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Blick in den Hirnkasten

von Annette Hoffmann

Freiburg, 3. Dezember 2011. Wenn Thomas Krupas Inszenierung von Dostojewskis Roman "Verbrechen und Strafe" im Kleinen Haus des Theater Freiburg beginnt, ist schon alles  entschieden. Die Pfandleiherin Aljona Iwanowna ist längst ermordet. Und auch auf Lisaweta ist das Beil niedergegangen. Es ist, als ob Raskolnikow nie eine andere Wahl gehabt hätte. "I'm a man, I'm self aware", singt eine dunkle Stimme vom Band und beschwört den Tod. Und einmal probt das Ensemble im Laufe der dreistündigen Inszenierung acht unterschiedliche Arten des Selbstmordes. Eine der Schauspielerinnen klebt sich den Vogelschnabel zu, ein anderer dreht sich aus Drahtbügeln eine Schlinge. Nur Raskolnikow (Andreas Helgi Schmid) beteiligt sich nicht an diesem grotesken Totentanz. Muss er auch nicht, er hat gemordet, und das ist nicht die uneffektivste Art, sich auch selbst umzubringen.

Experimentierfeld

Die Bühne des Kleinen Hauses ist mit dunkler Folie ausgeschlagen, eine einzelne Glühbirne hängt vom Schnürboden, irgendwo steht ein Stuhl. Das Ensemble nimmt in der ersten Reihe Platz, ein paar Requisiten liegen unter den Sitzen. Sobald man abgetreten ist, setzt man sich. Fällt auf der Bühne der Name einer der Romanfiguren, dreht sich der betreffende Darsteller zu den Zuschauern um und stellt sich vor. Immer wieder werden auf der Bühne einzelne Schauspieler direkt ausgeleuchtet, ab und an bedient Raskolnikow den Verfolger (Bühne und Licht: Markus Bönzli).

Das Publikum sitzt einem Experimentierfeld gegenüber, auf dem ein Beispiel für einen vermeintlich großen Mann gegeben wird, der gemordet und sich dabei wohl verhoben hat. Und der sich nun von der Prostituierten Sonja so etwas wie Kameradschaft im Anti-Bürgerlichen erhofft. Vielleicht aber blickt man auch in Raskolnikows karges, sargähnliches Zimmer. Ein Regal und ein Fenster werden unterdessen auf die dunkle Folie gezeichnet, und auch ein paar Zeilen aus Paul Celans "Todesfuge" stehen dort als eine Art Menetekel.

Exkurse über die Lebenserwartung

Erst und auch ausschließlich über das Programmheft wird über Heiner Müllers Text "Denken ist schuld" eine Verbindung zu Auschwitz gezogen. Soll dieser leidend-ungestüme junge Mann, ein Möchtegerndandy in Gamaschenschuhen und Kaschmirpulli (Kostüme: Sabina Moncys) also einer jener technokratischen Mörder des "Dritten Reichs" sein? Wohl kaum. Doch Krupas Inszenierung ist an solchen bloßen Behauptungen nicht ganz arm.

Vielleicht aber ist diese Bühne ja doch der "Hirnkasten" Raskolnikows, wie Swetlana Geier einmal den Roman beschrieb. Auf ihrer Übersetzung beruht auch die Textfassung von Thomas Krupa und Viola Hasselberg. Ihre Romanadaption setzt auf schnelle Szenenwechsel und übergangslose Anschlüsse. Da malte Raskolnikow eben noch die Umrisse des betrunkenen Mädchens auf die Straße, und einen Moment später sieht er sich in der Wohnung der Pfandleiherin mit den Markierungen der Polizei vom Opfer konfrontiert.

Es gibt Exkurse über die Lebenserwartungen gefallener Mädchen und das Wesen der modernen Ehe, aber zu wenig Spielmaterial. Stattdessen ist ausgestellte Theatralik zu sehen. So trägt André Benndorff als Marmeladow eine Strickmaske, sein Tod wird zur großen Nummer, bei der der Pope Erlösungsmusik vom Kassettenrekorder einspielt. Und als Dunja (Jennifer Lorenz) ihren Bräutigam Luschin (ein Geck mit Herrentäschchen: Daniel Wahl) vor die Tür setzt, wird daraus gar eine Art Vaudevilleszene mit kokett angewinkeltem Bein und eigener Choreografie.

