erhalt von arbeitsplätzen entscheiden müssen. er habe sich für den erhalt von arbeitsplätzen entschieden. aber was nützen erhaltene arbeitsplätze, wenn nicht gespielt wird? was ist denn der hauptzweck eines theaters, spielen oder arbeitsplätze erhalten?

stephan märki müsse die soeben noch gelobte spielstätte e-werk schließen, da die einnahmen zurück gegangen seien, der haushalt nicht ausgeglichen sei. wie soll denn der haushalt eines theaters auszugleichen sein, wo der haushalt der administration seit jahrzehnten nicht auszugleichen ist -und auch noch durch einen intendant, der sich, ähnlich wie petras, einer doppelbelastung ausgesetzt sieht?

auf die politik schimpfen, ist das wieder mal alles, was dem theater einfällt? ist es nicht grundehrlich, dass das DNT nunmehr sein publikum auffordert, gefälligst mehr in die inszenierungen des e-werks zu gehen?
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