Gedenket eines obsessiven Künstlers!

Berlin, 23. Februar 2012. Gegen eine Tendanz zur harmonisierenden Erinnerung an Einar Schleef wendet sich der Theaterkritiker und Schleef-Experte Wolfgang Behrens in der Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung (23.2.2012) anlässlich des 10. Todestages des Universalkünstlers. In anekdotischen Rückschauen, im "Geschmunzel und im Kopfschütteln" werde "ein großer Künstler ins handliche Format gepresst, ins Format des Witzes." Dabei seien die "Emotionen – nicht zuletzt die vom Hass gespeisten –", die Schleefs Inszenierungen zu Lebzeiten auszulösen vermochten, "gewaltig" gewesen (mit dem Ausruf "Faschismus-Scheiße" wird etwa Peter Zadek zitiert).

Schleef, so Behrens, habe in klassischen und modernen Texten von der Antike über Goethe bis Jelinek "archetypische Konstellationen aufgespürt und ihre Gehalte in räumliche, bildliche und rhythmische Energien übersetzt. Dabei rasselten Chöre mit Individuen zusammen, dass es nur so krachte." Neuere Versuche, Schleefs Theater auf der Bühne zu würdigen, wirkten dagegen "oft hilflos", wie etwa eine 24-stündige Lesung seines Romans "Gertrud" gleich nach Schleefs Tod an der Volksbühne.

Eine nurmehr punktuell auf Schleefs Mittel (z.B. Chöre, lange Dauer) zurückgreifende Aneignung verkenne, "dass Schleefs Formen nicht einfach zufällig übergestülpte Mittel waren, sondern in einer zwingenden Spannung zum Inhalt seiner Kunst standen. Es ist dieser unbedingte Ernst im Umgang mit den Gehalten, dieser obsessive Anspruch, Form und Inhalt auseinander hervorgehen und aneinander explodieren zu lassen, an den erinnert werden muss."

(chr)

Kommentare  
Schleef-Erinnerungen: Wirkung in die Gesellschaft hinein
@ Wolfgang Behrens
Ihre Erinnerung an die Schleef-Lesung mit Horst Hiemer in den Räumen der Ausstellung "Aus anderer Sicht" trügt Sie nicht. Ricarda Bethke sprang auf und äüßerte sich sehr vehement gegen das verschleefende Erinnern der Podiumsteilnehmer. Weder Herausgeber Aufenanger noch Horst Hiemer konnten ihr Schleefbild schlüssig erklären. Viel wichtiger als die Kritik fand ich aber die Bemerkung von Frau Bethke von der Wirkung Schleefs in die Gesellschaft hinein. Davon würde man gerne mehr erfahren, von Leuten die Schleef noch gekannt haben. Interesse von jungen Leuten gibt es ja, wie man an den Nachfragen einer jungen Frau erkennen konnte. Auf dem Podium dazu leider nur Achselzucken und Allgemeinplätze.
Schleef-Erinnerungen: Welche Wirkungen?
@ Stefan
Da würde mich natürlich interessieren: Wie sehen Sie denn die Wirkung von Schleef in die Gesellschaft hinein? Es ist das natürlich ein neuralgischer Punkt, weil Theater ja - auch in den 80er und 90er Jahren schon - ohnehin kaum in der Gesellschaft ankommt. Aber wenn man zumindest von denen ausgeht, die in den Aufführungen saßen: Was genau war es, was sie verunsicherte?
Schleef-Erinnerungen: deutsche Geschichte im Blick
@ Wolfgang Behrens
Ich denke, da war zumindest der Versuch von Schleef etwas mit seiner Kunst zu bewirken. Sehr viel war es natürlich nicht, zu sperrig waren seine Theatermittel. Aber das macht es eben so interessant für heutige Regisseure, ihn als Quelle zu nutzen. Schleef hat sich auch nie die leichten gefälligen Themen ausgesucht und dabei immer die Einzelperson im Chor der Gesellschaft und vor allem im Bezug auf die deutsche Geschichte im Blick gehabt. An eine größere Wirkung hat er dabei vermutlich selbst nicht gedacht, die gilt es noch zu entdecken.
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