Presseschau vom 2. April 2012 - Die Mitteldeutsche Zeitung über den Fall ihres Kritikers Andreas Hillger
Kulturfilz oder reines Gewissen
Die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) ist in ein schiefes Licht geraten, als Anfang letzter Woche bekannt wurde, dass ihr Theaterkritiker Andreas Hillger unter Pseudonym Theaterstücke verfasste, die nicht zuletzt in der MZ besprochen wurden, und deren Regisseure Hillger selbst auch weiterhin rezensierte. Die Chefredaktion will davon nichts gewusst haben. Die MZ hat daraufhin Joachim Frank, den ehemaligen Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, beauftragt, den Fall zu untersuchen. In der Ausgabe vom 31.3.2012 hat Joachim Frank nun unter der Überschrift In eigener Sache die Ergebnisse seiner Recherchen vorgelegt.
Hillger bestreite – so Frank – "eine Täuschung in finsterer Absicht. Seine anfängliche Sorge sei gewesen, dass ein Stück des Theaterkritikers Hillger automatisch mit Vorurteilen begutachtet worden wäre. Seine dramatische Arbeit sollte für sich allein sprechen. Dieses Ansinnen verbindet Hillger mit vielen Autoren, bekannten und weniger bekannten."
Während die Chefredaktion ahnungslos gewesen sei, habe "MZ-Kulturchef Andreas Montag um die wahre Identität von 'Frank Wallis'" gewusst und "dessen Stück 'Jagd auf Junker Jörg', eine Kooperation von Anhaltischem Theater und Bühne Wittenberg, für die Zeitung" besprochen. "Positiv – und in der Annahme, der Fall sei zwischen Hillger und der Chefredaktion geklärt."
Insgesamt müsse der Kreis der Mitwisser "nach Auskunft führender Kulturschaffender recht groß gewesen sein. Von einem 'offenen Geheimnis' sprechen übereinstimmend: Clemens Birnbaum, Händel-Festspiel-Intendant seit 2009 und zuvor verantwortlich für das Weill-Fest in Dessau; Generalintendant Bücker vom Anhaltischen Theater; oder Silke Wallstein, Regisseurin unter anderem von Hillgers Kinderoper 'Oskar und die Groschenbande' sowie Mitarbeiterin des Dessauer Kulturfördervereins 'Kiez'."
André Bücker weise allerdings "jeden Verdacht von Mauschelei oder gar Kulturfilz" entschieden von sich: Er habe "'ein völlig reines Gewissen'. Es gebe 'nicht einmal im Ansatz etwas, wofür ich mich schämen müsste'". Frank berichtet aber auch, dass Bücker 2009 "eine Kollegin Hillgers, die sich nach Wallis erkundigte, glatt in den April" geschickt habe. "Es handele sich um einen 'jungen, sehr belesenen Autor'. Leider, leider könne man ihn weder interviewen noch treffen, weil er ausgesprochen scheu sei und sehr zurückgezogen lebe."
(wb)
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