Presseschau vom 9. Juni 2012 - Die "Welt" interviewt Yasmina Reza
Zustand der Schwäche
9. Juni 2012. "Ich habe diesen Text publiziert, ohne gleich an eine Theateraufführung zu denken, ich habe das getrennt gehalten", sagt Yasmina Reza über ihr neues Stück "Ihre Version des Spiels", das Stephan Kimmig in der kommenden Spielzeit am Deutschen Theater Berlin uraufführen wird. Theater hat nach Reza nichts mit Bewegung zu tun. "Es geht um die Intensität auf einer Bühne, nicht um Bewegung", sagt sie im Welt-Interview mit Peter Stephan Jungk.
Zu Beginn habe es ganz so ausgesehen, als würde die Uraufführung am Wiener Burgtheater stattfinden. "Luc Bondy wollte es inszenieren, aber dann hat man ihn zum Direktor des Pariser Odéon ernannt, und alles wurde sehr kompliziert", berichtet Reza. Das Stück sei dann Stephan Kimmig in die Hände gefallen. "Ich kannte ihn gar nicht. Ich war ja nach dem Tod von Jürgen Gosch ein wenig verwaist, denn seine Inszenierungen meiner Stücke (hier die Nachtkritik zu Goschs Inszenierung von Rezas Gott des Gemetzels) waren immer äußerst erfolgreich." Die Zusammenarbeit mit Luc Bondy sei übrigens auch daran gescheitert, dass Bondy eine der Hauptrollen mit der Autorin (die ja studierte Schauspielerin ist) besetzen wollte – was sie nicht wollte. "Und Luc ließ mich wissen: Verzeih mir, aber ich kann mir einfach niemand anders in dieser Rolle vorstellen."
"Ich bin ein totaler Kontrollfreak"
Zur Hauptsituation des Stücks – einer Interviewsituation zwischen einer prominenten Kulturjournalistin und einer berühmten Schriftstellerin – sagt Reza: "Man befindet sich gegenüber einem Interviewer immer in einem Zustand der Schwäche. Man kann einen Interviewer nicht niedermachen. Journalisten besitzen eine Macht, die die unsere bei weitem übertrifft." Es seien aber nicht Erlebnisse mit der Zunft der Journalisten gewesen, die sie dazu bewogen hätten, dieses Stück zu schreiben: "Ich selbst habe ja längst einen Weg gefunden, mit den Medien umzugehen." Sie gebe keine Fernseh- und kaum Radiointerviews, mache sehr selten Gespräche wie dieses. "Außerdem will ich meine Antworten dann gegenlesen, auch die Fotos kontrollieren, die erscheinen, ich bin ein totaler Kontrollfreak."
Generell solle man sowieso nie von Motivation sprechen. "Dieses Konzept existiert für mich nicht." Das Stück sei recht seltsam. "Es geht um etwas, das ich zwischen mir und mir ausfechte." Sie habe es verfasst, um die Problematik, Geschriebenes und Erlebtes getrennt zu halten, zu hinterfragen. Man werde dauernd aufgefordert, etwas über sich preiszugeben, Nebensächlichkeiten aus dem Alltag, über seine Motivationen, seine Engagements. "Aber aus meiner Sicht ist das völlig uninteressant." In einer idealen Welt müsse man schreiben können, ohne je Rechenschaft ablegen, ohne je einen Kommentar abgeben zu müssen.
Schriftsteller zu sein, habe ja etwas Gottähnliches. "In seiner Art ist ein Schriftsteller ein kleiner Demiurg. Man kreiert Leben." Für ihre Figuren empfinde sie immer Sympathie. Und: "Sie besitzen sicher mehr Unsterblichkeit als normale Menschen. Richard III. lebt, Heathcliff lebt, die großen Figuren der Literatur leben ewig. Alle Personen aus Tschechows Stücken leben..."
Kein Kontakt zu Sarkozy
Was haben diese Figuren mit ihrer Schöpferin zu tun? Was hat zum Beispiel die berühmte Schriftstellerin in "Ihre Version des Spiels" mit der berühmten Schriftstellerin Yasmina Reza zu tun? "Sie ist Schriftstellerin, in meinem Alter, sie hat dieselben Vorbehalte gegen Interviews. Und viele Ähnlichkeiten mehr." Corinna Harfouch werde am Deutschen Theater eine völlig andere und daher weitaus interessantere Figur spielen. Ein Schriftsteller verstreue seine Eigenschaften immer auf alle seine Figuren. Im neuen Stück gebe es nicht unbedingt mehr Analogien als in meinen anderen Texten. "In anderen Texten komme ich mindestens so deutlich vor, wenn auch in maskierter Form, oft in der Rolle eines Mannes."
Am Ende kommen dann die wirklich interessanten Fragen: Erstens. Nein, mit Nicolas Sarkozy habe sie nicht mehr in Kontakt gestanden, seit er Präsident geworden sei (hier die Buchkritik zu Rezas Wahlkampfbericht). Doch als er jetzt verloren hatte, habe sie ihm eine kleine freundschaftliche E-Mail geschickt. "Aber richtig unglücklich waren Sie nicht darüber, nehme ich an... – Nein, ich glaube nicht. – Sie glauben nicht? – Ich belaste meinen Blick auf die politische Realität nicht mit Sentimentalitäten." Zweitens: Mit Roman Polanskis Verfilmung von "Der Gott des Gemetzels" sei sie "sehr glücklich". "Sehr froh, mit Roman Polanski zusammenzuarbeiten, den ich ungemein bewundere." Und froh auch, dass das Stück zuvor um die Welt gegangen war. "Dadurch war ich nicht frustriert über etwaige Änderungen, die Polanski vorgeschlagen hat, vor allem seine Idee für das Ende." Ihr Vorschlag wäre ein anderer gewesen, aber es störe sie nicht: "Es ist eben ein Film. Es ist seine Version."
(sd)
Mehr zur Theaterautorin Yasmina Reza in einem Beitrag des Dramaturgen Michael Eberth.
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