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Demenz, Kot und Handgranaten

Berlin, 6. März 2012. Wie verschiedene Zeitungen, unter anderen die Webseite des Kölner Stadt-Anzeigers (5.3.2012) melden, hat der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki gegen die Aufführung des Theaterstücks "Sul concetto di volto nel figlio di Dio" ("Über das Konzept des Angesichts bei Gottes Sohn") der italienischen Theatertruppe Socìetas Raffaello Sanzio protestiert.

Vor der Berliner Premiere der Inszenierung im Hebbel am Ufer hatte Kardinal Woelki die Theateraufführung gegenüber der Bild-Zeitung als "unanständig" bezeichnet. Er verurteile es, "dass das, was Menschen aus ihrem Glauben heraus wichtig und heilig ist, in dieser Weise durch den Dreck gezogen wird". Gesehen hat der Kardinal das Stück nicht. "Es gibt keinen Grund, sich etwas anzusehen, das nur der Provokation dient", so Woelki.

In der Inszenierung von Romeo Castellucci geht es laut einer Besprechung des Rundfunks Berlin-Brandenburg (6.3.2012) unter anderem um einen dementen alten Mann, der an Inkontinenz leidet und permanent Kot ausscheidet. Die Handlung spiele vor einem überdimensionierten Christusbild von Antonello da Messina, das am Ende von Kindern mit Handgranaten beworfen und von Fassadenkletterern zerstört werde.

Die Inszenierung hatte bereits zuvor in verschiedenen italienischen Städten zu heftigen Diskussionen und Protesten geführt. Die Vorstellungen in Paris konnten nur unter Polizeischutz stattfinden.

Regisseur Romeo Castellucci sieht "das Ganze" als "hysterische Attacke". Die Argumente der Protestler seien armselig, zitiert ihn die Bild-Zeitung, "ich will die Kirche gar nicht kritisieren."

Auch der Intendant des Hebbel am Ufer, Matthias Lilienthal, verteidigte das Stück gegen Kritik. "Romeo Castellucci macht das aus einem großen Bekenntnis zum Christentum heraus", betonte er in einer Erklärung, die die Frankfurter Rundschau (6.3.2012) wiedergibt. Der italienische Theatermacher schaffe große Tableaus, die versuchten, Glauben und Empathie zu verbinden. "Glaube ist auch darin enthalten, wie wir mit alten Menschen umgehen." Dazu gehörten nun einmal Alterserkrankungen wie Inkontinenz und Demenz.

Die Zuschauer in Berlin zeigten sich, laut dpa und RBB, über den Fäkaliengeruch und "die Handlung zwar teils schockiert", hätten schließlich aber kräftig Beifall geklatscht. Am Dienstag soll das Stück noch einmal im Hebbel am Ufer über die Bühne gehen. Nächster Aufführungsort ist im Mai Montreal.

(jnm)

 

Die Ankündigung des Stückes auf der Webseite des Berliner Hebbel am Ufer

Dass hier die Kirchenleute einen Skandal herbeireden, ist das Fazit des Kommentars von Rüdiger Schaper im Tagesspiegel.

Ein Interview mit Romeo Castellucci (in italienisch) und Szenenausschnitt aus "Sul concetto di volto nel figlio di Dio"