Schuld oder Unschuld?

Während Porfirij sich über den nackten Oberkörper die Fuchsstola legen muss und sich mit dem Lippenstift Striche aufs Gesicht malt, gibt der sehr präsente Matthias Breitenbach, der diesen Inspektor jovial und zugleich herausfordernd wirken lässt, einmal gar den russischen Tanzbären. "Hundert Kaninchen machen noch kein Pferd", sagt er, als ihm die Beweise fehlen, Raskolnikow zu überführen. Wie wahr. Und dieser braust auf, schlägt immer wieder hin und versucht sich stellvertretend das Blut von Marmeladow in einem Eimer aus dem Pulli zu waschen. Das rot verfärbte Wasser ist auch so ein Menetekel.

Wird das Thema der Erlösung oder gar der Gnade angespielt, wird es in dieser Inszenierung weiblich und die Musik spricht. Und wenn am Ende Raskolnikow und Sonja einander auf dem Boden gegenüber knien, sind wohl aller Worte zuviel, und ein Stabat mater, gesungen von Anna Shiryaeva, setzt ein. Wie überschrieb Müller seinen Text? Denken ist schuld. Die Beweisführung ist man im Theater Freiburg jedoch schuldig geblieben. 

Verbrechen und Strafe
nach Fjodor Dostojewskij, übersetzt von Swetlana Geier, in der Fassung von Thomas Krupa und Viola Hasselberg.
Regie: Thomas Krupa, Kostüme: Sabine Moncys, Licht und Bühnenbild: Markus Bönzli, Dramaturgie: Viola Hasselberg.
Mit: André Benndorff, Gabriel von Berlepsch, Matthias Breitenbach, Hendrik Heutmann, Jennifer Lorenz, Charlotte Müller, Andreas Helgi Schmid, Stephanie Schönfeld, Daniel Wahl, Sängerin: Anna Shiryaeva.

www.theater.freiburg.de


Mehr zu Thomas Krupa gibts im nachtkritik-Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Vom "musikalischen Duktus", den die Übersetzerin Swetlana Geier" aus dem russischen Original ins Deutsche gerettet" habe, sei in Thomas Krupas Inszenierung "nichts zu spüren", schreibt Bettina Schulte in der Badischen Zeitung (5.12.2011). "Wie auch? Die Dramaturgin Viola Hasselberg hat in Zusammenarbeit mit dem Regisseur dieses großartige Stück Prosa in lauter Dialoge aufgelöst und damit einfach zum Verschwinden gebracht. Wer den Roman nicht kennt, ist verloren." Ein Reigen von Szenen ziehe "am zunehmend verwirrten Auge des Betrachters vorbei; Szenen, die keine Entwicklung kennen und keine Zuspitzung." Was Krupa an Dostojewskis Roman interessiert habe: "Seine Inszenierung vermag es nicht zu zeigen. Die Anfangs- und die Endverse aus Celans 'Todesfuge', mit Kreide an die Wand geschmiert, bleiben bloße und fahrlässig wohlfeile Behauptung."

Kommentare  
Verbrechen und Strafe, Freiburg: treffen sich drei Leute
das war am rand einer körperverletzung. ich habe nichts verstanden. die armen darsteller mußten szenen spielen aber keiner hat ihnen gesagt wozu. treffen sich nen dutzend leute in ner garage und jeder darf mal auswendig was sagen, und der ihnen dabei zuschaut war beim zuschauen damit beschäfigt, drüber nachzudenken welches der drei lieder, von denen er glaubt, die könnten einem zuschauer mal nahegehen in irgendeiner seiner inszenierungen, er denn nun zu beginn, in der mitte und am ende vom ton einspielen lässt.
sehr ärgerlich, bei diesem stück.
Verbrechen und Strafe, Freiburg: Reduzierung erlaubt Konzentration
Kein Hit (wird inzwischen vor ziemlich leerem Haus gespielt), aber sooo schlecht ist es ja nun auch nicht. Reduzierte Inszenierung erlaubt wenigstens, dass man sich ganz auf die großartig interagierenden Schauspieler konzentrieren kann.

http://martinjost.wordpress.com/2012/03/30/kleines-haus-leeres-haus/
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