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Kommentare  
Kardinal protestiert: wenn alle Religionen sich so vors Bein sch ... ließen
Na da waren wir mal wieder so richtig doll mutig und haben es der katholischen Kirche aber gezeigt! Der arme Jesus kann einem schon leid tun, wenn man sieht, wieviel Theaterblut, Kotze und Kaka ihm im Laufe der letzten Jahrzehnte im Namen der "Kunst" über das duldsame Haupt gekippt wurden. Und das dümmliche Publikum klatscht begeistert.
Wenn alle Religionen sich so folgenlos vors Bein scheißen ließen, würden wir wahrscheinlich in einer besseren Welt leben.
Aber für den gemeinen westeuropäischen Kulturrelativisten ist ein solcher Satz sicherlich purer Rassismus. Da nageln wir doch lieber noch einen Frosch ans Kreuz!
Kardinal protestiert: sehr berührend, gar nicht blaspemisch
Selten so einen unnötigen Kommentar gelesen! 1) Haben Sie die Aufführung gesehen? Wahrscheinlich genausowenig wie der Kardinal, oder? 2) Ich fand, das war eine sehr berührende, in keinstem Moment blasphemische Aufführung. 3) Und selbst wenn? Ich dachte, es wäre einer der Vorteile unseres politischen Systems, dass Religion kritisiert werden darf? 4) Was wäre der Vorschlag? Rübe ab für Herrn Castellucci? Und Kunstfreiheit erst dann, wenn Sie in jedem Winkel der Erde umgesetzt ist?
Kardinal protestiert: solange ich hier alle Religionen kritisieren kann
Selten so einen unlogischen Kommentar gelesen. 1) Ich finde Theateraufführungen über die katholische Kirche LAAAAANGWEILIG. 2) Ich habe nichts gegen blasphemische Aufführungen. Im Gegenteil. 3) Wer hat gefordert, jemandem die Rübe abzuschlagen? Wenn man sich über die katholische Kirche lustig macht, wird man weder erstochen, noch mit dem Tod bedroht, noch mit einem Beil in der eigenen Wohnung gejagt. Man bekommt vielmehr "begeisterten Applaus" und allenfalls empörte Anrufe älterer Herren bei der Bildzeitung. 4) Kunstfreiheit in anderen "Winkeln der Erde" geht mir am Arsch vorbei. Solange es hierzulande möglich ist, ALLE Religionen gleichermaßen zu kritisieren, bin ich vollkommen zufrieden.
Kardinal protestiert: Deutschland schafft sich ab
Welche Vorteile, frage ich Sie? Würde man das Foto einer Person nehmen die Sie verehren würden auch Sie sich verletzt fühlen. Also erzählen Sie mir nichts von Vorteilen. Bei allem Respekt, was bedeutet für Sie Freiheit? Das demokratische System was wir heute kennen ist aus dem Christentum entsprungen, und sagen Sie bloß nicht, dass es dem antiken Griechenland zu verdanken ist. Dass solche Dummheit gefeiert wird ist der eigentliche Skandal, und nicht der Möchtegern Künstler. Scham kennen auch Sie nicht, armes Deutschland, welches sich in jeder Hinsicht abschafft.
Kardinalsprotest: zutiefst katholisch
Ich war gestern da. Verstehe die Aufregung nicht. Im Gegenteil: Es ist ein Abend der gerade von der Abwesenheit von Empathie, Nächstenliebe und Respekt vor dem Sterben in unserer Gesellschaft erzählt. Ein zutiefst katholischer Abend, wenn er überhaupt provozieren will, dann im Gegenteil gerade durch seine tiefe Religiosität.
Kardinal protestiert: das größte Mysterium
Jede Tagesschau ist blasphemischer als dieser Theaterabend, in der hunderte von Menschen scheinbar von Gott verlassen einen brutalen und sinnlosen Tod sterben. In der Aufführung vollzieht sich das Gegenteil. Hier zeigt sich die unzerstörbare und bis an die Grenzen des Erträglichen belastbare und andauernde Liebe zwischen einem Sohn und seinem Vater. Im Tod, so habe ich den Abend jedenfalls verstanden, offenbart sich das größte Mysterium, das die Welt in sich trägt - die Liebe. Es ist ein Skandal,in welcher Weise Vertreter der katholischen Kirche auf diesen Regisseur reagieren.
Kardinal protestiert: fundamentalistische Verbalinjurien
Brüderlein und Schwesterlein,

Der Kardinaljungspund Woelki verhält sich genauso ignorierend wie seine ehemalige Bischofsschwester Käßmann: Woelki verurteilt etwas, was er eingestandenermaßen nicht gesehen hat.

Genauso verhalten hat sich auch Margot Käßmann zu den ZEHN GEBOTEN, inszeniert von Johann Kresnik 2004 am Bremer Theater. Frau Käßmann, die gerne öffentlich ihre vermeintliche Aufgeklärtheit mit zeremoniellem Habitus vor sich her trägt, hat die Bremer Aufführung verurteilt, ohne sie gesehen zu haben. Eine Einladung zu Aufführungsbesuch und Diskussion hat sie mit arroganter Attitüde ausgeschlagen.

Übrigens: Hat Woelki nicht unlängst eine Treueverpflichtung vor der Berliner Regierung abgelegt? Sollte das irgendwie mit Demokratie zu tun haben? Wir wissen jetzt, was wir davon zu halten haben!

Kirchenkritisches auf der Bühne evoziert immer noch fundamentalistische Verbalinjurien bei Kardinals-Brüdern und Bischofs-Schwestern und ist deshalb dringend notwendig. Gut, dass M. Lilienthal die Aufführung weiterhin auf dem Spielplan hat!
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